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[Seite der Druckausg.: 10 ]


Dr. Barbara Hendricks,
MdB, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen

Das Familienentlastungsgesetz - Zur steuerlichen Förderung der Familie




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Seit Jahrzehnten beschäftigt uns in der Politik eine Frage: Wie sind Kinder zu berücksichtigen? Nur im Steuerrecht? Mit Progressionswirkung? Oder haben auch nichtsteuerbelastete Eltern einen Anspruch auf Entlastung gegenüber der Gemeinschaft?

Mit dem Jahressteuergesetz 1996 fand der Streit ein vorläufiges Ende. Dies glaubten wir jedenfalls. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner grundsätzlichen Entscheidung vom 10. November 1998 das Thema wieder auf den Tisch gebracht.

Mit dem Jahressteuergesetz 1996 wurde eine Lösung eingeführt, die ein zukunftsweisender Kompromiss zwischen den strittigen Standpunkten sein sollte. Kindergeld und Kinderfreibetrag wurden so miteinander verbunden, dass eine von den Rechenzentren der Landesfinanzverwaltungen im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer durchzuführende „Günstigerprüfung" es bei den meisten Steuerpflichtigen bei dem ihnen ausbezahlten Kindergeld belässt. Nur bei einer oberen Einkommensschicht wird zur verfassungskonformen Besteuerung des Existenzminimums von Amts wegen ein Kinderfreibetrag berücksichtigt. Dafür muss aber das Kindergeld zurückgezahlt werden. Diese Lösung wurde von der früheren Koalition in die Be-ratung des Deutschen Bundestages eingebracht und so beschlossen.

Diese Lösung machte einen großen Schritt in Richtung Gerechtigkeit und war für die öffentlichen Haushalte finanzierbar.

Allerdings war für uns Sozialdemokraten und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Kindergeldbetrag zu knapp bemessen. Wir haben deshalb nach der Bundestagswahl auf dieser Lösung aufgebaut.

Die im Wahlkampf angekündigte Anhebung des Kindergeldes wurde sofort mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999 in die Wege geleitet und Ende vergangenen Jahres mit Wirkung vom 1. Januar 1999 an in Kraft gesetzt. Das Kindergeld wurde damit ab Jahresbeginn für erste und zweite Kinder um jeweils 30 Mark monatlich von 220 Mark auf 250 Mark angehoben.

Am 30. Juni 1999 stand der Familienleistungsausgleich nun erneut auf der Tagesordnung des Bundeskabinetts. Es wurde an diesem Tage über die politischen Eckwerte der notwendigen weiteren Entlastung von Familien mit Kindern im Rahmen des geplanten Familienentlastungsgesetzes entschieden.

Wie bereits angesprochen, hat das Bundesverfassungsgericht mit seinen grundsätzlichen Entscheidungen vom 10. November 1998 Regelungen des Einkommensteuergesetzes für verfassungswidrig erklärt.

Nach Auffassung des Gerichts ist der steuermindernde Abzug von Kinderbetreuungskosten und eines Haushaltsfreibetrages mit Artikel 6 Grundgesetz unvereinbar. In ehelicher Gemeinschaft lebende Eltern haben danach Anspruch auf Abzug eines verfassungsrechtlich steuerfrei zu stellenden Bedarfs. Ihre - insoweit durch Kinderbetreuung und Kindererziehung - fehlende Leistungsfähigkeit muß zusätzlich zur steuerlichen Berücksichtigung des sächlichen Existenzminimums ebenfalls steuermindernd anerkannt werden.

[Seite der Druckausg.: 11 ]

Die angegriffenen Regelungen zu Kinderbetreuungskosten und zum Haushaltsfreibetrag sind zwar rückwirkend ab 1984 als mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt worden, sie sind aber dennoch bis zu einer Neuregelung vorübergehend weiter anzuwenden. Spätestens bis zum 1. Januar 2000 ist die steuerliche Berücksichtigung eines Betreuungsbedarfs für ein Kind und spätestens bis 1. Januar 2002 ist die steuerliche Berücksichtigung eines Erziehungsbedarfs neu zu regeln.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet es der Gleichheitssatz (Artikel 3 Abs. 1 GG) in seiner Ausprägung als „horizontale Steuergleichheit", Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit gleich hoch zu besteuern. Die horizontale Gleichheit gebietet die volle steuerliche Berücksichtigung des existenznotwendigen Mindestbedarfs für jedes Kind.

Dem Gesetzgeber stehen mehrere Möglichkeiten offen, der kindesbedingten Minderung der Leistungsfähigkeit Rechnung zu tragen. Ihm ist es grundsätzlich freigestellt, diese Minderung der Leistungsfähigkeit entweder durch einen steuerlichen Freibetrag zu berücksichtigen, ihr statt dessen durch Zahlung eines ausreichenden Kindergeldes Rechnung zu tragen oder beides zu kombinieren. Entscheidend ist, dass der Steuerpflichtige im Ergebnis so gestellt ist, wie er es wäre, wenn die Minderung der Leistungsfähigkeit allein durch einen von der steuerlichen Bemessungsgrundlage abzuziehenden Freibetrag Berücksichtigung fände.

Vor diesem Hintergrund sind die verschiedensten Modelle zur gesetzgeberischen Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geprüft worden. Wir haben die gesamte Bandbreite diskutiert:

  • Die reine Kinderfreibetragslösung ohne Kindergeld
  • das Kinderfreibetragsmodell mit ergänzendem Kindergeld in Anlehnung an das bestehende System
  • ein Kindergrundfreibetragsmodell
  • eine Kombination aus Kinderfreibetrag und Kindergrundfreibetrag und
  • die reine Kindergeldlösung


[Karikatur "Steuergerechtigkeit - Höchste Zeit" / von Traute Pannier]



Lassen Sie mich kurz auf diese Modelle eingehen:

Die reine Kinderfreibetragslösung musste schon aus Gerechtigkeitsüberlegungen ausscheiden. Bei diesem Lösungsansatz hätte es künftig nur noch Kinderfreibeträge gegeben. Das Kindergeld wäre abgeschafft worden.

Damit hätte man zwar der Forderung des Bundesverfassungsgerichts genügt, den kindbedingten Bedarf einkommensteuerlich zu verschonen. Die vollständige Streichung des Kindergeldes wäre aber bereits mit der aus Artikel 6 Abs. 1 GG folgenden Pflicht des Staates nicht vereinbar gewesen, Ehe und Familie durch geeignete Maßnahmen zu fördern.

[Seite der Druckausg.: 12 ]

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Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 10. November 1998 auf seine einschlägige Rechtsprechung hingewiesen, wonach die Familienförderung durch den Staat jedenfalls nicht offensichtlich unangemessen sein darf.

Das zweite Extrem wäre eine reine Kindergeldlösung. Vom Gerechtigkeitsgedanken her wäre das eine ideale Lösung. Sie brächte allen Familien eine deutliche und betragsmäßig gleiche Steuerentlastung je Kind.

Um die horizontale Steuergerechtigkeit herzustellen, wäre für das Jahr 2000 ein Kindergeld von 425 Mark monatlich und ab dem Jahr 2002 ein Kindergeld von 505 Mark monatlich erforderlich. Das wäre sicherlich im Sinn der Vorstellungen der Familien- und Sozialpolitiker.

Aber angesichts der Ihnen allen bekannten Haushaltslage müssen wir klar und deutlich sagen: Das ist nicht zu finanzieren.

Für das Jahr 2002 würde das nämlich Steuermindereinnahmen von 54 Mrd. Mark bedeuten. Aus diesem Grund kommt somit auch eine reine Kindergeldlösung nicht in Betracht.

Die Lösung des Problems muß also zwischen dem reinen Kinderfreibetragsmodell ohne Kindergeld und dem reinen Kindergeldmodell gefunden werden. Eine Möglichkeit schien uns dabei in dem auch in der Presse immer wieder diskutierten Modell eines Kindergrundfreibetrags zu liegen.

Der Kindergrundfreibetrag ist im Gegensatz zum Kindergeld beim Tarif angesiedelt. Nach der Berücksichtigung des Grundfreibetrags für Erwachsene erfolgt der Einstieg in die Besteuerung mit dem Eingangssteuersatz.

Das ist beim Kindergrundfreibetrag nicht so. Der Kindergrundfreibetrag wird zu dem Grundfreibetrag der Eltern hinzuaddiert. Der Einstieg in den Tarif erfolgt nach Berücksichtigung des Kindergrundfreibetrags mit dem dann erreichten individuellen Steuersatz.

Ein Einstieg in den Tarif nach Berücksichtigung des Kindergrundfreibetrags zum Eingangssteuer

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satz hätte zur Folge, dass der Kindergrundfreibetrag sowie der Kinderfreibetrag als Abzug von der steuerlichen Bemessungsgrundlage wirken würde.

Da der Kindergrundfreibetrag nicht wie ein Abzug von der steuerlichen Bemessungsgrundlage wirkt, ging unsere Überlegung dahin, ihn höher anzusetzen als einen Kinderfreibetrag. Damit sollte die horizontale Steuergerechtigkeit bei der Masse der Steuerpflichtigen erreicht werden.

Aber unsere Verfassungsrechtler sagen: Das wird nicht reichen. Entscheidend ist aus verfassungsrechtlicher Sicht, dass der Steuerpflichtige im Ergebnis so gestellt ist, wie er es wäre, wenn die Minderung der Leistungsfähigkeit allein durch einen von der steuerlichen Bemessungsgrundlage abzuziehenden steuerlichen Freibetrag Berücksichtigung fände. Dieses Ergebnis wäre erst erreicht, wenn der Kindergrundfreibetrag eine steuerliche Wirkung erreicht, die den Kindergeldbeträgen in der gerade verworfenen Kindergeldlösung entspricht.

Unsere Überlegungen gingen noch weiter. Wir haben auch geprüft, ob zumindest für den Betreuungs- und den Erziehungsbedarf ein Kindergrundfreibetrag eingeführt werden kann. Aber auch damit können die verfassungsrechtlichen Bedenken nicht ausgeräumt werden.

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist nämlich der Betreuungsbedarf in das Existenzminimum des Kindes einzurechnen. Kinderbetreuungskosten mindern im Fall der Drittbetreuung die steuerliche Leistungsfähigkeit der Eltern und stehen für eine Einkommensbesteuerung nicht zur Verfügung. Dem kann wohl zur Wahrung der horizontalen Steuergerechtigkeit nur eine steuerliche Berücksichtigung des Betreuungsbedarfs in Form eines Abzugs von der Bemessungsgrundlage Rechnung tragen.

Eltern, die die Betreuung ihrer Kinder selbst wahrnehmen, dürfen steuerlich nicht anders behandelt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu ausgeführt, es sei nach Artikel 6 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich geboten, den Betreuungsbedarf für Kinder bei allen Eltern steuerrechtlich zu berücksichtigen. Er entstehe unabhängig davon, ob die Kinderbetreuung von Dritten wahrgenommen wird und wenn ja, in welchem zeitlichen Rahmen.

Auch den Erziehungsbedarf rechnet das Bundesverfassungsgericht zu dem Bereich der kindesbedingten Verminderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit. Deshalb erscheint im Hinblick auf die horizontale Steuergerechtigkeit auch ein Abzug dieses Bedarfs von der Bemessungsgrundlage verfassungsrechtlich geboten.

Im Ergebnis ist also die aus Sicht der Bundesregierung wünschenswerte Einführung eines Kindergrundfreibetrages, die sozialpolitischen Gesichtspunkten Rechnung tragen würde, wegen verfassungsrechtlicher Bedenken nicht möglich.

Das diskutierte Gesamtkonzept zum Familienentlastungsgesetz sieht daher eine Erhöhung des Kinderfreibetrages mit ergänzendem Kindergeld vor. In der ersten Stufe ab dem Jahr 2000 soll danach zusätzlich zu dem Kinderfreibetrag ein Freibetrag für Kinderbetreuung eingeführt werden. Ab dem Jahr 2002 muss dann in einer zweiten Stufe die steuerliche Berücksichtigung des Erziehungsbedarfs geregelt werden. Dies bleibt einem weiteren Gesetzgebungsverfahren vorbehalten.

Nach diesem Konzept würde das Kindergeld - wie bisher auf den ggf. berücksichtigten Kinderfreibetrag - auch auf den Betreuungsfreibetrag angerechnet.

Angesichts der Höhe des Grundfreibetrags (rd. 14.000 Mark ab 2002) und der steuerlichen Berücksichtigung des sächlichen Existenzminimums sowie des Betreuungs- und Erziehungsbedarfs eines Kindes, könnte der bisherige Haushaltsfreibetrag für Alleinerziehende entfallen. Es sollte allerdings eine Lösung gefunden werden, die eine Schlechterstellung von Alleinerziehenden vermeidet.

Letzteres ließe sich auch dadurch erreichen, dass das Kindergeld aufgestockt wird. Das erscheint zur Entlastung der Familien mit Kindern generell wünschenswert. Letztlich ist darüber im Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt 2000 und der mittelfristigen Finanzplanung bis 2003 zu entscheiden. Das alles wurde in der Sitzung des Bundeskabinetts am 30. Juni beschlossen. Vorgeschlagen wurde, das Kindergeld für erste und zweite Kinder um weitere 20 Mark monatlich von 250 Mark auf 270 Mark anzuheben. Ob es im Jahr 2002 zu einer weiteren Anhebung des Kindergeldes kommen kann, ist zu einem späteren Zeitpunkt im Lichte der dann beste-

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henden finanzpolitischen Spielräume zu entscheiden.

Zeitplan und Verfahren: Anfang Juli wurde ein Referentenentwurf zunächst nur zur Umsetzung der 1. Stufe 2000 an Ressorts, Länder und Verbände versandt. Die Stufen 2000 und 2002 sollen also in zwei gesonderten, zeitlich versetzten Gesetzgebungsverfahren umgesetzt werden. Nach einer Anhörung am 29. Juli 1999 wurde der Regierungsentwurf zur ersten Stufe des Familienentlastungsgesetzes am 25. August 1999 beschlossen. Der Zeitplan ist so angelegt, dass dieses Gesetz rechtzeitig zum Ende des Jahres 1999 im Bundesgesetzblatt steht und mit Beginn des kommenden Jahres wirksam werden kann.

Altproblematik Kinderfreibeträge

Das Bundesverfassungsgericht hat ferner entschieden, Kindergeld und Kinderfreibeträge der Jahre 1985, 1987 und 1988 reichten nicht in allen Fällen aus, das tatsächliche Existenzminimum von Kindern steuerfrei zu stellen. Die Regelungen seien zwar nicht generell verfassungswidrig. Vielmehr wüchsen sie erst ab einem bestimmten Grenzsteuersatz in die Verfassungswidrigkeit, wenn das im Einzelfall mit dem individuellen Grenzsteuersatz in einen Kinderfreibetrag umgerechnete Kindergeld zusammen mit dem steuerlichen Kinderfreibetrag nicht ausreiche, das steuerliche Existenzminimum eines Kindes freizustellen.

Für die Finanzverwaltung bedeutet dies: In die Prüfung, ob eine Nachbesserung der Kinderfreibeträge erforderlich ist, müssen sämtliche Steuerpflichtige einbezogen werden, deren Einkommensteuerfestsetzung entweder hinsichtlich der Höhe der Kinderfreibeträge für vorläufig erklärt oder wegen eines nicht abgeschlossenen Rechtsbehelfsverfahrens noch nicht bestandskräftig ist. Ob mit einer Steuererstattung zu rechnen ist, hängt im Einzelfall von den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien ab.

Die Prüfung des Nachbesserungsbedarfs erfolgt automatisch durch die Finanzverwaltung. Die betroffenen Eltern brauchen keine zusätzlichen Anträge zu stellen oder Einsprüche einzulegen. Hier kommt auf die Beschäftigten in den Finanzämtern Mehrarbeit zu, die wegen der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts aber nicht zu vermeiden ist.

Fazit

Die Situation der Familien mit Kindern wird sich in den kommenden Jahren spürbar verbessern. Die Nettoentlastung wird bereits im Jahre 2000 insgesamt über 50 Mrd. Mark betragen. Das ist eine Größenordnung, die von Bund, Ländern und Gemeinden auch ohne zusätzliche Finanzierungsmaßnahmen - abgesehen von systembedingten Änderungen wie dem Wegfall der vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Kinderbetreuungsregelung des § 33 c Einkommensteuergesetz, die schon eingerechnet ist - zu schultern ist.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2000

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