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[Seite der Druckausgabe: 22 / Fortsetzung]


5. Entwicklungspotentiale in den Zentren und Stadtteilzentren unserer Städte am Beispiel der Stadt Essen

5.1 Stadtgeschichte und Zentrenbildung in Essen

Essen verfügt über zwei historische Zentren - das mehr als 1100 Jahre alte Innenstadtzentrum und das ebenso alte heutige Stadtteilzentrum Werden. Das historische Stadtzentrum ist im Verhältnis zur heutigen Gesamtstadt relativ klein und wird von einem größeren Siedlungsring umschlossen.

Zu Anfang des 19. Jahrhunderts zählte die Stadt rund 5.000 Einwohner. Nach Bevölkerungszunahmen während der Industrialisierung verdankt Essen - wie die meisten anderen Ruhrgebietsstädte auch - sein Wachstum in diesem Jahrhundert vor allem umfangreichen Eingemeindungen. Zu nennen sind in erster Linie die Eingemeindung des heutigen Stadtteils Borbeck im Jahr 1929 mit damals bereits rund 100.000 Einwohnern sowie die Eingemeindungen während der 70er Jahre. Essen ist also „zwangsläufig" eine polyzentrische Stadt.

Im kernstädtischen Bereich liegen - dies ist ebenfalls typisch für Ruhrgebiets- und andere Industriestädte - große Gewerbeflächen, darunter die weitläufigen, größtenteils suboptimal oder gar nicht mehr genutzten Industrieflächen der Krupp AG sowie rund 50 Zechenstandorte. Diese Struktur hat erhebliche Auswirkungen auf die Innenstadtentwicklung, da das Stadtzentrum im Westen durch das ehemalige Krupp-Gelände, im Norden durch eine Zechenbrache

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und im Süden durch die Anlagen des im Zuge der Stadterweiterung entstandenen Hauptbahnhofs von der übrigen Stadt räumlich abgetrennt wird. Das im Süden Essens jenseits des Bahnhofs liegende Stadterweiterungsgebiet ist durch Immobilienkauf zu großen Teilen in den Besitz der RWE übergegangen und kann heute als reine Bürostadt bezeichnet werden („RWE-Stadt"). Lediglich das östliche Stadtzentrum geht in ein kleines Siedlungsgebiet über.

Eine Folge dieser Entwicklungsproblematik ist die geringe Einwohnerzahl des Innenstadtbezirks, in dem lediglich etwas mehr als 2.000 Einwohner leben. Auch kann Essen aufgrund seiner besonderen Struktur kaum auf eine für die Vitalität jeder Stadt notwendige Bevölkerung im unmittelbaren Umkreis (Mantelbevölkerung) zurückgreifen.

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5.2 Entwicklungspotentiale und -projekte der Stadt Essen

Die Potentiale der City- bzw. Zentrenentwicklung Essens liegen damit klar jenseits der historischen Stadtgrenzen. Problematisch in diesem Zusammenhang ist allerdings die geringe Flächenverfügbarkeit für konkrete Maßnahmen - beispielsweise für die Ausweisung von Wohnnutzungen im Kernstadtbereich -, was der Vertreter der Stadt teilweise auf Fehlplanungen der Kommune, vor allem aber auf die mangelnde Bereitschaft von Bodenbesitzern, Land für andere Nutzungen an die Stadt abzugeben, zurückführt. So wurden beispielsweise seit Ende des Zweiten Weltkriegs die Krupp-Flächen - die größten zusammenhängenden Gewerbeflächen Essens - ausnahmslos suboptimal genutzt, da der Konzern bis vor kurzem zu keinerlei Verkäufen bereit war. Die für diese Areale seit fast 30 Jahren vorliegenden Nutzungspläne der Kommune zur Durchbrechung der räumlichen Barriere im westlichen City-Randbereich kann daher erst heute und in kleinen Schritten realisiert werden.

Neben brachliegenden bzw. suboptimal genutzten Industrie- bzw. Gewerbeflächen und mittlerweile nicht mehr benötigten (Gleis-) Anlagen der Deutschen Bahn AG stellen leerstehende, für eine Umnutzung geeignete Industriegebäude weitere kommunale Entwicklungspotentiale dar. Die besondere Stadtstruktur Essens ermöglicht bei Inwertsetzung dieser Potentiale eine Vielzahl innenstadtnaher Entwicklungen (Stichworte: „Innenentwicklung", „Flächenrecyc-ling"), wie die Kurzdarstellung folgender Projekte zeigt:

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  • Die sogenannte „Weststadt" - ein ehemals Kruppgelände, das sich zwischenzeitlich im Besitz der AEG-Kanis Turbinenbau befand - wurde von der Landesentwicklungsgesellschaft Nordrhein-Westfalen (LEG) aufgekauft und im Rahmen einer public private partnership unter Beteiligung der Stadt Essen, der Stadtsparkasse und der Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft (Stadt Essen und lokale Wirtschaft zu je 50%) gemeinsam entwickelt. Das Projekt sieht die Ansiedlung von Misch- und Wohnnutzungen auf der ehemaligen Gewerbefläche vor.

  • Einige Bahnflächen sind bereits bebaut worden, in einem Fall durch die Deutsche Bahn AG selbst.

  • Der Möbelgroßmarkt IKEA wurde in Essen - anders als in anderen deutschen Großstädten - erstmals nicht auf der „Grünen Wiese", sondern an einem integrierten, innenstadtnahen Standort untergebracht.

  • Im Innenstadtrandbereich wurde ein Multiplex-Kino errichtet, das sehr stark frequentiert wird und damit abends - so der Vertreter der Stadt Essen - den belebtesten Punkt der Innenstadt darstellt.

  • Für den Bereich des Hauptbahnhofs ist ein von privater Hand getragenes und vergleichsweise kleinflächiges Überbauungsprojekt geplant, das sich von Konzepten starker Einzelhandelsintensivierung - wie beispielsweise in Leipzig - unterscheiden soll.

  • Im Entwicklungsgebiet Großmarkt und Umgebung soll zunächst der Innenstadtring nach Norden verschwenkt und an die Bahn herangeführt werden. Auf der so entstehenden Fläche sind Mischnutzungen aus Wohnen und tertiärem Gewerbe geplant. Seit Ende letzten Jahres existiert ein Bau-/Grundsatzbeschluß des Rates, auf diesem Gebiet eine Philharmonie als Ersatz für ein im Süden der Stadt gelegenes sanierungsbedürftiges und unter Denkmalschutz stehende Gebäude zu bauen, in dem bisher ein Orchesterbetrieb untergebracht ist. Die Stadt geht davon aus, die für die Sanierung des alten Gebäudes notwendigen DM 30 Mio. nicht aufbringen zu können, den DM 150 Mio. teuren Bau der Philharmonie allerdings über Sponsoren finanzieren zu können; der Orchesterbetrieb soll sich nach seinem Umzug selbst tragen. Die Philharmonie - ebenso wie der geplante Neubau der Stadtsparkasse im selben Entwicklungsgebiet - soll einen Entwicklungsimpuls in Richtung Essener Norden setzen, der - jenseits einer unsichtbaren sozialräumlichen Grenze - eine tendenziell höhere Einkommensarmut sowie einen höheren Ausländer-, Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfängeranteil aufweist. Als Nebeneffekt erhofft man sich das Heranführen

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    des ebenfalls im Essener Norden gelegenen und durch einen Hochbahnliniendamm räumlich abgetrennten Universitätsgeländes an die (Innen-) Stadt.

  • Die Essener Universität wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, allerdings - im Gegensatz zu anderen Neugründungen in der Bundesrepublik - nicht als Campusuniversität konzipiert, sondern innenstadtnah eingerichtet. In einer ehemaligen Fabrikhalle im Essener Norden wurde ein Universitätsinstitut untergebracht, in einer weiteren das universitätsnahe Zentrum für Türkeistudien.

  • Ebenfalls im nördlichen Innenstadtbereich liegt das Umnutzungsprojekt „Achte Mechanische Fabrik" von Krupp. In diesem einhundert Jahre alten dreischiffigen Stahlbau wurde eine Musicalaufführung etabliert, das aufgrund der Stahlgerüstkonstruktion des Gebäudes nach Ende der Spielzeit problemlos deinstalliert werden kann, um durch neue Nutzungen ersetzt zu werden. Neben ihrem hohen architektonischen Wert weist die Halle aufgrund der im Gebäude belassenen technischen Installationen (Deckenkräne etc.) - also ihrer noch immer erkennbaren ehemaligen Funktion - einen zusätzlichen Reiz auf.

Neben den materiellen Entwicklungspotentialen Flächen und Gebäude sind aus Sicht des Vertreters der Stadt Essen neue Kooperationsformen zwischen beteiligten und betroffenen Akteuren unverzichtbare, wenn nicht die bedeutenderen Elemente heutiger Stadtentwicklung, wie am Beispiel des Philharmonie-Projektes deutlich wird:

Das geplante Vorhaben löste zunächst erhebliche Diskussionen zwischen unterschiedlichen Interessengruppen aus. Auf der einen Seite versuchte ein Bündnis aus CDU und Grünen - beide Parteien gehören dem Rat der Stadt an - sowie der lokalen Gruppe des Bundes Deutscher Architekten, ein Bürgerbegehren gegen diese Entwicklung zu lancieren. Auf der anderen Seite äußerten Einzelpersonen aus dem Universitäts-Rektorat ihr deutliches Interesse an diesem Planungsvorhaben in unmittelbarer Nähe der Universität. Sie initiierten einen community planning-Prozeß mit der Grundidee, alle Anlieger - sowohl wirtschaftliche wie auch private Interessenvertreter - zu einem gemeinsamen Planungsprozeß einzuladen. Zunächst wurden ausschließlich Planer, für ein zweites Treffen die Anlieger des Projektareals angesprochen. Die Einladung wurde zwar von den Vertretern der Wirtschaft weniger stark, dafür aber von der LEG und einigen investitionsbereiten Wohnungsbaugesellschaften wahrgenommen, die den Planungsprozeß mit bis zu 250.000,- DM finanzieren wollen. Reaktionen aus dem Bereich der Politik liegen dagegen noch nicht vor.

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Noch stärker kommen innovative Formen der Akteurskooperation bei der Stadtteilentwicklung zum Tragen:

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5.3 Stadtteilentwicklung in Essen

Das im Essener Nordosten gelegene Nebenzentrum Katernberg ist ausschließlich durch Kohlewirtschaft entstanden und geriet nach Schließung der letzten Zeche (1986) sowie der letzten Kokerei (1992) in eine tiefe Strukturkrise, die nicht nur die ökonomische Basis des Stadtteils, sondern auch dessen soziales Milieu zu zerstörten drohte.

Begünstigt durch positive Rahmenbedingungen - ab 1988 übernahm die IBA Emscher Park die Realisierung von Großprojekten unter Beteiligung der Stadt Essen, seit 1993 ist der Stadtteil in das Handlungsprogramm der nordrhein-westfälichen Landesregierung für „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" aufgenommen - konnten seitdem allerdings massive Entwicklungen im Stadtviertel initiiert werden.

Die Stadt Essen gründete im Jahr 1983 gemeinsam mit dem Institut für Stadtteilbezogene Soziale Arbeit und Beratung (ISSAB) der Universität das „Stadtteilprojekt Katernberg". Das ISSAB war mit seiner Zielsetzung der bürger- bzw. basisorientierten Gemeinwesenarbeit in Katernberg bereits an zwei Standorten präsent und stand damit in permanentem Kontakt zu Bürgern bzw. Bürgergruppen, um Projekte aus dem Alltagsleben der Betroffenen heraus zu entwickeln. In das Stadtteilprojekt sind außerdem die Arbeiterwohlfahrt und die evangelische Kirchengemeinde vertraglich eingebunden.

Das Essener Amt für Entwicklungsplanung beteiligte sich ebenfalls von Anfang an am Prozeß, zunächst allerdings nur in Form von Umfragen. Im Jahr 1987 veröffentlichte es Untersuchungen zur sozialräumlichen Disparitätenentwicklung, weitere Untersuchungen folgten bis heute. Während des Projektverlaufs wurden parallel dazu Konzepte zur kommunalen Beschäftigungspolitik entwickelt, so daß sich das Engagement der Stadt heute auf die drei Bereiche Gemeinwesenarbeit, (Problem-) Analyse und Beschäftigungspolitik - zusammengefaßt zum programmatischen, auch politisch gestützten Ansatz „integrierter Kommunalpolitik" - erstreckt.

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Auf städtischer Ebene wurde eine Lenkungsgruppe ins Leben gerufen, der alle Dezernate und die Bezirksvertretung angehören. Auf Stadtteilebene existieren verschiedene Organisationen und Institutionen wie zum Beispiel

  • Projektgruppen zur Bearbeitung einzelner Themen (z.B. Initiierung von Beschäftigungsprojekten),

  • „Runde Tische", die zu bestimmten Anlässen zusammentreffen (beispielsweise zum Thema Moscheeneubau) und gegebenenfalls Konflikte lösen, sowie

  • die vom örtlichen Einzelhandel vor sechs Jahren gegründete und von ihm organisierte sowie finanzierte Ortsteilkonferenz zu allen den Ortsteil betreffenden Problemen.

Die Bevölkerung zeigt eine hohe Beteiligungsbereitschaft, wenngleich diese nicht immer konfliktfrei ist (Stichwort „versteckte Ausländerfeindlichkeit").

Neben im Stadtteil organisierten „bottom-up"-Projekten führt die Stadt „top-down"-Projekte in Katernberg durch. Dazu gehört das Umnutzungsprojekt „Zeche Zollverein 12", in deren Gebäuden ein bedeutendes kulturwirtschaftliches Zentrum entstanden ist bzw. kurz vor der Vollendung steht. Dieses umfaßt eine Probebühne für das Theater und die Oper Essen, das Designzentrum Nordrhein-Westfalen im ehemaligen Kesselhaus, private Betriebe aus dem Designbereich (Videoproduktionen, Werbung, Möbeldesign) sowie eine private Ausstellungsgesellschaft. In fußläufiger Entfernung befinden sich die Gebäude des Schachts „Zollverein 128", in denen zur Zeit das Choreographische Zentrum Nordrhein Westfalen entsteht. Einen weiteren Kilometer entfernt liegt die Kokerei „Zollverein" mit einem umfassenden Gebäudeensemble, das bisher noch nicht umgenutzt ist und daher ein großes Entwicklungspotential Katernbergs darstellt.

Die genannten Projekte werden zwar „top-down" entwickelt, ihre einzelnen Entwicklungsschritte allerdings auf der „Katernberg-Konferenz" vorgestellt und diskutiert. Die Konferenz hat zwar keinerlei Entscheidungsbefugnisse, schafft aber ein die Entwicklungen tragendes positives Klima im Stadtteil, so der Vertreter der Stadt Essen.

Als größtes basisorientiertes Projekt wurde der Aufbau eines Gründerzentrums in Form einer kleinen Aktiengesellschaft auf dem Areal einer ehemaligen Schachtanlage genannt. Für die

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Realisierung dieses Vorhabens haben sich 47 Akteure, Institutionen, bzw. Organisationen sowie die Stadt zu einem Verein („Essener Forum") zusammengeschlossen und die gesamte Projekbetreuung übernommen.

Insgesamt lebt das Stadtteilprojekt Katernberg von der Organisation „der Basis", einem sehr offenen Planungsprozeß sowie der Mischung aus „top-down"- und „bottom-up"-Entwicklung. Die „örtlichen Begabungen" des Stadtteils (vgl. Beitrag „Das Leitbild der gegliederten und gestuften multizentrischen Stadt" in diesem Heft) basieren gleichzeitig auf materiellen und nicht-materiellen Potentialen der Stadtteilentwicklung, also sowohl brachliegenden Gewerbeflächen und umnutzungsgeeigneten Immobilien als auch Möglichkeiten der Beteiligung bzw. Kooperation von Akteuren und Organisationen.

Der Vertreter Essens beendete seinen Beitrag mit einem Zitat von Helmut Böhme: „Die Zukunft der Stadt europäischer Tradition hängt von der Wiedergewinnung des Politischen als Grundkern urbaner und regionaler Gestaltung ab. (...) Globales Denken heißt politisches Handeln lokal, städtisch, stadtproduktiv umzusetzen. Dementsprechend heißt die Aufgabe, die Produktion von neuer lebensqualitätbewußter Stadt: mental, politisch, sozial, kulturell, ökologisch, ökonomisch, technisch. Europäische Stadt hat eine Zukunft, wenn es gelingt, den stetigen, historisch bedingten Dialog als Prozeß in der Wiedergewinnung des Politischen zu realisieren, sie hat keine Zukunft, wenn nur modische Inszenierung und gedankenlose Anpassung an das Prinzip ‘Alles muß sich rechnen’ das Handeln bestimmt. Praktische Stadtplanung heißt, die umfassende Integrationskraft von Stadt in den Mittelpunkt eines nicht bloß haushaltstechnischen Denkens und Planens zu stellen, sondern einer umfassenden, Zukunft und Verantwortung bilanzierenden Planung und dafür die machtmäßigen Voraussetzungen zu schaffen." (Helmut Böhme: Hat das europäische Stadtmodell eine Zukunft? Sechs Thesen aus historischer Sicht zum Thema Stadt der Zukunft. In: F. Pesch und W. Roters (Hrsg.): Stadt der Zukunft. Dokumentation des 5. Internationalen Kongresses für Altstadt und Baukultur. MSKS, Düsseldorf 2/96.)


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