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[Seite der Druckausgabe: 8 /Fortsetzung]


3. Das Forschungsfeld „Zentren" und eine Perspektive zur multizentrischen Stadt

3.1 Städtebauliche Leitbilder und rechtliche Möglichkeiten kommualer Steuerung der Zentrenentwicklung

Der Vertreter des Bundes wandte sich gegen die weit verbreitete These, es existierten gegenwärtig weder zusammenhängende Zielvorstellungen noch verbindliche Leitbilder für Stadtplanung und -politik. Zwar würde in der gewachsenen Siedlungs- und Zentrenstruktur der Städte ein sinnvoller Ansatz für die Weiterentwicklung des gewachsenen Zentrensystems gesehen, doch zöge man aus der Ansiedlung von Fach- und Verbrauchermärkten oder Factory Outlet-Centers auf der „Grünen Wiese" den Schluß, daß es Bund, Ländern oder auch den Gemeinden an städtebaulichen Zielvorstellungen fehle. Nach den Erfahrungen des Bundes aus verschiedenen ExWoSt-Forschungsfeldern - insbesondere dem Forschungsfeld „Zentren" - mangelt es nicht an Zielvorstellungen, Leitbildern oder gesetzlichen Rahmenbedingungen, sondern vielmehr an deren konsequenter Umsetzung aufgrund widerstreitender, meist wirtschaftlicher kommunaler Interessen.

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Heutige Bauherren sind zunehmend Investoren und „Entwickler", die keinen persönlichen Bezug zu ihren Investitionsstandorten haben und ausschließllich ertragsorientierte Motive verfolgen. Städtebauliche, architektonische und damit ästhetische Fragen der Stadtgestaltung werden auf reine Marketingargumente reduziert. Aus Investorensicht kann die Zerstörung der Nutzungsvielfalt und -mischung im Innenstadtbereich durch die Ansiedlung großflächiger Einkaufszentren auf der „Grünen Wiese" sogar explizites Ziel und damit Teil der Geschäftsphilosophie eines Unternehmens sein.

Umgekehrt hat Stadtpolitik schon immer versucht, Einfluß auf den Markt und seine Regeln zu nehmen, da die Marktfunktion eine zentrale Stellung in der Stadtentwicklung einnimmt und das Image einer Stadt maßgeblich prägt. Gleichwohl zielt Stadtplanung auf die Maximierung des Allgemeinwohls ab, während der Handel sich aus Rentabilitätsgründen ausschließlich an den Gesetzen des Marktes orientiert, wofür er konstante, kalkulierbare Rahmenbedingungen benötigt, nach denen Städte sich verändern und entwickeln. Aufgrund der Unvereinbarkeit vieler Ziele von Privatwirtschaft und Kommune sind Konflikte vorprogrammiert, obwohl beide Handlungsbereiche in wechselseitiger Abhängigkeit zueinander stehen. Dieser Konflikt wird - so der Vertreter des Bundes - seit Jahren auf dem Rücken des Planungsrechts ausgetragen, wobei es den Anschein hat, als blieben die Städte immer öfter nur zweiter Sieger. Diese Entwicklungen, nicht aber mangelnde gesetzliche Rahmenbedingungen oder städtebauliche Zielvorstellungen sind aus Sicht des Bundes Kern der dargestellten Probleme.

Die aktuelle deutsche Leitbilddiskussion, die sehr stark historische und damit identifikatorische Qualitäten der Stadt betont - alte, gewachsene Innenstädte mit ihrer Vielfalt und ihrem Nebeneinander unterschiedlicher Nutzungen, historischer Architektur und Plätzen mit hoher Aufenthaltsqualität - darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Innenstädte zu einer Zeit entstanden sind, in der das Auto als Fortbewegungsmittel noch keine Rolle spielte. Kurze Wege zwischen Wohnung und Arbeitsplatz, Geschäften und Freizeiteinrichtungen waren früher prägend für die Quartiere. Ein Großteil der Wege wurde zu Fuß zurückgelegt. Kompakte und gemischte Stadtstrukturen waren also u.a. eine Folge eingeschränkter Bewegungsmöglichkeiten. Allerdings hatten diese kompakten und gemischten Strukturen auch Nachteile: Handwerk, Handel, Gewerbe und Industrie verursachten Geruchs-, und Lärm- und Schmutzbelastungen. Aufgrund dieser Mißstände wurde im Jahr 1933 in der „Charta von Athen" die räumliche Trennung von Güterproduktion und Wohnen gefordert. Dem daraus resultierenden

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und seitdem zu beobachtenden Trend einer ausufernden, ressourcenverschwendenden Entwicklung der Städte setzten wiederum die UN-Konferenzen von Rio im Jahr 1992 und Istanbul im Jahr 1996 das Leitbild einer „nachhaltigen Stadtentwicklung" entgegen. Nachhaltige Stadtentwicklung bedeutet:

  • Realisierung des Leitbilds der „Stadt der kurzen Wege",

  • Räumliche Reintegration der Funktionen Wohnen, Arbeiten, Versorgen und Freizeit,

  • Angebotserweiterungen in den Bereichen Sport, Kunst und Kultur,

  • Reduzierung des Autoverkehrs in der Innenstadt; Umgestaltung von Straßenräumen zu Aufenthaltsorten („der Marktplatz und nicht der Parkplatz bestimmt das Bild"),

  • Betonung regionaler Besonderheiten in der Architektur sowie

  • Beendigung der Landschaftszersiedlung.

Die realen Entwicklungen verliefen allerdings anders und zeichneten sich aus durch:

  • Abwanderung der Bevölkerung in die Randzonen,

  • Trennung von Wohnen und Arbeiten mit der Folge zunehmender Pendlerverflechtungen,

  • fortlaufende Trennung von Wohnen und Versorgung durch die Einrichtung großer Einkaufsmärkte auf der „Grünen Wiese" und den Rückgang des wohnungsnahen Einzelhandels.

Die „Grüne Wiese" bietet offensichtlich Raum für einen Entwicklungsprozeß von „innen nach außen". Hier realisiert sich eine Stadtentwicklung von extremer Widersprüchlichkeit: Einerseits wurde während der letzten 20-30 Jahre mit hohem öffentlichen und privaten Mittelaufwand Stadtsanierung bis hin zur vollständigen Wiederbelebung historischer Stadtbilder betrieben, andererseits werden mit ebenso massivem finanziellem Engagement - teilweise wiederum mit staatlicher Unterstützung - Zentren auf der „Grünen Wiese" mit der Folge zunehmender Leerstände in den Innenstädten errichtet. Die Betroffenen haben auf diese Herausforderungen mit verschiedenen Maßnahmen reagiert. Auf seiten des Bundes sind zu nennen:

  • Gesetzgebungsmaßnahmen (Bau- und Raumordnungsgesetz von 1998),

  • Fördermaßnahmen (Städtebauförderung und CO2-Minderungsprogramm) sowie

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  • Ressortforschung („Schadstoffminderung im Städtebau", „Städte der Zukunft", „Nutzungsmischung im Städtebau", „Stadtteile mit Entwicklungsbedarf", „Initiative Pro Innenstadt", Forschungsfeld „Zentren").

Diese Beiträge zur Umsetzung von Strategien zur nachhaltigen Stadtentwicktung werden in die im Juli 2000 stattfindende Weltkonferenz zur Zukunft der Städte „URBAN 21" eingebracht. Die Erkenntnisse aus den bereits genannten Forschungsfeldern sollen wichtige Bausteine für eine zu formulierende „Charta von Berlin" darstellen.

Entgegen der These einer Planungsfeindlichkeit während der letzten Jahrzehnte, die eine Diskussion um die Weiterentwicklung städtebaulicher Leitbilder und Ziele verhindert habe, machte der Vertreter des Bundes darauf aufmerksam, daß seitens des Bundes, der Länder und der Gemeinden während der letzten zwanzig Jahren eine Reihe von Themen zur Weiterentwicklung des Wohnungs- und Städtebaus aufgegriffen worden seien. Allerdings hätten sich ändernde Rahmenbedingungen - wachsende Mobilität, veränderte Raum-, Wohn- und Wohnumfeldansprüche, zunehmende Verlagerung des Wohnens in das Umland, Verlust von Urbanität, zunehmende soziale Segregation - dazu geführt, daß angesichts eines sich ständig ändernden Prozesses das Leitbild einer nachhaltigen Stadtentwicklung, gekennzeichnet durch Dichte, Nutzungsmischung und Polyzentralität, permanent überdacht werden müsse.

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3.2 Das Forschungsfeld „Zentren"

Das Forschungsfeld „Zentren" beschäftigt sich sowohl mit innerstädtischen Zentren (Innenstadtzentren/Cities, Stadtteilzentren und Nahversorgungszentren, die im folgenden zusammenfassend als „Innenstädte" bezeichnet werden) als auch mit großflächigen Einkaufs-, Freizeit- und Kultureinrichtungen auf der „Grünen Wiese". Als zentrales Problem wird die sich zunehmend zum Rand der Kernstädte verlagernde Stadtentwicklung gesehen. In den Innenstädten führen Strukturveränderungen, Rationalisierungs- und Konzentrationsprozesse des Einzelhandels dazu, daß nur die umsatz- und renditestärksten Einzelhandelsunternehmen bestehen können. Hierzu gehören zunehmend die Niederlassungen von Filialunternehmen, aber auch „Fast-Food"-Restaurants und Amüsierbetriebe, die in die besten Geschäftslagen eindrin

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gen. Gleichzeitig sinkt die Chance, nichtökonomische Nutzungen in der Innenstadt halten bzw. ansiedeln zu können.

Ziel des Forschungsfeldes „Zentren" ist es, angesichts der ökonomischen, funktionalen, städtebaulichen und gestalterischen Innenstadtdefizite nach Strategien und Maßnahmen zur Aufwertung der Stadt und Stadtteilzentren zu suchen. Zentrale Fragestellungen sind u.a.:

  1. Welche Funktionen können zukünftig Innenstädte, welche die suburbanen Räume übernehmen?

  2. Welche Ansätze für eine Arbeitsteilung zwischen Kernstadt und Peripherie gibt es bereits?

  3. Mit welchen Strategien, Instrumenten und Verfahren kann eine solche Arbeitsteilung erreicht werden?

  4. Mit welchen Strategien und Maßnahmen erreicht man eine Aufwertung der Innenstädte?

  5. Welche Organisationsformen sind besonders geeignet, entsprechende planerische Konzepte zu entwickeln und umzusetzen?

  6. Reichen die existierenden städtebaulichen Instrumentarien und Förderbebestimmungen zur Erreichung dieser Ziele aus?

Ein zentraler Bestandteil der Überlegungen zur Attraktivitätssteigerung innerstädtischer Zentren ist die Frage nach der Herstellbarkeit von Nutzungsmischung zur Herstellung von Kopplungs- bzw. Synergieeffekten und von Urbanität.

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Heute setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, daß anstelle der lange Zeit praktizierten Funktionstrennung wieder eine stärkere Durchmischung der Funktionen Wohnen, Arbeiten, Erholen, Sich Versorgen, Produktion und Kultur notwendig ist. Ob sich allerdings Nutzungsmischung einstellt, hängt von kulturellen, sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen ab. Die Herstellung von Nutzungsmischungen gegen den Markt - u.a. angesichts zunehmender Konzentrationsprozesse - oder die Bedürfnisse der Nutzer ist allein mit städtebaulicher Planung nur schwer möglich. Skeptiker fragen sogar, ob Nutzungsmischung in heutiger Zeit überhaupt funktionieren kann und ob mit dieser Idee nicht eher romantischen Vorstellungen einer angeblichen heilen Welt nachgehangen wird, die von der Sehnsucht nach Urbanität und Lebendigkeit gekennzeichnet ist.

Urbanität allerdings scheint angesichts abnehmender Toleranzschwellen - beispielsweise gegenüber Lärm - immer weniger herstellbar zu sein. Beispielsweise wird heute bereits Kinderlärm als störend empfunden, weshalb einige Hausbesitzer vor allem DINKS (double income - no kids) gegenüber Familien mit Kindern als Mieter bevorzugen. Daher sind ein allgemeiner Bewußtseinswandel für die Akzeptanz und veränderte Rahmenbedingungen für die Realisierung von Nutzungsmischungen notwendig:

  1. Lernprozesse zur Heraufsetzung der Toleranzschwelle gegenüber Störungen,

  2. genaue Standortanalysen, da Nutzungsmischung nicht an jedem Standort möglich ist,

  3. Stadtentwicklungskonzepte zur Koordination von Nutzungsmischungsstrategien,

  4. Identifikation flexibler Nutzungsstrukturen, die zur Anpassung an veränderte Marktlagen geeignet sind, sowie

  5. vielfältige Formen der Nutzungsmischung - in Gebäuden, im Quartier, der Sozialstruktur, etc. -, denen gegenüber man planungsrechtlich offen sein muß.

Nutzungs- oder Funktionsmischung muß also als ein wesentliches Element zur Lösung der Innenstadt- und Zentrenfrage verstanden werden.

Die bisherigen Erfahrungen in den 11 am Forschungsfeld „Zentren" teilnehmenden Städten ergeben folgendes Bild:

  • Großinvestition des Einzelhandels in der Kernstadt sind im Sinne einer Magnetwirkung bzw. als Impulsgeber erwünscht und dienen der innerstädtischen Funktionsstärkung. Problematisch sind solche Projekte allerdings dann, wenn durch sie „Innenstädte in der Innenstadt" - wie im Falle der Bahnhofsüberbauung in Leipzig - entstehen.

  • Interessenbündelung und kooperative Handlungsansätze (Stadtforen, Arbeitskreise, „Runde Tische" u.a.) sind zur Planung und Realisierung innerstädtischer Projekte notwendig. Sie sollen allerdings nicht die rechtlich vorgeschriebenen Beteiligungsverfahren ersetzen.

  • Nutzungs- und Funktionsvielfalt basiert in der Innenstadt auf den Funktionen Einzelhandel, Freizeit, Kultur, Tourismus, Dienstleistungen, nicht-störendes Gewerbe und Wohnen.

  • Einen Bedeutungszuwachs erfahren kulturelle Veranstaltungen im öffentlichen Raum. Die allgemeinen Tendenzen der gesellschaftlichen Entwicklung in Richtung Freizeit- und Dienstleistungsgesellschaft müssen sich in der Funktionalität der Städte widerspiegeln.

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  • Notwendig ist die Kooperationsbereitschaft und gemeinsame Handlungsfähigkeit aller Akteure, die zur Innenstadtentwicklung beitragen.

  • Ebenso notwendig ist die konsequente Anwendung des rechtlichen Instrumentariums, das als geeignet und ausreichend angesehen wird, sowie das Festhalten an bereits beschlossenen Zentrenkonzepten. Das Förderinstrumentarium könnte allerdings insbesondere durch verbesserte steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten für Innenstadtinvestitionen verbessert werden.

Diese Zwischenergebnisse können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es bei der Umsetzung zu erheblichen Problemen kommen kann, wie das Beispiel der Modellstadt Limburg (37.000 Einwohner) zeigt. Die Stadt liegt in der Nähe der geplanten ICE-Verbindung Frankfurt/M.-Köln und soll mit einem ICE-Haltepunkt ausgestattet werden, der allerdings in 2,5 km Entfernung von der Stadt auf der „Grünen Wiese" liegen wird. Limburg plant daher die Errichtung eines neuen Stadtteils mit Gewerbe-, Dienstleistungs-, Nahversorgungs- und Wohnfunktionen in der Umgebung des Bahnhofes, der im Jahr 2000 fertiggestellt sein soll. Dieser Plan wurde in einem moderierten Abstimmungsverfahren erarbeitet. Außerdem sind verschiedene Szenarien vorgestellt, die Akteure und Bürger im Vorfeld rechtsförmlicher Planungen beteiligt, Wettbewerbe durchgeführt und schließlich ein Masterplan aufgestellt worden.

Nach Fertigstellung des Planes wurde ein Investor zur Finanzierung des Vorhabens gesucht. Der einzige Interessent war allerdings nur teilweise bereit, die städtebauliche Rahmenkonzeption eines gemischt genutzten Stadtteils umzusetzen und forderte die Errichtung eines Factory Outlet Centers direkt neben dem Bahnhof. Als Druckmittel drohte der Investor mit der Errichtung eines solchen Centers im hessischen Monatbaur, das aufgrund von Uneinigkeiten zwischen den Ländern Nordrhein-Westfalen und Hessen ebenfalls einen ICE-Haltepunkt erhalten wird. Die Stadt Limburg kommt der Forderung des Investors mittlerweile zumindest soweit nach, als daß sie eine Untersuchung über die möglichen Auswirkungen eines Factory Outlet Centers auf ihre Innenstadt in Auftrag gegeben hat.

Der Vertreter des Bundes machte darauf aufmerksam, daß dieses Beispiel eine städtebaupolitische Entwicklung verdeutlicht, die sich in jüngster Zeit mit zunehmender Tendenz verbreitet und zu fatalen städtebaulichen Ergebnissen führen könnte: Zunächst erarbeitet eine Stadt in einem aufwendigen Wettbewerbsverfahren ein städtebauliches Konzept, das aber in der Reali

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sierungsphase aufgrund der derzeitigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bzw. fehlender Nachfrage nach strukturbildenden Investitionen scheitert. In dieser Situation werden von Projektentwicklern Investitionsangebote für Großprojekte mit überregionalem Einzugsbereich in den Bereichen Handel und Freizeit/Entertainment an die Städte herangetragen, die sich zunehmend bereit zeigen, einem solchen Angebot zu folgen.

Aus Sicht des Bundes sind die rechtlichen Instrumente zur Steuerung der Zentrenentwicklung in ausreichendem Maße vorhanden, allerdings hätten die Finanzkrise der städtischen Haushalte und vor allem der interkommunale Konkurrenzkampf um Gewerbesteuern und Arbeitsplätze in Stadtregionen und Siedlungsnetzen den Bedeutungsverlust der klassischen Planung herbeigeführt.

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3.3 Maßnahmen der Bundesregierung zur Innenstadtentwicklung

Um diesen Entwicklungen entgegenzusteuern, entwickelte der Bund eine Reihe von Maßnahmen wie beispielsweise das Bau- und Raumordnungsgesetz von 1998 (BauROG) zur Stärkung der innerstädtischen Funktionen und Strukturen, das u.a. folgende Möglichkeiten beinhaltet:

  • Zur Aufrechterhaltung der Urbanität in den Innenstädten ist die planungsrechtliche Steuerung der Ansiedlung von Einzelhandelsgroßmärkten auf der „Grünen Wiese" mit Einführung der Umweltverträglichkeitsprüfung für die Errichtung großflächiger Einzelhandelsbetriebe ab einer Geschoßfläche von 5.000 m² sowie der Raumverträglichkeitsprüfung für die Errichtung von Einkaufszentren verbessert worden.

  • Den Ländern wurde die Möglichkeit gegeben, bestimmte Ansiedlungen von Einzelhandelsgroßbetrieben im unbeplanten Innenbereich gesetzlich auszuschließen (§ 246 Abs. 7 BauGB).

  • Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung soll zur besseren Ausnutzung von Plangebieten in den Innenstädten führen.

  • Erleichterte Befreiungen von verbindlichen Festsetzungen in Bebauungsplänen können in den Innenstädten zur intensiveren Nutzung und größeren Dichte führen.

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  • Die gesetzliche Verankerung des Baulandkatasters dient der Mobilisierung von untergenutzten, bebaubaren Flächen im Innenbereich.

Insgesamt sollen mit diesen Maßnahmen die Nachverdichtung der Innenstädte erreicht und Konzentrationsprozesse auf der „Grünen Wiese" verhindert werden. Als weiteren Schritt nannte der Vertreter des Bundes die Aufnahme der Städtebauförderung in das Baugesetzbuch (§§ 164a, 164b BauGB) mit den Förderschwerpunkten Stärkung von Innenstädten und Ortsteilzentren sowie Wiedernutzung von Flächen, insbesondere der in Innenstädten brachliegenden Industrie-, Konversions- und Eisenbahnflächen. Darüber hinaus plant der Bund

  • ein Wohnungsbaureformgesetz zur Stärkung der Funktion Wohnen in der Innenstadt,

  • integrierte Förderkonzepte zur Revitalisierung der Innenstädte im Rahmen der Städtebauförderung sowie

  • die Novellierung der Baunutzungsverordnung.

Alle Maßnahmen werden durch eine Reihe von Beschlüssen des Bundes und der Länder zur Erhaltung und Stärkung der Innenstädte flankiert.

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3.4 Gefährdung bisheriger Ansätze durch Factory Outlet Centers

Die Verbesserung der rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen zur Stärkung der Innenstädte werden allerdings durch die bereits am Beispiel Limburgs aufgezeigte Entwicklung der neuesten Einzelhandelsform des Factory Outlet Centers (in folgenden: FOCs) in der städtischen Peripherie teilweise konterkariert. Die aus den USA stammende Handelsform des factory outlet (zu deutsch „Fabrikverkauf") ist im Grundsatz bereits seit langem etabliert; neu dagegen ist der Zusammenschluß mehrerer Firmen zwecks Abverkauf in gemeinsamen großdimensionierten Verkaufszentren. Diese siedeln sich vorwiegend an Standorten innerhalb eines großen Einzugsbereichs zentraler Orte mit den Folgen zunehmender Flächenzersiedlung, zusätzlichen Verkehrsaufkommens und steigender Umweltbelastungen an. FOCs werden von Investmentgesellschaften betrieben und an eine Vielzahl von Warenherstellern vermietet. Sie stellen einen neuen Typ großflächiger Einkaufszentren dar, in denen Markenware aus Sortimentbereichen, die eigentlich prägend für den innerstädtischen Einzelhandel sind, direkt vom

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Hersteller zu relativ niedrigen Preisen angeboten werden. Aufgrund ihrer hochwertigen Warensortimente und leichten Erreichbarkeit geht von FOC-Standorten eine weit in das Umland reichende Wirkung aus. Davon besonders betroffen ist der traditionelle Einzelhandel aller in einem FOC-Einzugsbereich - bis zu 2 Autostunden - liegender Städte und Gemeinden.

Der Vertreter des Bundes bemerkte, man könne FOC-Ansiedlungen, die im Laufe der Zeit oftmals um Gastronomie-, Freizeit- und Wohnnutzungen ergänzt werden, als „neue", planungsrechtlich nicht gewollte „Städte" bezeichnen. Zwar forderte er, eine Stadt müsse offen für den Wandel von Handelsformen sein und diesem entsprechenden Raum geben, andererseits aber ebenso sorgfältig und konsequent gegen stadtunverträgliche Nutzungen bzw. Handelsformen vorgehen. Die Ansiedlung von FOCs kann bei konsequenter Anwendung des vorhandenen rechtlichen Instrumentariums beschränkt werden. Planungsrechtlich unterliegen sie der städtebaulichen Sondervorschrift des §11 Abs. 3 Baunutzungsverordnung, wonach FOCs außer in Kerngebieten nur in für sie festgesetzten Sondergebieten zulässig sind. Für eine tatsächliche Limitierung der FOC-Ansiedlungen ist allerdings eine (kommunal-) politische Offensive zugunsten des Einzelhandelsstandorts Innenstadt notwendig. Als Beispiel für eine solche Offensive nannte der Vertreter des Bundes den Beschluß der Ministerpräsidenten der Länder und des Bundeskanzlers vom 9.7.98 mit folgenden Kernaussagen:

  1. Innenstädte dürfen durch die Ansiedlung von FOCs nicht gefährdet werden.

  2. Die Ansiedlung von FOCs ist unter Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten restriktiv zu handhaben

  3. Es soll eine europaweite, grenzüberschreitende Abstimmung über die Ansiedlung von FOCs erfolgen.

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3.5 Die Inititative Pro Innenstadt

Ausgangspunkt der „Initiative Pro Innenstadt" war eine im Mai 1998 vom Bund veranstaltete Tagung mit Repräsentanten von Politik und Verwaltung, Wirtschaft, Stadtbewohnern, Polizei, Kultur, des Verkehrs, der Wohnungswirtschaft und Verbänden. Grundlage des Gespräches war ein gemeinsam erarbeitetes Papier über verschiedene Handlungsfelder für eine aktive In-

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nenstadtpolitik, auf dessen Basis ein konsensualer Handlungsrahmen erarbeitet wurde, der folgende Kernaussagen beinhaltet:

  • Die Vielfalt der Städte und Stadtbilder ist zu erhalten.

  • Die Zukunft der Städte liegt in der Entwicklung ihrer Innenstädte.

  • Innenstädte sind durch Nutzungsmischung und kurze Wege zu stärken.

  • Die Stadtzentren brauchen ein Umfeld mit hoher Wohn- und Lebensqualität.

  • Die Wohnfunktion ist unabdingbare Voraussetzung für lebendige Innenstädte.

  • Die Städte benötigen benutzerfreundliche, innenstadtverträgliche Verkehrskonzepte.

  • Bahnhöfe und ihr Umfeld können ein wichtiger Impuls für Innenstadtentwicklung sein.

  • Innenstädte müssen sicher sein. Die Verwahrlosung öffentlicher Räume ist zu vermeiden.

  • Das baukulturelle Erbe und die Vielfalt des kulturellen Angebotes der Innenstädte sind zu erhalten und zu verbessern.

  • Stadt und Region sind aufeinander angewiesen; die Kooperation und Koordination zwischen ihnen ist zu verbessern.

In einer ersten Realisierungsstufe der Initiative wurden die Modellstädie des Forschungsfeldes „Zentren" vom Bund gebeten, im Rahmen „Runder Tische" zu überprüfen, inwieweit oben genannte Forderungen anwend- und umsetzbar sind. In einer zweiten Stufe zu Beginn des Jahre 1999 werden im „Planspiel Innenstadt", das in mehreren Städten durchgeführt wird, innovative Strategien und Maßnahmen experimentell vor dem konkreten kommunalen Verwaltungs- und Finanzierungshintergrund erprobt. Dabei sollen folgende Fragen im Vordergrund stehen:

  • In welchen (Angebots-) Bereichen kann die Innenstadt mit dem großflächigen Einzelhandel konkurrieren?

  • In welchen (Angebots-) Bereichen kann die Innenstadt nicht mit dem großflächigen Einzelhandel konkurrieren?

  • In welchen Bereichen kann die Innenstadt andere oder bessere Angebote bereitstellen als der großflächige Einzelhandel?

Anschließend ist zu fragen, durch welche Projekte entsprechend identifizierter Themenbereiche das innerstädtische Angebot verbessert und mit welchen Akteuren diese Vorhaben umge-

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setzt werden können. Als ein Beispiel für die Verbesserungsfähigkeit innerstädtischer Angebote in Konkurrenz zu Standorten auf der „Grünen Wiese" nannte der Vertreter des Bundes den Themenbereich „Service": Großflächige Einkaufszentren bieten oftmals eine Kinderbetreuung für die Zeit des Einkaufs an. Eine solche Serviceleistung wäre auch für Innenstädte denkbar, indem beispielsweise Gebäudeteile oder Flächen für entsprechende Angebote umgenutzt werden. Akteure für die Projektumsetzung könnten die jeweiligen (Immobilien-) Eigentümer, die Stadt und der Bereich CityMarketing sein, die sich über Planung, Organisation, Realisierung und Finanzierung des Vorhabens einigen müßten. Der Vertreter des Bundes sieht vor allem in derartigen innovativen Nutzungs- und Kooperationsansätzen Perspektiven, die Innenstädte wieder attraktiver und leistungsfähig zu machen.

Aus Sicht des Bundes existieren genügend rechtliche Möglichkeiten zur kommualen Steuerung der Zentrenentwicklung. Allerdings sind die zur Verfügung stehenden städtebaulichen Instrumente nur in dem Maße effektiv, wie die Gemeinden trotz aller von Investorenangeboten ausgehenden „Verlockungen" bereit sind, diese auch konsequent um- und einzusetzen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 2001

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