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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druck-Ausgabe: S. 69 (Fortsetzung)]
7. Konversionshindernis Altlasten
7.1 Kriterien und finanzielle Dimension von Altlastsanierungen
Die Altlastensituation auf vielen Liegenschaften stellt ein gravierendes Problem bei der Umwandlung der Konversionsflächen dar. Bei allen zivilen Folgenutzungen ehemaliger militärischer Liegenschaften spielt die Frage nach möglichen Boden- und Grundwasserverunreinigungen eine entscheidende Rolle. In jedem Einzelfall sind deshalb als Voraussetzung für eine zivile Nutzung detaillierte Risikoanalysen erforderlich, bevor mit dem Dekontaminieren, dem Ausheben der Erde, dem Abpumpen von Wasser bzw. mit physiochemischen oder mikrobiologischen Behandlungen begonnen werden kann. Art und Umfang der militärischen Altlasten lassen es illusorisch erscheinen, daß in kurzer Zeit eine flächendeckende Beseitigung möglich ist. Ziel sollte es aber sein, das Entstehen von Militärbrachen zu vermeiden. In den USA z.B. wird die Sanierung der bis zu 50 Jahre alten Atombombenfabriken mindestens 230 Mrd. Dollar kosten und bis zum Jahr 2070 dauern; dies geht aus einem ersten umfassenden Bericht der Atombehörde Department of Energie vom Frühjahr 1995 hervor. Für die vollständige Beseitigung der atomaren Hinterlassenschaften des Wettrüstens rechnet man sogar mit Kosten von 500 Mrd. Dollar. [ Fn 29: "D er Kalte Krieg kommt teuer", in: "die tageszeitung" vom 5.4.1995 ] [Seite der Druck-Ausgabe: S. 70] Auch wenn in Deutschland keine Atomwaffen produziert wurden, wird es erhebliche ökologische Folgeprobleme und -kosten geben. Über die zu beseitigenden militärischen Altlasten auf freiwerdenden Liegenschaften der Bundeswehr, der NVA und der stationierten ausländischen Truppen liegen bisher zwar keine detaillierten Gesamtergebnisse vor. Aber bereits Einzelerhebungen machen deutlich, daß gewaltige Probleme zu bewältigen sind. So gibt z.B. die Oberfinanzdirektion Hannover im August 1994 für 160 der 850 US-Liegenschaften insgesamt 630 erfaßte Altlastenverdachtsflächen an. Und eine interne Bestandsaufnahme der US-Streitkräfte von Anfang der 90er Jahre veranschlagte für die Bundesrepublik Deutschland 358 kontaminierte Liegenschaften. Die gesamten Sanierungsarbeiten wurden mit 580 Mio. Dollar veranschlagt - pro Standort sollen die Kosten zwischen einer und 16 Mio. Dollar betragen. [ Fn 30: Vgl. Tobias Debiel/Ingo Zander: "Die Friedensdividende der 90er Jahre - Chancen und Grenzen der Umwidmung von Militärausgaben zugunsten ziviler Zwecke", herausgegeben von der Stiftung Entwicklung und Frieden Bonn 1992, S.24]
Zweifellos verursacht die Sanierung militärischer Altlasten hohe Kosten. Aus der Sicht der ExWoSt-Begleitforschung zum Forschungsfeld "Konversion" [ Fn 31: Bei dem Experimentellen Wohnungs- und Städtebau ExWoSt handelt es sich um ein Forschungsprogramm des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, mit dem neue, durch praktische Anwendung abgesicherte Erkenntnisse zur Weiterentwicklung der Wohnungs- und Städtebaupolitik des Bundes gewonnen werden sollen. ] wird kritisch darauf hingewiesen, daß die Befürchtungen bezüglich des Ausmaßes der Altlastenproblematik zumindest in Westdeutschland die Realität der erforschten Altlastenverdachtsflächen bei weitem übertroffen haben. In Hessen wird die Umweltsanierung der 191 von den amerikanischen, belgischen oder deutschen Truppen benutzten Liegenschaften nach einer groben Schätzung 110 bis 120 Mio. DM kosten. Vermutlich 60% der Übungsareale, Kasernen, Flugplätze und Munitionsdepots sind zum Teil stark mit Ölen oder Schwermetallen verunreinigt, schätzt das hessische Umweltministerium. Nach einer ersten Begehung durch Fachleute der Wasserwirtschaftsämter auf 78 Flächen konnte nur in 13 Fällen eine Verseuchung ausgeschlossen werden. Hingegen bestand in 65 Fällen Verdacht auf Boden- oder Grundwasserverseuchung, der sich nach genaueren Untersuchungen auf 43 Militär [Seite der Druck-Ausgabe: S. 71] grundstücken 32mal bestätigte. [ Fn 32: "Die meisten Militärflächen sind stark verseucht", in: Frankfurter Rundschau vom 13.12.1994] Auch in Brandenburg erfordert die Beseitigung der militärischen Altlasten gewaltige Summen. Für eine landesweite flächendeckende Sanierung seien zweistellige Milliardensummen nötig, schätzte der Konversionsbevollmächtigte des Ministerpräsidenten im "Jahresbericht Konversion 1993/1994", und die Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft (IABG) veranschlagte in einer Untersuchung für das Bundesumweltministerium die Kosten für die flächendeckende Gefahrenabwehr und erste Sanierungsmaßnahmen auf rund 5,5 Mrd. DM. Da finanzielle Mittel in dieser Höhe nicht zur Verfügung stehen, kann keine komplette Sanierung als Vorbereitung der zivilen Umwandlung ehemaliger Militärflächen erfolgen. Deshalb muß sorgfältig untersucht und ausgewählt werden, wo und wie umfassend Altlasten saniert werden müssen. Aus ökonomischer Sicht erscheint eine nutzungsorientierte Sanierung - differenziert u.a. nach Gewerbe, Wohnsiedlungen, Krankenhäuser - mit unterschiedlichen Sanierungsintensitäten sinnvoll. Für eine solche Strategie plädiert z.B. die Umweltministerin des Landes Rheinland-Pfalz, weil ein geplanter Kindergarten mit Sicherheit eine andere Gundstückssanierung als ein künftiges Gewerbegebiet erfordert. Weiter erläuterte die Ministerin im August 1994 gegenüber der Presse, daß die tatsächlichen Gefahren durch Altlasten auf ehemaligen Militärgrundstücken geringer als erwartet seien: Bei den ersten 74 flächendeckenden Überprüfungen auf Altlasten durch das Land wurden die vielfach befürchteten Ergebnisse deutlich unterschritten. Mit dieser Feststellung soll zwar keine Bagatellisierung der wichtigen Altlastenproblematik erfolgen. Sie kann aber als Annäherung an die Position des Bundes gewertet werden, der Übertreibungen der Altlastengefahren befürchtet und sich deshalb für eine Begrenzung auf angemessene Sanierungsmaßnahmen ausspricht. Länder und Kommunen befinden sich bei der Handhabung der Altlastenproblematik in einem Dilemma: Einerseits dürfen sie die Gefährdungen nicht überbewerten, weil hierdurch potentielle Investoren frühzeitig abgeschreckt würden. Andererseits werden die derzeit bestehenden Regelungen des Bundes im Bereich der Altlastenbeseitigung von den Ländern und Kommunen als nicht ausreichend angesehen. Gefordert wird vom Bund, daß auch für nachträglich festgestellte Kontaminationen auf [Seite der Druck-Ausgabe: S. 72] ehemaligen militärischen Liegenschaften, die an Länder, Kommunen oder private Investoren verkauft wurden, die Haftungsfrist von drei auf bis zu zehn Jahre nach Kaufabschluß verlängert wird. Für private Investoren könnte alternativ eine Entschädigung für unvorhergesehene Nutzungseinschränkungen zu Lasten des Bundes vereinbart werden. In der Haftungsfrage ist der Bund den Ländern zwar etwas entgegengekommen, indem er seine Bereitschaft erklärte, sich bei stärkeren Kontaminationen auf ehemals militärisch genutzten Liegenschaften an den Kosten der Sanierung bis zur Höhe des Kaufpreises zu beteiligen. Dies geschieht jedoch nur unter der Voraussetzung, daß der Erwerber einen Anteil von 10% der Sanierungskosten aufbringt. Insbesondere bei größeren Liegenschaften, die erst nach Vornahme erheblicher Erschließungsaufwendungen vermarktet werden können und für die der Bund infolgedessen nur niedrige Erlöse erzielen kann, ist damit zu rechnen, daß der Kaufpreis nicht zur Abdeckung der Kosten der notwendigen Altlastensanierung ausreicht. Mit den risikobehafteten und zum Teil durch hohe Kontaminationen belasteten Großflächen werden die Länder bei den Verwertungsfragen vom Bund weitgehend allein gelassen, kritisiert der Länderarbeitskreis der Wirtschaftsministerkonferenz "Überwindung der wirtschaftlichen Nachteile der Abrüstung" in seinem Beschluß vom 7./8. Dezember 1994. Die Preisforderungen des Bundes und die Klärung der Kostenfrage bei der Beseitigung von Altlasten bzw. bei der Ermittlung von Kontaminationen stehen nach Erfahrung der Länder einer zügigen Anschlußnutzung häufig entgegen. Gefordert wird, daß der Bund im Interesse einer schnellen Verwertung der Liegenschaften von sich aus verstärkt Altlastenuntersuchungen veranlaßt und bei Erkenntnissen über tatsächlich vorliegende Gefahren die Kosten für die erforderlichen Untersuchungen trägt. Die Sanierung einer Liegenschaft muß in vielen Fällen auf die Abwehr von Gefahren für Mensch und Umwelt - oft in Form der Sicherungsmaßnahmen, die die Ausbreitung von Schadstoffen verhindern - oder auf die Beseitigung von Nutzungseinschränkungen abzielen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß für Flächen im Außenbereichen und in abgelegenen Randlagen die Verwertung bzw. Anschlußnutzung häufig Probleme bereitet. Gerade bei großen Arealen - wie Flug-, Truppenübungs- und Schießplätzen - sind Erlöse, die hohe Sanierungskosten decken, in der Regel nur schwer zu realisieren. Hier stehen die betroffenen Gemeinden, Kreise und zum Teil auch die Länder vor einer Flut von Aufgaben, die sie ohne spezielle Hilfen des Bundes nicht [Seite der Druck-Ausgabe: S. 73] bewältigen können. In solchen Fällen sollte der Bund z.B. die Kosten der Altlastenbeseitigung voll übernehmen und zwar insbesondere dann, wenn der voraussichtliche Sanierungsaufwand den vereinbarten Kaufpreis übersteigt, die zivile Anschlußnutzung aber dennoch aus strukturpolitischem und öffentlichem Interesse geboten erscheint. Auf diese Weise würde zugleich ein Beitrag zur Vermeidung von Militärbrachen geleistet.
7.2 Altlastermittlungen des Umweltbundesamtes
Nach Einschätzung des Umweltbundesamtes ist die flächendeckende Erfassung und Erstbewertung "militärischer Altlasten" auf ehemals militärisch genutzten Liegenschaften in Deutschland schon weit fortgeschritten. Erst mit dem Wegfall der Geheimhaltungsbestimmungen für freigegebene militärische Areale wurde es möglich, die Umweltsituation nach jahrzehntelanger militärischer Nutzung festzustellen. Die neuen Länder sind insgesamt stärker betroffen als die alten Bundesländer, schon weil sich hier auf knapp einem Drittel der Gesamtfläche Deutschlands die Hälfte der militärisch genutzten Fläche befand. Dort wurden auf einer Fläche von 250.000 ha (1.026 offizielle Liegenschaften) insgesamt rd. 31.000 Altlastverdachtsflächen erfaßt und einer Erstbewertung unterzogen. Bezogen auf die Schadstoffmengen kommen mineralische Abfälle wie Bauschutt und Asche am häufigsten (47%) vor, gefolgt von Metallabfällen/Schrott (30%) und Siedlungsabfällen (13%). Hingegen kommen militärchemische Altlasten (konventionelle und chemische Kampfstoffe), die sich auf die ehemaligen Standorte der Kampfstoffproduktion, -lagerung und -delaborierung konzentrieren, selten vor (1%). Mineralölprodukte sind schließlich mit rund 6% vertreten. Die Schutzgüter Boden (rund 85%) und Grundwasser (rund 35%) sind am häufigsten betroffen. Die Altlastverdachtsflächen und die Schwere der Kontamination sind für die Standorttypen Truppenübungsplatz, Tanklager und Flugplatz am größten. Auf 500 ehemaligen Liegenschaften der sowjetischen Streitkräfte wurden rd. 3.800 Sofortmaßnahmen zur Abwehr akuter Gefahr für Mensch und Umwelt gemeldet, die etwa 9.500 Altlastverdachtsflächen betrafen. Die meisten dieser Meldungen bezogen sich auf Schutz- und Beschränkungsmaßnahmen (87%), der Rest auf weitergehende Untersuchungsmaßnahmen. [Seite der Druck-Ausgabe: S. 74] Zwar liegen in einzelnen alten Bundesländern - insbesondere in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen - Ergebnisse einer systematischen Bestandsaufnahme der Rüstungsaltlasten vor. Aus dem Altlastenprogramm der Bundeswehr und für Liegenschaften der alliierten Streitkräfte gibt es jedoch noch keine zusammengefaßten Ergebnisse und Auswertungen. Es ist aber zu erwarten, daß man bezogen auf Liegenschaftstypen, Nutzungsbereiche, Kontaminationsprofil, betroffene Schutzgüter und Art der Sofortmaßnahmen analoge Ergebnisse zu den ehemaligen Liegenschaften der sowjetischen Streitkräfte erhält, obwohl durch ein teilweise WGT-spezifisches Stoffinventar und spezifisches Abzugsverhalten (Vergrabungen, Schrottplätze) auch Besonderheiten gegeben sind, die für andere Streitkräfte nicht typisch sein dürften. Die Ermittlungen des Umweltbundesamtes zeigen, daß die militärischen Altlasten vorwiegend ein herkömmliches, den zivilen Altlasten analoges Schadstoffinventar aufweisen. Bei den Kontaminationen handelt es sich primär um Boden- und Grundwasserverunreinigungen aus oft jahrzehntelangem Umgang mit wassergefährdenden Stoffen. Ein vollständiger Überblick über die Altlasten und die von ihnen ausgehenden Gefährdungen liegt zur Zeit aber noch nicht vor. Eine komplexe Analyse der Umweltsituation kann es erst nach der Zusammenführung der Ergebnisse aus bundesweiten Bestandsaufnahmen militärischer Altlasten auf den Liegenschaften der ehemaligen NVA, der Bundeswehr, der alliierten Streitkräfte sowie der Truppen der Sowjetstreitkräfte geben. Wie immer noch auftretende Altlastenfunde aus dem 2. Weltkrieg verdeutlichen, ist dabei auch noch lange Zeit mit nachträglich festgestellten Kontaminationen auf ehemals militärisch genutzten Arealen zu rechnen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2000 |