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[Seite der Druckausgabe: 6 / Fortsetzung]
Was heißt denn Stabilitätskultur? Wird das europäische Geld so stabil sein wie die D-Mark? Wird die Währungsunion eine Stabilitätsgemeinschaft? Was ist das überhaupt? Ist eine Preissteigerungsrate von zwei Prozent, wie sie die Bundesbank als Norm der Unvermeidlichkeit vorgibt, besser als drei Prozent? "Eine Währungsunion kann nur dann auf Dauer störungsfrei funktionieren, wenn alle teilnehmenden Staaten eine gleichgerichtete, auf Stabilität verpflichtete Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik betreiben. Selbst dann kann es noch zu wirtschaftspolitischen Zielkonflikten kommen, zum Beispiel zwischen Stabilität und Wachstum oder zwischen Stabilität und Vollbeschäftigung. Der Vertrag (von Maastricht) entscheidet alle diese Zielkonflikte eindeutig zugunsten der Stabilität. Das bürdet den Regierungen schwierige Aufgaben
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auf". So beschreibt Peter M. Schmidhuber, EU-Kommissar zu Zeiten der Maastricht-Verhandlungen und jetzt Mitglied des Bundesbankdirektoriums, die Sache mit der Stabilitätsgemeinschaft. Zu Zeiten von Massenarbeitslosigkeit und Wachstumsschwäche haben die Europäer einen Vertrag geschlossen, der das Verfolgen von Wachstum und Beschäftigung durch die künftige europäische Währungsbehörde nur zuläßt, "soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist". Die Verpflichtung auf das Stabilitätsziel ist eindeutiger als beispielsweise im Bundesbankgesetz. Schmidhubers Kommentar: "Die Papierform dieses Begriffs ist beeindruckend". Das Europäische Parlament hat den Braten gerochen und der 1996 anstehenden Regierungskonferenz zum Maastricht-Vertrag ins Aufgabenheft geschrieben, "daß sämtliche Institutionen dafür arbeiten müssen, ein hohes Beschäftigungsniveau zu fördern". Edgar Meister, ein anderes Mitglied des Direktoriums der Bundesbank, bemerkt in diesem Zusammenhang: "Die Akzeptanz der neuen Währung bei der Bevölkerung wird um so besser sein, je günstiger die Währungsunion auf die Arbeitsmärkte wirkt". Da ist was dran. Nur, wie geht das? Es gehört zum Einmaleins der Ökonomie, daß Wachstum, hoher Beschäftigungsstand und Preisniveaustabilität voneinander abhängen. Stabilität um jeden Preis führt ebensowenig zu angemessenem Wachstum wie Vollbeschäftigung um jeden Preis zu stabilem Preisniveau. Gäbe es diese Zielkonflikte nicht, wäre das Geschäft mit dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht ja einfach, so einfach, wie es gelegentlich in strammen Reden von der Stabilitätsgemeinschaft scheint. Natürlich singen alle Mitglieder des Bundesbankdirektoriums das Lied der Stabilität, aber gelegentlich zeigen sich Nuancen: Ex-Finanzstaatssekretär und Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer formuliert mit Blick auf die deutsche Stabilitätskultur: "Natürlich sind wir nicht der Meinung, daß am deutschen Notenbankwesen in allen Einzelheiten auch Europa genesen muß". Also, von Einzelheiten abgesehen, wohl ja doch. Tietmeyers Kollege Peter M. Schmidhuber meint dagegen: "Geldwertstabilität wird in der europäischen Praxis
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zwangsläufig auch vor dem Hintergrund der unterschiedlichen nationalen Stabilitätskulturen interpretiert werden - ob uns das immer gefällt oder nicht". Wenn einer von Kultur im Zusammenhang mit einer so profanen Sache wie Geld spricht, sei der Hinweis erlaubt: Im künftigen Europäischen Zentralbankrat werden Verweise auf Kultur weniger Gewicht haben als rationale Argumente in der Sache. Beispielsweise: Wieviel Stabilität der Währung ist ökonomisch optimal für den Wirtschaftsraum? Zwei Glaubenssätze in Sachen Stabilität finden sich in den Standardreden der Notenbanker aller Länder vereinigt. Satz Nummer eins, zitiert nach dem Gouverneur der gerade autonom gewordenen französischen Notenbank, Jean-Claude Trichet: "Internationale Vergleiche beweisen tendenziell, daß mittelfristig unabhängige Zentralbanken größere Preisstabilität erreichen" als von den gewählten Regierungen abhängige. Und der zweite Satz: "Ökonomische Theorie und empirische Beobachtungen legen nahe, daß das Erreichen des Ziels der Preisstabilität ein bedeutender Beitrag zu gesundem Wachstum und zur Schaffung stabiler Arbeitsplätze sein wird ...". Das ist die Theorie. Doch leider wird sie durch die Wirklichkeit nicht bestätigt, jedenfalls nicht pauschal. Im Auftrag der, delikaterweise nicht unabhängigen, Bank of England hat in diesen Tagen Harvard-Professor Robert J. Barro eine ernüchternde Untersuchung veröffentlicht. Nach der Analyse von 67 Ländern über eine Zeit von dreißig Jahren kam er fast widerstrebend zu dem Schluß: "Inflation und Unabhängigkeit der Notenbanken korrelieren nicht". An dem Glaubenssatz, nur Notenbanken nach deutschem Wesen könnten den Geldwert sichern, ist also nichts dran. Für Anhänger demokratisch legitimierter politischer Führung ist dies ein Trost und für all jene, die in der Autokratie von Behörden ihr Heil suchen, eine Ernüchterung. Offenbar sind auch Regierungen, die vom Wählerwillen unmittelbar abhängen, zu solider Geld- und Währungspolitik fähig. Barros zweites Ergebnis ist auch kein Segen für die Theorie: "Ein signifikanter negativer Einfluß von Inflation auf Wachstum zeigt sich nur für hohe Inflationsraten, die Beziehung ist bedeutungslos, wenn man jährliche Inflationsraten
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von weniger als zehn Prozent betrachtet". So das Ergebnis für hundert Länder über dreißig Jahre. Diese Untersuchung gibt jedenfalls keine Begründung für das Credo der Bundesbank, mehr als zwei Prozent Inflation seien des Teufels. Auch die Gegenthese, vier Prozent Inflation brächten mehr Wachstum, ist nicht bewiesen. Mit dieser Art Wahrheit tun sich die Deutschen sehr schwer. Der einflußreiche amerikanische Ökonom Paul Krugman schreibt: "Soweit uns ökonomische Analyse aufklären kann, schadet eine stetige Inflationsrate von drei oder vier Prozent sehr wenig - und sogar eine Rate von zehn Prozent hat nur geringe Kosten". Der Ton bei Krugman liegt auf dem entscheidenden Beiwort "stetige": Von Übel ist Inflation, wenn sie sich beschleunigt, wenn sie auf und ab springt. Hier ist Stabilitätspolitik lebenswichtig. Aber nicht nur die Beschleunigung der Geldentwertung kostet Wachstum, auch das Herunterfahren der Inflation ist gesamtwirtschaftlich teuer. So rechnete Krugman aus, daß die Inflationsbekämpfung von 1980 bis 1986 die amerikanische Volkswirtschaft zwanzig Prozent eines Jahressozialprodukts und die entsprechende Beschäftigung gekostet hat. Ähnlich in Frankreich: Dort liegt die Inflation jetzt bei weniger als zwei Prozent, der Preis dafür, die Arbeitslosenquote, bei mehr als zwölf Prozent. Und was hat das mit einer europäischen Einheitswährung zu tun? Ganz einfach: Wenn die Europäische Zentralbank das Stabilitätsmaß der Deutschen übernimmt und alle Beteiligten auf zwei Prozent Inflation zu zwingen versucht, wird Arbeitslosigkeit in den Ländern steigen, die mit einer höheren Preisrate eintreten. Dramatisch wird dies, wenn Beitrittsländer bereits einen Sockel hoher Arbeitslosigkeit haben, Spanien etwa. Deshalb müßte bei der Beurteilung des Stabilitätsgrades auch die bestehende Arbeitslosenquote berücksichtigt werden. Ist sie zu hoch, so wird nichts aus dem "deutschen Imperativ": Der Ecu wird so stabil wie die Mark. Neben dem aus dem gesamtwirtschaftlichen Kontext gelösten hohen Stabilitätsanspruch des deutschen Notenbankwesens besteht noch ein weiteres Problem deutscher Herkunft in Europa. Stabilität der Währung betrifft nicht nur - wie in Deutschland üblicherweise interpretiert - den Binnenwert, die Kauf-
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kraft der Mark, sondern auch den Außenwert der Währung, der sich im Wechselkurs zeigt. Es geht um Stabilität im Zeitablauf und Stabilität im Wirtschaftsraum; die hohe Stabilität im Inland ist mit einer trabenden Aufwertung der Mark erkauft worden. Wir exportieren, wenn man will, Inflation. Ist das Sicherung der Währung? Die Mark ist überbewertet, der Export leidet, der Import lebt von der Überbewertung. Auch ein Aspekt der deutschen Notenbankkultur, der, übertragen auf Europa, zudem ein elementares Risiko birgt: Ein falscher Wechselkurs, der Importe bei Massenarbeitslosigkeit privilegiert, bringt die lauernden Handelsprotektionisten unter dem Stichwort "EU-Gemeinschaftspräferenz" auf den Plan. Was aber ist für die Stabilität bei abgeschotteten Märkten gewonnen? Eine Strategie, die den Außenwert der künftigen Europawährung nicht mit ins Kalkül nimmt, wird zu erheblichen Rückschritten im einheitlichen Binnenmarkt führen, den die Währungsunion doch eigentlich perfektionieren, verbessern, vertiefen soll. Deutschland, Großbritannien, Italien und Frankreich wickeln zwischen fünfzig und vierundsechzig Prozent ihres Außenhandels mit EU-Partnern ab. Man stelle sich nun vor, nicht alle diese Länder erfüllten 1999, wie absehbar, die Beitrittskriterien oder sie wollten die Einheitswährung nicht übernehmen. Man stelle sich weiter vor, die Europäische Zentralbank achte fast ausschließlich auf den Binnenwert. Damit nähme sie permanente Aufwertungen der Euro-währung gegenüber den nichtteilnehmenden EU-Partnern hin. Die Wechselkurse wirkten dann wie neue Zölle. Der Export von Frankreich und Deutschland in angestammte EU-Märkte würde erschwert; die Importe erleichtert. Das würde dazu führen, daß Industrieunternehmen aus den Ländern mit Einheitswährung abwandern, um Standortnachteile durch die permanente Aufwertung zu vermeiden, eine Entwicklung, die diejenigen EU-Länder begünstigen würde, die der Stabilitätsgemeinschaft nicht beitreten. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) meint dazu: "Was aus Sicht eines Landes ein adäquater ... Wechselkurs der einheitlichen europäischen Währung ist, trifft nicht notwendigerweise auch für andere Länder zu". Und: "Die gemeinschaftliche Geldpolitik hat wesentlichen Einfluß auf den gemeinsamen Außenwert ... und damit auf einen wichtigen wettbewerblichen Parameter". Massiv kritisieren die Industriellen: "Vor dem Hintergrund des aktuellen
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Aufwertungsdrucks der D-Mark sorgt diese Frage für starke Verunsicherung der Unternehmen". Die Sorge des BDI ist gewiß nicht unberechtigt, jedenfalls mit Blick auf das deutsche Notenbankwesen. Aber in Europa wird einiges nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Die Entscheidungen über Wechselkurse und ihre Korrekturen gegenüber Drittlandswährungen liegen nicht bei der Zentralbank, sondern bei den Finanzministern, im Europäischen Rat. Da müssen sich alle EU-Mitglieder einig werden, jene mit Einheitswährung mit jenen, die draußen bleiben. Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank wird somit nicht den Außenwert der gemeinsamen Währung bestimmen können. Das kann ein Segen sein, wenn es verhindert, daß die Europäische Zentralbank einäugig die Stabilität nach innen maximiert und den einheitlichen Binnenmarkt durch dauernde Aufwertung der Einheitswährung beschädigt. Die Kompetenz über den Wechselkurs beim Ministerrat kann aber auch zu einem Fluch werden, denn: "Für die Europäische Notenbank besteht die Gefahr des Inflationsimports", so der Hamburger Landeszentralbankpräsident Hans-Jürgen Krupp. Jedenfalls fordert der Bundesverband der Deutschen Industrie heute schon vorsorglich von der künftigen europäischen Zentralbank eine andere Wechselkurspolitik als die von den deutschen Währungshütern in Frankfurt bislang praktizierte: "Den unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen muß durch entsprechende Währungsrelationen und -arrangements Rechnung getragen werden. Auch vor diesem Hintergrund bietet sich eine Reform des EWS (des Europäischen Währungssystems) an". Die Industriellen fordern im Klartext eine Währungspolitik, die den Standort Deutschland im Wettbewerb nicht weiter benachteiligt. Diese Haltung des BDI entspricht erkennbar einer in Frankreich wachsenden Haltung. Präsident Jacques Chirac hat beim jüngsten EU-Gipfeltreffen in Cannes die Themen Wechselkurse und Handel orchestriert. Das alles sind nicht die Lieblingsthemen der Frankfurter Währungshüter. Währungsarrangements wollen sie nicht, und Wechselkursrelationen überlassen sie lieber den vielgenannten "Märkten". Oder noch deutlicher: Das EWS haben sie nur geduldet, erfunden hätte es die Bundesbank nie. Als es vor zwei Jahren faktisch in die Luft flog, waren wenige glücklicher als die Bundesbanker.
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Es liegt aber auf der Hand, daß der Steuerung der Wechselkurse zwischen Einheitswährung und anderen EU-Währungen in Zukunft große Bedeutung zukommen wird. Dafür sorgt schon Frankreich, das seine Exporte nach Italien und Spanien sichern muß; beide Länder werden von den Stabilitätskriterien aus der Euro-Geld-Union herausgehalten, ein neues EWS ist existentiell nötig. Am deutschen Notenbankwesen also wird Europa nicht genesen. Wie sagte Bundesbankdirektor Schmidhuber: "Geldwertstabilität wird in der europäischen Praxis zwangsläufig auch vor dem Hintergrund der unterschiedlichen nationalen Stabilitätskulturen interpretiert werden - ob uns das gefällt oder nicht". © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000 |