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[Seite der Druckausg.: 44 (Fortsetzung)]



7. Perspektiven und Kritik – Stellungnahmen der Akteure


Gemeinsamer Ausgangspunkt der arbeitsmarktpolitischen Akteure war, daß die Wirtschaftsentwicklung im Osten noch lange nicht die erforderliche Beschäftigungsdynamik freisetzen wird, um die Arbeitsplatzlücke in absehbarer Zeit zu schließen. Die gegenwärtig zu verzeichnenden Bewegungen am Arbeitsmarkt zeigen zwar. daß sich die Beschäftigtenzahl stabilisiert und im oberen Bereich der Arbeitslosigkeit auch Einmündungen in Arbeit möglich geworden sind. Andererseits verfestigt sich die

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Sockelarbeitslosigkeit weiter und konzentriert sich zunehmend auf die Problemgruppen.

Daraus folgte als weitere Gemeinsamkeit, daß die arbeitsmarktpolitische Gegensteuerung noch auf längere Sicht auf hohem Niveau fortgeführt werden muß, damit die Menschen aufgefangen und ihre persönlichen Voraussetzungen zum Wiedereinstieg in das Berufsleben aufrechterhalten werden können, kurz, um das Humankapital zu erhalten.

Die bisherigen Politikergebnisse lassen nicht erkennen, wie dieser Erkenntnis Rechnung getragen werden kann. Die wichtigsten Mängel und Defizite, deren Abhilfe unabdingbar ist, seien im folgenden benannt:

  • Vom Vertreter der IG-Metall wurde dargestellt, daß die Betriebe und Unternehmen nach der Wende in großem Umfang ihre Forschungs- und Entwicklungskapazitäten abgebaut haben, so daß sich in wenigen Jahren in den Bereichen Produktinnovation und technische Modernisierung eine empfindliche Lücke – insbesondere bei ausgebildetem Personal – auftun wird. Die ohnehin großen Schwierigkeiten der neugegründeten Betriebe, sich am Markt durchzusetzen und zu etablieren, lassen zu wenig Spielraum zur Abhilfe erkennen. Das hat in größerem Umfang zu der Ansicht geführt, Forschung als Staatsaufgabe zu begreifen und auf die Politik zu verweisen. Daraus wurde deutlich, daß dem in wenigen Jahren zu erwartenden Innovationsbedarf vielfach keine personellen Kapazitäten zur Produktinnovation im Betrieb gegenübergestellt werden können.

  • Die Verlagerung von Bundesaufgaben auf die Budgets von Ländern und Kommunen geht – wie von gewerkschaftlicher und kommunaler Seite betont wurde – unvermindert weiter. Der erneute Versuch einer Zeitbegrenzung der Arbeitslosenhilfe macht dies deutlich. Damit werden die aus diesen Budgets zu bedienenden Investitionspotentiale beeinträchtigt, mit der Folge, daß selbst pflichtgemäße Ersatzinvestitionen aus finanziellen Gründen unerledigt bleiben. Auf diese Weise geraten auch die infrastrukturellen Standortfaktoren mit den entsprechenden Beeinträchtigungen bei der Ansiedlung von Betrieben in Mitleidenschaft.

  • Die Arbeitsmarktpolitik bleibt – wie der Vertreter des Landesarbeitsamtes aufzeigte – weiterhin fiskalisch motiviertem Stop-and-Go verpflichtet, so daß längerfristige Strategien zur Schaffung von Arbeitsplätzen bzw.

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    zur Wiedereingliederung von Zielgruppen, zum Erhalt und Ausbau einer funktionierenden Trägerlandschaft nicht möglich sind.

  • Die auch vom Vertreter der BDA problematisierte Tendenz zur Frühverrentung geht, entgegen allen Beteuerungen, unvermindert weiter. Der Vertreter der IG-Metall wies auf die letzte Ausgliederungsaktion der Treuhandanstalt hin, bei der 7.000 ältere Arbeitnehmer mit einem Gesamtaufwand von ca. 700 Mio. DM entlassen worden sind. Der bei solchen Aktionen freigesetzte Druck innerhalb der Belegschaft auf die entsprechenden Altersgruppen läßt auf der Betriebsebene keinen erfolgversprechenden Widerstand mehr zu.

  • Der IG-Metall-Vertreter stellte diesem Trend die Arbeitszeitverkürzung als bedeutenden Beschäftigungsfaktor gegenüber. Seiner Behauptung, daß dadurch eine Million zusätzlicher Arbeitsplätze in den 80er Jahren entstanden seien, widersprach der BDA-Vertreter energisch. Langfristig sei nach Ansicht der IG Metall die Umverteilung der Arbeit die einzige Perspektive, um eine dauerhafte Ausdehnung des Beschäftigungsvolumens zu erreichen. Sie müsse auch mit einer funktionalen Umverteilung der Faktoren Arbeit, Qualifizierung und Weitergabe des Gelernten einhergehen.

Diese Kritikpunkte wurden insbesondere im Hinblick auf die instrumentellen und förderungsrechtlichen sowie die finanziellen Aspekte der AFG-Maßnahmen vertieft. Dabei standen diejenigen Bereiche im Vordergrund, von denen die Wirksamkeit der Instrumente abhängt (Befristung der Maßnahmen, fehlende Anschlußinstrumente, Verbot von Förderketten), sowie diejenigen, an denen Finanzierungshindernisse erkennbar sind (Beschränkung auf Teilfinanzierung im AFG, Verbot von Refinanzierungsalternativen auf dem Markt).

Daran anschließend wurde besonders hervorgehoben, daß die Möglichkeiten von der Sache her gegeben sind, aus Maßnahmen heraus Ausgründungen vorzunehmen und so den Gang in den ersten Arbeitsmarkt anzutreten, sie aber vom Förderungsrecht her weitgehend ausgeschlossen werden. Selbst bei der Projektförderung nach dem neuen § 62 d AFG wird die prinzipiell gegebene Möglichkeit dadurch eingeschränkt, daß der Lebensunterhalt der Betroffenen nach anderen Instrumenten bestritten werden muß. Eine Kombination dieser Projekte mit ABM

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schließt sie völlig aus. Auf diese Weise wird in der Gesetzgebung wie auch der Normgebung im Verordnungsrecht der EU auf eine wichtige Schnittstelle zum ersten Arbeitsmarkt verzichtet, die sich in der arbeits-marktpolitischen Praxis der neuen Bundesländer als dringend erforderlich erwiesen hat.

Auch grundsätzlich wurde hinterfragt, ob die im Westen aus anderen Zeit- und Begleitumständen erwachsenen Normen und Regelwerke im Osten in unveränderter Form angewendet werden müssen. Der Vertreter von BBJ-Consult wies darauf hin, daß die im Osten teilweise völlig anderen Einsatzbedingungen die Instrumente beeinträchtigen oder gar ihre Durchführbarkeit in Frage stellen, wenn nicht eine Zone "tolerabler Illegalität" in Kauf genommen wird. Beispielhaft wurde auch der Hinweis gemacht, daß auch verwaltungstechnische Spielräume denkbar sind, wenn etwa zur Kontrolle des sachgemäßen Einsatzes der Fördermittel anstelle der aufwendigen Verwendungsnachweise der erhaltenen Gelder lediglich die konkret damit finanzierte Beschäftigung nachgewiesen werden muß.

Weiterhin wurde hervorgehoben, daß die Entwicklung der Sockelarbeitslosigkeit einen aufnahmefähigen öffentlichen Beschäftigungssektor bzw. zweiten Arbeitsmarkt erforderlich macht, wie er im Weißbuch der Europäischen Union als Teil einer Gesamtstrategie für Wachstum und Beschäftigung vorgeschlagen wird. In diesem Rahmen wären einerseits Maßnahmen anzusiedeln und vorzuhalten, die Brückenfunktion für zeitweilig ausgegliederte Arbeitslose erfüllen können, und diese Zeiten für Anpassungsqualifizierungen nutzbar zu machen. Zum anderen sollen in diesem Rahmen auch geschützte Arbeitsplätze für diejenigen Zielgruppen bereitgestellt werden, die auf Dauer den Anforderungen des ersten Arbeitsmarktes nicht gewachsen sind, und gleichwohl in eingeschränktem Umfang zu sinnvoller Arbeit bereit und in der Lage sind. Dies entspricht dem Konzept "Soziale Betriebe", das als vielbeachteter Modellversuch in Niedersachsen entwickelt worden ist.

Teilweise kontrovers diskutiert wurde der Komplex Arbeitnehmerüberlassung und private Arbeitsvermittlung. Vor allem mit Blick auf den jüngst in Nordrhein-Westfalen begonnenen Modellversuch START e.V. äußerte der Vertreter des BDA die Hoffnung, daß es in größerem Umfang zur Beschäftigung und in Folge auch erfolgreichen Vermittlung von

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Langzeitarbeitslosen kommen könnte. Dies wurde hauptsächlich damit begründet, daß dieser Modellversuch eine positive publizistische Begleitung erfährt, die einerseits der Image-Verbesserung der privaten Überlassungsbetriebe dient, andererseits aber auch die Zielgruppe auf positive Weise aufmerksam macht. Schließlich könnte die zeitlich befristete Überlassung auch Hemmschwellen und Vorbehalte abbauen helfen, die bei Arbeitgebern gegenüber der Zielgruppe noch vorhanden sind.

Dem wurde vom Vertreter des Landesarbeitsamtes entgegengehalten, daß ungeachtet der durchaus möglichen Erfolge in Einzelfällen ein solches Instrument nicht in den erforderlichen Größenordnungen wirksam ist. Darüber hinaus wäre jedoch fatal, wenn sich ein "Drehtür-Effekt" einstellen sollte, der darin besteht, daß ungeförderte Beschäftigte durch geförderte Langzeitarbeitslose ersetzt werden.

Schließlich wurde auf die Möglichkeit hingewiesen, Beschäftigungsmaßnahmen der Arbeitsverwaltung auch zur Kofinanzierung von kommunalen Infrastrukturmaßnahmen heranzuziehen. Die Situation sei nicht selten – so wurde von gewerkschaftlicher und kommunaler Seite betont –, daß für passive Finanzierung von Arbeitslosigkeit Summen ausgegeben werden, die an anderer Stelle dringend für beschäftigungsrelevante Investitionsmaßnahmen benötigt werden. Die in diesem Zusammenhang auch im Westen nach § 242 s AFG gegebenen Fördermöglichkeiten sind noch nicht zur Umsetzung gelangt. In welchem Umfang sie tatsächlich wirksam werden können, kann wegen der deutlich gegenüber ABM abgesenkten Fördersätze nicht abgeschätzt werden. Ob und in welchen Größenordnungen Maßnahmen dieser Art für Langzeitarbeitslose in Betracht kommen, erscheint darüber hinaus noch weniger abschätzbar.

Die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit steht also in einem weit größeren Zusammenhang als ihr formaler Rahmen – das AFG und seine Anwendung durch die BA. Unter der Bedingung, daß der erste Arbeitsmarkt (noch) keine hinreichende Aufnahmefähigkeit aufweist, bleibt auch die Wirksamkeit der eingesetzten Instrumente begrenzt und wird ihr Integrationserfolg empfindlich beeinträchtigt. Die Brückenfunktion von ABM, die Integrationsfunktion der Qualifizierungsmaßnahmen, sowie auch und insbesondere die Wiederaufrichtungsfunktion der § 62 d-Maßnahmen werden durch den Umstand empfindlich eingeschränkt, daß

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sie vielfach nicht in weitere Beschäftigung sondern in erneute Arbeitslosigkeit münden.

Um dem Oberziel nahe zu kommen, die Arbeitsplatzlücke tatsächlich in nennenswerten Umfang zu verkleinern, ist deshalb ein übergreifender Bewußtseinswandel notwendig, der alle Kräfte auf die Schaffung neuer und tragfähiger Beschäftigungsmöglichkeiten fokussiert, und der die Einzelaktivitäten der Akteure in den übergreifenden Zusammenhang einer gemeinsamen Perspektive stellt. Diese Perspektive muß darin bestehen, die gegebenen Instrumente und Fördermöglichkeiten zu kombinieren, die Einzelaktivitäten zu vernetzen, und die verschiedenen Interessen von Betrieben und Projekten, von Verbänden und Initiativen zu koordinieren. Dies legen schon die Bedingungen knapper Finanzressourcen innerhalb der einzelnen Budgets und die zumeist gegebene Notwendigkeit, Ergänzungsfinanzierungen zu organisieren, nahe. Aber auch aus den beschriebenen Größenordnungen, in denen die Wiedereingliederungsprozesse notwendig werden, wird deutlich, daß diese Perspektive und ihre praktische Umsetzung unabdingbar ist.

Dem entsprachen auch Angebote zur Kooperation und Hinweise auf vorgehaltene Beratungskapazitäten behördlicher und verbandlicher Akteure, die insbesondere die Verknüpfungsinstrumente und die Vernetzungsmöglichkeiten zwischen Akteuren des ersten und des zweiten Arbeitsmarktes betrafen.

Als Konsequenz aus all diesen Überlegungen wurde vom Tagungsleiter zusammengefaßt:

  • Besondere Problemlagen der Langzeitarbeitslosen erfordern besondere Fördermaßnahmen.

  • Die Instrumente müssen einfacher und handhabbarer als bisher gestaltet werden, damit sie in der Praxis flexibel eingesetzt werden können.

  • Die Instrumente müssen Antworten auf regionale Besonderheiten erlauben und mit weiteren regional eingesetzten Förderinstrumenten koordiniert werden können.

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  • Langzeitarbeitslosigkeit braucht eine längere Maßnahmeperspektive, als sie bisher vielfach angeboten wird.

  • Die Förderung muß auch über längere Zeit für längerfristige Konzepte und Zielsetzungen gewährleistet sein, damit ein sicherer Obergang auf den ersten Arbeitsmarkt möglich wird.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2001

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