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TEILDOKUMENT:
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VI. Gesamteuropäische Integration - Die Einbindung der MOE- Staaten in den Wirtschaftsraum der Europäischen Union
6.1. Bedeutung und Wirkung der Assoziierungsabkommen der EG mit den Staaten Mittel- und Osteuropas
Für eine stabile und berechenbare Entwicklung in Europa ist die mittel- und langfristige Einbindung der MOE - Staaten in die Europäische Union abdingbar. Zweifelsohne gibt es innerhalb der EU Stimmen, die nach dem Beitritt von Österreich, Norwegen, Schweden und Finnland vor einer allzu schnellen Erweiterung warnen. Vertiefung statt Erweiterung heißt das Stichwort der Debatte. Andererseits ist klar, daß mit einem weiteren Abbau der inneren Schranken in der EU die Chancengleichheit von Drittländern reduziert wird.
Arbeitsteilung und Unternehmenskooperation zwischen Regionen mit völlig unterschiedlichem Entwicklungsstand ist auch innerhalb der Europäischen Union kein unbekanntes Thema. Mit Hilfe der verschiedenen Regionalfonds und insbesondere den Kohäsionsfonds sollen wirtschaftliche und soziale Disparitäten innerhalb der EU abgebaut werden.
Für die Einbindung der mittel- und osteuropäischen Länder in die Europäische Union stellen die abgeschlossenen Assoziierungsabkommen einen ersten Schritt dar. Ihre inhaltliche Fortschreibung sowie eine klare Zielsetzung für den EU- Beitritt der MOE- Staaten stellen zweifelsohne wichtige Rahmenbedingungen für den Transformationsprozeß in diesen Ländern dar.
Die Europa-Abkommen sind Assoziierungsabkommen nach Artikel 238 EWG-Vertrag und haben eine Laufzeit von 10 Jahren. Nach Ablauf dieser Zeit erfolgt aber kein automatischer EU-Beitritt - darüber müssen gesonderte Verhandlungen geführt werden. Ohnehin gibt es hinsichtlich der EU-Mitgliedschaft mehrere Stufen. In einer "Denkschrift zu dem Europa-Abkommen" werden z.B. von der Bundesregierung folgende Elemente als neu gegenüber dem Handels- und Kooperationsabkommen der EG mit Polen vom 19.09.1989 herausgestellt:
- die Institutionalisierung eines Mechanismus für den politischen Dialog;
- der schrittweise Aufbau einer Freihandelszone zwischen Polen und der Gemeinschaft;
- Bestimmungen über industrielle, technische, wissenschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit;
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- Bestimmungen über die Rechtsangleichung und gemeinsame Regeln über Wettbewerb, Dumping und staatliche Beihilfen sowie
- Bestimmungen über die finanzielle Zusammenarbeit.
Die Europa-Abkommen haben zwei Zeitphasen zum Inhalt. Nach dem Ablauf von fünf Jahren sind weitere Integrationsschritte im Bereich des Kapitalverkehrs, der Niederlassungsfreiheit und der Wanderung der Arbeitnehmer vorgesehen. Die Europaverträge lassen sich in drei Kategorien unterteilen:
- handelspolitischer Teil
- reformunterstützender Teil
- institutioneil- ordnungspolitischer Teil.
Im Vertrag zwischen der EG und Polen sind z.B. die Formen der ökonomischen Kooperation in den Artikeln 71 - 94 paraphiert.
Ein Assoziationsrat, der paritätisch mit Vertretern der EG und des jeweiligen Vertragspartners besetzt ist, ist für die Einhaltung und Ausgestaltung des Vertragswerkes verantwortlich.
Sowohl für die MOE- Staaten als auch für die EU ist wichtig, daß die Integration Mittel- und Osteuropas weiter vorangetrieben und ein verläßlicher Rahmenplan aufgestellt wird. Die Assoziierungsabkommen bieten bei allen Unzulänglichkeiten dafür eine positive Grundlage.
6.2. Unterstützung der Reform- Prozesse in den MOE- Staaten durch die Europäische Union
Für die schrittweise Integration der MOE - Staaten gibt es im Rahmen der Europäischen Union ein vielfältiges Programm. Das sind vor allem die Programme
- LACE (Linkage Assistance And Cooperation For The European Border Regions), welches die Vernetzung der Grenzregionen zu Mittel- und Osteuropa fördern soll,
- PHARE (Poland Hungary Action for Restructuring of the Economy),
- OUVERTÜRE, daß ein Netzwerk der Zusammenarbeit von Regionen in Ost und West entwickeln soll.
Im Zeitraum von 1990 - 1993 erfolgte im Rahmen von PHARE die Mittelverteilung an die einzelnen Länder wie folgt:
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Tab. 15: Verteilung der Fördermittel im Rahmen des PHARE - Programms 1990- 1993
Land
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Fördermittel (in Mio. ECU) |
Polen
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822 |
Ungarn
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416 |
Rumänien
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360 |
Bulgarien
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277 |
Tschechien
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200 |
Slowakei
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133 |
Albanien
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125 |
Lettland
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45 |
Ex - Jugoslawien
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41 |
Ostdeutschland
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35 |
Litauen
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33 |
Estland
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22 |
Slowenien
|
20 |
multinationale Projekte
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328 |
humanitäre Hilfe
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281 |
Sonstiges
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156 |
Gesamt
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3.294 | Quelle: Europäische Kommission - PHARE - Informationsbüro Brüssel.
Die Mittel für das PHARE - Programm wurden von 500 Mio. ECU im Jahre 1990 auf 1.004 Mio. ecu im Jahre 1993 aufgestockt. Es obliegt den Zielländern, die für eine Unterstützung in Frage kommenden Bereiche festzulegen. Schwerpunkte sind u.a.
- die Umstrukturierung und Privatisierung von Unternehmen,
- Investitionsförderung,
- Reform der öffentlichen Verwaltung,
- Wissenschaft und Technik,
- Beschäftigung und Soziales,
- Aus- und Weiterbildung.
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Die Mittelaufteilung nach einzelnen Sektoren erfolgte von 1990 - 1993 wie folgt:
Tab. 16: PHARE- Budget nach einzelnen Sektoren 1990 - 1993
Sektor
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Anteil (in %) |
Entwicklung des Privatsektors/Unternehmensförderung
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23,5 |
Ausbildung, Gesundheit
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14,0 |
humanitäre und Nahrungsmittelhilfe
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13,0 |
Agrarkulturelle Umstrukturierung
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11,5 |
Umwelt und nukleare Sicherheit
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9,0 |
Infrastruktur
|
9,0 |
Soziale Entwicklung und Beschäftigung
|
6,5 |
Öffentliche Institutionen und administrative Reformen
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1,5 |
sonstige
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12,0 | Quelle: Europäische Kommission - PHARE - Informationsbüro Brüssel.
Wichtig ist hier vor allem die Unterstützung zur Förderung der Entwicklung klein- und mittelständischer Unternehmen in diesen Ländern. So entstand z.B.. in der Slowakei mit Unterstützung des PHARE- Programms die Nationale Agentur zur Förderung der Klein- und Mittelunternehmen. Die Agentur handelt als zentrale Koordinierungsstelle für alle internationalen, nationalen und regionalen Förderprogramme zur Unterstützung der mittelständischen Wirtschaft in der Slowakei. Im Rahmen einer breiten Aufgabenpalette baut die Agentur eine Datenbank der slowakischen mittelständischen Unternehmen auf. Durch dieses Informationssystem können ständig aktualisierte Daten über slowakische Firmen, ihr Produktionssortiment, ihre Kunden und Lieferanten bereitgestellt werden. Diese Daten dienen u.a. als Grundlage der Zuliefererbörse, über die Geschäftsbeziehungen und Werkverträge zwischen in- und ausländischen Unternehmen vermittelt werden.
Mit dem Programm JOPP (Joint Venture Phare Programm) soll der Auf- und Ausbau von Joint Ventures zwischen Unternehmen der EU - Staaten und der MOE - Staaten gefördert werden. Bevorzugt werden Projekte von KMU bis 500 Mitarbeiter und einem Nettoanlagevermögen bis 75 Mio. ECU. Die westlichen Partner müssen ihren Sitz in den Mitgliedsstaaten der EU haben.
Im einzelnen können Mittel beantragt werden für die Erkundung von Investitions- und Kooperationspotentialen, für die Erstellung von Marktanalysen, Durchführbar-
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keitsstudien etc. in den MOE- Staaten.
Zu erwähnen sind auch Fonds zu Unterstützung regionaler Entwicklung in den MOE- Staaten.
Die EU hat z.B. im Rahmen von PHARE das Programm STRUDER (Strukturentwicklungsprogramm für ausgewählte Regionen in der Republik Polen) verabschiedet. Die Maßnahmen sollen vor allem auf die Unterstützung der KMU in den Regionen ausgerichtet werden, nicht zur Umstrukturierung der großen Unternehmen. Ausgewählt wurden fünf Wojewodschaften:
- Walbrzyskie und Lodzkie als Industrieregion,
- Rzeszowskie als gemischte Industrie- Agrarregion,
- Suwalskie und Olsztynskie als ländliche Region.
Im einzelnen werden mit dem Programm folgende Ziele verfolgt:
- Entwicklung von Maßnahmen und Grundstrukturen für regionale wirtschaftliche Umstrukturierung,
- Mobilisierung örtlicher Ressourcen zur Förderung von wirtschaftlicher Aktivität und Beschäftigung,
- finanzielle und sonstige Unterstützung bei der Gründung und Entwicklung von KMU,
- Erarbeitung von Methoden und Techniken, die die polnische Regierung in einem generellen regionalen Entwicklungsprogramm verwenden kann, anhand der Erfahrungen, die in den o.g. vier Regionen gewonnen werden.
STRUDER umfaßt folgende Elemente:
- regionale Entwicklungsstrukturen und Maßnahmen,
- Ausbildungs- und Beratungsdienste,
- regionale Finanzmaßnahmen,
- kleine Infrastrukturprojekte.
Zur Umsetzung dieser und anderer regionalpolitischer Maßnahmen wurden sog. Regionale Entwicklungsagenturen (RDA) geschaffen.
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6.3 Produktionsverlagerungen als Chance: Voraussetzungen einer Wachstumspartnerschaft zwischen der Europäischen Union und den MOE-Staaten
Zweifelsohne können Umfang und Programmdichte nicht verdecken, daß die Unterstützung der MOE- Staaten durch die Europäische Union noch ein bescheidenes Niveau aufweist. Es geht aber nicht allein um die Quantität der Mittel, sondern vor allem um eine noch stärkere Flankierung des Auf- und Ausbaus eines Innovationspotentials und eines sich selbst tragenden Wachstums in den MOE- Staaten.
Die heftige Diskussion über negative und positive Effekte von Produktionsverlagerungen zeigt nach Einschätzung eines SPD-Europapolitikers, daß wir eine Politik benötigen, die konkrete Vorstellungen für eine substantielle Vertiefung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und den Staaten Mittel- und Osteuropas entwickelt.
Notwendig seien auch eine konsistente Programmatik innerhalb der EU und unternehmerische und wirtschaftspolitische Strategien zur Verhinderung eines ökonomischen und sozialen Null- Summenspiels zwischen der EU und den MOE- Staaten.
Produktionsverlagerungen müßten zu einer echten Wachstumspartnerschaft führen. Sie bedürften von Beginn an einer wesentlichen Ergänzung: Innovative Gestaltung der Produkte, der Herstellungsverfahren und des Marketing. Das bedeutet vor allem Forcierung einer gemeinsamen Industrieforschung und die Umsetzung der Ergebnisse in neue Technologien und Produkte.
Notwendig seien ebenso Technologieförderprogramme für klein- und mittelständische Unternehmen, aber auch die Förderung von Zentren der Technologieentwicklung. Generell bedürfe es einer verstärkten Einbeziehung der KMU in die Ost-West-Kooperation, und darüber hinaus unbürokratischer und transparenter Finanzierungsinstrumente.
Die wirtschaftliche Neuordnung Europas nach dem Zusammenbruch des COMECON erfordere die Förderung und Bereitstellung einer europaweiten Infrastruktur (Eisenbahnnetze, Schiffahrtswege, Telekommunikation), vor allem in Ost- West-Richtung.
Der Prozeß der Produktionsverlagerungen von Deutschland und Westeuropa insgesamt in die MOE- Staaten mache nicht zuletzt wegen seiner sozialen Auswirkungen auf Arbeitsmarkt, Löhne etc. eine "konzertierte Aktion von Europäischer Union, den
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MOE- Staaten, den Gewerkschaften und Unternehmerverbänden" notwendig.
Wichtig sei auch ein klar definierter Protektionismus gegen Re- Importe aus MOE für einen Übergangszeitraum.
Die Perspektive der wirtschaftlichen West-Ost-Kooperation sei nicht zu trennen von einer zielgerichteten Entwicklungsstrategie für das gesamte Europa.
Als besonders dringlich seien anzusehen
- Abstimmung der makroökonomischen Politik, Koordinierung der Außenwirtschaftsbeziehungen und Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes der MOE- Staaten (u.a. Schuldnerkoordinierung, Maßnahmen zur Auslastung des Kapitalstocks, Steigerung der Massenkaufkraft, Exportförderung),
- Installation eines gemeinsamen Koordinierungsrates von EU und MOE mit folgenden Aufgaben: Erarbeitung makroökonomischer Entwicklungsszenarios und Pfade für die Entwicklung der MOE- Volkswirtschaften, Erstellung von mittelfristigen Plänen für Schwerpunktsetzungen der Allokation, des Einsatzes öffentlicher Mittel zur Sicherung und Entwicklung endogener Entwicklungspotentiale,
- Festlegung eines vertraglichen Verfahrens zum Beitritt des MOE-Wirtschaftsraumes zur Europäischen Union (klare Kriterien für Mitgliedschaft, Einzelschritte, Zeitrahmen, Übergangsbedingungen, Finanzierung). Es sei davon auszugehen, daß es eine EU mehrerer Geschwindigkeiten geben wird. In diesem Zusammenhang forderte ein SPD-Bundespolitiker, die MOE-Länder sollten möglichst rasch Mitglied in internationalen Organisationen, z.B. der OECD, werden, um sich auf den Prozeß der schrittweisen Integration in die EU vorzubereiten.
Auch der Vorsitzende der Gewerkschaft Textil und Bekleidung forderte eine "europäische Vision", ein Entwicklungsprogramm der Europäischen Union für Mittelosteuropa, das eine eigenständige Entwicklung in diesen Ländern ermögliche. Die Europäische Gemeinschaft habe bei der Süderweiterung bewiesen, daß die Integration von Staaten mit unterschiedlichem Entwicklungsniveau durchaus möglich sei. Damals seien allerdings reichliche Transferzahlungen zur Abfederung geflossen, Hilfen die im Falle der MOE-Staaten fast völlig fehlten. Gleichzeitig dürften allerdings der Standort Bundesrepublik und die übrigen EU- Länder durch den Verlust von Arbeitsplätzen
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nicht geschwächt werden, verlören Sie doch ansonsten die Fähigkeit und Kraft, für den Aufbau Osteuropas etwas zu tun.
So notwendig eine "europäische Vision" ist, so darf diese Forderung jedoch nicht dazu dienen, die vorhandenen Probleme einfach zuzudecken. Eine "europäische Vision" führe nicht quasi zwangsläufig zu mehr Wohlstand auf beiden Seiten, betonte ein Diskussionsteilnehmer. Man müsse vielmehr begreifen, daß es unterschiedliche Interessen und damit Zielkonflikte gibt, für die Lösungen gefunden werden müßten. Daß zum Beispiel die Forderung nach Ausbau der Infrastruktur in den MOE-Staaten bei Arbeitnehmern in Brandenburg auf wenig Verständnis stößt, machte der Betriebsratsvorsitzende eines brandenburgisches Betriebes deutlich. Zumal dann, wenn diese Arbeitnehmer den Verlust ihrer Arbeitsplätze durch Produktionsverlagerungen in eben diese Staaten zu befürchten haben und zumal dann, wenn diese selbst in ihrer eigenen Umgebung mit erheblichen Rückständen in der Infrastruktur konfrontiert sind.
Bislang ist ein europäisches Entwicklungskonzept zudem über, Absichtserklärungen verschiedener Politiker nicht hinausgekommen. Noch ungeklärt ist die Frage, welche Institutionen dieses entwickeln sollen, wie die Zuständigkeiten zu verteilen sind. Daß ein solches Konzept im Kern in Brüssel entwickelt werden muß, liegt auf der Hand, jedoch kommt es nach Auffassung eines SPD-Bundespolitikers in besonderem Maße der Bundesregierung zu, diesen Prozeß anzustoßen.
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VII. Zusammenfassung
Die Chancen und Gefahren eines Engagements deutscher Unternehmen in Mittel-und Osteuropa liegen nahe beieinander: Die Öffnung der Reformstaaten schafft zweifellos neuen Konkurrenzdruck: Niedrige Arbeitskosten und andere Kostenvorteile führen zu Produktionsverlagerungen und somit zum "Export von Arbeitsplätzen" aus Deutschland. Die Verlagerungen werden in Zukunft massiv zunehmen und auf andere Sektoren mit technologisch anspruchsvolleren Verfahren und Produkten übergreifen.
Aber es sind keineswegs nur Kostenmotive, die deutsche Unternehmen bewegen, sich ein "osteuropäisches Standbein" zuzulegen. In Mittelosteuropa ist für die Wirtschaft der europäischen Union und der anderen westlichen Industrieländer ein Markt von rd. 380 Mio. Menschen und Verbrauchern im Aufbruch. Die Unternehmen haben die einmalige Chance, neue Absatzmärkte zu gewinnen und auszubauen. Für die deutsche Wirtschaft liegt dieser neue Markt teils unmittelbar vor der Haustür. Produktionsverlagerungen im Ausland haben gegenüber Exporten u.a. den Vorteil einer ständigen Präsenz auf den Absatzmärkten, einer größeren Kundennähe und damit einer besseren Anpassung an Markterfordernisse. Verbesserte Absatzchancen der eigenen Produktion im Ausland führen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen und des Standorts Bundesrepublik insgesamt. Sie tragen somit zur Sicherung und zum Ausbau der Beschäftigung auch im Inland bei.
Aber auch kostenorientierte Produktionsverlagerungen können mittel- und langfristig positive Tendenzen für den Arbeitsmarkt und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auslösen. Die niedrigen Kosten versetzen die Unternehmen in die Lage, Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren anderen Konkurrenten am Weltmarkt zu realisieren. Sie verbessern somit die Chancen zur Markterhaltung, führen oft zur Erschließung neuer Märkte und somit auch zu Arbeitsplatzzuwächsen. Mitunter ermöglicht erst die Mischkalkulation die Rettung wenigstens eines Teils der Arbeitsplätze in Deutschland.
Intensive arbeitsteilige Beziehungen mit den MOE-Staaten fördern das Wachstum dieser Staaten und erhöhen ihr Exportpotential. Höhere Deviseneinnahmen wiederum ermöglichen höhere Importe dieser Länder auch aus Deutschland, was hier zu positiven Wirkungen auf die Arbeitsmarktsituation führt.
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Welche Beschäftigungswirkungen per Saldo überwiegen, läßt sich kaum vorhersagen. Die meisten Schätzungen gehen von einer längerfristig positiven Beschäftigungsbilanz aus. In einigen Branchen wird es zu schmerzlichen Arbeitsplatzverlusten kommen, in anderen Sektoren werden hingegen neue Arbeitsplätze hinzukommen.
Die Rückwirkungen der neuen internationalen Arbeitsteilung auf die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Bundesrepublik hängen nicht zuletzt von der Entwicklung in den MOE-Staaten selbst ab. Weder Deutschland noch die Europäische Union können ein Interesse an einem schwachen Partner im Osten Europas haben. Wachstumsmärkte werden nur dann Realität, wenn auch die Kaufkraft der Bewohner vor Ort wächst. Oft wird in einzelnen Marktsegmenten vorschnell von einem Güterüberangebot gesprochen, dahinter verbirgt sich in der Regel aber mangelnde Kaufkraft. Eine Kooperationsstrategie, die nur auf Lohnkostenvorteile setzt, ist langfristig zum Scheitern verurteilt. Mit der Verfestigung zum Niedriglohnland kann weder mittel- noch langfristig ein prosperierender Absatzmarkt entstehen.
Für die Modernisierung der Wirtschaft in den Reformstaaten ist der Zustrom ausländischen Kapitals unabdingbar. Die modernisierte Industrie schafft bessere Chancen für Wachstum und bessere Lebensstandards. Verlagerungen arbeits- und ressourcenintensiver Produktionen bringen aber auch die Gefahr einer Konservierung veralteter Strukturen mit sich. Von Seiten der MOE-Länder besteht die Befürchtung, nur zur verlängerten Werkbank des Westens zu werden. Heftig beklagt wurde, daß der Westen die MOE-Länder zwar einerseits als Absatzmarkt betrachte, andererseits aber die Öffnung des eigenen Marktes für osteuropäische Exporte behindere. Wie die Handelsströme zeigen, profitiert Deutschland bzw. der Westen derzeit noch immer mehr als der Osten von der Öffnung.
Deutschland und die Europäische Union müssen daher ein essentielles Interesse daran haben, daß in den MOE-Staaten eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung, der Aufbau moderner Produktionen und die Stärkung der Wirtschafts- und Kaufkraft erreicht wird.
Über die Bedingungen, unter denen die Vorteile der neuen Arbeitsteilung in Europa deren Gefahren überwiegen, bestand daher unter den Konferenzteilnehmern weitgehend Einigkeit: Notwendig sei eine Wachstumspartnerschaft, eine arbeitsteilige Kooperation, die letztlich von Vorteil für beide Partner sei.
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Die Staaten der Europäischen Union sind hierbei gefordert, Mittel- und Osteuropa beim Auf- und Ausbau eines Innovationspotentials mit dem Ziel eines sich selbst tragenden Wachstums zu unterstützen.
Diese arbeitsteilige Kooperation könnte die Antwort Europas aus NAFTA sein. Das Beispiel der NAFTA und andere regionale Kooperationen machen deutlich, daß wirtschaftlich starke Regionen durch Ausdehnung der Arbeitsteilung ihre Positionen entscheidend verbessern können.
Das Beispiel der Europäischen Union zeigt vor allem die Möglichkeiten der Nutzung von Wachstumsquellen durch eine Vertiefung der wirtschaftlichen Verflechtung. In den nächsten Jahren kommt es darauf an, in welchem Maße diese Verflechtung in Europa insgesamt erreicht wird. Die Auflösung des bipolaren Verhältnisses in der Welt nach dem Zusammenbruch des Sowjet- Imperiums wurde zweifelsohne wirtscnaftspolitisch nicht ausdiskutiert. Sowohl in Deutschland als auch in der Europäischen Union fehlen bislang klare Konzepte für die Integration der und die Kooperation mit den MOE- Staaten einschl. den GUS- Republiken. Zweifel wurden allerdings auch geäußert, ob eine "europäische Vision" angesichts vorhandener Interessen- und Zielkonflikte quasi zwangsläufig mehr Wohlstand für beide Seiten bringt.
Neben der verstärkten Kooperation zwischen EU und MOE- Staaten müssen die MOE- Staaten ihre interregionale Produktionsverflechtung weiter forcieren. Genannt sei hier das Visegrad- Abkommen. Der Zusammenbruch des RGW- Marktes ging vielfach mit einem Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen einher, die jetzt auf einer neuen Grundlage revitalisiert werden müssen.
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