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4.1 Produktion und Beschäftigung

Für die Einschätzung der Gesamtwirkungen der Annahmen im Kostensenkungsszenario auf Produktion und Beschäftigung im Vergleich zu einer Situation im Jahre 2010 im Referenzszenario werden zunächst die Ergebnisse des capital-vintage-Modells betrachtet. Dabei geht es vor allem um die Bestimmung des Wachstumspfades des Unternehmensbereichs ohne Wohnungsvermietung, der für die Berechnungen im capital-vintage-Modell eine exogene Größe darstellt. Umgekehrt liefert das capital-vintage-Modell mit der Entwicklung der inländischen Investitionsgüternachfrage und der Produktivität aber auch wesentliche Komponenten zur Abschätzung des Potentialpfades insgesamt.

Auf der Grundlage der qualitativen Bewertung der Wachstumsimpulse im Kapitel 3 und unter Berücksichtigung der interdependenten Beziehungen zwischen Investitionen und gesamtwirtschaftlicher Nachfrage sowie zwischen Investitionen und Produktivität ist hier der Wachstumspfad für den Unternehmensbereich ohne Wohnungsvermietung quantifiziert worden. Dabei geht es vor allem um die Einschätzung der Wirkungen einer Kostensenkungsstrategie auf den privaten Verbrauch und den Außenhandel.

Mit der im Kostensenkungsszenario angenommenen Entwicklung der Tariflöhne und Lohnnebenkosten ist über die Gesamtdauer des Prognosezeitraums mit einer Abnahme der Lohnstückkosten zu rechnen. Sie werden im Durchschnitt in Westdeutschland um mehr als 1 Prozent und in Ostdeutschland um rund 2 Prozent jährlich zurückgehen. Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Ausland kann sich allerdings nur temporär in gleichem Ausmaß verbes-

[Seite der Druckausgabe: 27]

sern. Aufgrund der Signalwirkung der deutschen Lohnpolitik innerhalb der EU wird es auch dort zu zurückhaltenden Lohnabschlüssen kommen, wodurch der Kostenvorsprung zu den wichtigsten Handelspartnern wieder schmilzt.

Darüber hinaus ist in Deutschland im Zusammenhang mit staatlichen Ausgabeneinschränkungen mit einer relativen Verschlechterung der qualitativen Standortbedingungen etwa in den Bereichen Infrastruktur und Bildung zu rechnen. Vorsprünge im Qualitätswettbewerb, insbesondere gegenüber den Schwellenländern und den Ländern Mittel- und Osteuropas sind längerfristig gefährdet. Insgesamt wird daher nur mit einer mäßigen Zunahme der Exporte bis zum Jahr 2010 um jährlich rund 3 Prozent gerechnet, während es im Referenzszenario 4 Prozent sind. Eher positiv wirkt sich die Kostensenkungsstrategie auf die Begrenzung der Importe aus. Zusammengenommen wird damit in realer Rechnung der Außenhandelsüberschuß kräftig zunehmen. Die außenwirtschaftlichen Impulse werden allerdings spürbar niedriger ausfallen als im Referenzszenario.

Die zunehmenden Produktionsimpulse des Außenhandels wirken positiv auf die Binnenwirtschaft. Begünstigt wird neben der Investitionsgüternachfrage insbesondere der private Verbrauch. Zudem werden auch in Folge von Privatisierungen Umschichtungen vom staatlichen zum privaten Verbrauch zu registrieren sein. Ebenfalls positiv wirken dürfte, daß angesichts geringerer Lohnnebenkosten die Tendenzen zur Schattenwirtschaft eingeschränkt werden. Diese Wachstumsimpulse werden allerdings durch eine schwache Entwicklung der Massenkaufkraft infolge der ungünstigen Entwicklung der verfügbaren Einkommen der privaten Haushalten weitgehend kompensiert werden. Insgesamt kann daher im Kostensenkungsszenario lediglich mit einem Zuwachs des privaten Verbrauchs von rund 2 Prozent jährlich gerechnet werden. Die Wachstumsrate liegt damit einen halben Prozentpunkt unter der des Referenzszenarios.

[Seite der Druckausgabe: 28]

Werden diese Einflüsse zusammengefaßt, so kann - ausgehend von dem geringen konjunkturellen Niveau von 1995 - damit gerechnet werden, daß die Bruttowertschöpfung der Unternehmen ohne Wohnungsvermietung im Kostensenkungsszenario um 2 Prozent jährlich zunimmt. Im Referenzszenario, bei dem auch positive Wirkungen staatlicher Aktivitäten und vermehrter Investitionen nachfragewirksam werden, liegt die Wachstumsrate dagegen bei fast 3 Prozent.

Geringere Lohnsteigerungen bewirken Veränderungen beim Faktoreinsatz ausschließlich bei neu investierten Anlagen. Eine Verminderung des Anstiegs der Kapitalintensität und damit der Arbeitsproduktivität erfolgt daher mit größerer zeitlicher Verzögerung. Dennoch ist bis zum Jahr 2010 damit zu rechnen, daß auf Grund des geringeren Reallohnanstiegs die potentielle Kapitalintensität in Westdeutschland mit 1,6 Prozent um fast einen halben Prozentpunkt geringer zunehmen wird als im Referenzszenario (2,0 Prozent). In etwa gleichem Umfang schwächt sich der Anstieg der Arbeitsproduktivität ab (Tabelle 5). Die Zahl der durch die Investitionstätigkeit geschaffenen Arbeitsplätze wird jedoch per Saldo niedriger ausfallen als im Referenzszenario, da angesichts des geringeren Nachfrageanstiegs die Investitionen schwächer expandieren werden.

In Ostdeutschland ist mit einer noch stärkeren Abschwächung beim Anstieg der Arbeitsproduktivität zu rechnen. Mußten die Unternehmen bisher von einer baldigen Anpassung der ostdeutschen Löhne ausgehen, so wird im Kostensenkungsszenario Ostdeutschland dauerhaft als Niedriglohnregion in den Investitionskalkulationen der Unternehmen einzustufen sein. Entsprechend wird auch die Arbeitsproduktivität im Kostensenkungsszenario im Verhältnis zum Referenzszenario sehr viel schwächer zunehmen. Die Wirkung auf die Beschäftigung ist per Saldo negativ. Die Spezialisierung auf wenig wertschöpfungsintensive Produkte, die bei niedrigen Löhnen mit geringer Arbeitsproduktivität erstellt werden, führt dazu, daß expansive zukunftsträchtige Märkte von dieser Region nicht in dem Maß, wie von Westdeutschland bedient werden können.

[Seite der Druckausgabe: 29]

Tabelle 5

Produktionspotential der Unternehmen 1)2)





2010


Dimension

1991

1995

Referenzszenario

Kostensenkungsszenario

Bruttoanlagevermögen

Mrd. DM

6 177

6 862

10 413

9 466

Kapitalproduktivität 3)

Tsd. DM

451

431

414

406

Produktionspotential

Mrd. DM

2 786

2 955

4 308

3 839

Bruttowertschöpfung

Mrd. DM

2 429

2 576

3 872

3 443

Auslastungsgrad

%

87

87

90

90

Kapitalintensität 4)

Tsd. DM

178

212

313

289

Arbeitsplatzproduktivität 5)

Tsd. DM

80

91

129

117

Arbeitsplätze

Mill. Pers.

34,8

32,4

33,3

32,7

Erwerbstätige

Mill. Pers.

29,1

27,6

30,0

29,5

Besetzungsgrad

%

84

85

90

90

Arbeitsproduktivität 6)

Tsd. DM

83

93

129

117



jahresdurchschnittliche Veränderungen zur Vorperiode in %

Bruttoanlagevermögen



2,7

2,8

2,2

Kapitalproduktivität


-

-1,2

-0,3

-0,4

Produktionspotential


-

1,5

2,5

1,8

Bruttowertschöpfung


-

1,5

2,8

2,0

Kapitalintensität


-

4,5

2,6

2,1

Arbeitsplatzproduktivität


-

3,3

2,4

1,7

Arbeitsplätze


-

-1,8

0,2

0,1

Erwerbstätige


-

-1,3

0,6

0,4

Arbeitsproduktivität


-

2,8

2,2

1,5

1) Ohne Wohnungsvermietung.- 2) Zu Preisen von 1995. -3) Produktionspotential je 1000 Einheiten des Bruttoanlagevermögens. - 4) Bruttoanlagevermögen je Arbeitsplatz

5) Produktionspotential je Arbeitsplatz. - 6) Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen.

Quellen: Statistisches Bundesamt; Potentialrechnung und Szenarienmodell des DIW.

Für Deutschland insgesamt wird der jahresdurchschnittliche Anstieg der potentiellen Arbeitsproduktivität unter den Bedingungen des Kostensenkungsszena-

[Seite der Druckausgabe: 30]

rios mit 1,7 Prozent zwar schwächer ausfallen als im Referenzszenario 2,3 Prozent), die Abschwächung wird allerdings nicht die Größenordnung des um 1,3 Prozentpunkte jahresdurchschnittlich verminderten Reallohnanstiegs erreichen. Dies liegt an den zeitlichen Verzögerungswirkungen, die vom Investitionsprozeß ausgehen. Diese tragen dazu bei, daß die Arbeitsplatzeffekte nicht ausreichen, um die beschäftigungsmindernden Wirkungen des schwächeren Wachstums im Kostensenkungsszenario zu kompensieren.

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4.2 Wachstum und Verteilung

Die in den Szenarien abgebildeten wirtschaftspolitischen Konzeptionen werden längerfristig in beiden Fällen zu einer deutlichen Wachstumsbeschleunigung beitragen (vgl. Tabelle 6). Im Referenzszenario wird für Deutschland insgesamt im Durchschnitt bis zum Jahr 2010 mit einer jährlichen Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts von fast 2,5 Prozent gerechnet. Im Kostensenkungsszenario fällt die Wachstumsdynamik spürbar niedriger aus. Mit durchschnittlichen Wachstumsraten von 1,7 Prozent ist das Wachstumstempo im Vergleich zu den 80er Jahren allerdings dennoch relativ hoch.

Bedingung für die Realisierung des Wachstumspfades im Kostensenkungsszenario sind einschneidende Veränderungen der Verhaltensweisen von Unternehmen und Haushalten. So müssen die Unternehmen die Lohnkostenentlastungen auch weitgehend in die Preisentwicklung weitergeben. Im Ergebnis müßte im Durchschnitt der Jahre 1995 bis 2010 das Preisniveau konstant bleiben (Tabelle 7). Gleichzeitig muß davon ausgegangen werden, daß die Haushalte dauerhaft ihre Konsumneigung erhöhen und die Sparquote von gegenwärtig 12 Prozent auf 9 Prozent sinkt.

Die Ursachen für das Zurückbleiben des Wachstumspfades im Kostensenkungsszenario gegenüber dem Referenzszenario liegen vor allem im geringen Niveau der Impulse der Staatsnachfrage und der Investitionsnachfrage der Unternehmen. Während im Referenzszenario der Staatsverbrauch und die staatlichen Investitionen noch um 1 bis 2 Prozentpunkte pro Jahr zulegen, blei-

[Seite der Druckausgabe: 31]

ben im Kostensenkungsszenario beide Größen nahezu konstant. Bei den Investitionen der Unternehmen ohne Wohnungsvermietung stehen Zuwächse von

Tabelle 6

Nachfrage und Produktion




2010


1991

1995

Referenzszenario

Kostensenkungsszenario


in Mrd. DM 1)

Privater Verbrauch

1 861

1 975

2 820

2 662

Staatsverbrauch

626

675

810

700

Anlageinvestitionen

717

751

1 105

941

Staat

84

87

121

87

Wohnungsbau

195

260

352

310

Unternehmen 2)

438

404

642

543

Lagerveränderungen

5

28

20

20

Außenbeitrag

55

29

162

139

Export

770

817

1 501

1 320

Import

716

788

1 339

1 181

Bruttoinlandsprodukt

3 264

3 457

4 917

4 462

Westdeutschland

2 965

3 077

4 166

3 869

Ostdeutschland

299

381

751

593


jahresdurchschnittliche Veränderungen zur Vorperiode in %

Privater Verbrauch


1,5

2,4

2,0

Staatsverbrauch

-

1,9

1,2

0,2

Anlageinvestitionen

-

1,2

2,6

1,5

Staat


0,9

2,2

0,0

Wohnungsbau

-

7,5

2,0

1,2

Unternehmen 2)

-

-2,0

3,2

2,0

Lagerveränderungen

-

-

-

-

Außenbeitrag

-

-

-

-

Export


1,5

4,1

3,3

Import

-

2,4

3,6

2,7

Bruttoinlandsprodukt

-

1,4

2,4

1,7

Westdeutschland


0,9

2,0

1,5

Ostdeutschland

-

6,2

4,6

3,0

1) Zu Preisen von 1995. -2) Ohne Wohnungsvermietung.

Quellen: Statistisches Bundesamt; Szenarienmodell des DIW.

[Seite der Druckausgabe: 32]

Tabelle 7

Preise und Löhne





2010


1991

1995

Referenzszenario

Kostensenkungsszenario


Preisindex 1995 = 100

Bruttoinlandsprodukt

87

100

137

102

Privater Verbrauch

88

100

133

102

Staatsverbrauch

89

100

140

103

Anlageinvestitionen

92

100

139

103

Ausfuhr

94

100

130

101

Einfuhr

102

100

122

101


jahresdurchschnittliche Veränderungen zur Vorperiode in %

Bruttoinlandsprodukt

-

3,5

2,1

0,2

Privater Verbrauch


3,2

1,9

0,1

Staatsverbrauch

-

3,0

2,3

0,2

Anlageinvestitionen

-

2,1

2,2

0,2

Ausfuhr

-

1,6

1,7

0,1

Einfuhr

-

-0,5

1,3

0,1

nachrichtlich:





Westdeutschland





Preisindex BIP

-

2,9

2,1

0,2

bereinigte Bruttolohnquote

-

-0,5

-0,3

-1,1

Lohnsatz 1)

-

3,8

3,4

0,2

Arbeitsproduktivität 2)

-

1,5

1,6

1,2

Lohnstückkosten

-

2,3

1,8

-1,1

Ostdeutschland





Preisindex BIP

-

9,7

2,3

0,1

bereinigte Bruttolohnquote

-

-6,2

-1,4

-1,9

Lohnsatz 1)

-

14,9

5,0

0,7

Arbeitsproduktivität 2)

-

10,0

4,4

2,9

Lohnstückkosten

-

2,1

0,8

-2,1

1) Bruttoarbeitseinkommen je Arbeitnehmer.- 2) Bruttoinlandsprodukt zu Preisen von 1995 je Erwerbstätigen

Quellen: Statistisches Bundesamt; Szenarienmodell des DIW

[Seite der Druckausgabe: 33]

fast 3,5 Prozent jährlich im Referenzszenario nur einem Wachstum von 2 Prozent im Kostensenkungsszenario gegenüber. Dämpfend auf die Investitionsnachfrage wirkt sich hierbei der mit der Lohnzurückhaltung abgemilderte Substitutionsprozeß von Arbeit durch Kapital aus.

Über den gesamten Prognosezeitraum hinweg betrachtet, sind die Maßnahmen zur Kostensenkung im Vergleich zur Situation im Referenzszenario mit starken Wohlstandseinbußen verbunden. Während das reale Bruttoinlandsprodukt je Einwohner im Referenzszenario von 38 DM 1995 auf mehr als 60 DM im Jahr 2010 steigt, wird im Kostensenkungsszenario lediglich ein Wert von knapp 55 TDM erreicht. Dies bedeutet, daß unter den Bedingungen des Kostensenkungsszenarios auf einen Wohlstandszuwachs verzichtet wird, der in der Größenordnung der Gesamtzuwächse in Westdeutschland während der 80er Jahre insgesamt liegt.

Die geringere Ausschöpfung des Wachstumsspielraumes wirkt sich negativ auf den Aufholprozeß Ostdeutschlands aus. Während nach den hier vorgenommenen Berechnungen in Ostdeutschland im Referenzszenario das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner von 25 TDM in 1995 auf 49 TDM im Jahr 2010 steigt, wird im Kostensenkungsszenario ein Wert von 40 TDM erreicht. Das ostdeutsche Wohlstandsniveau im Kostensenkungsszenario liegt damit im Jahr 2010 um mehr als 30 Prozent unter dem in Westdeutschland.

Aber nicht nur die regionalen Unterschiede werden im Kostensenkungsszenario höher bleiben. Es ist gleichzeitig damit zu rechnen, daß in diesem Szenario auch die Disparitäten in der funktionalen und personellen Einkommensverteilung zunehmen. So ist im Kostensenkungsszenario zu erwarten, daß der Anteil der Lohneinkommen am Bruttoinlandsprodukt weiter stark zurückgeht, obwohl die Bundesrepublik bereits heute im westeuropäischen Vergleich eine unterdurchschnittliche Lohnquote aufweist. Die Lohnquote würde nach den hier vorgenommenen Berechnungen von rund 61 Prozent 1995 auf nur noch 50 Prozent im Jahr 2010 sinken (vgl. Tabelle 8), was eine nochmalige Be-

[Seite der Druckausgabe: 34]

schleunigung des Umverteilungstempos gegenüber dem Zeitraum seit Anfang der achtziger Jahre bedeuten würde.

Tabelle 8

Einkommensverteilung




2010


1991

1995

Referenz-

Kosten-




szenario

senkungsszenario


Mrd. DM

Bruttosozialprodukt

2 882

3 445

6 845

4 541

Abschreibungen

362

453

987

657

Indirekte Steuern abzgl. Subventionen

261

364

940

630

Indirekte Steuern

358

447

1 029

675

Subventionen

98

83

89

45

Bruttolohneinkommen

1 612

1 876

3 481

2 010

Sozialbeiträge

491

608

1 071

602

Lohnsteuern

221

294

559

298

Nettoeinkommen

900

973

1 851

1 110

Bruttogewinneinkommen

648

752

1 437

1 244

nachrichtlich:





Indirekte Steuern in % des Privaten Verbrauchs

22,0

22,6

27,2

24,7

Subventionen in % des BIP 1)

4,4

3,1

1,6

1,2

Sozialbeiträge in % der Bruttolohneinkommen

30,5

32,4

30,8

29,9

Lohnsteuern in % der Bruttolohneinkommen

13,7

15,7

16,0

14,8

Gewinnsteuern u.a. in % der Gewinneinkommen

15,7

10,6

10,8

10,1

Bruttolohneinkommen2) in % des BIP

62,2

60,6

56,9

50,3

1) Nach Abzug des Staatsverbrauchs. -2) Bereinigt.
Quellen: Statistisches Bundesamt; Szenarienmodell des DIW

Hinzu kommen Kürzungen der Transferleistungen an die privaten Haushalte. Sie treffen vor allem Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose und Rentner. Entsprechend ist damit zu rechnen, daß im Kostensenkungsszenario große Bevölkerungsteile nicht nur auf reale Einkommenszuwächse verzichten müßten, sondern sogar spürbare Einkommensverluste erleiden.

[Seite der Druckausgabe: 35]

Im Referenzszenario wird ebenfalls mit einer weiterhin abnehmenden Lohnquote gerechnet. Allerdings wird sich die Dynamik dieses Rückgangs gegenüber der Vergangenheit deutlich abschwächen. Nach den vorliegenden Berechnungen wird unter den Bedingungen dieses Szenarios die Lohnquote im Jahr 2010 bei 57 Prozent liegen. Bei durchschnittlichen Reallohnzuwächsen von rund 1,5 Prozent wird dennoch die breite Arbeitnehmerschaft vom Wachstumsprozeß profitieren.

Auch im Referenzszenario wird mit Umstrukturierungsprozessen im Bereich der Sozialtransfers gerechnet, die vor allem im Zusammenhang mit der Verschiebung der Altersstruktur der Bevölkerung stehen. In der Summe werden diese Umstrukturierungen aber nicht zu einer Abkopplung der Sozialtransfers von der Nettolohnentwicklung führen. Von daher wird im Referenzszenario auch bei der personellen Einkommensverteilung mit deutlich geringeren Differenzen als im Kostensenkungsszenario zu rechnen sein.

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4.3 Staatstätigkeit

Annahmen zur Entwicklung der Staatstätigkeit schlagen sich deutlich in den Quantitäten der Staatseinnahmen und Ausgaben nieder und führen zusammen mit der Entwicklung der Wirtschaftstätigkeit beim Kostensenkungsszenario im Vergleich zum Referenzszenario zu unterschiedlichen Auswirkungen auf den Verschuldungsgrad des Staates (vgl. Tabelle 9).

Im Referenzszenario nimmt der Staat eine aktive Rolle bei der Modernisierung des Produktionsstandortes ein. Damit verbunden sind zusätzliche Ausgaben, sowohl beim Staatsverbrauch als auch bei den staatlichen Investitionen. Der Umfang der Bruttoinvestitionen wird gegenüber 1995 fast verdoppelt. Die Ausgabenzuwächse bei den Investitionen entfallen dabei ausschließlich auf Westdeutschland, während in Ostdeutschland die Investitionen auf hohem Niveau gehalten werden. Trotz der Mehrausgaben wird in Deutschland insgesamt unter den Bedingungen des Referenzszenarios der Anteil der Staatsausgaben am

[Seite der Druckausgabe: 36]

Bruttoinlandsprodukt von 45 Prozent 1995 auf rund 42 Prozent im Jahre 2010 leicht zurückgehen.

Der durch die staatlichen Aktivitäten mit in Gang gesetzte Wachstumsprozeß wird ohne zusätzliche steuerliche Maßnahmen zu steigenden Staatseinnahmen führen. Darüber hinaus wird im Referenzszenario von einer Erhöhung der

Tabelle 9

Entwicklung des Staatshaushalts 1)




2010


1991

1995

Referenz-

Kosten-




szenario

senkungs-





szenario


Mrd. DM

Einnahmen

1 164

1 408

2 814

1 700

Indirekte Steuern

358

447

1 029

675

Sozialbeiträge

491

586

1 072

602

Lohnsteuern

221

294

559

298

Gewinnsteuern u.ä.

94

81

154

125

Ausgaben

1 297

1 544

2 847

1 791

Bruttoinvestitionen

75

87

175

89

Staatliches Dienstleistungsangebot 2)

537

649

1 091

679

Sozialtransfers

429

557

1 118

754

Transfers zur Förderung unternehmeri-





scher Aktivitäten 3)

149

114

133

67

Transfers an die Übrige Welt

60

49

193

86

Zinszahlungen 4)

47

88

137

116

Finanzierungssaldo

-133

-136

-33

-89

nachrichtlich:





Staatseinnahmen in % des BIP

40,8

40,7

41,2

37,3

Staatsausgaben in % des BIP

45,4

44,7

41,7

39,3

Defizit in % des BIP

-4,8

-3,4

-0,6

-2,0

Nettoverschuldung 5) in % des BIP

38,9

48,2

37,3

64,4

1) Gebietskörperschaften und Sozialversicherung einschließlich Nebenhaushalte (THA, Bahn, ostd. Wohnungswirtschaft). -2) Staatsverbrauch abzüglich Abschreibungen. -3) Subventionen und Investitionszuschüsse. -4) Zinsausgaben abzüglich Vermögenseinkom-men. -5) Verbindlichkeiten abzüglich Forderungen.

Quellen: Statistisches Bundesamt; Szenarienmodell des DIW.

[Seite der Druckausgabe: 37]

indirekten Steuerbelastung ausgegangen. Längerfristig kann daher trotz höherer Staatsausgaben die jährliche Nettoneuverschuldung des Staates auf unter 40 Mrd. DM reduziert werden. Unter Berücksichtigung des Wachstumsprozesses wird eine Rückführung der Nettoneuverschuldung auf unter 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes möglich. In dessen Folge nimmt die relative Belastung der öffentlichen Haushalte durch Zinsausgaben spürbar ab.

Im Kostensenkungsszenario ist der Staat bemüht, durch Einsparungen auf allen Ebenen die Steuer- und Abgabenlast der Unternehmen und Haushalte zu reduzieren. Dies betrifft nahezu alle Ausgabenbereiche. Gegenüber 1995 nominal fast unverändert bleiben die Ausgaben zum Dienstleistungsangebot und zu den Investitionen. Die Subventionen gehen sogar deutlich zurück, im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt werden sie bis 2010 um knapp zwei Drittel gekürzt. Lediglich bei den Sozialtransfers sind aufgrund der weiter steigenden Zahl von Transferempfängern Mehrausgaben zu erwarten. In der Summe wird bis zum Jahr 2010 der Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt gegenüber 1995 um mehr als 5 Prozentpunkte auf 39 Prozent zurückgehen.

Gleichzeitig wird die Steuer- und Abgabenquote um knapp 3,5 Prozentpunkte gesenkt. Sowohl die Gewinnsteuerbelastung als auch der von den Unternehmen getragene Teil der Sozialabgaben werden verringert. Trotz erhöhter Sozialabgaben für die Arbeitnehmer werden die Sozialabgaben im Verhältnis zu den Bruttoarbeitseinkommen um 2,5 Prozentpunkte gegenüber 1995 gesenkt. Zur Kompensation werden die Arbeitnehmerhaushalte von Lohnsteuern entlastet. Die entsprechende Steuerquote wird innerhalb der nächsten 15 Jahre um gut 1 Prozentpunkt ermäßigt. Trotz einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um 2 Prozentpunkte gegenüber 1995, kann insgesamt der Finanzierungssaldo nur auf einen Fehlbedarf von rund 90 Mrd. DM zurückgeführt werden. Die jährliche Nettoneuverschuldung sinkt auf 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Von einer umfassenden Sanierung der Staatsfinanzen kann unter den Bedingungen des Kostensenkungsszenarios allerdings nicht gesprochen werden.

[Seite der Druckausgabe: 38]

Trotz großer Einsparbemühungen wird der Schuldenbestand stark zunehmen. Für den Nettoschuldenstand ist hier ein Anstieg von 48 Prozent des Bruttoinlandsproduktes 1995 auf 64 Prozent im Jahr 2010 errechnet worden. Die Bundesrepublik Deutschland würde damit auch auf lange Sicht ein wesentliches Konvergenzkriterium der Europäischen Währungsunion dauerhaft verfehlen. Der staatliche Handlungsspielraum würde durch eine weiter steigende Zinsbelastung zusätzlich eingeengt. Besonders prekär dürfte dabei die Schuldenproblematik bei den ostdeutschen Gebietskörperschaften sein, da dem Anwachsen des Schuldenbestandes keine entsprechenden Zuwächse in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gegenüberstehen.

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4.4 Erwerbstätigkeit und Arbeitsmarkt

Im zentralen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Problemfeld der Massenarbeitslosigkeit führt eine Kostensenkungsstrategie nicht zu den erhofften Verbesserungen (vgl. Tabelle 10) obwohl der Umfang der Erwerbstätigkeit bis zum Jahr 2010 spürbar zunehmen wird. Die Beschäftigungsimpulse im Kostensenkungsszenario gehen vom Unternehmensbereich aus und gleichen die Beschäftigungsverluste im staatlichen Bereich mehr als aus. Der wesentliche Teil der Beschäftigungssteigerungen im Unternehmenssektor ist dabei unmittelbar auf die mit dem geringeren Lohnanstieg verbundenen abgeschwächte Kapitalintensivierung der Produktion zurückzuführen. Sie führt zu einem deutlich geringeren Produktivitätszuwachs, der im Durchschnitt des Prognosezeitraumes und bezogen auf die Beschäftigtenstunde etwa 2 Prozent jährlich beträgt. Entsprechend nimmt die Beschäftigungswirksamkeit des Wachstums zu. Im Zeitraum 1995 bis 2010 wird mit einer Zunahme der Zahl der Erwerbstätigen um rund 1,6 Mio. Personen gerechnet.

Die Zunahme der Erwerbstätigenzahl schlägt sich aber nicht in Entlastungen am Arbeitsmarkt nieder. Ursache hierfür sind nicht Zuwanderungen von Erwerbspersonen aus dem Ausland. Im Kostensenkungsszenario ist hier sogar von einer Verlangsamung der Zuwanderungen im Vergleich zur ersten Hälfte

[Seite der Druckausgabe: 39]

der neunziger Jahre ausgegangen worden. Der Grund der Zunahme des Arbeitskräfteangebots liegt vielmehr in der Kostensenkungsstrategie selbst, die zu einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit insbesondere durch verkürzte Ausbildungs- und Studienzeiten und einem späteren Renteneintritt führt. Das Arbeitskräftepotential in Deutschland wird aufgrund dieser Maßnahmen bis zum Jahr 2010 um rund 1,7 Mio. Personen zunehmen.

Unter den Bedingungen des Kostensenkungsszenarios wird der Angebotsüberschuß am Arbeitsmarkt im Jahr 2010 mit 7 Mio. Personen ähnlich hoch sein wie 1995. Die Arbeitslosenquote der registrierten Erwerbslosen dürfte allerdings aufgrund von Verdrängungen in die Stille Reserve mit knapp 9 Prozent etwas niedriger liegen als heute. Solche Verdrängungseffekte sind vor allem in Ostdeutschland und hier insbesondere bei Frauen zu erwarten.

Tabelle 10

Beschäftigung und Arbeitsmarkt




2010


1991

1995

Referenzszenario

Kostensenkungsszenario


in 1000 Personen

Erwerbstätige im Inland

36 511

34 868

37 500

36 500

Pendlersaldo

-53

4

155

125

Erwerbstätige Inländer

36 564

34 864

37 345

36 375

Erwerbspersonenpotential

41 081

41 855

42 626

43 474

Angebotsüberschuß

4 517

6 991

5 281

7 099

Registrierte Arbeitslose

2 602

3 614

2 711

3 562

Stille Reserve

1 915

3 377

2 570

3 537

nachrichtlich:





Arbeitslosenquote in % 1)

6,6

9,4

6,8

8,9

Westdeutschland

5,5

9,0

6,2

8,4

Ostdeutschland

10,7

14,0

9,3

11,2

1) Registrierte Arbeitslose bezogen auf die registrierten Arbeitslosen und erwerbstätigen Inländer.

Quellen: Statistisches Bundesamt; Erwerbspersonenpotentialrechnung des IAB; Szenarienmodell des DIW.

[Seite der Druckausgabe: 40]

Auch im Referenzszenario wird man im Jahr 2010 voraussichtlich noch weit vom Ziel der Überwindung der Massenarbeitslosigkeit entfernt sein, wenngleich es zu spürbaren Entlastungseffekten am Arbeitsmarkt kommt. So dürfte die Zunahme der Erwerbstätigenzahl um rund 1 Mio. Personen höher sein als im Kostensenkungsszenario und somit gegenüber 1995 ein Zuwachs von 2,6 Mio. Personen zu registrieren sein.

Die Arbeitsmarktbilanz weist im Referenzszenario bis zum Jahr 2010 einen Rückgang des Angebotsüberschusses um fast 1,7 Mio. Personen gegenüber 1995 aus, obwohl hier mit höheren Zuwanderungen und Pendlerströmen aus dem Ausland gerechnet wird. Die Arbeitslosenquote der registrierten Erwerbslosen dürfte in Deutschland insgesamt auf unter 7 Prozent fallen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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