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TEILDOKUMENT:
III. Neue Herausforderungen: Die "Neuen Wirtschaftlichen Fragen" Seit der konservativen Wende bis heute, Mitte der 90er Jahre, haben sich die Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen, technologischen und gesellschaftlichen Entwicklung deutlich verändert. Wir stehen vor neuen ökonomischen, ökologischen, sozialen und internationalen Herausforderungen. Sie erzwingen neue Antworten: Industriepolitik kann heute dabei weniger denn je als Subventions- oder Branchenförderung begriffen werden. Eine moderne "strategische Wettbewerbspolitik" muß vielmehr zum Motor der Innovation werden.
1. Globalisierung der Märkte
Mit der Aufhebung des Ost-West-Systemgegensatzes haben sich nicht nur die außenpolitischen, sondern auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geändert. Die Globalisierung der Weltwirtschaft relativiert den bisher dominierenden tri-polaren Merkantilismus. Dieser Globalisierungstrend wird durch die neuen Möglichkeiten der Telekommunikation noch beschleunigt. Die modernen Informations- und Kommunikationsmittel machen heute das möglich, was der Sony-Chef Morita einmal die "globale Lokalisierung" genannt hat. Er meinte damit eine dezentrale Produktion bei zentraler Steuerung in quasi transnationalen Unternehmen. In Zukunft ist nicht mehr das Label "Made in Germany" ausschlaggebend, sondern das Label "Made by BMW, by Mercedes, by Bosch oder by Siemens" - egal wo die Produkte dieser Unternehmen auf der Welt hergestellt werden. Aus dem Kampf um Absatzmärkte wird also in der Zukunft mehr und mehr ein Kampf um Standorte. "Wir durchleben eine Transformation, aus der im kommenden Jahrhundert neue Formen von Politik und Wirtschaft hervorgehen. Es wird dann keine nationalen Produkte und Technologien, keine nationalen Wirtschaftsunternehmen, keine nationalen Industrien mehr geben. Es wird keine Volkswirtschaften mehr geben" [ Fn.6: Robert B. Reich: Die neue Weltwirtschaft. Das Ende der nationalen Ökonomie, Frankfurt 1993] . Die Weltwirtschaft befindet sich also in einem rasenden Globalisierungsprozeß und steuert auf eine quasi grenzenlose Weltwirtschaft zu [ Fn.7: Vgl. Kenichi Ohmae: The Borderless World. Power and Strategy in the Interlinked Economy, New York 1990] . Zugleich setzt eine [Seite der Druckausgabe: 11] Verlagerung des Schwerpunktes der Weltwirtschaft in den asiatisch-pazifischen Raum ein. Allein in Asien werden im Jahr 2000 50 % der Menschen leben und es wird dort dann 36 % des Weltsozialprodukts hergestellt. Wenn die Exporte des Exportweltmeisters Deutschland heute aber immer noch zu 71 % nach Europa, aber zu knapp 5 % nach Asien gehen, dann bedeutet das nicht weniger, als daß Deutschland von dem sich vollziehenden Wandel der Weltwirtschaft in exorbitanter Weise betroffen sein wird [ Fn.8: Vgl. Horst Afeldt: Wohlstand für niemand? Die Marktwirtschaft entläßt ihre Kinder, München 1994] . Zur Erschließung von neuen Märkten benötigt ein Unternehmen Kundennähe und Marktnähe. Die jeweiligen Besonderheiten müssen bekannt sein und berücksichtigt werden. Die Unternehmen müssen "local content"-Auflagen erfüllen und spezifische Vertriebs- und Servicekomplexe bedienen können. Aus diesen veränderten Marktbedingungen ziehen international operierende Unternehmen die Konsequenz, nicht nur den Vertrieb und den Einkauf, sondern auch die Produktion zu internationalisieren, und zwar
Begünstigt wird dies dadurch, daß auf dem gegebenen Technisierungsniveau und mit einer insgesamt verbesserten Grundqualifikation insbesondere in den asiatischen Ländern die Mobilität gerade auch von Produktionsstandorten zunimmt. Im Zuge dieser Entwicklung wird sich die heute bekannte internationale Arbeitsteilung geradezu dramatisch verändern, und zwar mit durchaus ambivalenten Tendenzen:
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globalisierten Weltwirtschaft erfordert ein ihr angemessenes Gestaltungsinstrumentarium. [ Fn.10: Vgl. Siegfried Katterle: Grenzen staatlichen Handelns in der Wirtschafts- und Strukturpolitik, a.a.O.] [Seite der Druckausgabe: 14]
John Maynard Keynes schrieb 1936: "Wenn aber die Nationen lernen können, sich durch ihre Inlandspolitik Vollbeschäftigung zu verschaffen, braucht es keine wichtigen wirtschaftlichen Kräfte zu geben, die bestimmt sind, das Interesse eines Landes demjenigen seiner Nachbarn entgegenzusetzen. Es würde immer noch Raum für internationale Arbeitsteilung und für internationale Anleihen zu geeigneten Bedingungen geben. Aber es gäbe keinen drückenden Beweggrund mehr, warum ein Land seine Waren einem anderen aufzwingen [...] sollte". [ Fn.12: John Maynard Keynes: Die allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, Frankfurt 1936] Die Rahmenbedingungen sind heute sicherlich durch die Globalisierungsprozesse wesentlich komplizierter, eine einfache Nachfragesteuerung durch eine klassische "Deficit-spending-Politik" wäre - zumindest als nationaler Alleingang - zum Scheitern verurteilt. Aber das von ihm thematisierte Problem einer internationalen Arbeitsteilung, welche in Kooperation statt über Konkurrenz verläuft, ist bis heute ungelöst.
2. Das Innovationsdilemma
Die Erfolgsstory der bundesrepublikanischen Wirtschaft ist in den letzten 40 Jahren maßgeblich von der hohen Qualität der Produkte und von ihren innovatorischen Fähigkeiten geprägt worden. Das gilt insbesondere für den Fahrzeugbau, den Maschinenbau, die Elektroindustrie und die Chemie. Schon an dieser Aufzählung wird deutlich: die Stellung der Bundesrepublik in der Weltwirtschaft beruht nicht auf natürlichen Ressourcen-Vorteilen, sondern auf dem Know how, den Ideen und der Qualifikation der Menschen sowie auf einem effizienten System, durch welches Innovationen angeregt, ausgelöst, stabilisiert und vermarktet werden können. Wir sind - in der Begrifflichkeit des Harvard-Ökonomen Michael E. Porter - also kein "Ricardo-", sondern ein klassischer [Seite der Druckausgabe: 15] "Schumpeter-Standort". [ Fn.13: Michael E. Porter: Nationale Wettbewerbsvorteile. Erfolgreich konkurrieren auf dem Weltmarkt, München 1991] Dies muß zum Ausgangspunkt einer modernen Industrie- und Forschungspolitik gemacht werden. Gerade weil dieses Feld der Innovationsfähigkeit der Industrie, der Volkswirtschaft und der Gesellschaft von derart zentraler Bedeutung ist, sollen hier zunächst markante Probleme benannt werden, denen in der Neuformulierung der Politik Rechnung getragen werden muß. Neben den Problemen des gesunkenen Stellenwerts der Forschungs- und Technologiepolitik ist eine nüchterne und kritische Bestandsaufnahme der Technologieposition der Bundesrepublik notwendig als Voraussetzung zur Formulierung einer Strategie, mit welcher Zukunftsperspektiven eröffnet werden sollen. Porter kommt im Vergleich der Wettbewerbspositionen der wichtigsten Industrieländer zu dem Ergebnis: "Kein Land der Welt, auch Japan nicht, weist eine derartige Breite und Tiefe an Branchen mit einer starken internationalen Stellung auf. Deutschland besitzt zwar keine marktbeherrschende Position in großen Branchen, aber eine starke Position in sehr, sehr vielen Branchen". [ Fn.14: Michael E. Porter: Nationale Wettbewerbsvorteile. Erfolgreich konkurrieren auf dem Weltmarkt, München 1991] Diese Bewertung korrespondiert mit dem technologischen Spezialisierungsmuster, das zur Besetzung eines breiten Spektrums an höherwertiger Technologie geführt hat. In der aktuellen industriepolitischen Diskussion wird in Abgrenzung hierzu vielfach die schwache Position der BRD auf dem Feld der Spitzentechnik, insbesondere den Bereichen Informationstechnik, Mikroelektronik, Bio- und Gentechnik in den Mittelpunkt gestellt. [ Fn.15: Vgl. Herbert A. Henzler, Lothar Späth: Sind die Deutschen noch zu retten? Von der Krise in den Aufbruch, München 1993] Es kristallisieren sich deutlich zwei unterschiedliche strategische Optionen heraus:
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Um diese Options-Alternativen bewerten zu können, müssen aber folgende Entwicklungstrends beachtet werden:
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Es bleibt als Resümee: Ohne grundlegende Innovationen wird weder eine ökologische Erneuerung der Industriegesellschaft noch eine Sicherung der ökonomischen, sozialen und ökologischen Standards realisierbar sein. Aber ein Erreichen dieser Ziele wird sich nicht im Selbstlauf einstellen. Es bedarf hier einer enormen Industrie- und technologiepolitischen Anstrengung, die technologisch Machbares und gesellschaftlich Wünschenswertes miteinander kombiniert.
3. Das Beschäftigungsdilemma
Die Unternehmen reagieren auf die oben skizzierten veränderten Umfeldbedingungen mit einer neuartigen Rationalisierungsoffensive. Sie zielt darauf, kurzfristig die in den letzten Jahren zu verzeichnenden Probleme auf der Ko- [Seite der Druckausgabe: 18] stenseite zu lösen und damit mittelfristig die Position der bundesdeutschen Industrie im weltweiten Konkurrenzkampf zu verbessern. Zielvorgabe hierfür ist im Grunde branchen- und betriebsgrößenübergreifend eine Kostensenkung von 30 % für die nächsten 2 bis 3 Jahre. Die zentralen Komponenten dieser Rationalisierung, welche von der Wissenschaft als "systematische" oder "ganzheitliche Rationalisierung" bezeichnet wird, sind:
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schung, Entwicklung, Logistik u.ä. vorhält, während die Produktion in den neuen mittel-osteuropäischen Marktwirtschaften angesiedelt wird. [Seite der Druckausgabe: 20]
zum Standard wurde, [ Fn.21: Vgl. Horst Kern, Michael Schumann: Das Ende der Arbeitsteilung? Rationalisie rung in der industriellen Produktion: Bestandsaufnahme, Trendbestimmung, München 1986] und seit Ende der 80er Jahre auch die Managementtheorie und -literatur dominiert, zeigt die betriebliche Realität immer noch ein erschreckendes Bild. Erst jetzt beginnen vor allem Unternehmen mit alten, kostenträchtigen Mega-Strukturen den Umbau: Schon heute sind bei diesen Unternehmen durchschlagende Erfolge zu erzielen. Insbesondere die Automobilhersteller Mercedes-Benz und VW scheinen in sehr kurzer Zeit ihre Kostenbelastung grundlegend verringert und die Produktivität stark erhöht zu haben. [ Fn.22: Vgl. Michael Schumann: Trendreport Rationalisierung, Frankfurt 1994] [Seite der Druckausgabe: 21] stungen befinden sich selbst in einer gravierenden Rationalisierungswelle und bauen Arbeitsplätze ab. Gleiches gilt auch für den gesamten öffentlichen Sektor, der zwar für die Mobilisierung von Zukunftsberufen z.B. im Pflege- oder Umweltbereich eine Schlüsselfunktion hat, diese aber angesichts der Finanzkrise kaum wahrnehmen kann. Außerdem setzt Dienstleistungskonsum ein entsprechend hohes Einkommen voraus. Das gilt sowohl für die Individuen wie auch für die Volkswirtschaft insgesamt. Fourastiés Hoffnung auf den Dienstleistungssektor und Daniel Bells Traum von der Dienstleistungsgesellschaft wird gerade auch durch die Beispiele aus den USA und Großbritannien nicht unterstützt: ein großer Teil der dort neu geschaffenen Arbeitsplätze sind minderqualifizierte Tätigkeiten in prekärer sozialer Stellung mit nur kurzer Dauer. Es entwickelt sich ein neues gesellschaftliches Problem, das der "working poor": Die Arbeit ist dort keine ausreichende Grundlage zur Finanzierung des Lebensunterhalts, weshalb die Menschen entweder in Mehrfachbeschäftigungen gezwungen werden oder abhängig von staatlichen Sozialtransfers bleiben. Die Folgewirkungen dieser ganzheitlichen Rationalisierung sind beträchtlich und erfordern eine Politik, die darauf abzielt, die betriebliche Rationalisierung mit einer Perspektive gesellschaftlichen Fortschritts zu verbinden. Eine Standortsicherung, die lediglich auf den Bereich der technischen Innovation sowie auf die Senkung der Faktorkosten abzielt, mag zwar dazu beitragen, die Konkurrenzposition der bundesdeutschen Industrie auf den Weltmärkten zu stabilisieren. Die hohe Arbeitslosigkeit verlangt aber zugleich eine aktive ökonomische und soziale Bewältigung des Strukturwandels. Bei über 20 Millionen Arbeitslosen in Europa muß die notwendige "marktwirtschaftliche Beschäfti-gungspolitik" [ Fn.23: Karl Schiller: Der schwierige Weg in die offene Gesellschaft. Kritische Anmer kungen zur deutschen Vereinigung, Berlin 1994] jetzt auch durch eine aktive staatliche Beschäftigungspolitik ergänzt werden, wenn das Problem der Massenarbeitslosigkeit nicht auch die demokratische Stabilität unserer Gesellschaften gefährden soll.
[Seite der Druckausgabe: 22]
4. Das Partizipationsdilemma
Die modernen Rationalisierungs-Konzepte erfordern ein hohes Maß an Mitwirkung und Beteiligung der Mitarbeiter an der Erreichung der Unternehmensziele. Das schließt insbesondere eine kontinuierliche Verbesserung der Produkte und der Produktionsprozesse ein. Traditionell waren aber die Beschäftigten gerade von solchen Fragestellungen abgekoppelt, es muß also die Beteiligungspraxis erst gelernt werden, sowohl von "oben" wie auch von "unten". Hier erschließt sich ein erheblicher Qualifizierungsbedarf vor allem im sozialen und kommunikativen Bereich. In der betrieblichen Praxis ist festzustellen, daß eine Übereinstimmung des einzelnen mit den Unternehmenszielen einfach vorausgesetzt wird. "Lean Production" [ Fn.24: James P. Womack, Daniel T. Jones und Daniel Roos: Die zweite Revolution in der Autoindustrie. Konsequenzen aus der weltweiten Studie aus dem Massachusetts Institute of Technology, Frankfurt/M. 1991] darf nicht einfach nur als "schlanke Produktion" übersetzt werden. Die japanischen Erfinder dieser neuen Produktionsweise bei Toyota verstehen darunter durchaus eine Kulturrevolution in der Produktion. Es sollen nämlich damit vier Dogmen gebrochen werden: Das Dogma der formalen Hierarchien, das Dogma der Top-down-Entscheidungen, das Dogma der horizontalen Zergliederung und das Dogma des Taylorismus. Im übertragenen Sinn stellt sich ein ähnliches Problem auf gesellschaftlicher Ebene: die Lösung der komplexen Zukunftsaufgaben (z.B. Verkehr, Energie, Infrastruktur, Ökologisierung) erfordert die Zustimmung und Beteiligung der Bevölkerung an Zieldefinition und Zielerreichung. Sowohl im Betrieb wie auch in der Gesellschaft kann eine bloß formale oder passive Beteiligung schon zu suboptimalen Ergebnissen führen (z.B. im Müll- und Entsorgungsbereich), eine aktive Gegnerschaft kann die Effizienz- und Innovationspotentiale vollends untergraben. Auch für die Rolle der Regionen liegt hier ein Schlüssel. Zwar steigt im Zuge der Globalisierung die relative Funktion von Regionen gegenüber den Nationalstaaten an; im Gegenzug zielen aber die betrieblichen Umstrukturierungsprogramme darauf, die Standortflexibilität zu erhöhen, die Bindungswirkung von Regionen nimmt dementsprechend ab. Regionale Entwicklung wird zur Aufgabe, die durch die regionalen Akteure erst noch gelöst werden muß. Die Realisierung der Innovationspotentiale kann offenkundig nur über eine zunehmende qualifizierte Partizipation erreicht werden. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000 |