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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausgabe: 9 / Fortsetzung] 2. Tourismusentwicklung - das Potential für einen Tourismus im ländlichen Raum Brandenburgs 2.1 Allgemeine Entwicklung Die derzeitige touristische Inwertsetzung Brandenburgs fällt in eine Zeit, die wesentliche Veränderungen in der Gesellschaft mit sich bringt, die gerade auch im Freizeitverhalten ihre Auswirkungen zeigen. Nahmen noch vor wenigen Jahren Arbeit, Beruf und beruflicher Erfolg als erstrebenswerte Ziele bei der deutschen Bevölkerung einen Spitzenplatz ein, gewinnen in jüngerer Zeit Werte wie Selbstverwirklichung, sinnvolle Freizeitgestaltung zunehmend an Gewicht. Abnehmende Arbeitszeiten und eine relativ gute finanzielle Lage weiter Teile der Bevölkerung tragen wesentlich dazu bei, daß Freizeitgestaltung der Deutschen liebste Beschäftigung geworden ist. Die Bereitschaft, für Urlaub und Freizeit viel Geld auszugeben, ist nach wie vor ungebrochen - Urlaub und Reisen haben einen derart hohen Prestigewert in unserer Gesellschaft erreicht, daß kaum jemand darauf verzichten kann und möchte. Auch in Zeiten wirtschaftlicher Rezession, steigender Arbeitslosigkeit und sinkender Reallöhne wird Verzicht erst in anderen Konsumbereichen geübt - der Kauf eines neuen Autos wird hinausgeschoben, an den Bekleidungs- und Haushaltsausgaben werden Einsparungen vorgenommen. Zwar verzeichnet die Branche für 1993 einen langsameren Anstieg der Umsätze als noch in den Jahren zuvor; von einem wirklichen Einbruch kann jedoch keine Rede sein. Es werden höchstens andere Destinationen bevorzugt als in früheren Jahren (Einsparungen können z.B. bei Pkw-Touristen durch kürzere Entfernungen zum Urlaubsort vorgenommen werden, was gleichzeitig wieder einen Zeitgewinn bedeutet), der Trend zur kürzeren Reise setzt sich fort, die durchschnittlichen Ausgaben pro Tourist werden sinken, was sich besonders bei den Anbietern in den Zielgebieten bemerkbar machen wird. Der Trend zum Urlaub im eigenen Land setzt sich fort, nicht nur als Folge von Sparmaßnahmen oder kürzeren Reisezeiten. Meldungen von Anschlägen auf Touristen im Ausland rufen ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis hervor, das man am besten im eigenen Lande gewährleistet sieht. Ein weiterer Grund ist das gestiegene Umweltbewußtsein bei Urlaubern, was seit einigen Jahren u.a. durch die Reiseanalyse des Studienkreises für Tourismus dokumentiert wird. So haben 1991 über 54% aller Urlauber Umweltprobleme an ihrem Ur- [Seite der Druckausgabe: 10] laubsort bemerkt. Da Deutschland bei der eigenen Bevölkerung noch immer das Image des besonders sauberen Landes mit einer relativ guten Umweltsituation - verglichen mit anderen traditionellen Urlaubsländern - genießt, macht man wieder öfter Urlaub im eigenen Land. Hier liegen Probleme und Chancen für Brandenburg zugleich: Bezieht sich das Image vom sauberen Deutschland noch eher auf die alten Bundesländer, gilt vielen die ehemalige DDR noch als ein Land besonders hoher Umweltbelastungen. Zurückzuführen ist dies im wesentlichen auf einen überhöhten, ineffizienten Energieverbrauch, eine ungünstige Primärenergieträger-Struktur , veraltete Technologien und unzureichende Luftreinhalteanlagen. Gerade in den Wintermonaten wird dies durch die Verheizung von Braunkohle besonders offensichtlich, qualmende Braunkohlekraftwerke, häufig am Rande von Naturschutzgebieten oder am Biosphärenreservat (Spreewald) gelegen, lassen die Problematik offenkundig werden. Andererseits gibt es noch viele weitgehend naturbelassene Areale, die dem Wunsch nach Urlaub in einer sauberen Umwelt entgegenkommen. Schwer wiegt in der derzeitigen Phase des Aufbaus neuer Tourismusstrukturen auch das gestiegene Anspruchsdenken der Urlauber, das durch die allgemein schlechtere wirtschaftliche Situation noch verstärkt wird: Man will "etwas haben für sein Geld", ist nicht bereit, ein qualitativ schwächeres Angebot bei insgesamt hohen Preisen in Kauf zu nehmen. Dies erfordert schnelle Investitionen gerade im Hotellerie- und Gastronomiebereich, will man nicht riskieren, daß neu geworbene und selbst traditionelle Gäste nicht wieder kommen, weil sie in anderen (traditionellen) Urlaubsgebieten eine insgesamt bessere Infrastruktur vorfinden. Von großer Bedeutung ist die gute Erreichbarkeit der Feriengebiete, und zwar sowohl mit der Eisenbahn als auch mit dem Pkw. Ein Urlauber aus Süddeutschland benötigt mit dem Pkw acht bis 10 Stunden, bis er sein Ferienziel Brandenburg erreicht hat, unter ungünstigen Ferien- Verkehrsverhältnissen kann dies noch weit länger dauern. Traditionelle und vergleichbare Feriengebiete in Bayern, Österreich, der Schweiz liegen quasi vor der Haustüre und sind aufgrund der besser ausgebauten Verkehrswege selbst für Bewohner aus dem Ruhrgebiet besser erreichbar. Die Erreichbarkeit mit der Eisenbahn ist, wenn überhaupt gewährleistet, nicht viel besser: Auch hier muß in der Regel ein ganzer Tag für die An- und Abreise eingeplant werden, wenn die Gäste aus anderen Bundesländern oder dem benachbarten Ausland - von Polen einmal abgesehen - anreisen wollen, umständliches Umsteigen muß i.d.R. in Kauf genommen werden. Hier wird von entscheidender Bedeutung sein, wie schnell der Ausbau der Fernstraßen in den nächsten Jahren erfolgt, ob sich hier neue Zielgruppen bzw. Urlauber aus neuen Sendegebieten gewinnen lassen. Eine Erscheinung, die dem Angebot an Ruhe, Erholung in stiller, unberührter Natur etc. entgegenwirkt und deshalb für eine touristische Entwicklung in Brandenburg eher kon- [Seite der Druckausgabe: 11] traproduktiv ist, wird häufig mit dem sogenannten "Mallorca-Syndrom" beschrieben (vgl. Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung 1992): Viele Urlauber genießen es geradezu, in der Masse Gleichgesinnter unterzutauchen, Rastlosigkeit und hektischer Freizeitkonsum werden nicht als störend, sondern eher als wohltuend empfunden, allzu große Ruhe und Einsamkeit verunsichern eher. Dies hat den verstärkten Wunsch nach künstlichen Freizeit- und Ferienwelten zur Folge, die ein Rundumangebot an Unterhaltung inmitten vieler Gleichgesinnter zur Folge haben - Center-Parcs und Ferienclubs haben hohe Auslastungsquoten und erfreuen sich nach wie vor steigender Beliebtheit. Man wird an derartigen Entwicklungen auch in Brandenburg nicht vollkommen vorbeihandeln können; es gilt, nach umweltverträglichen Lösungen zu suchen bzw. nach Kompromissen zwischen ökonomischer Notwendigkeit und ökologischer Rationalität.
2.2 Die Situation in der Landwirtschaft Brandenburgs
Die Struktur- und Organisationsformen landwirtschaftlicher Produktion in der ehemaligen DDR waren das Ergebnis langjährig wirkender politischer Vorgaben und Regelmechanismen der Planwirtschaft. Bei einer Ausgangssituation von schlechten bis sehr schlechten Böden (80% der Böden zeigen Wertezahlen zwischen 26 und 40, 10,5% weisen nur Werte bis 25 auf, wobei in manchen Regionen noch nicht einmal der Wert 20 erreicht wird; nur 9,3% aller agrarischen Nutzflächen erreichen Bodenwertezahlen zwischen 41 und 59, bessere Böden gibt es überhaupt nicht) führte dies für Brandenburg * zu 1.092 sozialistischen Landwirtschaftsbetrieben, deren Größe und Einbindung in ein gesamtgesellschaftliches Kommandosystem innerbetriebliche hierarchische Leistungsstrukturen mit einem überdimensionierten Kontroll- und Berichtsapparat erforderten und eine Anonymisierung und Demotivierung der Arbeitskräfte bewirkten; * zur durchgehenden betriebsorganisatorischen Trennung von Tier- und Pflanzenproduktion mit der Konsequenz erheblicher Kostensteigerungen und großer ökologischer Nachteile; * zu Produktionsstrukturen und Intensitätsgraden, die im Widerspruch zu den natürlichen Produktionsbedingungen sowie zu den Erfordernissen des Schutzes und der Erhaltung der natürlichen Ressourcen standen; [Seite der Druckausgabe: 12] * zu ca. 180.000 in der Landwirtschaft Beschäftigten (12,6 Personen/100 ha LF*) Ende 1989), woraus in Verbindung mit einem im Vergleich zu den alten Bundesländern niedrigeren Ertragsniveau eine geringe Arbeitsproduktivität resultierte. (Ministerium für Landwirtschaft und Forsten des Landes Brandenburg, 1992). Im Dezember 1991 waren es dagegen nur noch ca. 62.000 Personen (4,9 Personen/100 ha LF, weniger als in den Alten Bundesländern); im April 92 war die Zahl bereits auf 44.500 gesunken, ein weiterer Rückgang wird angenommen. In weiten Bereichen Brandenburgs ist die Landwirtschaft nach wie vor die dominierende Wirtschaftskraft. In 16 der derzeitigen 38 Landkreise arbeiteten vor der Wende mehr als 25% aller Beschäftigten in der Landwirtschaft, so daß besonders in diesen, aber auch in anderen Landkreisen, die landwirtschaftlichen Betriebe nach wie vor eine Rolle als Arbeitgeber und Träger sozialer Leistungen spielen. Da sich die Landwirtschaft in den neuen Bundesländern den gleichen Problemen gegenübersieht wie die in den alten Bundesländern (Überproduktion, Preisverfall, immer stärkerer Mechanisierungsgrad etc.), muß nach neuen Erwerbs- und Einkommensmöglichkeiten gesucht werden. Diese bietet u.a. der Tourismus, vor allem in Form von Nebenerwerb (Ferien auf dem Bauernhof, Direktvermarktung, Kooperationen mit Restaurants und Hotels). Allerdings sind dazu nicht unerhebliche Investitionen erforderlich (vergl. unten). Große Teile Brandenburgs sind als Umland der Bundeshauptstadt Berlin anzusehen. Dies bedeutet einerseits zwar eine äußerst günstige Lage in Hinblick auf potentielle Urlauber. Dies bedeutet aber andererseits auch gleichzeitig hohe qualitative Anforderungen an das touristische Angebot, noch verstärkt durch die Tatsache, daß die alten Bundesländer bereits über ein hochwertiges und renommiertes Angebot "Ferien auf dem Bauernhof verfügen". Im Hinblick auf die angestrebte Verknüpfung von Landwirtschaft und Tourismus müssen folgende Aspekte berücksichtigt werden: * die großflächige Nutzung durch die LPGs führten in weiten Teilen des Landes zu einer Monotonisierung des Landschaftsbildes; dies war jedoch, im Unterschied zu den anderen Ländern in der ehemaligen DDR, durch Großgrundbesitzstrukturen vorgegeben, die sich bereits seit dem 18. und 19. Jahrhundert entwickelt hatten. * aufgrund der Betriebsgrößen einerseits, aber auch der betriebsorganisatorischen Trennung konnten sich keine Bauernhöfe im klassischen Sinne entwickeln; diese sind nur in wenigen Regionen des Landes (z.B. im Spreewald) zu finden. Für ein touristisches An- *)LF = Landnutzungsfläche [Seite der Druckausgabe: 13] gebot "Ferien auf dem Bauernhof" hat dies die Konsequenz, daß sich "Bauernhöfe" in größerer Zahl erst wieder entwickeln müssen; * dies wird erschwert durch die Tatsache, daß aufgrund der Betriebsstrukturen und Betriebsorganisation Spezialberufe in der Landwirtschaft mit einem zwar hohem Spezialisierungsgrad entstanden. Der "Bauer" mit breit angelegten Universalkenntnissen konnte sich jedoch im Landwirtschaftssystem der ehemaligen DDR nur in relativ wenigen Gebieten entwickeln. Das heißt, große Teile der bäuerlichen Bevölkerung sind gar nicht in der Lage, schnell und ohne Hilfe bäuerliche Strukturen aufzubauen und damit z.B. die notwendigen Voraussetzungen für "Ferien auf dem Bauernhof" erst einmal zu schaffen und dann anzubieten. Dörfliche Strukturen sind in der Regel nur in der Anlage der Dörfer (z.B. gibt es noch viele gut erhaltene Waldhufen- und Angerdörfer) erhalten geblieben und bieten ein reizvolles Potential für ein Angebot "Tourismus im ländlichen Raum". Die Bausubstanz ist jedoch häufig stark vernachlässigt und bedarf der dringenden Renovierung, die Großbetriebe der Vergangenheit haben die dörflichen Sozialstrukturen sehr stark überformt und geprägt.
2.3 Die Bedeutung der Landwirtschaft für den Fremdenverkehr.
Insgesamt sind also die Voraussetzungen für eine Integration des Fremdenverkehrs in die derzeit vorhandenen landwirtschaftlichen Strukturen - und umgekehrt - nicht besonders günstig, im Hinblick auf potentielle touristische Angebote wie "Ferien auf dem Bauernhof" sogar ausgesprochen schlecht. In der Landesfremdenverkehrskonzeption wurden diese Probleme klar erkannt. Die Landwirtschaft muß demnach im Tourismus neue Aufgabenfelder besetzen, und zwar zum einen in der Neu- und Umgestaltung bzw. der Erhaltung des regional typischen Landschaftsbildes, zum anderen aber auch als "Zulieferer", z.B. durch landestypische, qualitativ hochwertige Agrarprodukte, die direkt vermarktet oder über den Handel an Touristen verkauft werden und einen hohen Identifikationswert mit der jeweiligen Region besitzen (Spreewaldgurken, Obst aus dem Havelland, Lammfleisch von Heidehöfen etc.) Die touristische Attraktivität der Kulturlandschaft ist in hohem Maße von einer funktionierenden, nicht mono-, sondern vielseitig strukturierten Landwirtschaft abhängig. Wird die Landschaft nicht gepflegt (Beweidung, Mahd, Ackerbau), kommt es zu Verstrauchung, Verbuschung, evtl. zur Entwicklung eines Sekundärwaldes, was zu schwerwiegenden Veränderungen nicht nur des Landschaftsbildes, sondern auch des gesamten ökologischen Gefüges führen kann. Beispiele gibt es genug aus den alten Bundesländern. Hier sei nur die [Seite der Druckausgabe: 14] Hohe Rhön genannt, wo aufgrund der Mechanisierung der Landwirtschaft und der sinkenden Rentabilität von Grenzertragsböden die Bauern die Bewirtschaftung bzw. Beweidung der Hochflächen aufgegeben hatten. Teilweise waren auch Forderungen des Naturschutzes nach Rückbau der Bewirtschaftung und die Unterschutzstellung der Hohen Rhön dafür verantwortlich. Rasch kam es zu besagter Verbuschung und Verstrauchung, so daß landschaftspflegerische Maßnahmen (einjährige Mahd, Schafbeweidung) gegen entsprechende Bezahlung der Landwirtschaft unerläßlich wurden, um den typischen Landschaftscharakter -baumlose Heideflächen mit fleckenhaften Wäldchen und Wäldern - wiederherzustellen und zu erhalten. Die Landwirtschaft setzt dabei auf das "Konzept einer standortgerechten agrarwirtschaftlichen Nutzung des ländlichen Raumes". Es beinhaltet die an die standortspezifischen Gegebenheiten angepaßte agrarwirtschaftliche Nutzung einer Region, um ökologisch und ökonomisch stabile Systeme zu schaffen. Unter Standortfaktoren sind dabei in erster Linie die natürlichen Bedingungen (Boden, Wasser, Höhe und Verteilung der Niederschläge), aber auch die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen (Preis-Kosten-Verhältnisse, Einkommen), die speziellen Betriebsverhältnisse (Ausstattung mit den Produktionsfaktoren Boden, Kapital und Arbeit) und die soziokulturellen Bedingungen (z.B. Bedürfnisse, Gewohnheiten, Tabus) zu verstehen. Dieses Konzept einer standortgerechten Landnutzung schließt ausdrücklich auch die Überführung von landwirtschaftlich genutzten Flächen in den Bestand von Landschafts- und Naturschutzgebieten ein. Betont wird jedoch auch, daß eine derartige standortgerechte Nutzung beim derzeitigen marktwirtschaftlichen Wettbewerb den Bauern kein ausreichendes Einkommen gewähren kann. Dies gilt in besonderem Maße auch für Bauernhöfe, die schon zu DDR-Zeiten traditionell bewirtschaftet wurden und seit der Wende empfindliche Einkommenseinbußen zu verzeichnen haben. BRONK (1992) hat als Beispielsbetrieb einen Bauernhof aus Lehde/Spreewald vorgestellt. Die Zahlen zeigen lediglich die Einkommensverluste seit der Wende, der Zuwachs seit 1991, der möglicherweise durch touristischen Nebenerwerb erwirtschaftet wurde, ist hierbei nicht angeführt. Ein derartiger Nebenerwerb war aber auch zu DDR-Zeiten bereits vorhanden. [Seite der Druckausgabe: 15]
Die aktuelle soziale Lage in der Landwirtschaft ist wie folgt gekennzeichnet: Die Zahl der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft ist seit der Wende dramatisch zurückgegangen, die für Ende 1992 geschätzte Zahl (aktueller Stand nicht zu ermitteln) lag bei 39.200. Bis April 1992 bedeutete dies einen Rückgang in der Landwirtschaft Brandenburgs auf 24,8% des Niveaus von Ende 1989. Der Anteil der Frauen verringerte sich gar auf 21,9%, d.h. Frauen sind von diesem Stellenabbauprozeß besonders betroffen. Die Arbeitslosenzahl hat sich ständig erhöht und lag im April 1992 bei 22.300 (25%), die Zahl der Kurzarbeiter bei ca. 10.000 (11%), die der ABM-Beschäftigten bei 11.000 (12,5%). Für die aus der Landwirtschaft ausgeschiedenen Erwerbstätigen gibt es im ländlichen Raum derzeit nahezu keine alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten. Besonders hart betroffen sind Langzeitarbeitslose. Viele sind mittlerweile Arbeitslosenhilfe- oder Sozialhilfeempfänger geworden. Das Lohnniveau bei den Beschäftigten in der Landwirtschaft wird insgesamt 1992 vom Landwirtschaftsministerium im Vergleich zu anderen Wirtschaftssektoren als niedrig angegeben. Erschwerend zur geschilderten Lage kommt hinzu, daß mit dem Strukturwandel eine bisher nicht gekannte soziale Differenzierung der Dorfbevölkerung einhergegangen ist, die zu erheblichen Spannungen führte. Insgesamt muß die Lage im ländlichen Raum Brandenburgs allgemein und in der bäuerlichen Bevölkerung im Besonderen als schlecht bis katastrophal bezeichnet werden, Perspektiven sind derzeit kaum zu erkennen. Als einziger Ausweg erscheint vielen der Tourismus, der durch Landschaftspflegemaßnahmen und Nebenerwerb zumindest eine gewisse Alternative bietet.
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2.4 Großschutzgebiete - Erholung und Naturerlebnis in sensiblen Räumen
Nach Vorgaben der Fremdenverkehrskonzeption der Landesregierung können die touristischen Potentiale des Landes Brandenburg nur dann nachhaltig entwickelt werden, wenn konkurrierende Nutzungsansprüche erkannt und möglicherweise räumlich getrennt werden. Eine besondere Rolle für einen naturbezogenen und naturverträglichen Tourismus spielen dabei die Großschutzgebiete des Landes, ist doch gemäß Brandenburgischem Naturschutzgesetz die Erholung im Rahmen der Landschaftspflege gesetzlicher Auftrag. Die Rahmenbedingungen für den Teilaspekt Erholung werden dabei auf Landesebene im Landschaftsprogramm und für die Kreise, die Großschutzgebiete sowie für die Braunkohlentagebaugebiete im Landschaftsrahmenplan festgelegt. Ziel der Planungen ist dabei u.a., die Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft für die Erholung der Bevölkerung zu bewahren und als Grundlage für einen langfristig orientierten umweltschonenden Tourismus zu schützen oder wieder zu entwickeln. Der Landschaftsrahmenplan sieht für den Bereich Erholung in den (Groß-) Schutzgebieten eine Landschaftsbewertung unter Aspekten der Erlebniswirksamkeit und anderer Erholungseignungen, Abgrenzungen und eine funktionale Zonierung von Erholungsgebieten vor. Nach der Konzeption kann - unter Berücksichtigung der Schutzverordnungen - z.B. geprüft werden, ob ein Naturschutzgebiet in begrenztem Umfang in bestimmten Bereichen, aber außerhalb der Kernzone, für "die stille, naturnahe Erholung erlebbar bleiben kann (z.B. durch geführte Exkursionen, Gebote, die Wege nicht zu verlassen etc.)". Auf dem Gebiet der Neuen Bundesländer sind insgesamt 5 Nationalparks, 3 Naturparks und 6 Biosphärenreservate zu finden, die aus insgesamt 35 geplanten Schutzgebieten des ehemaligen DDR-Nationalparkprogramms ausgewählt und mit Ministerratsbeschluß vom 12. Sept. 1990 endgültig unter Schutz gestellt wurden. Es sind diese die Nationalparks Vorpommersche Bottenlandschaft, Jasmund, Müritz-Nationalpark, Hochharz, Sächsische Schweiz, die Naturparks Schaalsee, Drömling, Märkische Schweiz und die Biospärenreservate Südost-Rügen, Schorfheide-Chorin, Spreewald, Mittlere Elbe, Rhön und Vessatal. Das "Brandenburgische Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege" ist am 30. Juni 1992 in Kraft getreten. Der Grundgedanke ist dabei, Naturschutz durch naturverträgliche Nutzung auf großer Fläche, eben in den Großschutzgebieten zu erreichen. Dies bezieht den wirtschaftenden Menschen ausdrücklich ein, wie M.PLATZECK, Umweltminister des Landes Brandenburg, betont: Nicht Ausgrenzung und Interessenkonflikt, sondern Miteinander von Mensch und Natur zum gegenseitigen Nutzen, sei Zielsetzung. Die Großschutzgebiete Brandenburgs zählen zu den dünnstbesiedelten Landschaften Deutschlands, aber auch zu den infrastrukturell sehr mangelhaft ausgestatteten. Für ge- [Seite der Druckausgabe: 17] werbliche Investitionen sind die Voraussetzungen schlecht, so daß der touristischen Erschließung der Großschutzgebiete große Bedeutung zukommt. Nach Überzeugung des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung des Landes Brandenburg können diese "Ruhe- und Erholungslandschaften" einen großen Teil ihrer Einwohner durch umweltverträglichen Tourismus ernähren. Es wurde jedoch auch erkannt, daß dazu die entsprechende Infrastruktur erst aufgebaut werden muß. Die brandenburgische Landesanstalt für Großschutzgebiete unterstützt, zusammen mit dem Umweltministerium, Initiativen für Radwege und Wanderwege, Pilotprojekte für umweltgerechte Ausstattung von Campingplätzen, Schaffung von touristischen Informations- und Leitzentren (wie Blumberger Mühle, Schorfheide Museum, Infozentrum Burg), die Förderung von umweltverträglichen Pensionen und Familienhotels. Besondere Aufmerksamkeit wird Konzepten zur Lenkung des Berliner Tages-Ausflugstourismus geschenkt. Ende 1992 wurden von der Landesanstalt vier Naturparke, drei davon im Aufbau, (Märkische Schweiz mit 205 km2, Brandenburgische Elbtalaue mit 617 km2, Lychen-Feldberger Seenlandschaft mit 759 km2, Niederlausitzer Heidelandschaft mit 483 km2), ein Nationalpark im Aufbau (unteres Odertal mit 227 km) und zwei Biosphärenreservate (Schorfheide-Chorin mit 1292 km2, Spreewald mit 47 km2) betreut, und zwar von 95 Mitarbeitern und ca. 225 ABM-Kräften (Stand Stellenplan 01.01.93). Für Landschaftspflegeverträge und Ertragsausfälle sind dabei für Landwirte 1992 ca. 4,5 Mio. DM bei 11.600 ha Bezugsfläche vorgesehen. Für neue Naturparks liegen Anträge auf Bekanntmachung vor bzw. sie befinden sich im Antragsstadium: Naturpark Dahmehavel, Naturpark Schlaubetal und Gubener Heidegebiete. In der Region Eisenhüttenstadt wurde im Januar 1991 der Kommunale Zweckverband "Naturschutzpark Oder/Neiße" (vergl. 4.2) gegründet. Die Oder-Neiße Region wurde zum Modellprojekt für die Landschaftsrahmenplanung erklärt, findet jedoch zum Bedauern des Kreises Eisenhüttenstadt keine Berücksichtigung in der Fremdenverkehrskonzeption der Landesregierung. Ähnlich verhält es sich mit dem Naturpark Schlaubetal und Gubener Heidegebiete, die ebenfalls keine Erwähnung in der Landesfremdenverkehrskonzeption finden. Um die gegensätzlichen Forderungen von Naturschutz und Tourismus auf einen Nenner zu bringen, sind nach Ansicht der Landesanstalt für Großschutzgebiete folgende Maßnahmen erforderlich: 1. Der Umfang des ökologisch vertretbaren Tourismus hat sich an der Kapazität der Landschaft auszurichten. - Das Problem bei derartigen Forderungen ist, daß es kaum Grundlagenuntersuchungen über die ökologische Verträglichkeit von Landschaften und Tourismus gibt: Ökologische Belastung ist also kaum quantifizierbar. So werden sich bei der Diskussion derartiger Forderungen immer gegensätzliche Größenordnungen als Grenzwerte der ökologischen Verträglich [Seite der Druckausgabe: 18] keit gegenüberstehen, die, abhängig von der jeweiligen Intention, hohe oder niedrige Kapazitätsgrenzen anführen. 2. Schutzgebiete sind so groß wie möglich auszuweisen und unter einem einheitlichen Namen zu führen. Dem steht u.a. die Forderung des Landratsamtes Eisenhüttenstadt gegenüber. Gewerbeansiedlungen nur an der Peripherie der Schutzgebiete zuzulassen. Dies vernachlässigt jedoch, wenn Schutzgebiete entsprechend groß ausgewiesen werden, möglicherweise die Interessen der dort lebenden Bevölkerung. 3. Schutzgebiete sind zu zonieren. Die touristische Nutzung hat sich an den Pflege- und Entwicklungsplänen des Naturschutzes auszurichten. Als Richtlinie kann hier z.B. die Einteilung der Biosphärenreservate (vgl. 4. 1) dienen, die i.d.R. drei Schutzzonen ausweist, bei entsprechenden Bedingungen jedoch auch eine vierte Zone aufweisen kann, wie dies im Biosphärenreservat Spreewald der Fall ist. 4. Die Information der Besucher über das Gebiet muß optimiert werden. 5. Der Aufbau einer Naturwacht ist notwendig. Dies ist derzeit mit ABM-Maßnahmen noch relativ einfach realisierbar. Laufen diese ABM-Mittel erst einmal aus, wird ein derartiger Aufbau einer Naturwacht in erster Linie an den mangelnden finanziellen Möglichkeiten scheitern.
2.5 Wirtschaftliche Wertschöpfung durch Tourismus - Tourismus als Wirtschaftsfaktor
Allgemein lassen sich für den aufnehmenden Fremdenverkehr regionale Beschäftigungseffekte in dreifacher Weise feststellen (nach SCHULZE, H.-U., 1992): 1. Primäre Effekte * Voll- und Teilzeitarbeitsplätze im Beherbergungs- und Gastgewerbe sowie in Kureinrichtungen. 2. Sekundäre Effekte * Beschäftigungs- und Einkommenseffekte durch Gäste-Nebenausgaben (Handel, Dienstleistungen, Banken, Serviceleistungen), *Vom Beherbergungs- und Gastgewerbe bezogene Zulieferungen (Brennstoffe, Lebensmittel, Getränke, Handwerker etc.), [Seite der Druckausgabe: 19] *Ausgaben der im Tourismus Beschäftigten in der jeweiligen Fremdenverkehrsregion. 3. Tertiäre Effekte *Zulieferungen für die Zulieferer und Dienstleister. SCHMIDHAUSER (zitiert bei SCHULZE, 1992) stellte 1979 Berechnungen für die Schweiz an, die grundsätzlich noch als Richtwerte gelten dürfen, auch wenn sie nur bedingt auf andere Regionen und Länder übertragbar sind. Demnach kommt er einschließlich der tertiären Effekte zu folgenden Größenordnungen: 1000 Fremdenverkehrsbetten schaffen durchschnittlich 459 Arbeitsplätze in allen drei Bereichen, zwei Drittel davon direkt im Gastgewerbe, ein Drittel im sekundären und tertiären Bereich. Auf 100 Arbeitsplätze im Gastgewerbe-Bereich kommen demnach 50 weitere Arbeitsplätze, und zwar 11 im Handel, 2 bei Banken und Versicherungen und 37 im übrigen Gewerbe. Bei immerhin 26.600 Fremdenverkehrsbetten Ende 1992 in Brandenburg ergeben sich somit beträchtliche Beschäftigungseffekte für das Land. Wenn man zudem in Betracht zieht, daß bei allen statistischen Angaben im Fremdenverkehr (also auch diesen hier) lediglich Beherbergungsbetriebe mit mehr als 9 Betten erfaßt werden und sich somit auch Übernachtungsaufkommen, Gästeaufkommen etc. lediglich auf diese Betriebe beziehen, darf der Beschäftigungseffekt besonders im Nebenerwerbsbereich noch wesentlich höher eingeschätzt werden. Die wirtschaftliche Wertschöpfung durch den Fremdenverkehr in Brandenburg errechnet sich folgendermaßen: Bei der Untersuchung der durchschnittlichen Tagesausgaben pro Kopf wird ersichtlich, daß Hotelgäste im Durchschnitt mehr als fünfmal so viel ausgeben wie Campingurlauber. Dies relativiert die hohe Zahl von 970.000 ÜN von rd. 275.000 ankommenden Campinggästen erheblich und zeigt vor allem Handlungsbedarf in zweierlei Hinsicht: Zum einen muß Brandenburg wesentlich besser ausgestattete Campingsplätze bereitstellen (wie mehrere, nicht repräsentative kleinere Umfragen auf verschiedenen Campingsplätzen im Spreewald und im Schlaubetal ergeben haben, sind besonders Urlauber aus den Alten Bundesländern und aus dem westlichen Ausland sehr angetan von Natur und Landschaft, Gewässern, Dörfern, wollen jedoch kaum mehr oder gar nicht mehr kommen, bevor an der Ausstattung der Plätze nicht wesentliche Verbesserungen vorgenommen wurden. Allerdings ist Camping auch noch ein Bereich, der - nicht nur generell, sondern auch speziell in gewässerreichen Ländern wie Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern - noch ein erhebliches Steigerungspotential aufweist. [Seite der Druckausgabe: 20]
[Seite der Druckausgabe: 21] Andererseits können aus anderen Beherbergungsarten bei geringeren Flächenansprüchen wesentlich höhere Tagesausgaben der Touristen, und damit höhere Unisätze, erzielt werden. Der steigenden Nachfrage nach Ferienwohnungen steht ein sich doch erheblich verringerndes Angebot (229 in 1991 auf 148 in 1993) gegenüber, wobei jedoch auch bei diesen Zahlen wieder auf die Problematik der Statistik (nur Betriebe mit mehr als 9 Betten werden erfaßt) hingewiesen werden muß. Mit rund 80,-DM Tagesausgaben pro Kopf bei Ferienwohnung - Urlaubern belegen diese jedoch einen guten mittleren Platz. Hütten- und Jugendherbergsbesucher geben mehr als doppelt so viel pro Tag aus wie Campingurlauber, sind also durchaus eine interessante Zielgruppe und dies nicht nur aus sozialen Erwägungen heraus. Bei beiden Gruppen liegt der Schwerpunkt der Ausgaben im Bereich Verpflegung. Man ist also offenbar bereit, auch ab und zu in die Gaststätte zu gehen. Geschäftsreisende können zum Umsatz im Fremdenverkehr, und zwar überwiegend im Übernachtungs- und Gastronomiebereich, wo die durchschnittlichen Tagesausgaben nur unwesentlich unter denen der Erholungsurlauber liegen, einen erheblichen Beitrag leisten. Der große Vorteil ist, daß Geschäftsreisende das ganze Jahr über für eine gewisse Minimalauslastung sorgen, während die gesamte Gruppe der Erholungsurlauber im ländlichen Raum Brandenburgs zum überwiegenden Teil als Saisonurlauber angesehen werden muß. Im Geschäftsreisebereich und im Tagungstourismus ist die Tendenz nach wie vor steigend, die Tagesausgaben liegen erheblich über dem Durchschnitt. Trotz der immer noch hohen Nachfrage haben sich jedoch die Anforderungen geändert. Die derzeitigen Trends sind gekennzeichnet durch wachsende Komfortansprüche, immer schnellere Erreichbarkeit (Zeit = Geld!), kürzere Seminardauer bei weniger Teilnehmern, weniger Begleitpersonen. Die Anforderungen sind besonders gute Erreichbarkeit, ausreichendes Unterkunftsangebot (Komfort, Einzelzimmer), hervorragende Tagungs- und Kommunikationsausstattung, professionelles Tagungsangebot. Der Geschäfts- und Tagungstourismus wird sich jedoch auf den Großraum Potsdam/Berlin und die neuen Regionalzentren Brandenburg, Neuruppin, Eberswalde/Finnow, Frankfurt, Cottbus, Lübben/Lübbenau und Luckenwalde/Jüterbog konzentrieren. Ob der ländliche Raum ebenfalls vom Geschäfts- und Tagungstourismus profitieren können wird, hängt im wesentlichen davon ab, wie schnell sich die Rahmenbedingungen durch Ansiedlung von Gewerbebetrieben und sonstigen Einrichtungen und ein nachfragegerechtes Hotelangebot und Tagungsangebot entwickeln. Für die o.a. Regionalzentren ist laut Fremdenverkehrskonzeption ein breites Angebot erforderlich, d.h. Hotels aller Kategorien und größere Kapazitäten an Zimmern und Tagungsräumen. In Mittelzentren sind Hotels der Mittelklasse und eine mittlere Tagungsinfrastruktur ausreichend. [Seite der Druckausgabe: 22]
Tab. 2: Durchschnittliche Tagesausgaben in DM pro Kopf von Geschäftsreisenden in Klein- und Mittelstädten (unter 50.000 E.), Erholungsurlaubern und Kurzurlaubern in Fremdenverkehrsorten Brandenburgs. Quelle: ZEINER, HARRER u. SCHERR, 1993, verschiedene Tabellen. - = keine Angaben oder keine Kapazitäten vorhanden. [Seite der Druckausgabe: 23] Die 1992 für Thüringen formulierte These "die Schonfrist für Hotellerie und Gastronomie, für mangelhafte Ausstattung und verbesserungswürdigen Service bei hohen Preisen ist vorbei. Jetzt wird aufmerksam das Preis-Leistungsverhältnis beobachtet.." (Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung 1992) mag für Thüringen zutreffen - im ländlichen Raum Brandenburgs ist es häufig noch so, daß die Nachfrage das Angebot übersteigt, die Preise gerade im Hotelbereich noch immer als sehr hoch bezeichnet werden müssen. Viele potentielle Anbieter kommen aufgrund ungeklärter Besitzverhältnisse und zögerlicher Abwicklung durch die Treuhand nicht zum Zuge. Die Rolle und Aufgabe der Treuhandanstalt sowie der politische Umgang mit dem Thema Rückgabe/Privatisierung wurde in der oben zitierten Broschüre ausführlich diskutiert, so daß auch hier auf diese Arbeit verwiesen werden soll. Die grundsätzliche Problematik stellte sich so im wesentlichen auch noch in der Mitte des Jahres 1993 dar. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000 |