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TEILDOKUMENT:


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1. Einführung: Globalisierung und Stadtentwicklungspolitik

1.1 Zum Begriff Globalisierung

Der Begriff Globalisierung ist gegenwärtig in aller Munde, wobei mit seiner Bedeutung unterschiedlich umgegangen wird. Auf der einen Seite wird Globalisierung als „neue Herausforderung" für neue Handlungskonzepte gesehen, oftmals existieren aber auch Interpretationen des Begriffs als schicksalhafte, „übermächtige" Entwicklung, der man sich stellen müsse. Diese weit verbreitete Sichtweise beinhaltet die Auffassung, man könne sich vor Ort lediglich den neuen Bedingungen anpassen, um möglichst gut im „Wettbewerb der Städte und Regionen" abzuschneiden und konkurrenzfähig zu bleiben.

In der wissenschaftlichen Literatur finden sich verschiedene Definitionsversuche des Begriffs Globalisierung, die Schmid (1996) folgendermaßen zusammenfaßt:

Globalisierung basiert auf einer grundlegend veränderten Konfiguration von Raum und Zeit. Die neuen elektronischen Informations- und Kommunikationstechnologien, die Flexibilisierung der Produktionsprozesse [Fn.1: Flexibilisierung des Produktionsprozesses auf Basis neuer Steuerungs- und Kommunikationstechnologien: 1) Flexibilisierung der Produktpalette (Variabilisierung) und 2) Flexibilisierung der Produktions-/Arbeitsorganisation (just-in-time, lean production, subcontracting etc.; vgl. Schmid, 1996: 227).] und der Abbau nationalstaatlicher Regulierungen [Fn.2: Deregulierung: Abbau des Sozialstaates, wohlfahrtsstaatlicher Abmachungen und Steuerungsinstru mente, Abbau von Subventionen, Internationalisierung der Märkte, Transnationalisierung des Finanz systems (vgl. Schmid, 1996: 227).] ermöglichen eine immer umfassendere Vernetzung unterschiedlichster Standorte und die Etablierung von immer intensiveren und komplexeren Austauschbeziehungen über nationale und kontinentale Grenzen hinweg. Entscheidungen der Zentren können heute auf der ganzen Welt in real time ihre Wirkung entfalten." (ebd.: 228).

Im Gegensatz zum Begriff der Internationalisierung, der - bezogen auf den Produktionsprozeß - die Beziehungen zwischen klar voneinander abgegrenzten nationalstaatlichen Einheiten meint, versteht man unter Globalisierung die Herausbildung einer neuen, transnationalen Qualität. Während „traditionelle" multinationale Konzerne noch eine klare räumliche Hierarchie mit Bezug zu ihrem Ursprungsland ausgeprägt hatten, ist eine nationale Verortung der neuen transnationalen Unternehmen (trans national concerns, TNCs) kaum noch möglich. Diese Unternehmen sind „multi-nodal" und „multi-hierarchisch" organisiert und erweitern ihren Aktionsradius durch verschiedenste Besitzbeteiligungen, Partnerschaften und Allianzen zu globalen Produktionssystemen (Kooperation mit anderen TNCs und Universitäts- bzw. Forschungseinrichtungen, joint ventures, Lizenzabkommen, world-wide sourcing etc.; vgl. Schmid, 1996: 228).

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Bei genauerer Betrachtung muß die räumliche Reichweite des Begriffs Globalisierung auf wenige Teile der Welt eingeschränkt werden, da sich das Zentrum der kapitalistischen Weltökonomie zunehmend auf die sog. „Triade", die drei ökonomisch dominanten Blöcke EU, Nordamerika und Japan/Südostasien, konzentriert. Der Rest der Welt wird ökonomisch zunehmend peripherisiert und spielt in den Globalisierungsprozessen eine nur marginale Rolle.

Den Wandel von einer internationalen zur globalen Ökonomie faßt Friedman (1995: 28; nach Amin und Thrift) in vier Merkmalen zusammen:

  1. Die Industrie handelt auf der globalen Ebene mit weltumspannenden Unternehmensnetzen.

  2. Es kommt zu oligopolistischen, zunehmend konzentrierten Machtverhältnissen.

  3. Unternehmensstrukturen sind zunehmend dezentralisiert durch neue Formen von subcontracting, joint ventures und andere Formen vernetzter Organisation und strategischer Bündnisse.

  4. Es entsteht ein neues instabileres Gleichgewicht der Kräfte zwischen Nationalstaaten und Konzernen; grenzübergreifende Zweckbündnisse erfahren in der Folge zunehmende Bedeutung; es entsteht ein weltweites Netz aus Fragmenten des Staates, einzelnen Industrien und einzelnen Firmen.

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1.2 Globalisierung und Erklärungsmodelle ökonomischer und (stadt-) räumlicher Entwicklung

Flexible Spezialisierung

Die meisten Strategien, die für eine Wirtschafts- und damit auch Sozial- und räumliche Entwicklung unter den Bedingungen der Globalisierung diskutiert werden, stellen das bisherige Wachstumsparadigma kaum in Frage.

Grundlage der meisten Strategien ist der sog. „Neo-Schumpeter-Ansatz", der die Hoffnung auf eine Überwindung der gegenwärtigen Krise durch technologische Entwicklungen, die - entgegen den Globalisierungstendenzen - möglichst innerhalb der eigenen nationalen Grenzen stattfinden sollen, beinhaltet. Der Schumpeter-Ansatz geht von der These aus, daß sich in der „Ersten Welt" grundlegende Technologien etwa alle 50 Jahre erschöpft haben und durch Innovationen mit neuen Produkten, Produktionsweisen und Branchen inklusive ihren neuen Qualifikationsanforderungen und wissenschaftlichen bzw. technologischen Hintergründen ersetzt werden.

Die Vertreter dieses Ansatzes sehen gegenwärtig einen solchen neuen Zyklus in der Mikroelektronik, der Informations- und der Biotechnologie und bewerten diese Bran-

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chen als neue nationalökonomische Wachstumsfaktoren. Von diesen wachstumserzeugenden Industrien, die teilweise aus den alten Kernindustrien hervorgehen, erhofft man sich eine sichere zukünftige Entwicklung mit neuen Arbeitsplätzen „spin off'-Effekte und neue finanzielle Verfügungsspielräume, die durch Steuern und andere Abgaben entstehen.

Im Gegensatz zum alten Schumpeter'schen Ansatz, der Neuerungen von innovativen Unternehmern ausgehen sah, stellen die Neo-Schumpeterianer die Produkt- bzw. Produktionsinnovationen in den Vordergrund, die allgemein unter dem Begriff „Flexible Spezialisierung" zusammengefaßt werden. Darunter versteht man allgemein einen „(...) grundlegend veränderten Produktions- und Reproduktionsprozeß, dessen technologische Basis auf der mikroelektronischen Revolution beruht" (Schmid, 1996: 226). Dieser ist einerseits durch o.g. Flexibilisierung des Produktionsprozesses, andererseits durch die Flexibilisierung der Arbeits- und Lohnverhältnisse gekennzeichnet (vgl. im folgenden Schmid, 1996: 226f):

  1. Die Flexibilisierung des Produktionsprozesses bezieht sich sowohl auf die Produktion selbst (z.B. höhere Output-Variabilität durch den Einsatz neuer Computer- und Kommunikationstechnologien wie beispielsweise CIM und CAM) als auch auf die Organisation des Produktionsprozesses (neue Produktionsprozesse/-abläufe wie beispielsweise just-in-time oder lean production), die auch den zwischenbetrieblichen Bereich betreffen (subcontracting und „vertikale Desintegration"). Im Vordergrund dieses die Massenproduktion der 60er Jahre ablösenden neuen Industrialisierungsmodells stehen also sowohl die High-Tech-Branche selbst als auch diejenigen Branchen, die ihre Produktionsprozesse durch den Einsatz Neuer Technologien flexibilisieren.

  2. Die Flexibilisierung der Arbeits- und Lohnverhältnisse äußert sich beispielsweise in den Angriffen auf bisher gültige Tarifvereinbarungen, in zunehmend „flexibilisierten" Formen der Arbeit wie Teilzeitarbeit und prekäre Arbeitsverhältnisse (Stichwort „Neue Selbständigkeit"), der Segmentierung des Arbeitsmarktes (vgl. die Debatte um den Ersten und Zweiten Arbeitsmarkt bzw. ABM und AFG) und letztendlich damit verbundenen neuen Konsummustern (sowohl die Segmente der Luxus-Konsumgüter als auch der „Billig"-Massenmärkte verzeichnen Zuwächse, um die Nachfrage der zunehmend polarisierten Gesellschaft zu bedienen).

Im wissenschaftlichen Bereich beschäftigt man sich in diesem Zusammenhang v.a. mit der Umorganisation der Arbeit bzw. der Arbeitsabläufe und der Managementstrukturen, während beispielsweise in den USA auch die räumlichen Implikationen der Flexiblen Spezialisierung untersucht werden. In diesem Bereich wie auch in der Frage der

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sozialen bzw. gesellschaftlichen Auswirkungen der Restrukturierung besteht in Deutschland noch erheblicher Nachholbedarf.

Lokale Agenda 21 und „Nachhaltige Entwicklung"

Erste Versuche, das bisherige Wachstumsparadigma in Frage zu stellen, wurden 1992 auf der 2. Welt-Umweltschutzkonferenz der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro mit der Formulierung der „Agenda 21" als Kern einer „Tagesordnung für das 21. Jahrhundert" durch die über 170 Teilnehmerstaaten gemacht. Das hierbei im Vordergrund stehende Schlagwort „sustainable development" - ins Deutsche nur unzureichend mit „nachhaltige Entwicklung" übersetzt - meint die Integration von Umweltpolitik in die soziale, wirtschaftliche, entwicklungs- und friedenspolitische Entwicklung. In Kapitel 28 der „Agenda 21" werden „Initiativen der Kommunen zur Unterstützung der Agenda 21" gefordert: „Bis 1996 soll sich die Mehrzahl der kommunalen Verwaltungen einzelner Länder gemeinsam mit ihren Bürgern einem Konsultationsprozeß unterzogen haben und einen Konsens hinsichtlich einer „kommunalen Agenda 21" für die Gemeinschaft erzielt haben", d.h., unter starker Beteiligung der Zivilgesellschaft sollen umwelt- und sozialverträgliche, wirtschaftlich und international verträgliche Entwicklungskonzepte erarbeitet werden. „Hier ist also die Chance gegeben, den kommunalen Umweltschutz mit den globalen Perspektiven der Friedens- und Entwicklungspolitik zu verknüpfen" (Hennerkes, 1996: 21).

Der Ansatz der Nachhaltigen Entwicklung bedeutet für die Städte der Industriestaaten den Aufruf, auf der Grundlage ihres hohen Technologie- und Wissenschaftsniveaus und ihrer vergleichsweise starken ökonomischen Basis ein exportierbares Modell der Zukunftsfähigkeit zu entwickeln, das auch in anderen Teilen der Welt durch die Veränderung des Verhaltens und der Produktionsformen ein Wachstum im ökologischen Sinne zuläßt.

Es gibt innerhalb der Nachhaltigkeitsbewegung zwei Grundströmungen. Die erste kann als die der sog. „Öko-Schumpeterianer" bezeichnet werden, die von der Notwendigkeit neuer technischer Lösungen für ein solches Exportmodell überzeugt sind. Nach dieser Meinung müssen exportfähige Umwelttechnologien wie beispielsweise Windkraftanlagen oder Katalysatorsysteme entwickelt werden, mit denen die Industriestaaten über zukunftsfähige Produkte verfügen, um auf den nächsten Zyklus vorbereitet zu sein. Die „Öko-Schumpeterianer" brechen also nicht mit den traditionellen Prinzipien von Wachstum und Konkurrenz, deren Zuspitzung wir zur Zeit in Form der Globalisierung erfahren, sondern schließen sich den zuvor geschilderten Strategien unter dem Themenschwerpunkt „Ökologie" an.

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Die zweite Gruppe sieht in der Formulierung einer „Lokalen Agenda 21" die Chance einer Infragestellung bisheriger, ausschließlich auf Wachstum beruhender Entwicklungsmodelle, wobei radikale Kritik an unserem heutigen Wirtschaftssystem kaum öffentlich laut wird, sondern sich v.a. auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema beschränkt.

Globalisierung versus Regionalisierung?"

Was bedeuten diese Entwicklungen für die räumliche Organisation der konkreten Stadtebene? Auch unter dieser Fragestellung gibt es in der wissenschaftlichen Diskussion kontroverse Auffassungen, verschiedene Betrachtungsperspektiven und unterschiedliche Erklärungsmodelle. Schmid (1996: 230) unterscheidet zunächst zwei konträre Grundpositionen.

  • Die „globalistische" oder „universalistische" Position sieht in den transnationalen Konzernen die wesentlichen Akteure der Weltökonomie. Die Flexibilisierung der Produktionsprozesse und der betrieblichen Organisationsstrukturen führt danach zu einer zunehmenden räumlichen und organisatorischen Desintegration. Gleichzeitig findet eine Konzentration von Kapital und Kontrollkapazität in wenigen transnationalen Konzernen statt. In der Folge sind regionale Ökonomien zunehmend den globalen Prozessen und damit der Kontrolle bzw. Entscheidungen „von außen" unterworfen. „Das Globale wird so als konstant und bestimmend und das Lokale als veränderlich und abhängig gesetzt. Globalisierung wird zu einem einseitigen, von oben nach unten gerichteten und determinierenden Vorgang, der Prozesse umfaßt, die oberhalb und scheinbar außerhalb nationalstaatlicher, regionaler und städtischer Ebenen Form gewinnen und sich gleichsam durch einen Trichter in die untergeordneten Ebenen ergießen" (Schmid, 1996: 231). Der räumlich immer weniger gebundene Produktionsprozeß („footloose capitalism") ist aus dieser Sicht weitgehend unabhängig von konkreten lokalen Bedingungen. Macht wird ortlos und Orte werden machtlos (vgl. Schmid, 1996: 232).

  • Die „lokalistische", „regionalistische" oder „partikularistische" Position betont dagegen die individuellen industriellen Organisationsformen und Agglomerationsprozesse auf der konkreten, jeweils spezifischen regionalen Ebene. Die genannten Entwicklungen führen aus dieser Perspektive zu einer „räumlichen Heterogenisierung und Verstärkung regionaler Disparitäten" (Schmid, 1996: 232, nach Hitz/Schmid/Wolff, 1995). Flexibilisierung ist der Motor für inter-regionale Ausdifferenzierung. Es bilden sich individuelle neue Räume der Produktion, neue industrielle Distrikte heraus, die auf einem neuen Agglomerationsmodell flexibilisierter Unternehmen (s.o.) basiert. Wesentliche „Standortfaktoren" sind dabei die sozialen, politischen und kulturellen Besonderheiten der jeweiligen Region („Image"). Poli-

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    tisch mündet diese Sichtweise in einen „neuen Regionalismus", in den Wunsch regionaler Eigenständigkeit, die Betonung regionaler Eigendynamik und das Bestreben, regionale endogene Potentiale zu aktivieren und auszuschöpfen (vgl. Schmid, 1996: 232f.).

Beide Thesen scheinen sich unter dem Schlagwort „Globalisierung versus Regionalisierung" gegenüberzustehen. Bei genauerer Betrachtung sind beide Ansätze jedoch in dieser Absolutheit nicht haltbar, da sich die scheinbar ortlose Globalisierung de facto räumlich konkretisiert („Standorte") und damit nicht automatisch einen Bedeutungsverlust von Städten und Regionen bedingt, und weil umgekehrt bisher keine Region im „neuen Regionalismus" eine größere Autonomie erfahren hätte (vgl. Schmid, 1996: 235).

Glokalisierung"

Als „Glokalisierung" bezeichnet Soja (1995: 153) die Globalisierung des Lokalen und die Lokalisierung des Globalen. Aus der städtischer Perspektive bedeutet dies das zunehmende Durchschlagen globaler Effekte auf die lokale Ebene bzw. die zunehmende Beeinflussung der lokalen Zusammenhänge - lokale Politik, lokale Kultur, lokales Selbstverständnis oder auch spezifische Ungleichheitsverhältnisse - durch Bedingungen des globalen Wettbewerbs. Unter „Glokalisierung" kann das spezifische - und keinesfalls immer reibungslose - Verhältnis von globalem Wettbewerb und lokaler bzw. regionaler Wettbewerbsfähigkeit verstanden werden (vgl. Altvater/Mahnkopf, 1996: 30).

Das Global City-Konzept

Begreift man den scheinbaren Widerspruch von Globalisierung und Regionalisierung als konkrete Überlagerung globaler und regionaler Netzwerke im Raum bzw. „- in Anlehnung an Amin und Thrift - als eine regionale Verknotung von globalen Netzwerken" (Schmid, 1996: 136), drängt sich der Gedanke einer Hierarchisierung dieser verschiedenen Netzknoten/Regionen in bezug auf ihre Bedeutung (sprich: Kontroll- und Steuerungskapazitäten) für die globalisierte Ökonomie auf (vgl. Schmid, 1996: 236f). An der Spitze dieser Hierarchie stehen die sog. Global Cities, die als finanzindustrielle Komplexe Räume der Produktion höchster globaler Kontrollkapazität darstellen. Verschiedene Autoren haben versucht, eine weitere Rangfolge, ein abgestuftes internationales Städtenetz anhand der Kriterien Steuerungs- und Kontrollkapazität der Weltwirtschaft aufzustellen. Friedmann (1995: 25) schlägt dafür die Kategorien

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  1. Weltweite finanzielle Bedeutung (London, New York, Tokio)

  2. Multinationale Bedeutung (z.B. Frankfurt am Main)

  3. Wichtige nationale Bedeutung

  4. Subnationale/regionale Bedeutung (z.B. die Rhein-Ruhr-Region)

vor.

Der Dezentralisierung der industriellen Produktion, also der Verlagerung der industriellen Produktion aus der Ersten Welt in andere Regionen, steht die räumliche, organisatorische und unternehmerische Konzentration der Steuerung des zunehmend international verflochtenen Kapital-, Waren- und Informationsmarktes gegenüber. In den Global Cities entsteht eine neue, starke Konzentration von Dienstleistungsangeboten, um diese Kontrollfunktionen zu unterstützen bzw. aufzubauen: „Diese Dienstleistungen produzieren, gemäss Sassen, „Kontrollkapazität" (control capability), sie ermöglichen die Kontrolle über ein global angeordnetes Set geographisch verstreuter Produktionsstandorte und Verkaufsstellen. Räumliche Dezentralisierung verlangt eine Zentralisierung der Befehlsstrukturen. (...) Sassen betrachtet die Global Cities als Produktionsstandorte für unternehmensorientierte Dienstleistungen und als Finanzmärkte für den Handel mit Wertpapieren" (Friedmann, 1995: 31). Unternehmerische Entscheidungen werden also an anderen Orten gefällt als dort, wo sie wirksam werden. Die darin sichtbare Entkopplung von räumlichen und zeitlichen Zusammenhängen ist ein wichtiges Kriterium der Globalisierung.

Die Herausbildung dieser hochdynamischen Dienstleistungsbranchen steht dem Niedergang traditioneller Industriearbeitsplätze gegenüber. Damit verbunden ist eine Neugliederung der Klassenstruktur der Bevölkerung. Einem vergleichsweise schmalen Segment hochqualifizierter, sehr gut verdienender Manager, Werbefachleute, Finanzexperten, Rechtsanwälte, Immobilienmakler, Berater etc. steht ein wesentlich größerer Anteil un- bzw. dequalifizierter Arbeitnehmer in zum Teil prekären Arbeitsverhältnissen gegenüber: zur „Dienstleistungsbranche" gehören sowohl Top-Manager als auch Schreibkräfte, Fensterputzer und der „Pizza-Bringdienst". Die traditionelle Mittelschicht - genannt seien hier nur die Facharbeiter in den ehemaligen Industriekomplexen - dünnt zunehmend aus. Ein geringer Teil schafft den Sprung in den höherqualifizierten „white collar- "Bereich, der größere Teil sinkt ab oder wird arbeitslos (vgl. dazu Punkt 1.3).

Da Global Cities als Zentren der globalisierten Ökonomie zugleich Orte massiver Zuwanderung aus der weltwirtschaftlichen Peripherie - sprich: der „Dritten Welt" - sind, bekommt die Klassen-Neustrukturierung zusätzlich eine ethnische Komponente, welche die Konkurrenz eines wachsenden Bevölkerungsanteils um Jobs im untersten Ar-

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beitsmarktsegment - bzw. außerhalb dieses Arbeitsmarktes in der an Bedeutung gewinnenden informellen Ökonomie - und um erschwingliche Wohnungen verschärft.

Die an dieser Stelle nur sehr kurz angerissenen ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen führen zur Polarisierung von Arm und Reich und - über verstärkte Segregationsmuster - zur sozialräumlichen Fragmentierung städtischer Gesellschaften in „Räume der Gewinner" (z.B. die gentrifizierten innenstadtnahen Wohnenklaven der „Yuppies") und „Räume der Verlierer", in denen beispielsweise Ausländer und Arbeitslose leben.

Friedmann (1995: 27f.) faßt die Charakteristika von Global Cities zusammen:

  1. Global Cities stellen die Verbindung zwischen regionalen, nationalen und internationalen Ökonomien her und fungieren als organisatorische Knoten der Weltwirtschaft.

  2. Diese Prozesse finden nur in einem Teil der Welt statt (EU, Nordamerika, Japan/Südostasien).

  3. Global Cities sind „grosse, verstädterte Räume intensiver ökonomischer und gesellschaftlicher Beziehungen."

  4. Global Cities können gemäß ihrer Steuerungs- und Kontrollkapazitäten in einem hierarchisch abgestuften internationalen Städtesystem angeordnet werden.

  5. Die Bevölkerung von Global Cities ist - stark generalisiert - in einen international ausgerichteten, kosmopolitanen Kreis von Gestaltern der neuen globalen Ökonomie und einen weitaus größeren Teil lokaler Einwohner mit lokalen Interessen gespalten.

Über diese allgemeinen Überlegungen hinaus muß die individuelle Besonderheit jeder Stadt berücksichtigt werden: „Wenn wir die andere Seite der World Cities [= Global Cities, Anm. d. Verfassers] vernachlässigen - ihre Verwurzelung in einem politisch organisierten „Lebensraum" (life space) mit eigener Geschichte, Institutionen, Kultur und Politik - wird vieles, das wir beobachten - z.B. Unterschiede zwischen Paris und London - unverständlich bleiben" (Friedmann, 1995: 37). Globalisierte Ökonomie und lokale Besonderheiten treffen in Form der Global City hochrangig zusammen.

Frankfurt am Main kann als die deutsche Global City bezeichnet werden, da hier die Konzentration des Finanzsektors mit seinen vor- und nachgelagerten Dienstleistungen eine Reihe der angesprochenen international wirksamen Entscheidungen und Steuerungen befördert.

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1.3 Globalisierung und gesellschaftliche Polarisierung

Im Zusammenhang mit den geschilderten ökonomischen Restrukturierungsprozessen und den damit verbundenen Arbeitsmarkt- und Einkommensentwicklungen findet eine zunehmende Ausdifferenzierung von Stadtgesellschaft(en) statt: Tendenzen sozioökonomischer Polarisierung (zunehmender Gegensatz von Arm und Reich) und soziokultureller Pluralisierung (u.a. zwischen Einkommens-, zunehmend aber auch zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen) führen zu unterschiedlichen Segregationsmustern und damit der Gefahr einer irreversiblen sozialräumlichen Fragmentierung des Stadtraumes.

Die gegenwärtige Arbeitsmarktentwicklung erzeugt v.a. in großstädtischen Räumen zwei Formen der Polarisierung. Innerhalb des Kernarbeitsmarktes kommt es zu einer Lohnschere, die niemals so groß war wie gegenwärtig. Zusätzlich wird diese Entwicklung durch eine extrem wachsende Zahl von Beschäftigungsmöglichkeiten außerhalb des Kernarbeitsmarktes unterschichtet. Dazu gehören alle möglichen Formen der -oftmals unfreiwilligen - Selbständigkeit, Beschäftigungen unterhalb der Sozialversicherungspflicht, „tagelöhnerähnliche" Beschäftigungsverhältnisse mit großer Arbeitsplatzunsicherheit oder Abhängigkeitsverhältnisse, die keine Urlaubs- oder andere Zusatzleistungen kennen.

Diese Formen der Polarisierungen finden sich v.a. im Dienstleistungssektor, in dem einer relativ kleinen Zahl von Spitzenverdienern im Managementbereich eine ungleich höhere Anzahl von Zuträgern im unteren Lohnbereich gegenübersteht. In den Bereich der „unternehmensorientierten Dienstleistungen" fallen nicht nur die hochqualifizierten und sehr gut bezahlten Managementfunktionen, sondern auch sehr niedrig qualifizierte, gering abgesicherte und schlecht bezahlte Jobs beispielsweise im Wartungs- und Raumpflegebereich. Hier werden Verträge zweiseitig und außerhalb eines gewerkschaftlichen Einflusses ausgehandelt. Als Folge der geschilderten Polarisierungstendenzen werden zunehmend staatliche Transferleistungen für die Sicherung eines minimalen Lebensstandards in Anspruch genommen.

Der amerikanische Geograph Harvey geht davon aus, daß sich diese Entwicklungen auch auf neue städtische Konsummuster niederschlagen, die sich international immer mehr angleichen. Harvey meint dabei v.a. die Entscheidungsträger und Kreativen der neuen unternehmensorientierten Dienstleistungsbranchen, die völlig neue Konsumformen ausprägen, welche sich u.a. in der Wohnungsnachfrage (z.B. Gentrifizierung), den Haushaltsstrukturen (z.B. Single-Haushalte), spezifischen Aktionsräumen und einer bestimmten Form der Nutzung von Informationsinfrastrukturen niederschlagen.

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Beispielsweise gilt Hamburg laut Bruttosozialprodukt als eine der reichsten Regionen Deutschlands, hat gleichzeitig aber auch den größten Anteil von Sozialhilfeempfängern und Armutsbevölkerung. Diese Brüche sind für den „Normalbürger" kaum nachvollziehbar, da ihn seine Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstelle oder zum Einkaufen nicht mit diesem Problem konfrontieren. Armut in Innenstadt- oder Bahnhofsbereichen wird als lästige Randerscheinung registriert.

In Frankfurt am Main ist das Gegenüber von Arm und Reich dagegen etwas direkter nachzuvollziehen, da sich hier die bisher hohen Immobilienpreise durch die Nähe des Bahnhofs- zum Bankenviertel nicht mehr aufrechterhalten lassen. In Frankfurt am Main ist über die ökonomische Polarisierung hinaus eine zunehmende kulturelle Ausdifferenzierung der Bevölkerung zu beobachten, die sich nicht bloß auf das Gegenüber von Deutschen und Nicht-Deutschen reduzieren läßt. Vielmehr handelt es sich um eine Pluralisierung und Individualisierung der Lebensstile, die mit ihren jeweils eigenen räumlichen Abgrenzungsmustern zu neuen Formen der Segregation führt. Der Versuch unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen, sich gegeneinander abzugrenzen, bedeutet die Gefahr der Verfestigung sozialräumlicher Ungleichheiten in einer Stadt. Dies ist für die Stadtplanung und -politik extrem problematisch, da ein gesamtgesellschaftlicher bzw. gesamtstädtischer Konsens zunehmend schwieriger herstellbar ist. Die gesellschaftliche Mitte, auf der Demokratie und Stadtkultur aufzubauen versucht wurde, droht immer weiter wegzubrechen und erschwert damit die Konsensfindung beispielsweise bei stadtpolitischen Entscheidungen.

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1.4 Globalisierung und Stadtentwicklungsplanung

Der „globalen Herausforderung" auf der konkreten Stadtebene meint man auf seiten der Stadtverwaltung mit der Verschiebung ihres Selbstverständnisses vom verwaltungstechnischen „verlängerten Arm" nationalstaatlicher Globalsteuerung hin zu Formen eines „urban managements" bzw. zur „unternehmerischen Stadt" begegnen zu müssen. Diese richtet ihren Blick auf Konkurrenzfähigkeit im internationalen bzw. interregionalen Konkurrenzkampf und setzt zur Herstellung einer entsprechenden Standortattraktivität selektive inhaltliche und räumliche Schwerpunkte.

Bei Weiterverfolgung der bisherigen Wachstumsstrategien bedeutet Stadtplanung im Schumpeter'schen Sinne das erfolgreiche Bestehen der Städte in einer zunehmenden globalen Konkurrenz um Wachstumsmärkte. Eine solche Standortpolitik erfordert ein hohes Maß an Investitionen und die Notwendigkeit, überregional bedeutsam zu werden, was sich u.a. in zielgerichteten Projektpolitiken bzw. der „Festivalisierung" der Städte äußert. Beispiele sind die geplante EXPO 2000 in Hannover, die Bewerbung Berlins um die Olympischen Spiele im Jahr 2000, die Inszenierungen von „Kultursommern", „Stadtjubiläen" usw., aber auch spektakuläre Architekturprojekte.

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Das Schlagwort „Globalisierung" wird also dazu verwendet, eine neue Form der Stadtpolitik zu betreiben, die als „Entschuldigungs- bzw. Begründungsstrategie" vor dem Hintergrund zunehmender Internationalisierungsprozesse mittels veränderter Praktiken vor Ort neue Rahmenbedingungen setzen will. Das neue unternehmerische Denken in der Stadtentwicklung äußert sich beispielsweise in den Bemühungen um die Beschleunigung von Entscheidungsprozessen (z.B. im Zusammenhang mit der Erteilung von Baugenehmigungen), der Verringerung des Verwaltungsaufwands und der Bildung von Interessenkoalitionen mit der Privatwirtschaft zugunsten der Pflege des Wirtschaftsstandortes Stadt. Die traditionelle „Verteilungspolitik" wird zunehmend abgebaut und grenzt damit zwangsläufig die Interessen weiter Bevölkerungsteile aus.

Stadtplanung und Stadtentwicklungspolitik werden durch die Verbindung mit der „Politik der Festivalisierung" für den globalen Wettbewerb instrumentalisiert. Postmoderne Architektur als symbolische Inbesitznahme öffentlichen Raums im Zentrum der Stadt und eine Infrastruktur, die an den Interessen der hochmobilen, einkommens- und kulturstarken Gruppen ausgerichtet ist, kennzeichnen den „Raum der Sieger" und damit zunehmend die Identifikation, die sich die Stadt geben möchte.

Dem stehen die „Räume der Verlierer" gegenüber, in denen öffentliche Infrastrukturen erodieren oder abgebaut werden und in denen sich die wachsende Zahl „sozialer Problemfälle" aufgrund zunehmender Arbeitslosigkeit bzw. Marginalisierung innerhalb des Arbeitsmarktes findet. In diesen „Räumen des Vergessens" spielen Transfereinkommen eine zunehmende Rolle und kommen die kulturellen, meist ethnisch bedingten Unterschiede stärker zum Tragen. Hier wäre eine erhebliche soziale Integrationsarbeit zu leisten, die aber unter den Vorzeichen der oben geschilderten veränderten Stadtpolitik auszubleiben droht.

Vielmehr versucht man mit flexiblen Strategien und professionellem Management in diesen „Inseln der Armut" zu arbeiten, worin allerdings die Ratlosigkeit der Fachleute sichtbar wird. So ist die Strategie der „Hilfe zur Selbsthilfe" (empowerment) beispielsweise aus der Entwicklungszusammenarbeit abgleitet und soll an Runden Tischen und in neuen Beteiligungsmodellen die sozialen und kulturellen Ressourcen der (Stadtteil-) Bevölkerungen mobilisieren und damit die Bildung sozialer Netzwerke erleichtern. Diese Strategien sind sicherlich notwendig und für viele im Sinne eines Demokratisierungsprozesses sehr begrüßenswert, doch handelt es sich bei der Gestaltung eines „lebenswerteren" Alltags gegenüber der Option einer vollständigen gesellschaftlichen Integration über den Ersten Arbeitsmarkt nur um „zweitbeste Lösungen".

Insgesamt zeichnet sich also ein zweigleisiges Modell der Stadtentwicklungspolitik ab, das die traditionellen Verwaltungsstrukturen aufbricht. Auf der einen Seite steht die unternehmerische Wirtschaftspolitik, auf der anderen die angesprochene reaktive Form

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der Armutsbekämpfung über professionelle, quartiersbezogene Managementstrategien. An beiden Enden der Stadtentwicklung wird also flexibilisiert.

Der einstmalige Integrationsauftrag der Stadtpolitik wird zugunsten eines perspektivischen Inkrementalismus [Fn.3: Perspektivischer Inkrementalismus bedeutet die Festschreibung relativ vager Zielvorstellungen in Stadtentwicklungskonzepten, die über Einzelprojekte schrittweise verwirklicht werden sollen. Dabei werden Korrekturen sowohl des Weges als auch der Zielsetzung von Projekt zu Projekt möglich. In krementalismus heißt also die schrittweise Annäherung an einen Zielhorizont, den man als Konsens des größten Teils der Stadtbevölkerung annimmt und der deswegen nur entsprechend unpräzise formuliert sein kann.] und eines zunehmenden Denkens in Szenarien aufgegeben. Die geringe Bereitschaft, Notwendigkeit und Möglichkeit zur Festlegung auf eine Zukunftsentwicklung erschwert die Beantwortung der Frage, wie man auf sinnvolle Weise aus dem zunehmenden Druck der Globalisierung herauskommen kann.

Unter dem vermeintlichen Druck, bestimmten Meinungen - überwiegend aus den Reihen der Wirtschaftspolitik - folgen zu müssen, reduziert sich Stadtentwicklungspolitik auf die Umsetzung attraktiver, vorzeigbarer, spektakulärer Projekte, die zumindest kurzfristig als „zukunftsweisend" interpretiert werden können. Dabei spielen ausschließlich projektbezogene Interessenkoalitionen zwischen öffentlichen und privatwirtschaftlichen Akteuren (public private partnerships) eine wichtige Rolle, in denen die Stadtpolitik die Interessen und Gelder der Wirtschaft für ihre Ziele instrumentalisieren zu können meint, was - vermeintlich oder tatsächlich - dem Wohle der Allgemeinheit dient.

Diese Politik richtet sich fast ausnahmslos auf die Stadtzentren, die als „Spitzen des Eisbergs" die jeweilige lokale Wettbewerbsfähigkeit in einem positiven Licht präsentieren sollen. In ihnen werden alle kreativen und innovativen Ressourcen aus Verwaltung und Politik gebündelt, so daß die „normale" Verwaltung in eine relativ bedeutungslose, nachsorgende, unspektakuläre und wenig innovative Rolle zurückzusinken droht. Innerhalb von Politik und Planung sind also analog der gesellschaftlichen Polarisierung ebenfalls Spaltungstendenzen erkennbar.

Die „Festivalisierung" der Stadtpolitik soll über Größe und Spektakularität - und damit ihre Medienwirksamkeit - überregional Aufmerksamkeit wecken. Sie stellt außerdem einen Versuch dar, Identität bzw. Identifikationsmuster für die Bürger einer Stadt zu schaffen. Dies gilt vor allem für Städte, die „im Konzert der Großen" sonst kaum zur Kenntnis genommen werden, und die durch eine solche Strategie des „Eigendoping" (Häußermann/Siebel) neue Bewegung und neues Engagement u.a. in der Verwaltung freisetzen wollen.

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Eine Bilanzierung der „Festivalpolitik" vor allem unter der Fragestellung, ob - und wenn ja - wem sie etwas gebracht hat, ist schwierig. Die Opportunitätskosten sind völlig unklar. Weiterhin ist nur schwer nachzuvollziehen, ob etwaige meßbare Folgeeffekte tatsächlich auf entsprechende Projekte oder auf andere Faktoren zurückzuführen sind. Am Beispiel der EXPO 2000 in Hannover kann man die Langfristigkeit der erwarteten Effekte bereits heute in Frage stellen, da nach Ende der Veranstaltung die kurzfristig geschaffenen Arbeitsplätze keinen Bestand mehr haben werden.

Die wichtigste Frage dürfte allerdings die nach den Profiteuren einer Festivalspolitik sein. Im Kontext der geschilderten Motive heutiger Stadtpolitik wird schnell deutlich, daß die ohnehin Bessergestellten die Nutznießer solcher „Spektakel" sein dürften und daß eine Festivalspolitik der zunehmenden Desintegration zumindest nicht gegensteuert.

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1.5 Alternativen zur wachstumsorientierten Stadtentwicklungspolitik?

Perspektivischer Inkrementalismus

Die Suche nach zukunftsfähigen Entwicklungskonzepten bewegt sich im wesentlichen auf einer Bandbreite zwischen Beibehaltung herkömmlicher Wachstumsstrategien und den „Öko-Szenarien" rot-grüner Prägung. Es fehlen allerdings grundlegende politische Entscheidungen und eine gesellschaftliche Diskussion darüber, wohin man sich zwischen diesen beiden Extremen bewegen möchte.

Prof. Dangschat sieht in der Stadtentwicklungsstrategie des perspektivischen Inkrementalismus eine Chance, neue Gestaltungsmöglichkeiten zu finden, die zugleich den Weg wirtschaftlichen Wachstums - mittelfristig scheint sich dazu keine grundlegende Alternative durchsetzen zu können - und des davon abgekoppelten Quartiersmanagements ermöglichen. Zu letzterem gehören neue Aushandlungsformen mit zunehmender Einschaltung intermediärer Gruppen und der schrittweisen Entwicklung einer starken Bewohnerbeteiligung. Nach Meinung vieler Wissenschaftler wird diese Form der Quartiersentwicklung weiter zunehmen, wenngleich es gegenwärtig noch Widerstände seitens der Verwaltungen gibt, die einen mit stärkeren Beteiligungsformen einhergehenden Machtverlust befürchtet. Zwischen diesen beiden Extremen befindet sich die „traditionelle" Verwaltung bzw. Stadtpolitik ohne unternehmerische Kennzeichen.

Die Strategie des perspektivischen Inkrementalismus beinhaltet die Frage, an welcher Stelle Projekte definiert werden bzw. welche Denkweise im Zuge der zunehmenden Notwendigkeit der Vernetzung von Politikfeldern dominieren wird. Insofern beschreibt perspektivischer Inkrementalismus und Projektorientierung nur die Tatsache, daß man heute nicht in der Lage ist, eine weitreichende Zukunftsprognose abzugeben.

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Nachhaltige Stadtentwicklung

Die Gestaltung von Stadtentwicklung und -politik sieht sich immer mehr dem Dilemma einer zunehmenden Rationalisierung der Gesellschaft - bis zur individuellen Zeitorganisation und der Alltagsgestaltung - auf der einen und dem Auseinanderfallen - auch alltäglicher - gesellschaftlicher Kultur(en) auf der anderen Seite gegenüber. Im Sinne der Agenda 21 wird hier ein völlig neuer Umgang mit interessengeleiteter Rationalität notwendig:

  • Ökonomisches Wachstum muß sich an den Grenzen ökologischer Belastbarkeit orientieren und soziale Polarisierung vermeiden.

  • Ökologische Maßnahmen müssen finanzierbar bleiben und dürfen nicht eine stärkere ökonomische Basis erfordern bzw. den globalen Wettbewerb vorantreiben. Die Agenda 21 meint nicht die Ökologisierung bisheriger Wirtschaftsmodelle bzw. einen „Naturschutz innerhalb der Stadt".

  • Die Änderung bzw. der Abbau bisheriger sozialstaatlicher Regulierungen ist notwendig, darf sich aber nicht allein an wirtschaftlichen bzw. unternehmerischen Interessen orientieren. Diese Umorganisation darf nicht auf der Forderung nach einer noch stärkeren ökonomischen Basis erfolgen, sondern muß mit den vorhandenen Umverteilungsspielräumen arbeiten.

Will man den Herausforderungen der Globalisierung mit den Zielen der Agenda 21 begegnen, muß ein völlig neues Denken in den drei angesprochenen Bereichen stattfinden, müssen neue Informationen der Querverbindungen aufgenommen werden und muß v.a. eine völlig neue Form gesellschaftlicher Auseinandersetzung stattfinden.

Bei Weiterverfolgung der klassischen Wachstumsmodelle droht sich weltweit das amerikanische Modell durchzusetzen, das in modifizierter Form bereits in Großbritannien zu beobachten ist. Die britische Wirtschaft hat die stärkste soziale Differenzierung erzeugt und gilt unter Fachleuten keinesfalls als dauerhaft wettbewerbsfähig. Die momentane Deregulierungspolitik Großbritanniens scheint zwar kurzfristig erfolgreich, doch ist sie als mittelfristige Lösungsstrategie - auch laut einer Economist-Studie - unbrauchbar. Die Reduktion der Sichtweise auf die reine (quantitative) Wettbewerbsfähigkeit reicht heute nicht mehr aus, da sie nicht mehr in der Lage ist, einen sozialen Ausgleich wie noch in den 60er Jahren zu gewährleisten bzw. unsere - zunehmend fragwürdigeren - Standards zu treffen. Die gegenwärtigen Deregulierungs- und Flexibilisierungspolitiken zur Wettbewerbssteigerung stellen kaum die Frage, wer eigentlich von einem Wirtschaftswachstum profitiert bzw. welche Bevölkerungsteile benachteiligt werden.

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Die Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit scheint nur um den Preis einer zunehmenden Polarisierung der Bevölkerung und der Verarmung der Kommunen erreicht werden zu können. Die Kommunen sind nicht mehr in der Lage, sowohl die Sicherung des Wirtschaftsstandortes als auch soziale Ausgleichsmaßnahmen zu finanzieren. Die im ökonomischen Sinne erfolgreichen Städte verschulden sich, und in einem der reichsten Länder der Erde ist es sogar in den wohlhabendsten Stadtregionen nicht mehr ohne weiteres möglich, die seit über einhundert Jahren entwickelten Lebensstandards auf einer breiten Basis aufrechtzuerhalten.

Für den Umgang mit den „globalen Herausforderungen" sind bisher noch keine grundlegenden Lösungskonzepte formuliert worden. Alle bisherigen Lösungsversuche sind Partikularansätze, die als sektorale Optimierungsstrategien in mehr oder weniger starkem Maße auf den Modellvorstellungen der 60er und 70er Jahre beruhen, die langfristig keine Perspektive mehr darzustellen scheinen. Politik und Wirtschaft sind heute rein ökonomisch offensichtlich nicht mehr in der Lage, gesellschaftlich integrierend zu wirken und Chancengleichheit herzustellen. Es ist dringend eine gesellschaftliche Diskussion über alternative Entwicklungsmodelle notwendig, in der ein allgemeiner Konsens für die notwendigen „Rückschritte" hergestellt werden muß, und die anstelle von partei-, fach- oder ressortspezifischen Einzellösungen ein integriertes Gesamtkonzept erarbeitet.

Statt des kollektiven Weges „Wachstum unter härteren Bedingungen" sind unterschiedlich schnelle, spezifische Strategien denkbar, welche die gleichen Grobziele verfolgen, aber unterschiedliche Wege einschlagen.

Als „zweitbeste Lösungen" können aus Sicht des Referenten daher Kompensationsstrategien wie beispielsweise in den USA und Großbritannien die Herausnahme ganzer lokaler Ökonomien bzw. Regionen aus dem globalen Wettbewerb bzw. - auch in Deutschland - die unterschiedlichen Bemühungen um ein „Quartiersmanagement" gelten.

Die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Wege bzw. Strategien in der Stadtentwicklung zeigt sich im Nebeneinander der „Festivalisierung" und der Neugestaltung von „Schutzräumen" für Arme bzw. untere Einkommensgruppen. Die Neugestaltung dieser Räume und andere neue Aufgaben in diesen Vierteln sind bereits in einigen Städten Ansatzpunkte expliziter Stadtpolitiken geworden. Neue Formen des Social Sponsoring bzw. neue Formen von Stadt(teil)-Ökonomien sind die wirtschaftlichen Grundlagen dieser Ansätze. Nischenökonomien werfen zwar nur mittel- bis langfristig Renditen ab, sind aber dennoch ökonomisch profitabel, wie Beispiele aus den USA und Großbritannien zeigen. In diesen Bereichen sind staatliche Regulierung und gewerkschaftlicher Einfluß wesentlich geringer, Bürgerbeteiligung und Management „von unten" dagegen

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die Motoren der neuen lokalen Ökonomien (vgl. die Community Based Organizations bzw. Neighborhood Associations im angelsächsischen Raum). Hier finden sich ebenfalls public private partnerships, die allerdings weniger auf Spektakularität oder hohe Renditen als auf einen größtmöglichen Kompromiß zwischen allen Beteiligten bzw. Betroffenen auf der unmittelbaren lokalen Ebene ausgerichtet sind und alternative ökonomische Logiken zum ausschließlich linearen Wachstum „vorleben" (vgl. beispielsweise die aktuellen Kreditvergabe-Projekte als Multiplikatoren in South Central Los Angeles, die unter „herkömmlichen" ökonomischen Logiken gar nicht existieren dürften).

Mit diesen lokalen Alternativen zur rein wachstumsorientierten Stadtpolitik unter den Bedingungen der Globalisierung ist auch eine neue Organisation sozialen Zusammenlebens angesprochen. In Deutschland wird unter den Vorzeichen des Abbaus des Sozialstaates eine Hinwendung zu Formen der Civil Society notwendig, wie sie in den USA traditionell verankert ist. Unsere Gesellschaft muß lernen, ein Bewußtsein von Eigen- und Mitverantwortlichkeit außerhalb institutioneller Regularien und Zuständigkeiten zu entwickeln, um damit auf der unmittelbaren Handlungsebene der „Nachbarschaft" Entwicklungen aktiv zu steuern, wenn sich der Staat als „Versorger" und „Dienstleister" zunehmend zurückzieht.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 2001

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