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[Seite der Druckausgabe: 40 / Fortsetzung]

2. Entwicklungskonzepte und Perspektiven für die Region

2.1 Debatte: Formulierung eines Leitziels versus Trendforschung (Szenarien)

Die Wirtschaftspolitik in der Region Berlin/Brandenburg ist gekennzeichnet durch den fehlenden Konsens über Perspektiven und Ziele der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung Berlins zwischen den Entscheidungsträgern von Parteien, Gewerkschaften und Verbänden in der Stadt. Ein gemeinsames wirtschaftliches Leitbild für die Region, das die gegensätzlichen Interessen auf ein Ziel hin bündelt, konnte bislang nicht formuliert werden.

Schon bei einer Bestandsaufnahme der Probleme und Schwächen Berlins und die mittelfristig zu erwartende Entwicklung zeigen sich große Differenzen. Vollends auseinander liegen die Schlußfolgerungen dieser Einschätzung für die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen des Senats und die einzusetzenden Instrumente. Dabei verlaufen die Frontlinien nicht klar und einheitlich zwischen den politischen Parteien, Verbänden und wissenschaftlichen Instituten.

Das Spektrum der unterschiedlichen Ansätze soll hier skizziert werden am Beispiel der Kontroverse zwischen der Berichterstattung des DIW, Abt. Berlin-Brandenburg, zu den Perspektiven der wirtschaftlichen Entwicklung in der Region und dem Konzept „Berlin - Zukunft aus eigener Kraft", einer Forschungsgruppe am WZB unter der Leitung von Prof. Dr. Meinolf Dierkes. Diese hat im Auftrag der Grundkreditbank Berlin versucht, ein solches wirtschaftliches Leitbild zu formulieren. Eins der negativen und gleichzeitig wichtigstes Ergebnisse ihrer Arbeit ist die Tatsache, daß ein Konsens auch nur über Zielsetzungen und Eckwerte der zukünftigen Wirtschaftspolitik zwischen den Akteuren in der Stadt nicht möglich ist. Dabei handelt es sich nicht in erster Linie um den bekannten Interessengegensatz zwischen nachfrageorientierter Beschäftigungsförderung und angebotsorientierter Produktivitätssteigerung.

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Vielfach besteht eine Verweigerungshaltung gegenüber dem notwendigen Strukturwandel, sobald er den eigenen Besitzstand gefährdet. Das Ausmaß der Schwierigkeiten wird schlicht nicht zur Kenntnis genommen.

Das DIW versucht in seinen regelmäßigen Analysen der wirtschaftlichen Lage in der Region Berlin Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und den Strukturwandel in Industrie und Dienstleistungsgewerbe abzuschätzen und daraus Bedingungen für einen Aufschwung abzuleiten. In seinen Veröffentlichungen zur Strukturpolitik erstellt es Studien über Einzelfragen wie den Wohnungsmarkt, Landesfinanzen oder Verkehrsplanung. Dabei ist es nicht vor populären Irrtümern gefeit. In der Euphorie der Vereinigung sah man Berlin schon als die Metropole in der Mitte Europas, die nicht nur politische Spitze, sondern auch ökonomisches Zentrum der erweiterten Bundesrepublik, des größten Staates im vereinigten Europa, sein würde. Dementsprechend optimistische Annahmen über das wirtschaftliche Wachstum wurden den mittelfristigen Prognosen zu Grunde gelegt. In Gepperts selbstkritischem Rückblick („Wirtschaftliche Entwicklungsperspektiven Berlins," unveröffentlichtes Manuskript, Berlin 1996) wird das anhand der Schätzungen des DIW über die Entwicklung der Erwerbstätigenzahlen in der Region Berlin belegt. Die Prognose von 1990 ging für das Jahr 2000 von 1,82 Mio. Und für das Jahr 2010 von 1,9 Mio. Erwerbstätigen aus. 1996 erwartete das DIW für das Jahr 2000 nur noch 1,492 Mio. Und im Jahr 2010 1,48 Mio. Erwerbstätige. Dabei waren die Annahmen des DIW im Vergleich zu den Voraussagen anderer Institute noch zurückhaltend. Offensichtlich ist in einer Phase des Systemwechsels auch eine bereinigte Trendfortschreibung für mittel- und langfristige Prognosen ungeeignet.

Einen anderen Weg hat die „Strukturpolitische Expertenkommission" bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Betriebe gewählt. In ihren Empfehlungen „Auf dem Weg zur Wirtschaftsmetropole Berlin" skizziert sie mit drei Szenarien drei mögliche Entwicklungspfade, von einer günstigen Entwicklung bis hin zu einer eher pessimistischen Normalisierung:

Szenario 1: Berlin steigt zur „ Europäischen Dienstleistungsmetropole " auf.

  • die europäische Integration in West und Ost macht große Fortschritte.
  • das Wirtschaftswachstum beträgt in Westdeutschland etwa 3 vH jährlich, in Ostdeutschland 10vH und in Berlin 5vH.
  • die Regierung zieht vollständig nach Berlin. Davon geht eine starke Sogwirkung auf Verbände und Unternehmen aus.

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  • der Berliner Wirtschaft gelingt eine qualitative Umstrukturierung, die durch zahlreiche Unternehmensansiedlungen unterstützt wird. Der Immobilienmarkt reagiert flexibel auf die Nachfrage.
  • die für den Wachstums- und Umstrukturierungsprozeß erforderlichen hochqualifizierten Arbeitskräfte ziehen in die Stadt. Die entsprechende Wohnungsnachfrage kann befriedigt werden.

Szenario 2: Berlin erreicht den Status eines Regionalzentrums Ost

  • der Integrationsprozeß in Europa gerät ins Stocken. Die osteuropäischen Länder kommen wirtschaftlich nur langsam voran.
  • es kommt zu massiven, Berlin belastenden Wanderungsbewegungen aus den osteuropäischen Staaten nach Westen.
  • das Wirtschaftswachstum in Deutschland bleibt deutlich unter dem langfristigen Trend.
  • der Umzug der Regierung wird erheblich verzögert. Dies trägt zu großen Imageverlusten der Stadt bei.

Szenario 3: Hauptstadt mit großstädtischer Wirtschaftsstruktur (Normalisierung)

  • die europäische Integration wird zügig weitergeführt.
  • in Osteuropa kommt es zu einer wirtschaftlichen Stabilisierung.
  • das wirtschaftliche Wachstum in Westdeutschland liegt von 1992 - 96 bei 3vH und in Ostdeutschland bei 10vH jährlich. Danach wächst die deutsche Wirtschaft insgesamt um 3vH, das Wachstum in Raum Berlin liegt etwas über diesem Wert.
  • der Umzug der Regierung wird vereinbarungsgemäß vollzogen. Die Verbände schließen sich an.
  • zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg kommt es auf den wichtigen wirtschaftsrelevanten Feldern zu einer intensiven Kooperation. (zitiert nach Geppert).

Schon um den eher zurückhaltend optimistischen Entwicklungspfad des dritten Szenarios einer nachholenden Normalisierung zu erreichen, fordert die Strukturkommission Reformen in der Wirtschaftsförderung des Landes und eine finanzielle Konsolidierung des Landeshaushaltes über gezielten Personalabbau im Öffentlichen Dienst. Und zwar bevor die Rezession 1992/93 und die anhaltende Wachstumsschwäche Berlins absehbar war. Diese Schätzung geht von der angesichts der aktuellen Entwicklung optimistischen Annahme aus, daß die positiven Einflüsse, vor allem der Regierungsumzug, die negativen Trends (Bevölkerungsentwicklung, Industriebeschäftigung) überwiegen und Berlin schneller als der Bundesdurchschnitt wächst. Das DIW ist in seinen neuesten Schätzungen (DIW WB 37/96) vorsichtiger und nimmt an, daß sich Berlin von unten wieder einer niedrigeren volkswirtschaftlichen Wachstumsrate annähert. Wachstumschancen sieht er vor allem in der Vermittlerrolle im zukunftsträchtigen Ost-West-Handel. Der Idee eines übergreifenden Leitbildes erteilt Geppert als unrealistisch eine Absage. Statt dessen fordert er, einen Konsens über einige zentrale Zielsetzungen herzustellen:

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  • „Berlin zu einem mitteleuropäischen Handels- und Dienstleistungszentrum auszubauen,
  • Berlin von einem Zentrum staatlich finanzierter oder subventionierter Wissenschaft zu einem Zentrum von Forschung, Entwicklung und technologisch hochwertiger Produktion weiterzuentwickeln,
  • Berlin mit einem effizienten, kundenfreundlichen und in gewissem Sinne auch kreativen Stadtmanagement auszustatten."

Das WZB mißt einer Konsensbildung einen höheren Stellenwert zu. Unterschiede zeigen sich auch in der starken Technologieorientierung ihres Leitbildes, das die vorhandenen wirtschaftlichen und sozialen Probleme in der Stadt über den Markterfolg innovativer Produkte lösen will. Dabei werden die Auswirkungen einer solchen Industriestruktur auf Arbeitsmarkt und Landeshaushalt uneingeschränkt positiv bewertet. Berlin als Stadt der Chancen für kreative Techniker und dynamische Unternehmerpersönlichkeiten die mit venture capital in der 'Venture Capital' den Durchbruch schaffen, ist sicherlich eine reizvolle Perspektive. Als regionales Entwicklungsprogramm vernachlässigt es die sozialen Kosten einer solchen bedingungslosen High-Tech-Orientierung. Der Verdienst der Studie besteht vor allem darin, die zahlreichen kreativen Potentiale aufzuzeigen, die in der Region vorhanden sind, aber zumeist nebeneinander vor sich arbeiten.

Bei der Analyse des Forderungskataloges an Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft zeigt sich eine weitgehende Übereinstimmung mit den Programmen anderer Akteure. Gefordert wird die Förderung von Innovatoren in der Ausbildung und bei der Unternehmensgründung, die schlanke, kundenorientierte Verwaltung, die Konzentration der universitären Forschung auf „centers of excellence" usw.

Die Realisierung eines derartigen Entwicklungsmodells ist wohl weniger ein Problem der Konsensbildung zwischen (wirtschaftsnahen) Entscheidungseliten, sondern eine Frage der Durchsetzbarkeit im politischen System von Berlin und Brandenburg.

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2.2 Spezifischer Reformbedarf in der Region

Kooperationskonzepte auf Landesebene (nach dem Scheitern der Fusion)

Nach dem Scheitern der Fusion zwischen Berlin und Brandenburg durch das ablehnende Votum der brandenburger Bevölkerung und in Ostberlin gibt es erst zaghafte Ansätze zu einer institutionalisierten Kooperation auf Landesebene. Zwar wurde ein Kooperationsrat aus Vertretern der beiden Landesregierungen gebildet, der die langfristige Landesplanung in besonderen Politikfeldern (vor allem: Raumplanung, Verkehrswesen, Wirtschaftsförderung) abstimmen soll, aber ob die parlamentarischen Mehrheiten oder Dritte sich in heiklen Fragen an die Verhandlungsergebnisse gebunden fühlen werden, wird sich erst noch erweisen müssen. Ein erstes Negativbeispiel bietet die BVG mit ihrer neuen Tarifstruktur kurz vor Einführung des Verkehrsverbundes im ÖPNV.

Dazu kommt das Problem paralleler Planungsprozesse auf unterer Ebene, die nachträglich über die politischen Spitzengremien aufeinander abgestimmt werden müssen. Mögliche integrierte Ansätze können dann daran scheitern, daß sie bei der empirischen Bestandsaufnahme als Möglichkeit gar nicht berücksichtigt wurden. Als dauerhaftes Problem bleiben die Doppelkapazitäten in Landesverwaltung und -regierung, die nun die öffentlichen Haushalte beider Bundesländer belasten. Ob es hier zu einer informellen Arbeitsteilung und entsprechenden Personaleinsparungen kommt, darf bezweifelt werden. Etwas günstiger sieht es bei Verbänden und Organisationen aus. In Vorwegnahme der Fusion haben sie oft schon gemeinsame Landesverbände für Berlin und Brandenburg gegründet, so daß hier eine Koordination und vor allem ein Interessenausgleich stattfindet. Zwar ist von berliner Seite mehrfach die Forderung nach einer auf die Landesinteressen konzentrierten Förderungspolitik erhoben worden, aber es bleibt die Hoffnung, daß die leeren Kassen einen Subventionswettlauf um Gewerbeansiedlungen verhindern. Sicherlich wird es zu Verhandlungen über Ausgleichszahlungen für die Infrastrukturleistungen kommen müssen, die Berlin für das Umland vorhält. Dabei ist von brandenburger Seite wenig Entgegenkommen zu erwarten. Die schlicht ungenügende Finanzausstattung vieler brandenburger Kommunen wird ohnehin dazu führen, daß die Landesregierung zusätzliche Mittel aufwenden muß, damit die Gemeinden ihren gesetzlichen Pflichtaufgaben nachkommen können. Brandenburgs anfängliches Zögern, den Umlandgemeinden Berlins Fördermittel zukommen zu lassen, stand auch unter dem Vorbehalt, daß es nach einer Fusion

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wohl zu Eingemeindungen gekommen wäre. Hier zeigt sich, daß ein Interessenausgleich zwischen den Regionen durch die politische Zentrale eines gemeinsamen Bundeslandes einfacher gewesen wäre.

Reform des öffentlichen Dienstes

Schon bald nach der Vereinigung zeichnete sich ab, daß die finanzielle Lage Gesamtberlins sich erheblich von der vergleichsweise großzügigen Ausstattung Westberlins unterscheiden würde (vgl. 1.2.1). Dies und der drastische Personalabbau bei der Umwandlung des ostberliner Magistrates in Bezirksverwaltungen bzw. bei der Übernahme in die Senatsverwaltung führte zu einer Diskussion über eine Reform der gesamtberliner Verwaltung, wobei man sich von den Erfahrungen westdeutscher Kommunen leiten ließ. Einigkeit bestand bei den Entscheidungsträgern, daß die Berliner Verwaltung überbesetzt ist und zu langsam auf die veränderten Anforderungen reagiert. Ziel einer Reform muß es also sein, die Verwaltung kleiner, billiger und besser/schneller zu machen.

Durch Senatsbeschluß wurde ein Konzept festgelegt, daß Ergebnis einer umfangreichen Evaluierung durch externe Experten (internationale Unternehmensberatungen) ist. Dieses Konzept mit dem griffigen Titel „Unternehmen Verwaltung" sieht vor, Planungsinstrumente, Entscheidungsmechanismen und Arbeitsabläufe aus der Praxis privater Unternehmen in der Landes/Kommunalverwaltung Berlins einzuführen. Ziel ist es, die Effizienz der Verwaltung so zu steigern, daß mit einem begrenzten, d.h. in der Perspektive sinkenden Aufwand an Personal und Sachmitteln das gleiche oder ein qualitativ verbessertes Angebot von öffentlichen Leistungen erbracht wird. Die Zielgrößen in diesem Umwandlungsprozeß sind Kundenorientierung und Ergebnisverantwortung. Der Leitgedanke besteht darin, die Entscheidung über Art der Erstellung und z.T. den Umfang einer bestimmten öffentlichen Dienstleistung (Kinderbetreuung, Theatervorstellung, Bewilligung eines Bauantrages) weitgehend der ausführenden Stelle „vor Ort" zu überlassen. Dazu soll die klassische Aufgabenteilung der öffentlichen Verwaltung zwischen Funktionsämtern, z.B. Bau oder Soziale Dienste, und Querschnittsressorts (Personal, Finanzen) aufgehoben werden und die Aufgaben in „Leistungs- und Verantwortungszentren (LuV)" zusammengefaßt werden. Der Leiter eines LuV entscheidet im Rahmen eines Globalbudgets eigenverantwortlich über Personaleinsatz, Beschaffung von Sachmitteln und Angebotsumfang.

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Um die durch Verfassung vorgeschriebene Bindung jeder Verwaltungsentscheidung an die Rechtsetzung des Parlamentes zu gewährleisten, werden zwischen der politischen Entscheidungsebene (Senat bzw. Bezirksamtskollegium) und der jeweiligen Verwaltungsspitze (i.d.R. Leiter/in des LuV) sog. Zielvereinbarungen geschlossen, die für die Rechnungsperiode (Haushaltsjahr) Vorgaben über Art, Umfang und Qualität der Verwaltungsleistungen enthalten, bis zur Produktebene aufgeschlüsselt. Zur Gewährleistung der politischen Kontrolle und Dienstaufsicht wird ein detailliertes Berichtswesen aufgebaut, das auch die Grundlage für ein modernes, EDV-gestütztes Controlling schafft. Die Effizienz der spezifischen Verwaltungsleistung (Verhältnis input/output) kann nur verglichen und damit kontrolliert werden, wenn:

  1. Verwaltungsleistungen über einen Gesamtberliner Produktkatalog zu Produkten (= Kostenträger) standardisiert werden und
  2. die kameralistische Einnahmen/Ausgaben-Rechnung im Rahmen eines Haushaltstitels durch eine Kostenrechnung ersetzt wird, die auf einem Kontensystem doppelter Buchführung (kaufmännische Doppik) aufgebaut ist.

Erst wenn man den gesamten Verwaltungsaufwand kostenmäßig bewertet und damit vollständig dem spezifischen Verwaltungshandeln (Produkt) zuordnen kann, sind Vergleiche über die Zeit und zwischen verschiedenen Anbietern ob öffentlich oder privat möglich. Die Ergebnisse bilden die Grundlage für Sanktionen, die das Ziel haben, unterdurchschnittliche Verwaltungseinheiten zur Leistungssteigerung zu zwingen. Das Verfahren ist denkbar einfach: der durchschnittliche (Median-) Anbieter aller berliner Bezirke definiert die Kosten einer öffentlichen Dienstleistung, die im Rahmen von Bezirks/LuV-Budgets vom Land erstattet werden. Teurere Anbieter müssen ihr Angebot reduzieren und/oder ihren Aufwand verringern, z.B. über Kürzung von Personalausgaben in dieser Dienststelle. Damit diese neue Konkurrenz um knappe Haushaltsmittel über einen Effizienzwettbewerb nicht zu einem schleichenden Qualitätsverlust der öffentlichen Leistungen führt, beinhalten die einzelnen Produktbeschreibungen meßbare Qualitätsstandards, die im Rahmen des Qualitätssicherungsystems von außen geprüft werden. Die Prüfungsergebnisse bilden die Grundlage für Eingriffe der Fachaufsichtsbehörde. Schwierig wird dieses Vorgehen immer da, wo die Verwaltung eine gesetzlich garantierte Pflichtleistung erfüllt, deren zukünftiger Umfang nur begrenzt planbar ist. Dies betrifft besonders die Bereiche Innere Sicherheit und soziale Grundsicherung. Darüber hinaus sind erbitterte Kontroversen zu erwarten über:

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  • die Zuordnung von Gemein- und Vorhaltekosten auf Produkte/Produktgruppen
  • ungünstige Rahmenbedingungen der konkurrierenden Organisationseinheiten (LuV in den Bezirken), die eine Kostenüberschreitung rechtfertigen und damit Sonderzuweisungen erforderlich machen.

Hier zeigen sich die Grenzen des Reformansatzes, da nicht jedwedes staatliche Handeln die Gewinnerwartung eines betriebswirtschaftlichen Leistungsprozesses zuläßt.

Der Stand der Reform Ende 1996 ist nicht einheitlich: Während Teilbereiche der Bezirksämter bereits weitgehend die Voraussetzungen für die Einführung neuer Organisationsstrukturen und Arbeitsabläufe geschaffen haben, ist das Tempo auf der Landesebene (Senatsverwaltungen) eher zögerlich. Für viele Verwaltungseinheiten gibt es weder umfassende Produktbeschreibungen noch Klarheit über die Kompetenzen der LuV. Eine Schulung der Mitarbeiter (vor allem auf den Gebieten Rechnungswesen und Personalführung) ist zwar erfolgt, führte aber nur begrenzt zu Auswirkungen auf die alltägliche Verwaltungspraxis. Um die Verwaltungsreform flächendeckend auf die Landesverwaltung in der Senats- und Bezirksebene ausdehnen zu können, müssen erst die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Dazu gehört eine Änderung der Landesverfassung zum parlamentarischen Budgetrecht und eine neue tarifrechtliche Festlegung der Anhörungs- und Mitwirkungsrechte des Personalrates, um die erweiterte Entscheidungsbefugnis der LuV abzusichern. Dabei dürfte es zu langwierigen Verhandlungen vor allem mit der ÖTV kommen, die zwangsweise Versetzung und Abgruppierung für ihre Mitglieder verhindern will. Doch entscheidend für die Reform wird sein, wie die neuen Regeln von den Beschäftigten angenommen werden. Hier sind die Einschätzungen auch unter Fachleuten gespalten. Während gerade jüngere und qualifizierte Mitarbeiter die Reform als längst überfällig begrüßen, befürchten Ältere oft, den neuen Anforderungen nicht mehr gewachsen zu sein. Besondere Angst herrscht gegenüber der (bis jetzt sehr vagen) Möglichkeit betriebsbedingter Kündigungen. Vorbehalte gibt es auch von Vertretern der mittleren Führungsebene. Da viele Stellen als Abteilungsleiter wegfallen bzw. neu definiert werden, wird es hier zu Status-Verlusten kommen. Für die neuen Positionen an der Spitze der LuV werden neben erweiterten Fachkenntnissen Management-Qualifikationen erforderlich sein, die in der bisherigen Verwaltungspraxis oft nicht erworben werden konnten. Ob mit der Reform die angestrebten Ziele erreicht werden, wird man erst in einigen Jahren beurteilen können.

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Wissenschaftskonzept

Auch in den Wissenschaften bedeutete die Vereinigung beider Stadthälften die Zusammenführung zweier unterschiedlicher Systeme. Während es in der Bundesrepublik eine informelle Arbeitsteilung zwischen den Grundlagenforschung betreibenden Universitäten und öffentlichen Forschungsinstituten und den eher an Anwendungsforschung und (Produkt)entwicklung interessierten Unternehmen gab, so konzentrierte die DDR einen Großteil ihrer Forschungskapazitäten an der Akademie der Wissenschaften, die im Rahmen der staatlichen Forschungsplanung auch gezielte Anwendungsforschung für die Kombinate betrieb. Die Universitäten beschränkten sich weitgehend auf die Lehre und auf Forschung in nichttechnischen Fächern. Die besondere Situation Berlins zeichnet sich dadurch aus, daß Westberlin vor der Vereinigung der größte Hochschulstandort der Bundesrepublik war, mit einer Vielzahl durch den Bund finanzierter Forschungsinstitute in der Stadt, während in Ostberlin viele Institute der Akademie konzentriert waren, die einen erheblichen Anteil der DDR-Grundlagenforschung ausmachten. Dies führte zu vielfachen Doppelkapazitäten im Wissenschaftsangebot Gesamtberlins.

In einem ersten Schritt wurde das ostdeutsche Wissenschaftssystem evaluiert, was zu einer erheblichen Umgestaltung und Reduzierung der Planstellen führte. Die Akademie der Wissenschaften wurde aufgelöst und die in ihr beschäftigten Wissenschaftler in westdeutsche Parallelinstitute übernommen, oder zumeist über vom Bund finanzierte Sonderprogramme (z.B. die sog. Blaue Liste) weiterbeschäftigt. Diese Programme laufen aus bzw. sind bereits ausgelaufen. Während der Privatisierung der Kombinate wurden die F&E-Abteilungen drastisch reduziert oder als Forschungs-GmbH ausgegliedert. Dies hat zu einem massiven Rückgang der ostdeutschen Industrieforschung geführt, welcher mittlerweile als ein erheblicher Wettbewerbsnachteil für die NBL gilt.

Die Hochschullandschaft Berlins weist neben einer Vielzahl von Fachhochschulen mit dem Aufbau der Universität Potsdam vier Universitäten in der Region auf, zwischen denen bis heute keine klare Aufgabenteilung existiert. Durch Planungsgremien wie den Wissenschaftsrat ist mehrfach versucht worden ein Gesamtkonzept zu entwickeln, um Doppelangebote abzubauen und den Lehrbetrieb zu rationalisieren. Dies ist jedoch weitgehend am hinhaltenden Widerstand der etablierten Strukturen gescheitert. In der Übergangsphase wurde die Humboldt-Universität (HUB) großzügig mit Planstellen und Sachmitteln ausgestattet, da die sozi-

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alwissenschaftlichen Fachbereiche vollständig neu aufgebaut werden mußten und das erkennbare Ziel bestand, sie zu einer städtischen Elite-Universität aufzuwerten.

Letztlich unterliegt die Wissenschaftslandschaft Berlins wie alle öffentlichen Dienstleistungen dem Rotstift der Sparpolitik. Bei de facto über 150.000 Studierenden in Berlin werden die Planzahlen für Studienplätze (nach denen sich die Planstellen für Lehr- und Verwaltungspersonal und Sachmittel wie Bibliotheken und Laborausstattungen berechnen) im Lauf der nächsten Jahre von über 100.000 auf ca. 85.000 reduziert. Jüngste Überlegungen aus einem internen Arbeitspapier der Senatsverwaltung für Wissenschaft unter Senator Radunski (CDU) lassen befürchten, daß damit das Ende der Kürzungen noch nicht erreicht ist. In diesem Papier, das die Aufteilung der Einsparungen auf die Hochschulen festlegen soll, wird folgende Feststellung getroffen: „Die Zahl von 85.000 Studienplätzen läßt sich mit der verbleibenden Finanzausstattung nicht aufrechterhalten; sie wird deutlicher niedriger liegen. Die Modellrechnung führt zu einer Studienplatzzahl für Berlin von 62.000 ..." (zitiert nach Tagesspiegel vom
15. Januar 1997, Seite 21). Die Planungen sehen vor, an den teureren naturwissenschaftlichen und medizinischen Fakultäten überdurchschnittlich abzubauen.

Obwohl von allen Seiten immer wieder die herausragende Bedeutung von Forschung und Wissenschaft für Beschäftigung und Wirtschaftswachstum betont wird, kann die Wissenschaftspolitik des Senats nicht überzeugen. Zwar fehlt es nicht an Konzepten, aber bis heute ist kein politischer Konsens ersichtlich, wie die oft beschworene engere Verknüpfung von universitärer Ausbildung, öffentlich finanzierter Forschung und industrieller Anwendung erreicht werden soll. Selbst spektakuläre Einzelerfolge wie der vierte Platz im bundesweiten Wettbewerb um die Einstufung als führende Biotechnologie-Region, kann nicht darüber hinweg täuschen, daß die Bedeutung einer gezielten Forschungsförderung in der politischen Debatte zu kurz kommt.

Gebietsreform Brandenburg und Bezirksreform in Berlin

Die Gebietsreform wurde in Brandenburg in zwei Stufen vollzogen: nachdem man bei der Neugründung des Landes im September 1990 die Bezirke der DDR aufgelöst hatte, wurde eine Aufteilung in Kreise und kreisfreie Kommunen eingeführt. Diese Verwaltungseinheiten erwiesen sich bald als zu klein und wirtschaftlich zu schwach um den neuen Aufgaben gerecht zu werden. Nach langen Verhandlungen wurde dann 1994 eine Gebietsreform durchgeführt,

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die durch das Entwicklungskonzept der dezentralen Konzentration bestimmt war. Ziel war die Aufteilung Brandenburgs in vier kreisfreie Städte (Brandenburg a.d. Havel, Frankfurt/Oder, Cottbus und Potsdam) und insgesamt 14 Landkreise (Barnim, Dahme-Spreewald, Elbe-Elster, Havelland, Märkisch-Oderland, Oberhavel, Oberspreewald-Lausitz, Oder-Spree, Ostprignitz-Ruppin, Potsdam-Mittelmark, Prignitz, Spree-Neiße, Teltow-Fläming, Uckermark), die aus dem Zusammenschluß mehrerer Altkreise entstanden und so geschnitten sind, daß sie sich möglichst vom berliner Stadtrand bis zur Landesgrenze erstrecken. Dadurch soll sichergestellt werden, daß die politische Führung der Landkreise sowohl für den prosperierenden „Speckgürtel" als auch für unterentwickelte Randgebiete verantwortlich ist und so schon auf kommunaler Ebene ein Interessenausgleich stattfindet. Trotzdem zeichnet sich ein wachsender wirtschaftlicher Entwicklungsunterschied ab. Während im Umland Berlins die Arbeitslosigkeit sich stabilisiert hat und zum Teil unter westberliner Werten liegt, kommt es in den brandenburger Randgebieten zu einer massiven Landflucht vor allem jüngerer und qualifizierter Arbeitnehmer, die entweder nach Berlin oder ins alte Bundesgebiet abwandern. Die Entvölkerung weiter Landstriche ist bereits absehbar und stellt ein entscheidendes Hindernis für jede regionale Entwicklungspolitik dar.

Bei der Vereinigung Berlins wurden Rechtsordnung und Verwaltungsaufbau des Westteils auf die östlichen Stadtbezirke übertragen, so daß Berlin nun aus 23 Bezirken besteht. Diese Bezirke entsprechen in Funktion und Aufbau ungefähr den Stadtverwaltungen nicht kreisfreier Städte in Westdeutschland, obwohl einzelne Bezirke z.B. Neukölln die Bevölkerungszahl (über 300.000 Einwohner) mittlerer Großstädte aufweisen. Die starke Zentralisierung von Planungs- und Entscheidungsbefugnissen auf der Senatsebene ist schon vor dem Mauerfall in Westberlin beklagt und 1990 auf den Ostteil der Stadt übertragen worden. Die nach langen Verhandlungen vom Senat 1996 beschlossene Gebietsreform sieht nun vor, die vorhandenen Bezirke so zusammenzulegen, daß 12 Bezirke mit jeweils etwa 300.000 Einwohnern entstehen. Sollte sich diese Konzeption durchsetzen, die mittlerweile vom Landesparteitag der SPD gebilligt wurde, hätte das weitreichende Konsequenzen:

  • Für die Verwaltung würde die Ost-West-Zuordnung endgültig enden, da einige der neuen Bezirke aus westlichen und östlichen Altbezirken entstehen.
  • Die neuen Bezirke hätten die Größe mittlerer Großstädte mit entsprechender Wirtschaftskraft. Es wäre also nur sinnvoll, ihnen im Rahmen der Landesplanung die Entscheidungskompetenzen für die lokale Infrastruktur zu übertragen

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  • Als unmittelbare Einsparung würden einige hundert Stellen für Bürgermeister, Stadträte und Bezirksverordnete wegfallen. Wichtiger wären die Synergieeffekte auf der Verwaltungsebene. Hier könnten Stabsfunktionen konzentriert und standardisierte Verwaltungsleistungen in sog. Bürgerbüros angeboten werden. Der oft geäußerte Vorbehalt längerer Wege für den Bürger bei Zusammenlegung von Ämtern könnte so weitgehend vermieden werden.
  • Nach einer Neuaufteilung der Kompetenzen zwischen Senats- und Bezirksebene könnte gezielt Personal in den Senatsverwaltungen, vor allem im Mittelbau der „Spiegelstrich-Referate" abgebaut werden.

Die Bezirksgebietsreform ist vor dem Hintergrund der Verwaltungsreform im gesamten Landesdienst zu sehen. Neben den unmittelbaren Folgen bleibt zu hoffen, daß neue Bezirke helfen die verkrusteten Strukturen aufzubrechen, die jede Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen verhindern.

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2.3 Berlin als Zentrum der Wirtschaftsbeziehungen zu Osteuropa

Eine der Standardformeln über die Entwicklungschancen Berlins ist die von der „Drehscheibe zwischen Ost und West". Auf den ersten Blick scheinen die Voraussetzungen günstig: Berlin liegt nur ca. 80 km von der Westgrenze Polens entfernt, dem wichtigsten ostmitteleuropäischen Markt. Über den innerdeutschen Handel hatte die Westberliner Industrie schon vor der Vereinigung gute Kontakte zu osteuropäischen Produzenten und Abnehmern. In Ostberlin war die gesamte Spitze der zentralen Wirtschaftsleitung angesiedelt, darunter auch die Dienststellen, die für den Außenhandel im RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe
= Comecon) zuständig waren. Dabei handelt es sich um Fachleute mit hervorragenden Sprachkenntnissen, die über gute informelle Beziehungen zur alten (und oft auch neuen) Wirtschaftselite der osteuropäischen Staaten verfügen, die Strukturen in den großen Industriebetrieben aus langjährigen Handelsbeziehungen bestens kennen und mit Gewohnheiten und der Mentalität vor Ort vertraut sind.

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Osteuropa läßt sich Mitte der 90er Jahre grob in drei Ländergruppen einteilen, die sich nach ihrer gesamtwirtschaftlichen Lage und dem Stand der marktwirtschaftlichen Reformen (Rechtssystem, Staatsaufbau, Privatisierung) unterscheiden:

  1. die Reformstaaten Mittelosteuropas, die als Marktwirtschaften im westlichen Sinne anzusehen sind. Sie haben die Strukturreform in Rechtssystem und Staatsaufbau im wesentlichen abgeschlossen, kleine und mittlere Staatsbetriebe privatisiert, ihre Wirtschaftspolitik ist marktkonform und auf den Weltmarkt orientiert. Wichtigstes wirtschaftliches Ziel ist die Vollmitgliedschaft in der EU. Probleme bereitet die Privatisierung der z.T. hochverschuldeten großen Industriebetriebe, eine hohe Arbeitslosigkeit und anhaltend hohe Inflationsrate. Zu dieser Gruppe gehören: Polen, Ungarn, Tschechische Republik, Slowenien und mit Vorbehalten die Slowakische Republik.
  2. die Gruppe der sog. Reformnachzügler: diese in sich uneinheitliche Gruppe strebt die Einführung einer Marktwirtschaft an und hat erste Reformschritte eingeleitet, befindet sich aber noch im Stadium einer gemischten Wirtschaft. Dazu gehört, daß im Rechtssystem entscheidende Grundlagen wie Eigentumsgarantie, Gewerbefreiheit, Unternehmensverfassung, Vertragsrecht usw. einer Marktwirtschaft fehlen oder von den staatlichen Behörden nicht angewendet werden. Die Privatisierung der Staatsbetriebe befindet sich noch im Anfangsstadium. Angesichts der akuten Wirtschaftskrise mit hohen Inflationsraten, steigender Arbeitslosigkeit und sinkender Produktion greift die Regierung oft direkt in den Wirtschaftskreislauf ein, um Betriebszusammenbrüche und Versorgungskrisen zu verhindern. Zu dieser Gruppe gehören: die Baltischen Staaten (die in den Strukturreformen weiter fortgeschritten sind, aber große Schwierigkeiten mit der gesamtwirtschaftlichen Stabilisierung haben), Rumänien, Bulgarien, Kroatien und, sollte sich der Friedenszustand stabilisieren, Bosnien-Herzegowina und Restjugoslawien.
  3. die GUS-Republiken als Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Ob sie sich zu Marktwirtschaften nach westeuropäischen Muster entwickeln werden ist noch völlig offen, in vielen Fällen unwahrscheinlich. Ihre wirtschaftliche Entwicklung verläuft sehr schlecht bis katastrophal. Marktwirtschaftliche Reformen befinden sich noch im Versuchsstadium bzw. haben auf die tatsächlichen Wirtschaftsentscheidungen keinen Einfluß. Gemeinsam ist ihnen ein dramatischer Einbruch der Industrieproduktion (z.B. in Rußland gefallen auf ca. 50 % von 1990, Konsumgüterindustrie ca. 10 %) und eine explodierende Kriminalität, die oft erheblichen politischen Einfluß gewonnen hat. Der einzig funktionierende Teil der Volkswirtschaft ist zumeist die Rohstoffgewinnung für den Export.

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Nach der deutschen Wirtschaftsunion im Juli 1990 und dem Zusammenbruch des RGW im Frühjahr 1991 schrumpfte der Außenhandel zwischen den ehemaligen DDR-Betrieben und ihren osteuropäischen Partnern schlagartig, da dieser Handel jetzt in konvertierbarer Währung und nicht mehr durch bilaterale Verrechnung abgewickelt wurde. Dies führte einerseits zu drastischen Produktionseinbrüchen in ostdeutschen Branchen mit hohem Osthandelsanteil, (Schiffbau, Schienenfahrzeuge, Landmaschinen, Textilien), andererseits lösten sich langjährige Zulieferbeziehungen und Produktionskooperationen auf. Für alle Länder Osteuropas ist und bleibt die Bundesrepublik der mit Abstand wichtigste Handelspartner. Die gesamtberliner Wirtschaft stand vor der Aufgabe ihre Wirtschaftsbeziehungen mit Ostmitteleuropa unter veränderten Rahmenbedingungen völlig neu zu organisieren. Dabei konzentrierte man sich auf die Reformstaaten, die nach dem Schock des Systemwechsels ab ca. 1994 beachtliche Wachstumsraten aufweisen: Polen, Ungarn, Tschechoslowakei (ab 1993 Tschechische und Slowakische Republik).

Schwerpunkt der Kooperation ist Polen, das in der internationalen Wirtschaftsförderung von Berlin und Brandenburg einen hohen Stellenwert einnimmt. Dabei wird besonderer Wert auf Kooperationen in der Fertigung und Vermarktung zwischen berliner/brandenburger Unternehmen und polnischen Partnerbetrieben in der westlichen Grenzregion Polens gelegt. Ein wichtiger Schritt dazu war 1994 die Gründung der Deutsch-Polnischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft in Gorzow (Landsberg). 1995 wurde ein Verbindungsbüro in Berlin eröffnet. Die Gesellschafter der DPWG sind die deutschen Anrainer-Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und Berlin, sowie auf polnischer Seite die angrenzenden Woiwodschaften (polnischer Verwaltungsbezirk entspricht etwa einem Landkreis) Stettin, Gorzow, Zielona Gora (Grünberg) und Jelenia Gora (Herzberg). Obwohl es hier erste Kontakte und Arbeitsbeziehungen gibt, die besonders von der polnischen Seite gesucht werden, haben vor allem deutsche KMU Vorbehalte, die sich oft gegen den bürokratischen Aufwand richten, der mit einer internationalen Kooperation verbunden ist.

Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, daß es sich bei der brandenburgisch-polnischen Grenze um eine EU-Außengrenze handelt, was intensive Personen- und Zollkontrollen notwendig macht. Zwar wird durch das Assoziierungsabkommen (Europa-Vertrag) der EU mit Polen und den anderen Reformstaaten der Handel mit Fertigwaren schrittweise zollfrei, da diese Abkommen die Einführung einer Freihandelszone binnen zehn Jahren nach Inkrafttreten

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festlegen. Doch die berüchtigten LKW-Staus bei der Grenzabfertigung werden wohl erst bei einer Vollmitgliedschaft Polens in der EU verschwinden.

Das DIW hat im Auftrag der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie im Sommer 1993 eine Befragung der berliner Wirtschaft zum Stand und den Perspektiven ihrer Beziehungen zu osteuropäischen Partnern durchgeführt. Dabei wurden ca. 1800 überregional agierende Industrie- und ca. 2400 Dienstleistungsunternehmen, vorwiegend Hersteller produktionsnaher Dienstleistungen angeschrieben. Eine parallele Umfrage in Brandenburg erfolgte durch das Brandenburgische Wirtschaftsinstitut (BWI) und die Technologie- und Innovationsagentur Brandenburg (T.I.N.A.). Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  1. Die wichtigsten Partnerländer sind gemessen an der Zahl der Geschäftsbeziehungen: Polen, Tschechische Republik, Rußland und Ungarn
  2. Bisher betrachten b/b Unternehmen die Reformstaaten vor allem als Absatzmärkte. Die Gründung von Niederlassungen oder Vertretungen hat das vorrangige Ziel der Markterschließung (Etablierung von Marken, Aufbau von Vertriebsnetzen, spezielle lokale Werbekampagnen). Die Fertigung in osteuropäischen Ländern für den Export Richtung Westeuropa bzw. in die Bundesrepublik bleibt die Ausnahme.
  3. Technologische Zusammenarbeit beschränkt sich weitgehend auf den Export von am Markt eingeführten Verfahren und Investitionsgütern. Gemeinsame Entwicklung bleibt die Ausnahme und beschränkt sich auf einige Kooperationen mit russischen Forschungseinrichtungen in High-Tech-Gebieten wie Biotechnik, Optik, Sensorik
  4. Kooperation in der Produktion findet vor allem mit polnischen Unternehmen in der Form der Lohnfertigung/Lohnveredlung statt.
  5. Beziehungen zu russischen Betrieben werden bevorzugt von ostberliner Großunternehmen der Grundstoff- und Investitionsgüterindustrie unterhalten.
  6. Ein Problem vieler osteuropäischen Partner ist ihre chronische Zahlungsschwäche in konvertierbarer Währung. Als Ausweg bleibt oft nur Barter-Trade (Naturaltausch) mit dritten Parteien. Vielfach wird deswegen die Ausweitung staatlicher Unterstützung in Form von Exportsicherungsgarantien sog. Hermes-Bürgschaften gefordert.

Obwohl der Anteil Osteuropas am gesamten Außenhandel Berlins 1995 noch bescheiden war, herrscht Übereinstimmung, daß er - unter den richtigen Rahmenbedingungen - zum dynamischsten Sektor der Exportwirtschaft werden kann. Der Investitionsbedarf der privatisierten

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Industrie in den Reformstaaten ist gigantisch und auch die öffentlichen Infrastrukturnetze müssen vollständig erneuert werden, um westeuropäische Standards zu erreichen.


Tabelle 13 Außenhandel Berlins nach Ländergruppen 1994/95 in Mio. DM

Land/Jahr

1994

1995


Exporte

Importe

Exporte

Importe


absolut

vH

absolut

vH

absolut

vH

absolut

vH










EU-Länder gesamt

5.608

46,3

4.878

55,1

5.812

48,7

3.900

48,1

Frankreich

1.224

10,9

1.079

12,2

1.251

10,5

590

7,3

Großbritannien

840

6,9

490

5,5

972

8,1

531

6,5










Mittel/Osteuropa gesamt

1.535

12,7

1.143

12,9

1.535

12,8

1.311

16,2

Rußland

570

4,7

206

2,3

506

4,2

207

2,6

Polen

308

2,5

583

6,6

276

2,3

647

8,0

Tschechische Republik

145

1,2

126

1,4

180

1,5

172

2,1

Ungarn

135

1,1

93

1,1

156

1,3

106

1,3










USA

680

5,6

705

8,0

626

5,2

872

10,8

Japan

749

6,2

315

3,6

639

5,3

292

3,6










Insgesamt

12.124

100

8.850

100

11.939

100

8.110

100

Quelle: Statistisches Landesamt Berlin

Der relativ hohe Anteil Rußlands beruht auf dem Import von Energieträgern, vor allem Erdgas und auf dem Export von Investitionsgütern ostberliner Betriebe, die auf alten Geschäftsbeziehungen beruhen und oft durch Hermes-Bürgschaften abgesichert sind. Die Berliner Wirtschaftspolitik hat die Einrichtung zweier Institutionen gefordert, die gezielt Kontakte mit osteuropäischen Unternehmen und staatlichen Stellen herstellen sollen:

  • die Ost-West-WirtschaftsAkademie (OWWA)
  • das Ost-West-Kooperations-Zentrum (OWZ) in Adlershof

[Seite der Druckausgabe: 56]

Dabei soll der Transfer von Know-how nach Osteuropa, sei es Managementwissen oder moderne Produktionstechnologie, Grundlage einer späteren Zusammenarbeit sein. In Mittelosteuropa, aber auch in Rußland, sind umfangreiche F&E-Kapazitäten vorhanden, die von deutschen Partnern genutzt werden könnten. Leider wird von Fachleuten gerade des OWZ kritisiert, daß Unternehmern aus Osteuropa die nach Berlin kommen und eine Zusammenarbeit anstreben, mit mannigfaltigen Schwierigkeiten durch die berliner Verwaltung zu kämpfen haben. Dies beginnt mit Einreise- und Aufenthaltsregelungen, über restriktive Zoll und Einfuhrvorschriften bis hin zu Verzögerungen bei der Zulassung/Anmeldung von Unternehmen und Produkten. Auch wenn geltende deutsche und europäische Rechtsvorschriften zu beachten sind, stellt sich die Frage, ob nicht von der Senatsverwaltung für Wirtschaft eine Anlaufstelle eingerichtet werden sollte, um diesen Problemen zu begegnen.

Die marktwirtschaftliche Deregulierung der osteuropäischen Finanzmärkte bietet für berliner Banken und Finanzdienstleister Chancen Zugang auf diese neue Märkte zu gewinnen, indem man Kooperationen mit lokalen Akteuren über den Transfer von technischem Wissen und die Herstellung internationaler Kontakte vereinbart. Dabei konkurriert Berlin mit regionalen Finanzplätzen wie Frankfurt oder London. Ein kleiner Standortvorteil ist, daß seit einiger Zeit osteuropäische Aktienwerte im Freiverkehr an der Berliner Börse notiert werden; allerdings gehen z.B. große russische Gesellschaften wie Gazprom direkt auf den internationalen Markt. Darüber hinaus orientieren sich osteuropäische Banken auf den Finanzplatz Berlin. 9 von 12 in Deutschland vertretenen osteuropäischen Banken haben sich in Berlin angesiedelt. Dabei spielt der zukünftige Regierungssitz sicherlich eine Rolle und auch die hohen Kosten am Standort Frankfurt. Nicht zu unterschätzen sind die Risiken auf diesen neuen, hochvolatilen Märkten, wie die aktuellen Bankenkrisen im Baltikum und in der Tschechischen Republik zeigen. Trotzdem ist nicht zu übersehen, daß Berlin zunehmend die Funktion eines Platzes zur Finanzierung von Ost-West-Handelsgeschäften bekommt.

Selbst bei einer optimistischen Beurteilung der Entwicklungschancen für die wirtschaftlichen Beziehungen Berlins mit Osteuropa, sollten hier die Größenordnungen beachtet werden. Mittelfristig wird das Osteuropageschäft allenfalls für einige Investitionsgüterproduzenten und produktionsnahe Dienstleister einen maßgeblichen Marktanteil bedeuten. Ein erheblicher Beschäftigungseffekt würde sich erst dann ergeben, wenn sich branchenweit eine neue internationale Arbeitsteilung etablierte:

[Seite der Druckausgabe: 57]

  • zentrale Unternehmensbereiche wie F&E, Finanzierung, Marketing u.a. in Berlin und dem Umland
  • flächenintensive Produktion und Logistik in Brandenburg
  • arbeitsintensive Fertigungsschritte wie mechanische Bearbeitung, Baugruppenmontage, Verpackung in einem mittelosteuropäischen Reformland z.B. Polen

Dies könnte für die Region Berlin/Brandenburg einen Nettozuwachs in der Erwerbstätigkeit bedeuten, würde allerdings den Strukturwandel hin zu immer qualifizierteren Arbeitsplätzen beschleunigen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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