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[Seite der Druckausgabe: 12 / Fortsetzung]

1. Bestandsaufnahme: die Entwicklung der Region Berlin/Brandenburg seit der deutschen Vereinigung 1990

1.1 Die besondere Ausgangslage der Region

Eine Analyse der wirtschaftlichen Lage und der Perspektiven der Region Berlin/Brandenburg muß eine Reihe von Sonderbedingungen berücksichtigen, die die weitere Entwicklung Berlins entscheidend beeinflussen werden:

  1. Berlin ist Bundeshauptstadt und wird Regierungssitz. Ab 1998/99 werden einige zehntausend Bundesbedienstete in die Hauptstadt umziehen. Auch wenn durch Auslagerung von in Berlin angesiedelten Bundesbehörden die Nettozuwanderung bescheiden sein wird, konzentriert sich dann die Mehrheit der Bundesministerialbürokratie in der Stadt. Dieses wird zur Veränderung der inner- und randstädtischen Wohnbevölkerung in ihrer Sozialstruktur, ihrem Einkommen, Konsum- und Freizeitverhalten führen. Einen mindestens ebenso großen Einfluß wird der Zuzug von Beschäftigten vieler Botschaften, Verbände, Zentralverwaltungen, Institute, Stiftungen usw. haben, der sich jetzt schon abzeichnet.
  2. Berlin wird wegen der gescheiterten Fusion mit Brandenburg auf absehbare Zeit Stadtstaat bleiben, mit allen Problemen, die dieser Status für die Kooperation von Stadt und Umland (als Teil des dünnbesiedelten Flächenstaates Brandenburg) hat und haben wird. Die Ansiedlung der großer Teile der wohlhabenden Wohnbevölkerung und moderner Fertigungsstätten im angrenzenden „Speckgürtel" vollzieht sich als nachholende Entwicklung westdeutscher Strukturen im Zeitraffertempo und dürfte bis Ende des Jahrzehnts im wesentlichen abgeschlossen sein. Ungeklärt bleibt der Interessenausgleich zwischen Stadt, Umland und brandenburger Peripherie bei Steueraufkommen, Verkehrsleistungen und Soziallasten.

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  1. Die Stadt hat einen hohen Renovierungs- und Erweiterungsbedarf für die Infrastruktur in Ostberlin. Darüber hinaus fehlen Einrichtungen oder entsprechen nicht mehr den gewachsenen Anforderungen einer Metropole, ohne daß Politik und Wirtschaft in der Stadt sich bisher auf ein tragfähiges Gesamtkonzept für die Stadtentwicklung verständigen konnten.
  2. Berlin ist wirtschaftlich ein Teil des Transformationsgebietes Ostdeutschland und bildet mit dem Umland mittlerweile einen integrierten Arbeitsmarkt. Die Stadt erfüllt als Oberzentrum für Nordostdeutschland zentrale Dienstleistungsfunktionen wie Verwaltungszentrum, Wissenschaftsstandort und Kulturanbieter. Gleichzeitig wirkt sie wie ein Magnet auf junge, qualifizierte Arbeitskräfte aus der Fläche und verstärkt damit die Entwicklungsunterschiede zur Peripherie Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns.
  3. Ostberlin war einer der wichtigsten Industriestandorte in der DDR. Nach der Auflösung des RGW 1991 brachen für diese Betriebe wichtige Absatzmärkte in Osteuropa zusammen. Trotz der daraus resultierenden Umsatzrückgänge und Stillegungen blieben bei den ehemals Beschäftigten informelle Beziehungen nach Osteuropa bestehen, außerdem sind wertvolle Kenntnisse über Sprache, Kultur und Mentalität dieser Länder vorhanden, die eine hervorragende Ausgangsbasis für wirtschaftliche Aktivitäten in die mittelosteuropäischen Reformstaaten bieten. Der Ausbau der wirtschaftlichen Verflechtung Berlins mit Ost(mittel)europa ergibt sich nicht nur aus Tradition und geographischer Lage (80 km bis zur polnischen Grenze). Berlin hat die Chance eine Drehscheibe im Ost-West-Handel zu werden, wenn die Stadt es schafft, diese Potentiale zu nutzen und eine gezielte Förderstrategie für die Kooperation von berliner Unternehmen mit osteuropäischen Partnern zu entwickeln.
  4. Die entscheidende Restriktion für die Wirtschaftspolitik in der Region ist der katastrophale Zustand der Landesfinanzen in Berlin und Brandenburg. Besonders für Berlin sind drastische Korrekturen unvermeidbar, wenn das Land mittelfristig handlungsfähig bleiben will.

Diese Bedingungen sind bei der Formulierung eines Gesamtkonzeptes für die Region zu beachten. Dabei geht es nicht nur um einen Konsens der wirtschaftlichen und politischen Akteure, sondern um eine realistische Einschätzung der entscheidenden Trends. Wie schwer eine solche Bewertung auch ausgewiesenen Experten unter der Bedingung eines radikalen Strukturbruchs fällt, haben die letzten Jahre gezeigt. Bei allen Besonderheiten kämpft die Region Berlin-Brandenburg mit Problemen, die die ganze Bundesrepublik betreffen: Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, geringes Wirtschaftswachstum und veraltete Instrumente der Wirt-

[Seite der Druckausgabe: 14]

schaftspolitik, die den neuen Konkurrenzbedingungen in Europa und Welt nicht mehr entsprechen. In diesem Sinne kann Berlin durchaus eine Werkstatt zur Erprobung neuer Lösungen unter veränderten Bedingungen sein.

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1.2 Wirtschaftsentwicklung: Strukturwandel und Wirtschaftsförderung

Die Entwicklung der Wirtschaft in Berlin seit 1990 ist gekennzeichnet durch einen zweifachen Strukturwandel. Zum einen führte das Ende der Insellage Westberlins und der Wegfall der Berlin - Förderung zu einer nachholenden Entwicklung der Produktionsstruktur ein, zum anderen führte die Privatisierung der ostdeutschen Industrie in vielen Betrieben Ostberlins zu Stillegungen und Massenentlassungen.

Nach einem Vereinigungsboom in Westberlin in den Jahren 1991/92 blieb das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 1994-96 erheblich hinter dem gesamtdeutschen Durchschnitt zurück. Das BIP in laufenden Preisen stieg von 1991 bis 1995 in Gesamtberlin um ca. 22%. Gleichzeitig fand ein gravierender Strukturwandel statt: Der Anteil der Industrieproduktion (Verarbeitendes Gewerbe ohne Baugewerbe und Versorgungsunternehmen) sank von 28% auf 21%, während die privaten Dienstleistungen (ohne Handel und Verkehr) von knapp 30% auf 35% anstiegen. Ähnliches läßt sich über die Entwicklung der Beschäftigung in diesen Sektoren sagen. Obwohl eine ähnliche Tertiärisierung der Wirtschaft auch in den alten Bundesländern stattfindet, ist der Industrieanteil am gesamten Wirtschaftsaufkommen inzwischen unter die Werte vergleichbarer westdeutscher Großstädte gefallen. Dies gilt auch für die Beschäftigung: Die Industriedichte (d.h. im Verarbeitenden Gewerbe Beschäftigte pro 1000 Einwohner) blieb 1994/95 mit 46 weit hinter westdeutschen Werten: Stuttgart 147, Frankfurt/M. 119, München 107, Düsseldorf 92 zurück. Offensichtlich war die fertigungsorientierte, kapitalintensive Industrie Westberlins ohne steuerliche Förderung an diesem Standort nicht mehr konkurrenzfähig. Besonders betroffen davon ist die Investitionsgüterindustrie, deren Produktion von 1991 bis 1994 um ca. 35% sank. Der Produktionsrückgang in Branchen wie EDV/Büromaschinenbau, Elektrotechnik, Feinmechanik und Optik ist besonders negativ, weil in diesen technologieintensiven Produktionsfeldern qualifizierte, wertschöpfungsintensive Arbeitsplätze entstehen, wenn man sich mit neuen Produkten am Markt durchsetzt. Für die zukünftige Entwicklung wird es entscheidend darauf ankommen, solche Unternehmen anzu-

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siedeln bzw. zu halten, die hier ihre Produkte international konkurrenzfähig entwickeln und herstellen können. Dies können nur solche Produkte/Produktionsabläufe sein, die trotz der hohen Kosten am Standort (Personalausgaben, Grundstückspreise, Planungs- und Verwaltungsaufwand) Gewinne erzielen und auf qualifizierte Arbeitnehmer und eine ausgebaute Infrastruktur angewiesen sind. Aus dem existierenden Profil der berliner Industrie bieten sich dabei einige Produktfelder an, für die gute Rahmenbedingungen in Forschung und Entwicklung (F&E) und Fertigung vorhanden sind:

  • Verkehrstechnik vor allem Schienenfahrzeugbau und -leittechnik
  • Medizintechnik und Pharmazeutik / Biotechnologie
  • Automatisierungstechnik / IuK-Technologien / Software-Entwicklung
  • Laser- und Optiktechnologien
  • Innovative Bauverfahren

Prinzipiell orientiert sich die Förderung von Technologien auf bestimmte Technologie - Cluster, die durch Expertenkreise aus Senatsverwaltung, Unternehmen und Forschungseinrichtungen ausgewählt wurden. Das Dilemma für den Standort Berlin besteht darin, daß es zu einem mis-match auf dem Arbeitsmarkt kommt: bei den Arbeit suchenden Industriearbeitern handelt es sich zumeist um Un- /Angelernte oder Facharbeiter mit veralteten Fachkenntnissen, während in der Stadt ausgebildete hochqualifizierte Techniker und Ingenieure oft wegen besserer Karrierechancen nach Westdeutschland abwandern.

Die Bauwirtschaft in Berlin zeichnet sich durch das mittlerweile bundesweit bekannte Phänomen hoher Wachstumsraten bei gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit deutscher Baufacharbeiter aus, die von billigeren Konkurrenten aus anderen EU-Ländern und aus osteuropäischen Ländern verdrängt werden. Auf die Auseinandersetzung um einen gesetzlich garantierten tariflichen Mindestlohn für alle in Deutschland Beschäftigten (Entsende-Richtlinie) kann hier nicht eingegangen werden. Für die Entwicklung des berlin/brandenburger Marktes für Baudienstleistungen sind zwei Trends entscheidend:

  • Mit dem Auslaufen der Sonderabschreibung für Baumaßnahmen in den NBL 1996 wird der Wohnungsneubau drastisch sinken. Schon jetzt sind an den Rändern der Ballungsgebiete Überkapazitäten zu verzeichnen, die nicht der aktuellen Nachfrage entsprechen.

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  • Bei Gewerbe- und Büroraum zeichnet sich in Berlin nach dem Boom der frühen 90er Jahre eine Marktsättigung ab, die deutlich am Preisverfall (allein 1995 ca. 15-20 % gegenüber dem Vorjahr) für erstklassige Angebote in Citylage abzulesen ist. Ob der Hauptstadtumzug mittelfristig eine ausreichenden neuen Bedarf schafft, um diesen Entwicklung umzukehren, bleibt abzuwarten.

Insgesamt dürfte der Hochbau eher stagnieren oder schrumpfen und ähnliches ist für Ausbau/Erneuerung der öffentlichen Infrastruktur angesichts der leeren Landeskasse anzunehmen. Die Hoffnung, daß der vorhandene Baubedarf wesentlich zu einer Verbesserung der Lage auf dem Arbeitsmarkt beitragen könnte, hat sich als trügerisch erwiesen.

Das entscheidende Problem für die Berliner Wirtschaftspolitik ist die anhaltende Arbeitslosigkeit, die sich bei stagnierender Wirtschaftsleistung und einer mittelfristig sinkenden Erwerbstätigkeit zu verfestigen droht. Die staatliche Wirtschaftsförderung versucht dieser Entwicklung durch gezielte Gewerbeansiedlung in Ostberlin und einer allgemeinen Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen und Investoren zu begegnen. Zu den Aufgaben dieser Politik gehört:

  • Verbesserung der Finanzlage vor allem kleiner und mittlerer Unternehmen sowie von Existenzgründern durch Fördermittel (Zuschüsse, Bürgschaften) und technische Hilfe (Beratung, vereinfachte Verwaltungsverfahren)
  • Ausbau der öffentlichen Infrastruktur (Verkehr, Kommunikationsnetze, Logistikeinrichtungen)
  • Einrichtung von Gewerbehöfen/zentren für Handwerksbetriebe /KMU
  • Sonderprogramme zur Innovations-/Technologieförderung

Dies entspricht der normalen Leistungspalette sektoraler und regionaler Wirtschaftsförderung. Die besonderen Ziele in Berlin sind die Förderung von Existenzgründungen, die von technischen Innovationen ausgehen. Dabei soll versucht werden, das lokal vorhandene F&E-Potential durch engere Kontakte zwischen Universitäten, Forschungsinstituten und gewerblicher Unternehmen zu nutzen. Ein zweiter Schwerpunkt ist der Aufbau von Gewerbezentren besonders im Ostteil der Stadt. Insgesamt werden so in den nächsten Jahren mehr als 170.000 m2 Gewerbefläche geschaffen, die zu günstigen Bedingungen KMU angeboten werden. Damit sollen noch vorhandene industrielle Kerne der DDR-Industrie erhalten und mit Neu-

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Ansiedlungen verbunden werden. Gleichzeitig soll das weitere Abwandern von Industriebetrieben nach Brandenburg (vor allem südlich und westlich von Berlin) gebremst werden. Nach dem Scheitern der Fusion mit Brandenburg im Mai 1996 ist es das Bestreben des Senats, durch gezielte Ausweisung von erschlossenen Flächen im Stadtgebiet das Verbleiben von Betrieben in der Stadt zu sichern.

Das mit Abstand wichtigste Förderungsprogramm der Berliner Wirtschaftspolitik ist die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (GA). Die GA wird je zur Hälfte von Bund und Ländern finanziert und fördert Investitionen gewerblicher Unternehmen und den Ausbau der wirtschaftsnahen Infrastruktur durch die öffentliche Hand. Eine Teilfinanzierung durch Mittel aus dem Regionalfonds der EU (EFRE) ist möglich (vgl. dazu 3.2)

Tabelle 1 Finanzplan für die GA in Berlin im Zeitraum 1996 - 2000 in Mio. DM


Jahr

Ostberlin

Westberlin



gewerbliche Wirtschaft

wirtschaftsnahe Infrastruktur

nichtinvestive Maßnahmen

gewerbliche Wirtschaft

wirtschaftsnahe Infrastruktur

nichtinvestive Maßnahmen

1996

191,5

348,5

3,3

81,3

6,2

1,5

1997

177,5

405,1

5,4

86,1

-

2,8

1998

99,7

310,4

5,4

89,0

-

2,8

1999

95,6

146,4


89,0

-

-

2000

95,6

146,4


89,0

-

-

1996-2000

659,9

1356,9

14,1

431,8

6,2

7,2

insgesamt

2360,0

1840,0


1900,90

12,4

-

Quelle: Wirtschaftsbericht Berlin 1996, Senatsverwaltung für Wirtschaft und Betriebe

Für das Haushaltsjahr 1996 und die mittelfristige Finanzplanung bis zum Jahr 2000 gilt der 25. Jahresplan, der im Frühjahr/Sommer 1996 vom paritätisch besetzten Bund-Länder-Planungsausschuß der GA beschlossen und von der EU-Kommission genehmigt wurde. Er sieht ab 1997 eine Reihe von Regeländerungen für Ostdeutschland vor, die Berlin im besonderen Maße betreffen:

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  • Bis Ende 1996 war den NBL flächendeckend der Status einer strukturschwachen Arbeitsmarktregion zuerkannt worden. Ab 1997 gilt eine neue Fördergebietsabgrenzung. Für Berlin bedeutet das eine einheitliche Einstufung als strukturstärkeres Gebiet, was im Gegenzug Westberlin zum Fördergebiet der GA macht. Die Einbindung Berlins in den Wirtschaftsraum Ostdeutschland wird also ausdrücklich anerkannt.
  • Für Gesamtberlin und den engeren Verflechtungsraum (brandenburger Umland im Umkreis von ca. 80 km) gelten ab 1997 folgende Fördersätze: bis zu 43% für KMU und bis 28% für andere Unternehmen. Die wirtschaftsnahe Infrastruktur kann bis zu 80% der Investitionssumme gefördert werden.

Von 1991 - 1995 sind im Rahmen der GA 2031 Investitionen mit einem Investitionsvolumen von 9,4 Mrd. DM durch Zuschüsse in Höhe von 3,1 Mrd. gefördert worden, wobei davon 1,5 Mrd. auf gewerbliche Investitionen und 1,6 Mrd. auf die wirtschaftsnahe Infrastruktur entfielen. Dabei sind ca. 100.000 Arbeitsplätze geschaffen worden. Im Jahr 1996 standen Berlin 632 Mio. DM GA-Mittel (davon 543 Mio. DM GA-Ost und 89 Mio. DM GA-West) zur Verfügung.

Besonderen Wert legt die Wirtschaftsförderung auf die Entwicklung innovativer Verfahren und Produkte, da ein erfolgreicher Strukturwandel in der Industrieproduktion nur möglich ist, wenn die regionale Kompetenz in Zukunftsmärkten wie Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK), Multimedia-Anwendungen, Prozeßautomation erhöht wird. Dafür gibt es zwei Ansätze:

  1. Einrichtung von Arbeitskreisen, in denen Unternehmensvertreter, Wissenschaftler und Verwaltungsangehörige/Politiker über Schwerpunkte von Technologieförderung diskutieren und Entscheidungen vorbereiten
  2. Förderprogramme um die Übernahme von neuen Produkten und Prozessen in die betriebliche Praxis zu erleichtern.

Nach dem Abschluß der Übergangsphase versucht man die Programmvielfalt zu straffen, die selbst Experten aus der Verwaltung kaum noch überblicken können. Die zentrale Anlaufstelle in dieser Förderlandschaft ist der Strategiekreis Forschung, Innovation, Technologie (SK FIT), der besonders eine Koordination der Technologiepolitik von Berlin und Brandenburg anstrebt. Neben einer Task-Force (FIT-Promotion-Team) zur Beratung interessierter Unternehmen wurde ausgehend von der Anschubförderung zur beruflichen Umorientierung von

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Wissenschaftlern der DDR-Akademie der Wissenschaften das Programm FIT Berlin 2001 aufgelegt, das ca. 1000 Arbeitsplätze im F&E-Bereich in der Stadt sichern konnte. Dieses war wiederum eine Grundlage für das größte Technologieprojekt in Berlin seit der Vereinigung:

das Projekt Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort (WISTA) in Berlin-Adlershof. Im Südosten Berlins in der Nähe des neuen Großflughafens Schönefeld soll bis Ende des Jahrzehnts ein moderner Technologiepark entstehen, der eine enge Verbindung von universitärer Forschung und betrieblicher Anwendung zum Ziel hat. Zu diesem Zweck sollen die naturwissenschaftlichen Fachbereiche der Humboldt-Universität nach Fertigstellung der Gebäude an den Stadtrand verlagert werden. In Kooperation mit auf dem Gelände anzusiedelnen Entwicklungs- und Fertigungsunternehmen sollen Studenten und wissenschaftliche Mitarbeiter Forschung in folgenden „Fach-Clustern" betreiben:

  • Photonik
  • Umwelttechnologie
  • Informations- und Kommunikationstechnologie
  • Systemtechnologie
  • Neue Werkstoffe

Langfristig sollen hier in einem Zeitraum von zehn Jahren 1,5 Mrd. Mark investiert und ca. 10.000 hochqualifizierte Arbeitsplätze geschaffen werden. Am WISTA soll eine ISDN-vernetzte elektronische Bibliothek und ein internationaler Forschungs- und Kooperationsverbund angesiedelt werden. Das Ost-West-Kooperationszentrum befindet sich im Bau. In jüngster Zeit ist dieses Vorzeigeprojekt erneut Gegenstand der politischen Diskussion. Zum einen fürchten die anderen universitären Forschungseinrichtungen, daß sich die knappen Mittel des Wissenschaftsetats auf Adlershof konzentrieren werden; angesichts der Haushaltslage und den bereits beschlossenen Kurzungen im Wissenschaftsetat keine unrealistische Einschätzung. Dieses Prestigeprojektes ist ein Kernstück des Konzeptes, Berlin zu einem europäischen Zentrum der Hochtechnologie-Forschung zu machen.

Ein weiteres wichtiges Instrument der Wirtschaftspolitik durch Technologieförderung sind die Technologie- und Gründerzentren (TGZ). Diese bieten jungen KMU und Existenzgründern attraktive Rahmenbedingungen in der Einstiegsphase, um innovative Produkte und Verfahren am Markt einzuführen. Zusammen mit anderen Unternehmen mit ähnlichem Produktprofil sind diese zu ermäßigten Mieten an bekannten Standorten untergebracht. Oft ergeben sich über die räumliche Nähe informelle Kontakte zu Forschungsinstituten und potentiellen Fertigungs- /Abnehmerfirmen. In den meisten Fällen bieten die TGZ den untergebrachten Firmen ein Servicepaket (Bürokommunikation, Verwaltung bis zur Buchführung, Marketinghilfen),

[Seite der Druckausgabe: 20]

das die Verwaltungskosten am Anfang niedrig zu halten hilft. Die Landeszentralbank Berlin hat im Rahmen ihres Jahresberichtes eine Studie zur wirtschaftlichen Bedeutung der TGZ in Berlin und den NBL durchgeführt. Dabei wird die Bedeutung der TGZ in Ostdeutschland unter anderem darauf zurückgeführt, daß in der unmittelbaren Umgebung oft keine Abnehmer für neue Produkte angesiedelt sind und die Kontaktaufnahme zu F&E-Einrichtungen und Beschaffungsabteilungen großer Unternehmen entscheidend für die Markteinführung ist. Angesichts knapper öffentlicher Mittel sehen die Verfasser der Studie nur in einer gezielten Kooperation mit Brandenburg die Chance, ein spezifisches technologisches Profil für die Region aufzubauen.

Das Angebot an konsumnahen Dienstleistungen (Freizeit, Hotelwesen / Gastronomie, Reparaturhandwerk) war in der Zentralverwaltungswirtschaft der DDR wegen der Industrie-Orientierung und dem ständigen Arbeitskräftemangel völlig unterentwickelt. Sofort nach der Wirtschafts- und Währungsunion explodierte das Angebot an solchen Dienstleistungen, so daß auf vielen Gebieten schon nach kurzer Zeit der westdeutsche/westberliner Standard erreicht war. Im Bereich der wertschöpfungsintensiven, produktionsnahen Dienstleistungen (F&E, Finanzierung, Marketing, Rechtsberatung) existiert in beiden Stadthälften ein erhebliches Defizit gegenüber vergleichbaren westdeutschen Großstädten:

Tabelle 3 Hochschulabsolventen in v.H. der Dienstleistungsbeschäftigten in Westberlin und in westdeutschen Großstädten1 /Stadtregionen2 1994


Wirtschaftsgruppe

Westberlin

Großstädte

Stadtregionen

Veränderung 89/94 in vH

Anteil 1994 in vH

Veränderung 89/94 in vH-Punkten

Anteil 1994 in vH

Veränderung 89/94 in vH-Punkten

Anteil 1994 in vH

Veränderung 89/94 in vH-Punkten

Handel

2,6

0,6

4,7

0,9

4,2

0,8

Verkehr

1,9

0,7

3,2

0,5

2,7

0,3

Kreditinstitute / Versicherungen

11,0

5,2

12,2

2,8

10,1

2,4

sonstige private Dienstleistungen

9,5

2,4

12,9

2,2

11,4

1,9

Organisationen ohne Erwerbszweck

17,3

1,2

19,4

0,7

17,3

0,1

Tertiärer Sektor gesamt

9,6

1,3

10,9

1,8

9,4

1,4

1 Hamburg, Bremen, Hannover, Essen, Köln, Frankfurt/M, Mannheim/Ludwigshafen, Stuttgart, München, Nürnberg/Erlangen/Fürth
2 Hamburg, Bremen, Hannover, Frankfurt/M, Mannheim/Ludwigshafen, Stuttgart, München, Nürnberg
Quelle: DIW WB 6/96

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Dies erklärt sich aus der bisherigen Unternehmensstruktur größerer Industrieunternehmen in Berlin. Das Schwergewicht lag auf Fertigungsbereichen als „verlängerte Werkbank", während zentrale Unternehmensbereiche am Sitz in Westdeutschland angesiedelt bleiben. Im Ostteil hat die Treuhand-Privatisierung zur Stillegung und/oder Zerschlagung der großen Industrieproduzenten geführt, so daß überwiegend mittelständische Betriebe übrig geblieben sind. Sollte es gelingen Unternehmenszentralen und Verbandsspitzen in die Stadt zu ziehen, dürfte dies zu einer entscheidenden Verbesserung des Angebots an qualifizierten Dienstleistungsarbeitsplätzen führen. So könnten Hochschulabsolventen am Standort gehalten werden und auch das Steueraufkommen würde davon profitieren. Außerdem gibt es bereits einige Branchen, in denen Berlin eine Spitzenposition erobert hat. Darunter ist der gesamte Bereich der elektronischen Medien, die Entwicklung von Software und die Veranstaltung von Messen und Kongressen.

Die Medienstadt Berlin zeichnet sich durch ein großes Angebot von Printmedien aus, darunter vier regionale Tageszeitungen (Berliner Zeitung, Berliner Morgenpost, taz, Tagesspiegel). Mit dem Sitz von zwei bundesweiten Fernsehsendern (n-tv und Sat1) sucht Berlin den Anschluß an die Medienzentren München und Köln. Dabei wird zukünftig die politische Berichterstattung eine größere Rolle spielen, wie man aus den Studioneubauten ablesen kann. Kaum zu unterschätzen für die Rolle Berlins als Filmstadt und Produktionsstandort ist das vollständig renovierte Studiogelände der ehemaligen DEFA in Potsdam-Babelsberg mit seinem Schwerpunkt Animation und Tricktechnik.

Bei der Entwicklung von Anwendungssoftware hat sich Berlin einen Spitzenplatz erobert, der auf einer bundesweit einmaligen Marktstruktur beruht. Eine Vielzahl von kleinen und kleinsten Entwicklungsfirmen mit engen informellen Beziehungen zu Universitäten und Forschungsinstituten reagieren flexibel auf spezielle Nachfrage und Anwendungswünsche.

Das Messewesen Westberlins war schon vor der Vereinigung ein Standbein der lokalen Wirtschaft. Gemessen an den Besucherzahlen liegt Berlin auf Platz zwei in der Bundesrepublik. Durch das erweiterte Hinterland und die damit verbundene regionale Nachfrage hat der Standort an Attraktivität gewonnen, so daß er mittlerweile mit westdeutschen Anbietern um bedeutende Fachmessen wie die Internationale Automobilausstellung konkurriert. Grenzen setzen hier die Ausstellungskapazitäten, was vor allem durch einen großzügigen Ausbau des

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Berliner Messegeländes am Funkturm behoben werden soll. Dieses Projekt wird mit einem Investitionsvolumen von ca. 1,8 Mrd. DM weitgehend über öffentliche Zuschüsse finanziert. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß mittelfristig mit einem Ansteigen des Arbeitsplatzangebots im Dienstleistungsbereich zu rechnen ist. Es bleibt jedoch selbst bei optimistischen Annahmen über das regionale Wirtschaftswachstum zu bezweifeln, ob dieser zusätzliche Bedarf die angespannte Arbeitsmarktlage entscheidend verbessern kann.

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1.2.1 Finanzkrise und staatliche Strukturpolitik

Das entscheidende Hindernis für wirtschaftliche Struktur- und Steuerungspolitik ist die Deckungslücke im Landeshaushalt Berlin, die es kaum zuläßt, zusätzliche Investitionen zu finanzieren oder zu fördern. Für die katastrophale Finanzlage des Landes Berlin lassen sich im wesentlichen drei Gründe nennen:

  1. Während des Kalten Krieges wurde der Landeshaushalt Berlin bis zu 50% durch Zuweisungen des Bundes finanziert. Diese wurden direkt nach der Wende drastisch gekürzt, ohne den zusätzlichen Bedarf für die Erneuerung der Infrastruktur in Ostberlin in Rechnung zu stellen.

Einnahmen des Landeshaushaltes Berlin und Bundeszuschüsse 1991-95


Jahr

Einnahmen Landeshaushalt Berlin in Mrd. DM



gesamt

Steuern u.ä.

Bundeszuschüsse

Bundeszuschüsse in vH der Einnahmen

1991

32,49

9,53

14,38

44,26

1992

34,69

12,46

13,1

35,92

1993

34,14

14,6

10,08

42,77

1994

33,26

16,54

5,54

16,65

1995

34,10

18,2

01

0

1Berlin wird in den Länderfinanzausgleich einbezogen
Quelle: Wirtschaftsbericht 96

  1. In Ostberlin wurde die staatliche und kommunale Verwaltung rationalisiert und in diesem Prozeß wurde die Zahl der Beschäftigten drastisch reduziert, mit den entsprechenden Folgen für den Arbeitsmarkt. In Westberlin war vor 1990 der öffentliche Sektor bewußt groß-

[Seite der Druckausgabe: 23]

    zügig ausgestattet und besetzt worden, um Arbeitsmarkt und Gesamtnachfrage in der Stadt zu stabilisieren und Nachteile der Insellage durch ein überdurchschnittliches kulturelles Angebot und ein dichtes soziales Netz auszugleichen. Dies führte zu einer personellen Überbesetzung der Verwaltung und bei Anbietern öffentlicher Dienstleistungen im Vergleich mit westdeutschen Stadtstaaten.

Tabelle 4 Vergleich der Personaldichte im Landesdienst zwischen Berlin und Hamburg 1994 nach Aufgabenbereichen und in Vollzeitstellen umgerechnet


Aufgabenbereiche

Berlin


Hamburg


absolut

je 1000 Einwohner

je 1000
Einwohner

Allgemeine Dienste

86.555

23,9

20,8

Zentrale Verwaltung davon:

35.995

9,6

7,9

Politische Führung

11.165

3,0

0,4

Innere Verwaltung

9.527

2,3

3,2

Steuer/Finanzverw.

10.882

3,0

3,3

Öffentliche Sicherheit davon:

37.913

10,8

9,0

Polizei

29.643

8,5

6,3

Rechtsschutz

12.647

3,5

4,0

Bildung, Wissenschaft, Kultur, davon:

93.028

23,9

20,1

Schulen

46.924

12,3

10,7

Hochschulen

38.068

9,5

8,2

Kultur

4.538

1,2

0,4

Soziale Sicherung

43.162

11,3

5,8

Gesundheit, Sport u.a.

42.098

11,0

11,5

Sonstige

5.017

1,4

6,3

Insgesamt

269.860

71,6

64,6

Quelle: Wirtschaftsbericht 1996

Bei einem erheblich geringeren Pro-Kopf-Steueraufkommen leistet sich Berlin einen höheren Personalaufwand. Auch wenn die Zahlen z.T. durch andere Rechtsformen der Träger sozialer/kultureller Dienstleistungen in Ostberlin verzerrt sind, so besteht ein weiterer Anpassungsbedarf, von dem bezweifelt werden darf, ob er über die natürliche Fluktuation erreicht werden kann. Schon jetzt schiebt der Öffentliche Dienst einige tausend Beschäftigte auf der sog. Überhangsliste als Bugwelle vor sich her. Die Möglichkeit betriebsbedingter Kündigungen im nicht unmittelbaren Landesdienst (etwa im Bereich der Hochschulen) ist allerdings ein politisch sehr heißes Eisen, und dürfte nicht nur bei der ÖTV massive Proteste auslösen. Zwar

[Seite der Druckausgabe: 24]

wurden zwischen 1992 und 1994 ca. 15.000 Vollzeitstellen abgebaut, aber nach Berechnungen des DIW bestand Ende 1995 immer noch ein Personalüberhang von 25.000 - 35.000 Stellen, je nach den angenommen Besetzungsstandards. Dabei ist allerdings die besondere Bevölkerungsstruktur Berlins mit einem überproportional hohem Anteil an Problemgruppen (Langzeitarbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Kriegsflüchtlinge) zu berücksichtigen.

3. Auf diese Finanzlage mit stagnierenden Steuereinnahmen und sinkenden Zuschüssen bei steigenden Ausgaben für Infrastruktur-Investitionen im Osten reagierte die Große Koalition mit einer drastischen Ausweitung der Neuverschuldung, statt die Ausgaben zu kürzen und Leistungen einzuschränken.

Tabelle S Entwicklung Landeshaushalt Berlin 1990-96 in Mio. DM und in vH



Jahr








1990

1991

1992

1993

1994

19951

19961

Einnahmen gesamt

23.193

32.475

34.690

34.138

33.255

32.810

33.530

Steuern u.ä.

6.332

9.543

12.463

14.601

16.685

15.380

16.050

Gebühren

715

1.133

1.214

1.304

1.373

1.460

1.550

Einnahmen aus wirtschaft. Tät.

302

384

445

480

502

600

700

Bundeszuschüsse / Länderfi-nanzausgleich2

14.219

19.612

18.305

15.224

10.397

11.090

11.9303

Sonstige

1.625

1.830

2.263

2.529

4.289

4.300

3.300









Steuern/Einnahmen in vH

27,3

29,4

35,9

41,2

50,2

46,9

47,9

Zuschüsse/Einnahmen in vH

61,3

60,4

52,8

44,6

31,2

33,8

35,6









Ausgaben gesamt

24.827

35.637

38.390

40.367

40.506

41.980

42.620

Personalausgaben

8.246

11.471

13.168

14.013

14.174

14.450

14.700

lfd. Sachaufwand

6.141

8.103

9.353

10.082

10.310

10.600

10.700

Zinsausgaben

812

1.046

1.314

1.678

1.904

2.400

2.950

lfd. Übertragungen

5.144

7.926

7.786

8.479

8.664

8.800

9.050

Sachinvestitionen

1.083

1.649

1.467

1.617

1.525

1.780

1.750

Vermögensübertragungen

1.534

2.719

2.544

2.470

2.790

2.700

2.300

Darlehen, Beteiligungen

1.630

2.552

2.583

1.838

917

1.000

900

Tilgung an Bund

237

171

175

190

222

250

270









Personalaus./Ausgaben in vH

33,2

32,2

34,3

34,7

34,9

34,4

34,5

Zinsen./Ausgaben in vH

3,3

2,9

3,4

4,2

4,7

5,7

6,9

Steuereinn./Personalausgaben

76,8

83,1

94,6

104,2

117,7

106,3

109,2


1Angaben für 1996 geschätzt
2incl. Fonds Deutsche Einheit, Ergänzungszuweisungen
3incl Zuschüsse Regionalisierung der Bahn
Quelle: DIW WB 45/95, S. 772, eigene Berechnungen

[Seite der Druckausgabe: 25]

Nach der Landtagswahl im Herbst 1995 zeigte sich, daß angesichts der Stimmenverteilung in der Stadt die Große Koalition bis auf weiteres die einzige handlungsfähige politische Alternative darstellt. Die mittelfristige Finanzplanung ist jedoch gekennzeichnet durch die Verteidigung von Klientel-Interessen und dem Hoffen auf ein Wunder von außen. Trotz eindringlicher Warnungen durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wird die strukturelle Verschlechterung des berliner Haushaltes ignoriert. Sollte es zu keiner drastischen Kehrtwende kommen und die Ausgaben an die stagnierenden und dauerhaft niedrig bleibenden Einnahmen angepaßt werden, so ist die Überschuldung des Landes unausweichlich. Schon jetzt läßt sich abschätzen, wann die Einnahmen ohne Kreditaufnahme nicht mehr für den Schuldendienst ausreichen werden. 1995 reichte das Steueraufkommen gerade, um die Personalkosten der im Landesdienst Beschäftigten zu decken.

Tabelle 6 Finanzlage des Landes Berlin im Vergleich zu Bremen, Hamburg und Brandenburg 1995 in Mrd. DM und vH


Angaben

Berlin

Hamburg

Bremen

Brandenburg

Einwohner (Mio.)

3,50

1,70

0,70

2,50

BIP 1995

147,80

134,6

39,80

63,00

Ausgaben Landeshaushalt

43,20

17,9

7,79

19,10

Steuereinnahmen

15,69

11,3

3,62

8,70

Gesamtverschuldung

42,14

27,04

17,20

18,00

Nettoneuverschuldung

6,75

1,50

1,76

3,00

Kreditzinsen

2,27

1,80

1,22

0,90

Investitionsausgaben

6,33

1,90

0,83

5,50

Kennziffern





Öffentliche Ausgaben je Einwohner in DM

12.350

10.500

11.150

7.750

Anteil Landeshaushalt /BIP in vH

29,2

13,3

19,6

33,5

Steuerdeckungsquote in vH

36,

63,1

46,5

40,1

Pro-Kopf-Verschuldung in DM

12.050

15.900

24.600

7.200

Kreditfinanzierungsquote in vH

15,6

8,4

22,6

16,3

Zins/Steuerquote in vH

14,5

15,8

28,3

9,5

Investitionsquote in vH

14,7

10,7

10,6

27,2

Quelle: Tagesspiegel vom 2. Juni 1996,S.11

Vor diesem Hintergrund geht es darum ein Konzept zu entwickeln, das Einnahmen und Ausgaben mittelfristig ausgleicht. Ein erster, wenn auch umstrittener Schritt ist der Verkauf landeseigener Beteiligungen (z.B. am Energieversorger BEWAG), um aus den Erlösen Schulden zu tilgen bzw. die Nettokreditaufnahme zu reduzieren. Sollten die Verkäufe von Anteilen der

[Seite der Druckausgabe: 26]

BEWAG wie geplant stattfinden, so verliert das Land Berlin einen direkten Einfluß auf die Energiepolitik in der Region. Aber angesichts der katastrophalen Unterdeckung des Landeshaushaltes (Steuerdeckungs-Quote 36,3%) sind kaum Alternativen denkbar. So haben die Berliner Sozialdemokraten durch die Beschlüsse ihres Landesparteitages am 14. Januar 1997 gebilligt:

  • den vollständigen Verkauf der BEWAG
  • den Verkauf der Gewerbesiedlungsgesellschaft (GSG) „und andere(r) kleinere(r) Gesellschaften"
  • die Gründung einer Holding in der Rechtsform einer AG, in die die landeseigenen öffentlich-rechtlichen Anstalten (Wasserbetriebe, Stadtreinigung, Hafengesellschaft) eingebracht und teilprivatisiert werden sollen
  • die städtischen Wohnungsbaugesellschaften sollen gegenseitig Anteile erwerben
  • die allgemeine Verwaltungsreform wird befürwortet
  • der Zusammenlegung der gegenwärtig dreiundzwanzig Stadtbezirke auf 12 wird zugestimmt

Das Problem besteht aber nicht allein in dem Mißverhältnis von Einnahmen und Ausgaben, sondern auch in der Ausgabenstruktur. Laufende Ausgaben sind zu Lasten der Sachinvestitionen stark gestiegen. Auch wenn einige Leistungsausweitungen wie z.B. die vermehrten Sozialhilfezahlungen auf Entscheidungen des Bundes (Kürzungen des Bundeszuschusses für die Bundesanstalt für Arbeit) zurückzuführen sind, bleiben hausgemachte bzw. von der Landespolitik ungelöste Probleme:

  • Der Personalkostenblock muß reduziert werden, wobei gleichzeitig dringend benötigte Spezialisten (Bau- und Raumplanung, Rechnungswesen, Wirtschaftsförderung) zumindest befristet eingestellt werden müssen, soweit sie auf dem Arbeitsmarkt verfügbar sind.
  • Durch Rationalisierung und Straffung des Angebots kultureller und sozialer Dienstleistungen muß es gelingen, den spezifischen Aufwand zu senken, um die Belastung für den Landeshaushalt zu reduzieren.
  • Das Land Berlin muß sich entscheiden, wieviel und vor allem welche Wohnungsbauförderung es sich angesichts leerer Kassen noch leisten kann.

Wichtigste Aufgabe bleibt es, den Landeshaushalt mittelfristig auszugleichen und die laufende Neuverschuldung drastisch zu drosseln. Dies wird nur gelingen, wenn die Ausgaben um ca. 1/3 reduziert werden und neue Unternehmen im Stadtgebiet angesiedelt werden können.

[Seite der Druckausgabe: 27]

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1.2.2 Arbeitsmarkt: Erwerbstätigkeit, Arbeitslosigkeit und Arbeitsmarktpolitik

Der Berliner Arbeitsmarkt unterlag seit der deutschen Vereinigung einem erheblichen Strukturwandel. Er ist durch erhebliche Verdrängungseffekte durch Einpendler aus dem brandenburgischen Umland vor allem nach Westberlin gekennzeichnet. In diesem Gebiet ist ein weitgehend homogener Markt mit gleichen Qualifikationsanforderungen und angeglichenen Löhnen entstanden. Seit Herbst 1996 wird im Öffentlichen Dienst Berlins nach einem einheitlichen Tarif (100 % West) gezahlt. Eine solche Entwicklung zeichnet sich auch für viele gewerbliche Arbeitsverhältnisse ab, wobei sich die westberliner Bruttoeinkommen nach unten angeglichen haben und neue Arbeitsverhältnisse mit Einstiegslöhnen begründet werden, die z.T. erheblich unter westdeutschem Niveau liegen. Folgende Trends kennzeichnen den integrierten Arbeitsmarkt Gesamtberlins:

  1. Bei den bei der Privatisierung/Stillegung der ostberliner Industrie Entlassenen handelt es sich oft um berufserfahrene Fachkräfte, die nach der Anpassungsqualifizierung an/ungelernte und leistungsschwächere Arbeitnehmer in Westberlin verdrängten. Das hat dazu geführt, daß die Arbeitslosenquote in Westberlin höher ist als in Ostberlin.
  2. Beim Systemwechsel von Staats- und Stadtverwaltung wurden viele junge, hochqualifizierte Akademiker und Spezialisten abgebaut, die vor allem neue Arbeitsplätze im boomenden Dienstleistungssektor besetzten.
  3. Die Verlagerung der Industrieproduktion aus dem Stadtgebiet ins Umland führt in Berlin zu einem Verlust an einfach qualifizierten Industriearbeitsplätzen. Dies trifft besonders die Gastarbeiter der ersten Generation, die in andere Tätigkeiten nur schwer zu vermitteln sind, was zu einem sprunghaften Anstieg der Ausländerarbeitslosigkeit geführt hat.
  4. Aus dem Umland pendeln täglich Zehntausende nach Berlin ein, so daß die Umlandsgemeinden z.B. Potsdam eine niedrigere ALQ haben als Gesamtberlin. Umgekehrte Pendlerströme bleiben (noch) bescheiden.
  5. Der Wegfall der Berlin-Förderung über Umsatzsteuer-Präferenzen hat zu Standortverlagerungen kapital- und transportkostenintensiver Produzenten geführt. Bei Neuansiedlungen wird das stadtnahe brandenburger Umland bevorzugt. Gründe sind vor allem niedrigere Bodenpreise, Steuervorteile/Fördermittel, eine mittlerweile genügend ausgebaute Infrastruktur und z.T. ein großzügigeres Genehmigungsverhalten der Verwaltung.

[Seite der Druckausgabe: 28]

Diese Entwicklungen werden sich fortsetzen, ohne daß jedoch die jetzigen Strukturen sich in den nächsten Jahren dramatisch ändern werden. Noch nicht absehbar ist die Entwicklung der jungen Unternehmen in Ostdeutschland, die unter großen Schwierigkeiten wegen unzureichender Eigenkapitalausstattung und stagnierenden Umsätzen leiden. Sollte es zu einer Insolvenzwelle kommen, so ist erheblicher Druck auf den berliner Arbeitsmarkt nicht auszuschließen. Der unmittelbare Effekt des Regierungsumzugs wird vielfach überschätzt. Selbst wenn man von Folgeeffekten durch Zuzug von Verbänden und Unternehmenszentralen ausgeht, so muß der Neuzugang von Ausbildungsabsolventen auf den Arbeitsmarkt gegengerechnet werden. Die zukünftigen Rahmenbedingungen für den Arbeitsmarkt werden gesetzt durch:

  • die Entwicklung von Wohnbevölkerung und Erwerbspersonenpotential
  • die Entwicklung des Arbeitskräftebedarfs nach Umfang und Qualifikation
  • den Zuwanderungs- und Pendler-Saldo
  • die Ausbildungsabsolventen

Die Erwerbstätigkeit ist nach dem Vereinigungsboom in Westberlin ab 1993 in ganz Berlin rückläufig ist, wobei noch nicht abzusehen ist, ob dieser Trend bei einem langsam wachsenden Inlandsprodukt anhalten wird. Bei der Analyse der Daten zeigt sich, daß nach dem Vereinigungsboom 1991/92 eine weitere Tertiärisierung stattfand: einer stetig schrumpfenden Industriearbeiterschaft steht ein Beschäftigungswachstum im Dienstleistungsgewerbe gegenüber. Hier spiegelt sich zum einen der Ausbau des völlig unzureichenden Angebotes in Ostberlin und Brandenburg wider, wie man an dem überproportionalen Anstieg der „sonstigen Dienstleistungen" ablesen kann. Bei stagnierendem Realeinkommen vieler Arbeitnehmer wird es zu einer Marktsättigung kommen. Der Vergleich mit entsprechenden Daten westdeutscher Großstädte / Ballungsräume zeigt, daß eine Entwicklung nachvollzogen wird, die durch die ehemalige Insellage und den Sonderstatus Berlins bisher verzögert wurde. Bei der Qualifikationsstruktur fällt auf, daß trotz Schließung bzw. Abwanderung fertigungsintensiver Produktion der Anteil An-/Ungelernter an den im Verarbeitenden Gewerbe Beschäftigten immer noch über dem Bundesdurchschnitt liegt. Dies erklärt sich vor allem an dem geringen Anteil wertschöpfungsintensiver Unternehmensbereiche (Zentrale Verwaltung / Unternehmensleitung, Marketing, F&E).

[Seite der Druckausgabe: 29]

Tabelle 7 Erwerbstätigkeit1 und Beschäftigung in Berlin 1989-95, 2000,2005 im Jahresdurchschnitt in Tausend



1989

1990

1991

1992

1993

1994

1995

20002

20052

Erwerbstätigkeit










Berlin

1.792

1.736

1.667

1.600

1.581

1.542

1,512

1.492

1.485

Westberlin

935

974

1.038

1.066

1.061

1.044

1.026



Ostberlin

857

762

629

535

520

498

487



Erwerbstätigkeit nach Branchen










alle Unternehmen

1.233

1.229

1.209

1.161

1.146

1.117

1.095



Land- und Forstwirtschaft

12,6

12,4

11,1

10,4

10,4

10,8

11,4

10,5

9,5

Produzierendes Gewerbe davon

552

534

483

442

414

388

371

352

333

Energiewirtschaft

25,8

25,6

24,7

24,1

22,9

21,6

20,2

19,5

18,0

Verarbeitendes Gewerbe

400

384

327

278

245

220

205

177

160

Baugewerbe

126

125

131

140

145

147

146

155

155

Handel und Verkehr davon

355

354

340

325

319

303

289

285

280

Handel

208

204

202

196

193

183

n.a.



Verkehr/Nachrichten.

147

149

137

128

126

120




Dienstleistungen
davon:

314

329

375

385

403

415

424

445

473

Kreditgewerbe/Versicher-ungen

27,8

32,4

36,7

38,9

40,5

41,3




sonstige Dienstleistungen

2867

297

339

346

363

374




1Inlandskonzept
2Schätzungen des DIW

Quelle: DIW WB 37/96

Die Situation des Berliner Arbeitsmarktes hat sich nach Abflauen des Integrationsbooms in Westberlin und dem Abschluß der Privatisierung in der ostberliner Industrie stabilisiert, wobei sich Arbeitslosigkeit und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen auf einem hohem Niveau eingependelt haben. Einer wachsenden Zahl von Langzeitarbeitslosen steht eine begrenzte Zahl von offenen Stellen gegenüber. Außerdem hat der vollständige Einstellungsstop des Öffentlichen Dienstes und der Belegschaftsabbau der Großindustrie dazu geführt, daß bestimmte Gruppen von Hochschulabsolventen z.B. Sozial- oder Naturwissenschaftler auf dem berliner Arbeitsmarkt kaum qualifizierte Stellenangebote vorfinden.

Daneben hat sich ein umfangreicher Zweiter Arbeitsmarkt etabliert, der über ABM und Lohnkostenzuschüsse (§ 249h AFG in Ostberlin bzw. §242s AFG in Westberlin) 1995 ca. 30.000 Personen beschäftigt hat. Der Löwenanteil der Stellen geht in den Ostteil der Stadt, wo ein

[Seite der Druckausgabe: 30]

Großteil der sozialen und kulturellen Dienstleistungen in den Bezirken mittlerweile über den Zweiten Arbeitsmarkt finanziert wird.

Die angekündigten Kürzungen bei Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik in Ostdeutschland durch die Bundesanstalt für Arbeit können über zusätzliche Landesmittel nicht ausgeglichen werden. Sicher ist, daß der betroffene Personenkreis sofort die Arbeitslosenquote erhöhen wird, da mittlerweile nur noch Arbeitslose aus sog. Problemgruppen eine Chance auf eine ABM-Stelle haben. Diese Arbeitnehmer sind auf dem gesättigten Ersten Arbeitsmarkt nicht zu vermitteln.

Tabelle 8 Arbeitslose, Kurzarbeiter und offene Stellen in Berlin1 und

Arbeitslosenquote in vH der abhängigen zivilen Erwerbspersonen



Jahr





Personengruppen

1992

1993

1994

1995

1996

Arbeitslose

207.058

203.924

210.130

213.383

233.285

Kurzarbeiter

17.698

15.198

6.328

5.460

7.095

offene Stellen

12.797

11.454

12.508

10.694

7.374d

Arbeitslosenquote

12,8

12,8

13,2

13,6

15,1

1im Jahresdurchschnitt
2Mai 96
Quelle: Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg


Tabelle 9 Struktur der Arbeitslosigkeit in Berlin



Jahr





Personengruppen

Januar 92

Januar 93

Januar 94

Januar 95

Januar 96

Arbeitslose gesamt

222.280

215.521

217.243

215.979

234.941

Männer

116.207

114.544

115.999

118.499

129.692

Frauen

106.073

100.977

101.644

97.480

105.249

Deutsche

198.013

184.941

185.286

181.334

197.140

Ausländer

24.267

30.580

31.957

34.645

37.801

AL bis 25 Jahre

31.823

30.200

25.076

23.291

24.852

AL über 55 Jahre

11.444

22.932

28.838

34.529

40.818

Quelle: Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg

[Seite der Druckausgabe: 31]

Die aktuelle Lage auf dem Arbeitsmarkt für die Region Berlin-Brandenburg läßt sich anhand der folgenden Zahlen verdeutlichen. Bei stagnierender Wirtschaftsentwicklung sinkt die Beschäftigung (in ganz Ostdeutschland) und die offene Arbeitslosigkeit steigt, trotz des massiven Einsatzes arbeitsmarktpolitischer Instrumente. Offensichtlich reicht das Wirtschaftswachstum in den NBL nicht aus, um mittelfristig die Arbeitslosigkeit abzubauen. Sollte die Sonderförderung für den Arbeitsmarkt Ostdeutschland reduziert werden, so führt das mit Sicherheit zu steigenden Sozialhilfelasten für die ostdeutschen Kommunen bzw. die ohnehin angespannten Landeshaushalte der NBL. Die Hoffnung, daß private Investitionen wettbewerbsfähige Arbeitsplätze schaffen, die ausreichen, um die Entlassungen der Transformationsphase aufzufangen, hat sich als unrealistisch erwiesen. Leider ist von keiner Seite ein tragfähiges d.h. finanzierbares Konzept zu erkennen. Wenn in den nächsten Jahren die Mega-ABM in den strukturschwachen Gebieten (z.B. Braunkohletagebau-Sanierung im südlichen Brandenburg) auslaufen, sind Arbeitslosenquoten über 30% zu erwarten. Das Beschäftigungsgefälle zwischen Umland und Randregionen wird sich noch verschärfen.

Tabelle 10 Arbeitslosigkeit in Berlin und Brandenburg September 1996


Kennziffer

Berlin

Brandenburg


Gesamt

Westberlin

Ostberlin


ALQ in vH

15,3

16,0

14,1

15,4

Arbeitslose gesamt
davon:

235.823

151.569

84.254

176.881






Frauen

107.846

64.847

42.999

106.706

ausländische AN

38.928

35.451

3.477

1.595

jüngere AN unter 25

26.293

16.545

9.748

18.459

ältere AN über 55

43.120

26.492

16.628

38.223






Langzeitarbeitslose (über 1 Jahr)

70.044

52.514

17.530

48.933

Schwerbehinderte

9.416

7.299

2.117

4.074

Teilzeitbeschäftigte

11.398

9.088

2.310

5.101

Angestelltenberufe

100.772

58.978

41.794

64.958

Quelle: Amtliche Nachrichten 12/96 der Bundesanstalt für Arbeit

Die Arbeitsmarktpolitik in Berlin steht in den nächsten Jahren vor einer fast unlösbaren Aufgabe: Einerseits muß bei der angespannten Haushaltslage und sinkenden Bundesmitteln versucht werden, den Zweiten Arbeitsmarkt vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Andererseits versucht man, verstärkt über den Einsatz neuer Förderinstrumente z.B. in der Existenzförde-

[Seite der Druckausgabe: 32]

rung gezielt neue Dauerarbeitsplätze zu schaffen. Man wird zu einer neuen Aufgabenteilung zwischen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik kommen müssen. Nur eines ist sicher: Die bisher relativ großzügige Ausstattung des Zweiten Arbeitsmarktes wird sich Berlin in Zukunft nicht mehr leisten (können).

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1.3 Bevölkerungsentwicklung und Ausbau der Infrastruktur

Einen entscheidenden Einfluß auf die Prognose und Planung regionaler Wirtschaftspolitik hat die geschätzte Bevölkerungsentwicklung. Dies gilt besonders für die Nettoentwicklung der Wohnbevölkerung (beeinflußt durch Geburten/Sterberate, Zu-/Abwanderung), die Zuwachsrate der Erwerbspersonen und das Verhältnis von Erwerbstätigen zu Empfängern von Transfereinkommen. Für die Region Berlin/Brandenburg stellt sich als Sonderproblem die Verteilung der Einkommen erzielenden Wohnbevölkerung auf die beiden Bundesländer (Steuergebiete).

Die brandenburger und berliner Behörden hatten schon kurz nach der Vereinigung 1990 begonnen, eine gemeinsame Raum- und Regionalplanung für den engeren Verflechtungsraum zu formulieren. Um den befürchteten Sog-Effekt der Metropole Berlin auf das dünn besiedelte, industriearme Brandenburg zu mildern, hatte die Landesregierung Brandenburg das Prinzip der „dezentralen Konzentration" zur Grundlage ihrer Landesentwicklungsplanung gemacht. Demnach soll(t)en vor allem jene Kommunen und Landkreise durch staatliche Förderpolitik gestärkt werden, die für die Peripherie Brandenburgs Funktionen eines Mittelzentrums erfüllen. Vor allem sollen hier „industrielle Kerne" erhalten bzw. neu angesiedelt werden, um den sich Anbieter produktionsnaher Dienstleistungen ansiedeln können, die wiederum kaufkräftige Nachfrage für lokale Hersteller und Dienstleister bedeuten. Diese Förderpolitik verbunden mit sektoraler Sonderförderung (z.B. Braunkohleförderung im strukturschwachen Süden Brandenburgs) sollte eine einigermaßen gleichmäßige Entwicklung in der Fläche sichern und das Gefälle Metropole/Peripherie abschwächen.

Nach der gescheiterten Fusion wird vom Berliner Senat das Ziel einer Bestandssicherung offensiver formuliert, um in der Standortkonkurrenz von Stadt und Umland um Steueraufkommen und Arbeitsplätze nicht ins Hintertreffen zu geraten. Ausdrücklich wurde die Abwanderung von Wohnbevölkerung ins nahe Umland als nachholende Entwicklung und unvermeidbar ak-

[Seite der Druckausgabe: 33]

zeptiert. Umstritten bleibt die staatliche Rahmenplanung für Gewerbeansiedlung und das Verkehrskonzept für den engeren Verflechtungsraum Berlin.

Als ein entscheidendes Problem für jede Raum- und Regionalplanung bleibt die Unsicherheit über die Bevölkerungsentwicklung. Die von verschiedenen Instituten und der Senatsverwaltung für Umweltschutz und Stadtentwicklung erstellten Gutachten über die mittelfristige Entwicklung von Wohnbevölkerung und Erwerbstätigkeit weichen z.T. erheblich voneinander ab. In der ersten Euphorie nach der Wiedervereinigung wurden die Schwierigkeiten der Transformation Ostdeutschlands unterschätzt und der Wachstumseffekt von regionaler Integration und Regierungsumzug überschätzt. Das Resultat waren angenommene Zuwachsraten bei der Wohn- und Erwerbsbevölkerung die aus heutiger Sicht (Januar 1997) offensichtlich unrealistisch sind. Selbst die relativ zurückhaltenden Prognosen des DIW sind seit der Rezession obsolet. Zwar hält die Abwanderung von gerade einkommensstarken Bevölkerungsschichten ins Umland an, aber diese führen nur zu einer Verlagerung innerhalb der Region. Die stagnierende Bevölkerungsentwicklung muß mittelfristig keine Einschränkungen für die wirtschaftliche Entwicklung bedeuten, da das vorhandene Erwerbstätigenpotential auch nicht annähernd ausgeschöpft werden wird. Besorgniserregend ist der anhaltend negative Saldo von Geburten und Sterbefällen. Zusätzlich wirkt sich der drastische Rückgang der Geburtenrate in Ostberlin aus, wie er nach der Wirtschaftsunion in ganz Ostdeutschland zu beobachten ist.


Tabelle 11.1+2 Einwohner und Bevölkerungsentwicklung in Berlin und Brandenburg

Jahr

Berlin



Brandenburg

(Stand Jahresende)

Bevölkerung

Wanderungssaldo

Geburten/Sterbesaldo

Bevölkerung

1991

3.446.031

25.428

-13.092


1993

3.475.392

22.193

-12.549


1995

3.471.418

10.006

-10.597

ca. 2.537.000


Jahr

Prognosen(DIW, Prognos, empirica, IfS, SenUmwelt.Stadtentw.) in Tausend


Bevölkerung:





Berlin

Umland

Gesamtregion

Schwankungsbreite

2000

3452-3600

854- 1000

4306 - 4600

294

2005

3435-3650

1200

4635 - 4850

215

2010

3438 - 3800

1300 - 1900

4730 - 5700

970

Quelle: Geppert o.J., Statistisches Landesamt Berlin, eigene Berechnungen

[Seite der Druckausgabe: 34]

Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die Bevölkerungsentwicklung in der Region ungefähr auf dem jetzigen Niveau stagnieren wird, wobei ein Teil der jetzigen Wohnbevölkerung Berlins ins brandenburger Umland abwandern wird. Diese Abwanderung wird durch Zuwanderung aus Westdeutschlands und der ostdeutschen Peripherie (vor allem nördliches Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern) nur teilweise ausgeglichen.

Infrastruktur: Telekommunikation, Verkehr, Wohnungs- und Gewerbebau

Eines der unmittelbaren Probleme nach der Vereinigung war die Errichtung einheitlicher Verkehrs- und Versorgungsnetze. Dabei ging es zuerst um die Wiederherstellung der jahrzehntelang gekappten Ost-West-Verbindungen. Danach mußten die Netzteile im Osten der Stadt und im brandenburgischen Umland saniert und modernisiert werden um westdeutschen Standards zu entsprechen. Diese Aufgabe ist Mitte der 90er Jahre weitgehend abgeschlossen. Nun geht es darum, die Netze so aus- und umzubauen, daß sie dem zukünftigen Bedarf entsprechen d.h. die Rahmenbedingungen für ein ausreichendes Wirtschaftswachstum und die Modernisierung von Industrie, Verwaltung und Dienstleistungsgewerbe schaffen. Die wichtigsten Einzelvorhaben dabei sind:

1. Telekommunikation

  • flächendeckender Ausbau des Telefonnetzes auf ISDN-Standard im Stadtgebiet und langfristig im Umland
  • Pilotprojekte zu optischen Glasfasernetzen (OPAL), interaktive Multimedia-Dienste

Der zügige Ausbau der Telekommunikationsnetze , -anschlüsse und
-dienstleistungen ist eine entscheidende Voraussetzung für die Ansiedlung moderner Industriefertigung und produktionsnaher Dienstleistungen. Aber auch zentrale staatliche Verwaltungen erfordern hohe Datentransport- und
-verarbeitungskapazitäten.

2. Verkehrsnetze

  • dreispuriger Ausbau des Berliner Autobahnringes und der wichtigsten Verbindungsstrecken besonders der A2 Richtung Hannover/Ruhrgebiet und der A9 Richtung Leipzig / Nürnberg

[Seite der Druckausgabe: 35]

  • die südliche Weiterführung der Stadtautobahn zum neuen Großflughafen über den alten Mauerstreifen
  • das Pilzkonzept der Deutschen Bahn zur innerstädtischen Führung der Fernbahnverkehrs
  • die Hochgeschwindigkeitsverbindung Berlin-Hamburg durch den TransRapid (Dauer ca. eine Stunde für die Strecke zwischen den Ballungsgebieten)
  • Wiederherstellung des S-Bahn-Ringes im Rahmen des Ausbaukonzeptes der BVG
  • der Ausbau von Berlin-Schönefeld zum internationalen Großflughafen Berlin-Brandenburg
  • Ausbau der innerstädtischen Häfen und der Wasserstraßen Richtung Magdeburg/Hannover für Euro-Frachtschiffe (bis 2000 Tonnen)

Ein Großteil dieser Bauvorhaben wird im Rahmen des Programms Verkehrsprojekte Deutsche Einheit vom Bund finanziert, so daß sie den Landeshaushalt nur in geringem Umfang belasten. Ziel all dieser Maßnahmen ist die Region so an die westdeutschen / internationalen Verkehrsnetze anzubinden, daß Transportzeiten und -kosten kein Wettbewerbshindernis mehr darstellen und die Infrastruktur die Anforderungen an den zukünftigen Regierungssitz erfüllt. Daneben wurden neue Logistik-Konzepte für den Güterverkehr entwickelt, der den innerstädtischen Verkehr entlasten soll. So werden im Süden von Berlin zwei Güterverkehrszentren errichtet, die den Umschlag von Gütern aus dem Ferntransport abwickeln sollen. Vor allem der Kombiverkehr, d.h. Ferntransport mit der Bahn und Auslieferung im Nahbereich mit LKW soll dadurch gefördert werden.

Politisch umstritten bleibt der Verkehrsträgermix für den innerstädtischen Nahverkehr. Zwar ist es Konsens zwischen allen Parlamentsfraktionen, daß der Individualverkehr mit dem PKW bei über 1,3 Mio. im Stadtgebiet zugelassenen Fahrzeugen beschränkt werden muß (offizielles Ziel ist eine Verteilung 80:20 ÖPNV/PKW im Citybereich). Aber auch das neue Parkraum-bewirtschaftungskonzept hat den Autoverkehr in der Innenstadt (City West und Mitte) nicht reduziert. Auf einem Zehntel der Stadtfläche lebt ein Drittel der Einwohner, befindet sich ein Drittel des PKW-Bestandes und fast die Hälfte der Arbeitsplätze. Der Senat hat die bis dato großzügigen Zuschüsse für den ÖPNV gekürzt, was von der BVG mit Serviceeinschränkungen und Fahrpreiserhöhungen beantwortet wurde. Dies und das neue Tarif-Konzept, das Zeitkarten für Einpendler aus Brandenburg verteuert, wird wohl kaum zum Umsteigen auf S- und U-Bahn ermuntern.

[Seite der Druckausgabe: 36]

3. Wohnungsbau

  • Neubau von Eigenheimen / Eigentumswohnungen und hochwertigen Mietwohnungen durch Großbauvorhaben vor allem im Nordosten Berlins (Altglienicke, Buch Karow-Nord). Nach Schätzungen der Senatsverwaltung für Bau und Wohnungswesen sind in der Region im Zeitraum 1990-94 ca. 60.000 Wohnungseinheiten entstanden. Zu erwarten ist der Neubau von ca. 200.000 Wohneinheiten am Stadtrand bis zum Jahr 2.000.
  • Einschränkung der öffentlichen Förderung des sozialen Wohnungsbaus. In Berlin hat die direkte Wohnungsbauförderung traditionell eine große Rolle gespielt: Im Haushaltsjahr 1995 wurden für Schuldendiensthilfen für Bauherren im sozialen Wohnungsbau ca. 1,8 Mrd. DM aufgewendet. Der Verkauf von Altbeständen im sozialen Wohnungsbau ist vor allem in der SPD umstritten.
  • Unter dem Druck bundesrechtlicher Regelungen versuchen die Rechtsnachfolger der Kommunalen Wohnungsverwaltung beschleunigt ihre Bestände zu privatisieren. Angesichts des z.T. erheblichen Modernisierungsbedarfs stößt das Kaufangebot an die Mieter auf Zurückhaltung.
  • Sanierung der Plattenbauten und Ausbau der Infrastruktur in den neuen Stadtteilen. In den siebziger und achtziger Jahren baute die DDR am Stadtrand ihrer Hauptstadt ganze Plattensiedlungen auf die grüne Wiese, um den ständigen Zustrom von Arbeitskräften unterzubringen. Über 270.000 Wohnungseinheiten vor allem am östlichen Stadtrand und in der City Ost sind überwiegend sanierungsbedürftig.

Im Gegensatz zu westdeutschen Großstädten zeichnet sich die Nutzungsstruktur der Innenstadt Westberlins durch eine nahes Nebeneinander von Wohn- und Gewerbegebieten aus, durchbrochen von Verdichtungseinheiten mit Einkaufszeilen, Verwaltungs- und Dienstleistungsangeboten: die sogenannte Berliner Mischung. Diese gilt mit Einschränkungen auch für die ostberliner Stadtviertel am Rande der nach 1945 neu erbauten Mitte: Pankow/Weißensee, Prenzlauer Berg, Lichtenberg, Friedrichshain, Treptow. Dazu gehört, daß es auf Grund der in Westberlin bis 1987 geltenden Mietpreisbindung noch große Bestände an nicht modernisierten Altbauwohnungen (Einzelheizung, ohne Badezimmer) gibt, mit einem im Vergleich zu Westdeutschland sehr niedrigen Mietniveau. Das führte dazu, daß auch der Citybereich eine hohe Wohnbevölkerung aufweist. Diese fand gering qualifizierte Arbeitsplätze an den Industrie- und Gewerbestandorten in der Nähe ihrer Wohngebiete und konzentriert am südlichen

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Stadtrand. Nach Aufhebung der Insellage löst sich diese verkehrsextensive Siedlungsstruktur auf.

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1.4 Berlin im Netz der europäischen Metropolen

Westeuropa zeichnet sich nicht nur durch eine dichte regionale wirtschaftliche Verflechtung aus, so daß man für viele Sektoren von EU-weiten Märkten sprechen kann, es besitzt auch ein relativ gut ausgebautes System materieller Netze. Dies gilt für alle Verkehrsträger (Straßen- und Schienennetz, Wasserwege und Fluglinien), aber darüber hinaus auch für Energietransporte (Pipelines, Elektrizitätsverbund) und Kommunikationsvermittlung, sowohl über Satellit als auch Kabel. Der wichtigste Investitionsschwerpunkt der Europäischen Union ist der Ausbau dieser „Transeuropäischen Netze", vor allem der Bahnlinien für Hochgeschwindigkeitszüge und des Straßenfernverkehrsnetzes, da eine weitergehende Integration von Produktion und Märkten nur bei billigen und schnellen Transporten von Gütern und Dienstleistungen möglich wird.

Westberlin zeichnete sich als die Frontstadt im geteilten Europa des Kalten Krieges nicht nur durch seine Insellage bezogen auf die alte Bundesrepublik aus, es befand sich auch in einer extremen Randlage in diesem westeuropäischen Netzwerk. Diese Isolierung trug wesentlich zur mangelnden Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Westberlin bei und wurde vom Bund durch Subventionen ausgeglichen. Mit der deutschen Vereinigung und dem Zusammenbruch des realsozialistischen Systems bis zum Zerfall der Sowjetunion änderten sich diese Rahmenbedingungen schlagartig. Das vereinigte Berlin wurde (und wird) zügig an das westdeutsche Netzwerk angeschlossen und die Infrastrukturnetze in Ostdeutschland werden bis Ende des Jahrzehnts im wesentlichen das Niveau der alten Bundesländer erreicht haben. Die Stadt verfügt wieder über ein wirtschaftliches Umland und Hinterland und gilt in Osteuropa als erste Großstadt auf dem Weg in die Bundesrepublik und damit auf den (west-) europäischen Markt. Zwar verläuft zwischen Brandenburg und Polen nicht nur eine EU-Außengrenze, die ein erhebliches Entwicklungsgefälle markiert. Aber die wirtschaftlichen Beziehungen werden mit der absehbaren Aufnahme der ostmitteleuropäischen Reformstaaten in die EU zunehmen. Schon zu Beginn der Transformation in Osteuropa hat sie eine gesamteuropäische Verkehrsplanung entwickelt. Dazu gehört die Errichtung zweier gesamteuropäischer Verkehrskorridore: von Westeuropa über Berlin nach Kiew und Moskau.

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In einem Punkt sollte man sich allerdings keinen Illusionen hingeben. Die Infrastruktur in Ostmitteleuropa zu modernisieren und für westeuropäische Standards auszubauen, ist eine Aufgabe, die Milliarden kosten wird und die mittelfristigen Möglichkeiten dieser Staaten überfordert. Auch die EU wird nur Pilotprojekte finanzieren können, so daß diese Angleichung punktuell und schrittweise erfolgen muß. Die flächendeckende Angleichung ist nur denkbar, wenn die nachholende Entwicklung in ihrem jetzigen hohen Tempo anhält und bleibt eine Aufgabe für die erste Hälfte des nächsten Jahrhunderts.

Neben diesen materiellen Netzen existieren aber auch virtuelle Netze im Sinne von Kommunikations- und Kooperationsbeziehungen zwischen Unternehmen, internationalen Organisationen und Bürokratien. In diesen Netzen kursieren Informationen und werden Entscheidungen vorbereitet, sie transportieren Ideen und vermitteln Macht. Solche informellen Kontakte bilden sich oft quer zu den formalen Entscheidungsabläufen und sind stark an Personen gebunden. Sie existieren in der Kultur, der Wissenschaft, den Medien usw. Über die Stellung einer Region in diesen Netzen entscheidet die Außenwahrnehmung: wie wichtig ist es an diesem Ort präsent zu sein, welche wichtigen Entscheidungseliten sind hier angesiedelt, welchen Einfluß auf den Gesamtmarkt hat der Absatz/Konsum vor Ort?

Die Bedeutung einer angemessenen Selbstdarstellung in solchen Netzwerken hat Berlin jahrelang vernachlässigt. International ist die Stadt zu wenig präsent und entwickelt kein allgemein anerkanntes Profil. Nach der Rolle als Frontstadt im Kalten Krieg und den Ausgangspunkt für den Zusammenbruch des kommunistischen Weltsystems hat Berlin noch keine neue Selbstbestimmung entwickelt und vermarktet. Außerhalb Europas spielt die Stadt keine Rolle und selbst als Touristenattraktion hat ihre Anziehungskraft nachgelassen. Im Wettbewerb der europäischen Metropolen bleibt sie zweitrangig und kann sich nicht mit London oder Paris vergleichen. Der wichtigste Knotenpunkt in Gesamtdeutschland bleibt der Raum Frankfurt/Main, der auch der internationale Finanzplatz Europas werden könnte. Für Berlin bleibt die Hauptstadt-Funktion mit dem Regierungssitz, wobei wichtige politische Entscheidungen zunehmend oberhalb der nationalstaatlichen Ebene, d.h. in Brüssel getroffen werden. Darüber hinaus leidet die Stadt an dem verzögerten Strukturwandel in der Bundesrepublik, der aber für Berlin zusätzliche Hemmnisse schafft. Ein typisches Beispiel ist das deutsche Hochschulsystem, das die Internationalisierung der Wissenschaft in den letzten zehn Jahren verschlafen hat. In Skandinavien oder den Niederlanden sind Vorlesungen und

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Seminare in Englisch mittlerweile die Regel, es existieren verkürzte Studiengänge für ausländische Studenten, die mit einem international anerkannten Zertifikat abschließen können. Das führt dazu, daß die technische Elite der aufstrebenden Industriestaaten nicht mehr in Deutschland ausgebildet wird, was mittelfristig zu einer erheblichen Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit führen kann. Hier zeigt sich die Unbeweglichkeit deutscher Institutionen, die sich immer noch zu wenig an internationalen Standards orientieren.

Welche Entwicklungspotentiale hat Berlin in diesem System der europäischen Metropole? Welches Profil soll und kann die Stadt anstreben? Berlin wird in die Rolle eines Knotenpunktes informeller Informationsnetze zwischen der EU und Ostmitteleuropa hineinwachsen, wenn sie die Voraussetzungen dafür schafft:

  • Nutzung der in der Stadt vorhandenen Kompetenz für Osteuropa (Sprachen, Kultur, persönliche Kontakte in die Unternehmen und Verwaltungen hinein)
  • Offenheit für eine Migration aus Osteuropa (und wieder zurück), die Berlin zur Anlaufstelle und Kontaktbörse für diese Länder macht
  • Eine konsequente Internationalisierung der Studiengänge bis hin zu arbeitsteiligen Studiengängen mit osteuropäischen und anderen Partneruniversitäten. Spezielle integrierte Studienangebote für regionales Management: Sprache, Kultur, ökonomisches und rechtliches Know-how verbunden mit Praktika in osteuropäischen Unternehmen.
  • Kulturangebote, die internationale Anerkennung finden und sich nicht nur an dem lokalen Bedarf orientieren, verbunden mit einem internationalen Marketing

Die weitergehende Zielsetzung muß sein, Berlin international bekannt und anerkannt zu machen.. Dazu ist ein neues Standort-Marketing gerade auch durch die politischen Repräsentanten notwendig, die solche Perspektiven für die Stadt in den internationalen Medien offensiv vertreten. Entscheidungseliten treffen ihre Standortwahl nicht nur nach "harten" Kriterien wie Steuerbelastung oder Ausbau der Infrastruktur, sondern auch nach der Frage welches Image ein Standort besitzt und welche Botschaft eine Standortwahl vermittelt. Neue Unternehmen erwarten Angebote und Serviceleistungen und keine bürokratischen Hindernisse. Deshalb reicht es für Berlin nicht aus, daß sich Sony Europe und Daimler-Benz Services am Potsdamer Platz ansiedeln, um eine erstrangige europäische Metropole zu werden. Die Stadt ist dabei ihren Kredit aus der Phase des Mauerfalls und der Vereinigung zu

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verspielen, wenn es ihren Eliten nicht gelingt, einen Strukturwandel einzuleiten, der gezielt diese internationale Orientierung fordert. Dies gilt besonders für die politische Klasse, die sich zu sehr mit sich selbst und zu wenig mit der Zukunft der Stadt beschäftigt. Wenn sie keine Konzepte vorgibt, werden Verwaltung und Verbände sich weiter mit einer Verteilung des Mangels beschäftigen, statt Entwicklungschancen zu nutzen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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