FES | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|
|
TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausgabe: 12 / Fortsetzung] 1. Bestandsaufnahme: die Entwicklung der Region Berlin/Brandenburg seit der deutschen Vereinigung 1990 1.1 Die besondere Ausgangslage der Region Eine Analyse der wirtschaftlichen Lage und der Perspektiven der Region Berlin/Brandenburg muß eine Reihe von Sonderbedingungen berücksichtigen, die die weitere Entwicklung Berlins entscheidend beeinflussen werden:
[Seite der Druckausgabe: 13]
Diese Bedingungen sind bei der Formulierung eines Gesamtkonzeptes für die Region zu beachten. Dabei geht es nicht nur um einen Konsens der wirtschaftlichen und politischen Akteure, sondern um eine realistische Einschätzung der entscheidenden Trends. Wie schwer eine solche Bewertung auch ausgewiesenen Experten unter der Bedingung eines radikalen Strukturbruchs fällt, haben die letzten Jahre gezeigt. Bei allen Besonderheiten kämpft die Region Berlin-Brandenburg mit Problemen, die die ganze Bundesrepublik betreffen: Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung, geringes Wirtschaftswachstum und veraltete Instrumente der Wirt- [Seite der Druckausgabe: 14] schaftspolitik, die den neuen Konkurrenzbedingungen in Europa und Welt nicht mehr entsprechen. In diesem Sinne kann Berlin durchaus eine Werkstatt zur Erprobung neuer Lösungen unter veränderten Bedingungen sein.
1.2 Wirtschaftsentwicklung: Strukturwandel und Wirtschaftsförderung
Die Entwicklung der Wirtschaft in Berlin seit 1990 ist gekennzeichnet durch einen zweifachen Strukturwandel. Zum einen führte das Ende der Insellage Westberlins und der Wegfall der Berlin - Förderung zu einer nachholenden Entwicklung der Produktionsstruktur ein, zum anderen führte die Privatisierung der ostdeutschen Industrie in vielen Betrieben Ostberlins zu Stillegungen und Massenentlassungen. Nach einem Vereinigungsboom in Westberlin in den Jahren 1991/92 blieb das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 1994-96 erheblich hinter dem gesamtdeutschen Durchschnitt zurück. Das BIP in laufenden Preisen stieg von 1991 bis 1995 in Gesamtberlin um ca. 22%. Gleichzeitig fand ein gravierender Strukturwandel statt: Der Anteil der Industrieproduktion (Verarbeitendes Gewerbe ohne Baugewerbe und Versorgungsunternehmen) sank von 28% auf 21%, während die privaten Dienstleistungen (ohne Handel und Verkehr) von knapp 30% auf 35% anstiegen. Ähnliches läßt sich über die Entwicklung der Beschäftigung in diesen Sektoren sagen. Obwohl eine ähnliche Tertiärisierung der Wirtschaft auch in den alten Bundesländern stattfindet, ist der Industrieanteil am gesamten Wirtschaftsaufkommen inzwischen unter die Werte vergleichbarer westdeutscher Großstädte gefallen. Dies gilt auch für die Beschäftigung: Die Industriedichte (d.h. im Verarbeitenden Gewerbe Beschäftigte pro 1000 Einwohner) blieb 1994/95 mit 46 weit hinter westdeutschen Werten: Stuttgart 147, Frankfurt/M. 119, München 107, Düsseldorf 92 zurück. Offensichtlich war die fertigungsorientierte, kapitalintensive Industrie Westberlins ohne steuerliche Förderung an diesem Standort nicht mehr konkurrenzfähig. Besonders betroffen davon ist die Investitionsgüterindustrie, deren Produktion von 1991 bis 1994 um ca. 35% sank. Der Produktionsrückgang in Branchen wie EDV/Büromaschinenbau, Elektrotechnik, Feinmechanik und Optik ist besonders negativ, weil in diesen technologieintensiven Produktionsfeldern qualifizierte, wertschöpfungsintensive Arbeitsplätze entstehen, wenn man sich mit neuen Produkten am Markt durchsetzt. Für die zukünftige Entwicklung wird es entscheidend darauf ankommen, solche Unternehmen anzu- [Seite der Druckausgabe: 15] siedeln bzw. zu halten, die hier ihre Produkte international konkurrenzfähig entwickeln und herstellen können. Dies können nur solche Produkte/Produktionsabläufe sein, die trotz der hohen Kosten am Standort (Personalausgaben, Grundstückspreise, Planungs- und Verwaltungsaufwand) Gewinne erzielen und auf qualifizierte Arbeitnehmer und eine ausgebaute Infrastruktur angewiesen sind. Aus dem existierenden Profil der berliner Industrie bieten sich dabei einige Produktfelder an, für die gute Rahmenbedingungen in Forschung und Entwicklung (F&E) und Fertigung vorhanden sind:
Prinzipiell orientiert sich die Förderung von Technologien auf bestimmte Technologie - Cluster, die durch Expertenkreise aus Senatsverwaltung, Unternehmen und Forschungseinrichtungen ausgewählt wurden. Das Dilemma für den Standort Berlin besteht darin, daß es zu einem mis-match auf dem Arbeitsmarkt kommt: bei den Arbeit suchenden Industriearbeitern handelt es sich zumeist um Un- /Angelernte oder Facharbeiter mit veralteten Fachkenntnissen, während in der Stadt ausgebildete hochqualifizierte Techniker und Ingenieure oft wegen besserer Karrierechancen nach Westdeutschland abwandern. Die Bauwirtschaft in Berlin zeichnet sich durch das mittlerweile bundesweit bekannte Phänomen hoher Wachstumsraten bei gleichzeitig hoher Arbeitslosigkeit deutscher Baufacharbeiter aus, die von billigeren Konkurrenten aus anderen EU-Ländern und aus osteuropäischen Ländern verdrängt werden. Auf die Auseinandersetzung um einen gesetzlich garantierten tariflichen Mindestlohn für alle in Deutschland Beschäftigten (Entsende-Richtlinie) kann hier nicht eingegangen werden. Für die Entwicklung des berlin/brandenburger Marktes für Baudienstleistungen sind zwei Trends entscheidend:
[Seite der Druckausgabe: 16]
Insgesamt dürfte der Hochbau eher stagnieren oder schrumpfen und ähnliches ist für Ausbau/Erneuerung der öffentlichen Infrastruktur angesichts der leeren Landeskasse anzunehmen. Die Hoffnung, daß der vorhandene Baubedarf wesentlich zu einer Verbesserung der Lage auf dem Arbeitsmarkt beitragen könnte, hat sich als trügerisch erwiesen. Das entscheidende Problem für die Berliner Wirtschaftspolitik ist die anhaltende Arbeitslosigkeit, die sich bei stagnierender Wirtschaftsleistung und einer mittelfristig sinkenden Erwerbstätigkeit zu verfestigen droht. Die staatliche Wirtschaftsförderung versucht dieser Entwicklung durch gezielte Gewerbeansiedlung in Ostberlin und einer allgemeinen Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen und Investoren zu begegnen. Zu den Aufgaben dieser Politik gehört:
Dies entspricht der normalen Leistungspalette sektoraler und regionaler Wirtschaftsförderung. Die besonderen Ziele in Berlin sind die Förderung von Existenzgründungen, die von technischen Innovationen ausgehen. Dabei soll versucht werden, das lokal vorhandene F&E-Potential durch engere Kontakte zwischen Universitäten, Forschungsinstituten und gewerblicher Unternehmen zu nutzen. Ein zweiter Schwerpunkt ist der Aufbau von Gewerbezentren besonders im Ostteil der Stadt. Insgesamt werden so in den nächsten Jahren mehr als 170.000 m2 Gewerbefläche geschaffen, die zu günstigen Bedingungen KMU angeboten werden. Damit sollen noch vorhandene industrielle Kerne der DDR-Industrie erhalten und mit Neu- [Seite der Druckausgabe: 17] Ansiedlungen verbunden werden. Gleichzeitig soll das weitere Abwandern von Industriebetrieben nach Brandenburg (vor allem südlich und westlich von Berlin) gebremst werden. Nach dem Scheitern der Fusion mit Brandenburg im Mai 1996 ist es das Bestreben des Senats, durch gezielte Ausweisung von erschlossenen Flächen im Stadtgebiet das Verbleiben von Betrieben in der Stadt zu sichern. Das mit Abstand wichtigste Förderungsprogramm der Berliner Wirtschaftspolitik ist die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (GA). Die GA wird je zur Hälfte von Bund und Ländern finanziert und fördert Investitionen gewerblicher Unternehmen und den Ausbau der wirtschaftsnahen Infrastruktur durch die öffentliche Hand. Eine Teilfinanzierung durch Mittel aus dem Regionalfonds der EU (EFRE) ist möglich (vgl. dazu 3.2) Tabelle 1 Finanzplan für die GA in Berlin im Zeitraum 1996 - 2000 in Mio. DM
Für das Haushaltsjahr 1996 und die mittelfristige Finanzplanung bis zum Jahr 2000 gilt der 25. Jahresplan, der im Frühjahr/Sommer 1996 vom paritätisch besetzten Bund-Länder-Planungsausschuß der GA beschlossen und von der EU-Kommission genehmigt wurde. Er sieht ab 1997 eine Reihe von Regeländerungen für Ostdeutschland vor, die Berlin im besonderen Maße betreffen: [Seite der Druckausgabe: 18]
Von 1991 - 1995 sind im Rahmen der GA 2031 Investitionen mit einem Investitionsvolumen von 9,4 Mrd. DM durch Zuschüsse in Höhe von 3,1 Mrd. gefördert worden, wobei davon 1,5 Mrd. auf gewerbliche Investitionen und 1,6 Mrd. auf die wirtschaftsnahe Infrastruktur entfielen. Dabei sind ca. 100.000 Arbeitsplätze geschaffen worden. Im Jahr 1996 standen Berlin 632 Mio. DM GA-Mittel (davon 543 Mio. DM GA-Ost und 89 Mio. DM GA-West) zur Verfügung. Besonderen Wert legt die Wirtschaftsförderung auf die Entwicklung innovativer Verfahren und Produkte, da ein erfolgreicher Strukturwandel in der Industrieproduktion nur möglich ist, wenn die regionale Kompetenz in Zukunftsmärkten wie Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK), Multimedia-Anwendungen, Prozeßautomation erhöht wird. Dafür gibt es zwei Ansätze:
Nach dem Abschluß der Übergangsphase versucht man die Programmvielfalt zu straffen, die selbst Experten aus der Verwaltung kaum noch überblicken können. Die zentrale Anlaufstelle in dieser Förderlandschaft ist der Strategiekreis Forschung, Innovation, Technologie (SK FIT), der besonders eine Koordination der Technologiepolitik von Berlin und Brandenburg anstrebt. Neben einer Task-Force (FIT-Promotion-Team) zur Beratung interessierter Unternehmen wurde ausgehend von der Anschubförderung zur beruflichen Umorientierung von [Seite der Druckausgabe: 19] Wissenschaftlern der DDR-Akademie der Wissenschaften das Programm FIT Berlin 2001 aufgelegt, das ca. 1000 Arbeitsplätze im F&E-Bereich in der Stadt sichern konnte. Dieses war wiederum eine Grundlage für das größte Technologieprojekt in Berlin seit der Vereinigung: das Projekt Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort (WISTA) in Berlin-Adlershof. Im Südosten Berlins in der Nähe des neuen Großflughafens Schönefeld soll bis Ende des Jahrzehnts ein moderner Technologiepark entstehen, der eine enge Verbindung von universitärer Forschung und betrieblicher Anwendung zum Ziel hat. Zu diesem Zweck sollen die naturwissenschaftlichen Fachbereiche der Humboldt-Universität nach Fertigstellung der Gebäude an den Stadtrand verlagert werden. In Kooperation mit auf dem Gelände anzusiedelnen Entwicklungs- und Fertigungsunternehmen sollen Studenten und wissenschaftliche Mitarbeiter Forschung in folgenden Fach-Clustern" betreiben:
Langfristig sollen hier in einem Zeitraum von zehn Jahren 1,5 Mrd. Mark investiert und ca. 10.000 hochqualifizierte Arbeitsplätze geschaffen werden. Am WISTA soll eine ISDN-vernetzte elektronische Bibliothek und ein internationaler Forschungs- und Kooperationsverbund angesiedelt werden. Das Ost-West-Kooperationszentrum befindet sich im Bau. In jüngster Zeit ist dieses Vorzeigeprojekt erneut Gegenstand der politischen Diskussion. Zum einen fürchten die anderen universitären Forschungseinrichtungen, daß sich die knappen Mittel des Wissenschaftsetats auf Adlershof konzentrieren werden; angesichts der Haushaltslage und den bereits beschlossenen Kurzungen im Wissenschaftsetat keine unrealistische Einschätzung. Dieses Prestigeprojektes ist ein Kernstück des Konzeptes, Berlin zu einem europäischen Zentrum der Hochtechnologie-Forschung zu machen. Ein weiteres wichtiges Instrument der Wirtschaftspolitik durch Technologieförderung sind die Technologie- und Gründerzentren (TGZ). Diese bieten jungen KMU und Existenzgründern attraktive Rahmenbedingungen in der Einstiegsphase, um innovative Produkte und Verfahren am Markt einzuführen. Zusammen mit anderen Unternehmen mit ähnlichem Produktprofil sind diese zu ermäßigten Mieten an bekannten Standorten untergebracht. Oft ergeben sich über die räumliche Nähe informelle Kontakte zu Forschungsinstituten und potentiellen Fertigungs- /Abnehmerfirmen. In den meisten Fällen bieten die TGZ den untergebrachten Firmen ein Servicepaket (Bürokommunikation, Verwaltung bis zur Buchführung, Marketinghilfen), [Seite der Druckausgabe: 20] das die Verwaltungskosten am Anfang niedrig zu halten hilft. Die Landeszentralbank Berlin hat im Rahmen ihres Jahresberichtes eine Studie zur wirtschaftlichen Bedeutung der TGZ in Berlin und den NBL durchgeführt. Dabei wird die Bedeutung der TGZ in Ostdeutschland unter anderem darauf zurückgeführt, daß in der unmittelbaren Umgebung oft keine Abnehmer für neue Produkte angesiedelt sind und die Kontaktaufnahme zu F&E-Einrichtungen und Beschaffungsabteilungen großer Unternehmen entscheidend für die Markteinführung ist. Angesichts knapper öffentlicher Mittel sehen die Verfasser der Studie nur in einer gezielten Kooperation mit Brandenburg die Chance, ein spezifisches technologisches Profil für die Region aufzubauen. Das Angebot an konsumnahen Dienstleistungen (Freizeit, Hotelwesen / Gastronomie, Reparaturhandwerk) war in der Zentralverwaltungswirtschaft der DDR wegen der Industrie-Orientierung und dem ständigen Arbeitskräftemangel völlig unterentwickelt. Sofort nach der Wirtschafts- und Währungsunion explodierte das Angebot an solchen Dienstleistungen, so daß auf vielen Gebieten schon nach kurzer Zeit der westdeutsche/westberliner Standard erreicht war. Im Bereich der wertschöpfungsintensiven, produktionsnahen Dienstleistungen (F&E, Finanzierung, Marketing, Rechtsberatung) existiert in beiden Stadthälften ein erhebliches Defizit gegenüber vergleichbaren westdeutschen Großstädten: Tabelle 3 Hochschulabsolventen in v.H. der Dienstleistungsbeschäftigten in Westberlin und in westdeutschen Großstädten1 /Stadtregionen2 1994
[Seite der Druckausgabe: 21] Dies erklärt sich aus der bisherigen Unternehmensstruktur größerer Industrieunternehmen in Berlin. Das Schwergewicht lag auf Fertigungsbereichen als verlängerte Werkbank", während zentrale Unternehmensbereiche am Sitz in Westdeutschland angesiedelt bleiben. Im Ostteil hat die Treuhand-Privatisierung zur Stillegung und/oder Zerschlagung der großen Industrieproduzenten geführt, so daß überwiegend mittelständische Betriebe übrig geblieben sind. Sollte es gelingen Unternehmenszentralen und Verbandsspitzen in die Stadt zu ziehen, dürfte dies zu einer entscheidenden Verbesserung des Angebots an qualifizierten Dienstleistungsarbeitsplätzen führen. So könnten Hochschulabsolventen am Standort gehalten werden und auch das Steueraufkommen würde davon profitieren. Außerdem gibt es bereits einige Branchen, in denen Berlin eine Spitzenposition erobert hat. Darunter ist der gesamte Bereich der elektronischen Medien, die Entwicklung von Software und die Veranstaltung von Messen und Kongressen. Die Medienstadt Berlin zeichnet sich durch ein großes Angebot von Printmedien aus, darunter vier regionale Tageszeitungen (Berliner Zeitung, Berliner Morgenpost, taz, Tagesspiegel). Mit dem Sitz von zwei bundesweiten Fernsehsendern (n-tv und Sat1) sucht Berlin den Anschluß an die Medienzentren München und Köln. Dabei wird zukünftig die politische Berichterstattung eine größere Rolle spielen, wie man aus den Studioneubauten ablesen kann. Kaum zu unterschätzen für die Rolle Berlins als Filmstadt und Produktionsstandort ist das vollständig renovierte Studiogelände der ehemaligen DEFA in Potsdam-Babelsberg mit seinem Schwerpunkt Animation und Tricktechnik. Bei der Entwicklung von Anwendungssoftware hat sich Berlin einen Spitzenplatz erobert, der auf einer bundesweit einmaligen Marktstruktur beruht. Eine Vielzahl von kleinen und kleinsten Entwicklungsfirmen mit engen informellen Beziehungen zu Universitäten und Forschungsinstituten reagieren flexibel auf spezielle Nachfrage und Anwendungswünsche. Das Messewesen Westberlins war schon vor der Vereinigung ein Standbein der lokalen Wirtschaft. Gemessen an den Besucherzahlen liegt Berlin auf Platz zwei in der Bundesrepublik. Durch das erweiterte Hinterland und die damit verbundene regionale Nachfrage hat der Standort an Attraktivität gewonnen, so daß er mittlerweile mit westdeutschen Anbietern um bedeutende Fachmessen wie die Internationale Automobilausstellung konkurriert. Grenzen setzen hier die Ausstellungskapazitäten, was vor allem durch einen großzügigen Ausbau des [Seite der Druckausgabe: 22] Berliner Messegeländes am Funkturm behoben werden soll. Dieses Projekt wird mit einem Investitionsvolumen von ca. 1,8 Mrd. DM weitgehend über öffentliche Zuschüsse finanziert. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß mittelfristig mit einem Ansteigen des Arbeitsplatzangebots im Dienstleistungsbereich zu rechnen ist. Es bleibt jedoch selbst bei optimistischen Annahmen über das regionale Wirtschaftswachstum zu bezweifeln, ob dieser zusätzliche Bedarf die angespannte Arbeitsmarktlage entscheidend verbessern kann.
1.2.1 Finanzkrise und staatliche Strukturpolitik
Das entscheidende Hindernis für wirtschaftliche Struktur- und Steuerungspolitik ist die Deckungslücke im Landeshaushalt Berlin, die es kaum zuläßt, zusätzliche Investitionen zu finanzieren oder zu fördern. Für die katastrophale Finanzlage des Landes Berlin lassen sich im wesentlichen drei Gründe nennen:
Einnahmen des Landeshaushaltes Berlin und Bundeszuschüsse 1991-95
[Seite der Druckausgabe: 23] zügig ausgestattet und besetzt worden, um Arbeitsmarkt und Gesamtnachfrage in der Stadt zu stabilisieren und Nachteile der Insellage durch ein überdurchschnittliches kulturelles Angebot und ein dichtes soziales Netz auszugleichen. Dies führte zu einer personellen Überbesetzung der Verwaltung und bei Anbietern öffentlicher Dienstleistungen im Vergleich mit westdeutschen Stadtstaaten. Tabelle 4 Vergleich der Personaldichte im Landesdienst zwischen Berlin und Hamburg 1994 nach Aufgabenbereichen und in Vollzeitstellen umgerechnet
Bei einem erheblich geringeren Pro-Kopf-Steueraufkommen leistet sich Berlin einen höheren Personalaufwand. Auch wenn die Zahlen z.T. durch andere Rechtsformen der Träger sozialer/kultureller Dienstleistungen in Ostberlin verzerrt sind, so besteht ein weiterer Anpassungsbedarf, von dem bezweifelt werden darf, ob er über die natürliche Fluktuation erreicht werden kann. Schon jetzt schiebt der Öffentliche Dienst einige tausend Beschäftigte auf der sog. Überhangsliste als Bugwelle vor sich her. Die Möglichkeit betriebsbedingter Kündigungen im nicht unmittelbaren Landesdienst (etwa im Bereich der Hochschulen) ist allerdings ein politisch sehr heißes Eisen, und dürfte nicht nur bei der ÖTV massive Proteste auslösen. Zwar [Seite der Druckausgabe: 24] wurden zwischen 1992 und 1994 ca. 15.000 Vollzeitstellen abgebaut, aber nach Berechnungen des DIW bestand Ende 1995 immer noch ein Personalüberhang von 25.000 - 35.000 Stellen, je nach den angenommen Besetzungsstandards. Dabei ist allerdings die besondere Bevölkerungsstruktur Berlins mit einem überproportional hohem Anteil an Problemgruppen (Langzeitarbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Kriegsflüchtlinge) zu berücksichtigen. 3. Auf diese Finanzlage mit stagnierenden Steuereinnahmen und sinkenden Zuschüssen bei steigenden Ausgaben für Infrastruktur-Investitionen im Osten reagierte die Große Koalition mit einer drastischen Ausweitung der Neuverschuldung, statt die Ausgaben zu kürzen und Leistungen einzuschränken. Tabelle S Entwicklung Landeshaushalt Berlin 1990-96 in Mio. DM und in vH
[Seite der Druckausgabe: 25] Nach der Landtagswahl im Herbst 1995 zeigte sich, daß angesichts der Stimmenverteilung in der Stadt die Große Koalition bis auf weiteres die einzige handlungsfähige politische Alternative darstellt. Die mittelfristige Finanzplanung ist jedoch gekennzeichnet durch die Verteidigung von Klientel-Interessen und dem Hoffen auf ein Wunder von außen. Trotz eindringlicher Warnungen durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wird die strukturelle Verschlechterung des berliner Haushaltes ignoriert. Sollte es zu keiner drastischen Kehrtwende kommen und die Ausgaben an die stagnierenden und dauerhaft niedrig bleibenden Einnahmen angepaßt werden, so ist die Überschuldung des Landes unausweichlich. Schon jetzt läßt sich abschätzen, wann die Einnahmen ohne Kreditaufnahme nicht mehr für den Schuldendienst ausreichen werden. 1995 reichte das Steueraufkommen gerade, um die Personalkosten der im Landesdienst Beschäftigten zu decken. Tabelle 6 Finanzlage des Landes Berlin im Vergleich zu Bremen, Hamburg und Brandenburg 1995 in Mrd. DM und vH
Vor diesem Hintergrund geht es darum ein Konzept zu entwickeln, das Einnahmen und Ausgaben mittelfristig ausgleicht. Ein erster, wenn auch umstrittener Schritt ist der Verkauf landeseigener Beteiligungen (z.B. am Energieversorger BEWAG), um aus den Erlösen Schulden zu tilgen bzw. die Nettokreditaufnahme zu reduzieren. Sollten die Verkäufe von Anteilen der [Seite der Druckausgabe: 26] BEWAG wie geplant stattfinden, so verliert das Land Berlin einen direkten Einfluß auf die Energiepolitik in der Region. Aber angesichts der katastrophalen Unterdeckung des Landeshaushaltes (Steuerdeckungs-Quote 36,3%) sind kaum Alternativen denkbar. So haben die Berliner Sozialdemokraten durch die Beschlüsse ihres Landesparteitages am 14. Januar 1997 gebilligt:
Das Problem besteht aber nicht allein in dem Mißverhältnis von Einnahmen und Ausgaben, sondern auch in der Ausgabenstruktur. Laufende Ausgaben sind zu Lasten der Sachinvestitionen stark gestiegen. Auch wenn einige Leistungsausweitungen wie z.B. die vermehrten Sozialhilfezahlungen auf Entscheidungen des Bundes (Kürzungen des Bundeszuschusses für die Bundesanstalt für Arbeit) zurückzuführen sind, bleiben hausgemachte bzw. von der Landespolitik ungelöste Probleme:
Wichtigste Aufgabe bleibt es, den Landeshaushalt mittelfristig auszugleichen und die laufende Neuverschuldung drastisch zu drosseln. Dies wird nur gelingen, wenn die Ausgaben um ca. 1/3 reduziert werden und neue Unternehmen im Stadtgebiet angesiedelt werden können.
[Seite der Druckausgabe: 27]
1.2.2 Arbeitsmarkt: Erwerbstätigkeit, Arbeitslosigkeit und Arbeitsmarktpolitik
Der Berliner Arbeitsmarkt unterlag seit der deutschen Vereinigung einem erheblichen Strukturwandel. Er ist durch erhebliche Verdrängungseffekte durch Einpendler aus dem brandenburgischen Umland vor allem nach Westberlin gekennzeichnet. In diesem Gebiet ist ein weitgehend homogener Markt mit gleichen Qualifikationsanforderungen und angeglichenen Löhnen entstanden. Seit Herbst 1996 wird im Öffentlichen Dienst Berlins nach einem einheitlichen Tarif (100 % West) gezahlt. Eine solche Entwicklung zeichnet sich auch für viele gewerbliche Arbeitsverhältnisse ab, wobei sich die westberliner Bruttoeinkommen nach unten angeglichen haben und neue Arbeitsverhältnisse mit Einstiegslöhnen begründet werden, die z.T. erheblich unter westdeutschem Niveau liegen. Folgende Trends kennzeichnen den integrierten Arbeitsmarkt Gesamtberlins:
[Seite der Druckausgabe: 28] Diese Entwicklungen werden sich fortsetzen, ohne daß jedoch die jetzigen Strukturen sich in den nächsten Jahren dramatisch ändern werden. Noch nicht absehbar ist die Entwicklung der jungen Unternehmen in Ostdeutschland, die unter großen Schwierigkeiten wegen unzureichender Eigenkapitalausstattung und stagnierenden Umsätzen leiden. Sollte es zu einer Insolvenzwelle kommen, so ist erheblicher Druck auf den berliner Arbeitsmarkt nicht auszuschließen. Der unmittelbare Effekt des Regierungsumzugs wird vielfach überschätzt. Selbst wenn man von Folgeeffekten durch Zuzug von Verbänden und Unternehmenszentralen ausgeht, so muß der Neuzugang von Ausbildungsabsolventen auf den Arbeitsmarkt gegengerechnet werden. Die zukünftigen Rahmenbedingungen für den Arbeitsmarkt werden gesetzt durch:
Die Erwerbstätigkeit ist nach dem Vereinigungsboom in Westberlin ab 1993 in ganz Berlin rückläufig ist, wobei noch nicht abzusehen ist, ob dieser Trend bei einem langsam wachsenden Inlandsprodukt anhalten wird. Bei der Analyse der Daten zeigt sich, daß nach dem Vereinigungsboom 1991/92 eine weitere Tertiärisierung stattfand: einer stetig schrumpfenden Industriearbeiterschaft steht ein Beschäftigungswachstum im Dienstleistungsgewerbe gegenüber. Hier spiegelt sich zum einen der Ausbau des völlig unzureichenden Angebotes in Ostberlin und Brandenburg wider, wie man an dem überproportionalen Anstieg der sonstigen Dienstleistungen" ablesen kann. Bei stagnierendem Realeinkommen vieler Arbeitnehmer wird es zu einer Marktsättigung kommen. Der Vergleich mit entsprechenden Daten westdeutscher Großstädte / Ballungsräume zeigt, daß eine Entwicklung nachvollzogen wird, die durch die ehemalige Insellage und den Sonderstatus Berlins bisher verzögert wurde. Bei der Qualifikationsstruktur fällt auf, daß trotz Schließung bzw. Abwanderung fertigungsintensiver Produktion der Anteil An-/Ungelernter an den im Verarbeitenden Gewerbe Beschäftigten immer noch über dem Bundesdurchschnitt liegt. Dies erklärt sich vor allem an dem geringen Anteil wertschöpfungsintensiver Unternehmensbereiche (Zentrale Verwaltung / Unternehmensleitung, Marketing, F&E). [Seite der Druckausgabe: 29] Tabelle 7 Erwerbstätigkeit1 und Beschäftigung in Berlin 1989-95, 2000,2005 im Jahresdurchschnitt in Tausend
Die Situation des Berliner Arbeitsmarktes hat sich nach Abflauen des Integrationsbooms in Westberlin und dem Abschluß der Privatisierung in der ostberliner Industrie stabilisiert, wobei sich Arbeitslosigkeit und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen auf einem hohem Niveau eingependelt haben. Einer wachsenden Zahl von Langzeitarbeitslosen steht eine begrenzte Zahl von offenen Stellen gegenüber. Außerdem hat der vollständige Einstellungsstop des Öffentlichen Dienstes und der Belegschaftsabbau der Großindustrie dazu geführt, daß bestimmte Gruppen von Hochschulabsolventen z.B. Sozial- oder Naturwissenschaftler auf dem berliner Arbeitsmarkt kaum qualifizierte Stellenangebote vorfinden. Daneben hat sich ein umfangreicher Zweiter Arbeitsmarkt etabliert, der über ABM und Lohnkostenzuschüsse (§ 249h AFG in Ostberlin bzw. §242s AFG in Westberlin) 1995 ca. 30.000 Personen beschäftigt hat. Der Löwenanteil der Stellen geht in den Ostteil der Stadt, wo ein [Seite der Druckausgabe: 30] Großteil der sozialen und kulturellen Dienstleistungen in den Bezirken mittlerweile über den Zweiten Arbeitsmarkt finanziert wird. Die angekündigten Kürzungen bei Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik in Ostdeutschland durch die Bundesanstalt für Arbeit können über zusätzliche Landesmittel nicht ausgeglichen werden. Sicher ist, daß der betroffene Personenkreis sofort die Arbeitslosenquote erhöhen wird, da mittlerweile nur noch Arbeitslose aus sog. Problemgruppen eine Chance auf eine ABM-Stelle haben. Diese Arbeitnehmer sind auf dem gesättigten Ersten Arbeitsmarkt nicht zu vermitteln. Tabelle 8 Arbeitslose, Kurzarbeiter und offene Stellen in Berlin1 und Arbeitslosenquote in vH der abhängigen zivilen Erwerbspersonen
Tabelle 9 Struktur der Arbeitslosigkeit in Berlin
[Seite der Druckausgabe: 31] Die aktuelle Lage auf dem Arbeitsmarkt für die Region Berlin-Brandenburg läßt sich anhand der folgenden Zahlen verdeutlichen. Bei stagnierender Wirtschaftsentwicklung sinkt die Beschäftigung (in ganz Ostdeutschland) und die offene Arbeitslosigkeit steigt, trotz des massiven Einsatzes arbeitsmarktpolitischer Instrumente. Offensichtlich reicht das Wirtschaftswachstum in den NBL nicht aus, um mittelfristig die Arbeitslosigkeit abzubauen. Sollte die Sonderförderung für den Arbeitsmarkt Ostdeutschland reduziert werden, so führt das mit Sicherheit zu steigenden Sozialhilfelasten für die ostdeutschen Kommunen bzw. die ohnehin angespannten Landeshaushalte der NBL. Die Hoffnung, daß private Investitionen wettbewerbsfähige Arbeitsplätze schaffen, die ausreichen, um die Entlassungen der Transformationsphase aufzufangen, hat sich als unrealistisch erwiesen. Leider ist von keiner Seite ein tragfähiges d.h. finanzierbares Konzept zu erkennen. Wenn in den nächsten Jahren die Mega-ABM in den strukturschwachen Gebieten (z.B. Braunkohletagebau-Sanierung im südlichen Brandenburg) auslaufen, sind Arbeitslosenquoten über 30% zu erwarten. Das Beschäftigungsgefälle zwischen Umland und Randregionen wird sich noch verschärfen. Tabelle 10 Arbeitslosigkeit in Berlin und Brandenburg September 1996
Die Arbeitsmarktpolitik in Berlin steht in den nächsten Jahren vor einer fast unlösbaren Aufgabe: Einerseits muß bei der angespannten Haushaltslage und sinkenden Bundesmitteln versucht werden, den Zweiten Arbeitsmarkt vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Andererseits versucht man, verstärkt über den Einsatz neuer Förderinstrumente z.B. in der Existenzförde- [Seite der Druckausgabe: 32] rung gezielt neue Dauerarbeitsplätze zu schaffen. Man wird zu einer neuen Aufgabenteilung zwischen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik kommen müssen. Nur eines ist sicher: Die bisher relativ großzügige Ausstattung des Zweiten Arbeitsmarktes wird sich Berlin in Zukunft nicht mehr leisten (können).
1.3 Bevölkerungsentwicklung und Ausbau der Infrastruktur
Einen entscheidenden Einfluß auf die Prognose und Planung regionaler Wirtschaftspolitik hat die geschätzte Bevölkerungsentwicklung. Dies gilt besonders für die Nettoentwicklung der Wohnbevölkerung (beeinflußt durch Geburten/Sterberate, Zu-/Abwanderung), die Zuwachsrate der Erwerbspersonen und das Verhältnis von Erwerbstätigen zu Empfängern von Transfereinkommen. Für die Region Berlin/Brandenburg stellt sich als Sonderproblem die Verteilung der Einkommen erzielenden Wohnbevölkerung auf die beiden Bundesländer (Steuergebiete). Die brandenburger und berliner Behörden hatten schon kurz nach der Vereinigung 1990 begonnen, eine gemeinsame Raum- und Regionalplanung für den engeren Verflechtungsraum zu formulieren. Um den befürchteten Sog-Effekt der Metropole Berlin auf das dünn besiedelte, industriearme Brandenburg zu mildern, hatte die Landesregierung Brandenburg das Prinzip der dezentralen Konzentration" zur Grundlage ihrer Landesentwicklungsplanung gemacht. Demnach soll(t)en vor allem jene Kommunen und Landkreise durch staatliche Förderpolitik gestärkt werden, die für die Peripherie Brandenburgs Funktionen eines Mittelzentrums erfüllen. Vor allem sollen hier industrielle Kerne" erhalten bzw. neu angesiedelt werden, um den sich Anbieter produktionsnaher Dienstleistungen ansiedeln können, die wiederum kaufkräftige Nachfrage für lokale Hersteller und Dienstleister bedeuten. Diese Förderpolitik verbunden mit sektoraler Sonderförderung (z.B. Braunkohleförderung im strukturschwachen Süden Brandenburgs) sollte eine einigermaßen gleichmäßige Entwicklung in der Fläche sichern und das Gefälle Metropole/Peripherie abschwächen. Nach der gescheiterten Fusion wird vom Berliner Senat das Ziel einer Bestandssicherung offensiver formuliert, um in der Standortkonkurrenz von Stadt und Umland um Steueraufkommen und Arbeitsplätze nicht ins Hintertreffen zu geraten. Ausdrücklich wurde die Abwanderung von Wohnbevölkerung ins nahe Umland als nachholende Entwicklung und unvermeidbar ak- [Seite der Druckausgabe: 33] zeptiert. Umstritten bleibt die staatliche Rahmenplanung für Gewerbeansiedlung und das Verkehrskonzept für den engeren Verflechtungsraum Berlin. Als ein entscheidendes Problem für jede Raum- und Regionalplanung bleibt die Unsicherheit über die Bevölkerungsentwicklung. Die von verschiedenen Instituten und der Senatsverwaltung für Umweltschutz und Stadtentwicklung erstellten Gutachten über die mittelfristige Entwicklung von Wohnbevölkerung und Erwerbstätigkeit weichen z.T. erheblich voneinander ab. In der ersten Euphorie nach der Wiedervereinigung wurden die Schwierigkeiten der Transformation Ostdeutschlands unterschätzt und der Wachstumseffekt von regionaler Integration und Regierungsumzug überschätzt. Das Resultat waren angenommene Zuwachsraten bei der Wohn- und Erwerbsbevölkerung die aus heutiger Sicht (Januar 1997) offensichtlich unrealistisch sind. Selbst die relativ zurückhaltenden Prognosen des DIW sind seit der Rezession obsolet. Zwar hält die Abwanderung von gerade einkommensstarken Bevölkerungsschichten ins Umland an, aber diese führen nur zu einer Verlagerung innerhalb der Region. Die stagnierende Bevölkerungsentwicklung muß mittelfristig keine Einschränkungen für die wirtschaftliche Entwicklung bedeuten, da das vorhandene Erwerbstätigenpotential auch nicht annähernd ausgeschöpft werden wird. Besorgniserregend ist der anhaltend negative Saldo von Geburten und Sterbefällen. Zusätzlich wirkt sich der drastische Rückgang der Geburtenrate in Ostberlin aus, wie er nach der Wirtschaftsunion in ganz Ostdeutschland zu beobachten ist.
Tabelle 11.1+2 Einwohner und Bevölkerungsentwicklung in Berlin und Brandenburg
[Seite der Druckausgabe: 34] Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die Bevölkerungsentwicklung in der Region ungefähr auf dem jetzigen Niveau stagnieren wird, wobei ein Teil der jetzigen Wohnbevölkerung Berlins ins brandenburger Umland abwandern wird. Diese Abwanderung wird durch Zuwanderung aus Westdeutschlands und der ostdeutschen Peripherie (vor allem nördliches Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern) nur teilweise ausgeglichen. Infrastruktur: Telekommunikation, Verkehr, Wohnungs- und Gewerbebau Eines der unmittelbaren Probleme nach der Vereinigung war die Errichtung einheitlicher Verkehrs- und Versorgungsnetze. Dabei ging es zuerst um die Wiederherstellung der jahrzehntelang gekappten Ost-West-Verbindungen. Danach mußten die Netzteile im Osten der Stadt und im brandenburgischen Umland saniert und modernisiert werden um westdeutschen Standards zu entsprechen. Diese Aufgabe ist Mitte der 90er Jahre weitgehend abgeschlossen. Nun geht es darum, die Netze so aus- und umzubauen, daß sie dem zukünftigen Bedarf entsprechen d.h. die Rahmenbedingungen für ein ausreichendes Wirtschaftswachstum und die Modernisierung von Industrie, Verwaltung und Dienstleistungsgewerbe schaffen. Die wichtigsten Einzelvorhaben dabei sind: 1. Telekommunikation
Der zügige Ausbau der Telekommunikationsnetze , -anschlüsse und
2. Verkehrsnetze
[Seite der Druckausgabe: 35]
Ein Großteil dieser Bauvorhaben wird im Rahmen des Programms Verkehrsprojekte Deutsche Einheit vom Bund finanziert, so daß sie den Landeshaushalt nur in geringem Umfang belasten. Ziel all dieser Maßnahmen ist die Region so an die westdeutschen / internationalen Verkehrsnetze anzubinden, daß Transportzeiten und -kosten kein Wettbewerbshindernis mehr darstellen und die Infrastruktur die Anforderungen an den zukünftigen Regierungssitz erfüllt. Daneben wurden neue Logistik-Konzepte für den Güterverkehr entwickelt, der den innerstädtischen Verkehr entlasten soll. So werden im Süden von Berlin zwei Güterverkehrszentren errichtet, die den Umschlag von Gütern aus dem Ferntransport abwickeln sollen. Vor allem der Kombiverkehr, d.h. Ferntransport mit der Bahn und Auslieferung im Nahbereich mit LKW soll dadurch gefördert werden. Politisch umstritten bleibt der Verkehrsträgermix für den innerstädtischen Nahverkehr. Zwar ist es Konsens zwischen allen Parlamentsfraktionen, daß der Individualverkehr mit dem PKW bei über 1,3 Mio. im Stadtgebiet zugelassenen Fahrzeugen beschränkt werden muß (offizielles Ziel ist eine Verteilung 80:20 ÖPNV/PKW im Citybereich). Aber auch das neue Parkraum-bewirtschaftungskonzept hat den Autoverkehr in der Innenstadt (City West und Mitte) nicht reduziert. Auf einem Zehntel der Stadtfläche lebt ein Drittel der Einwohner, befindet sich ein Drittel des PKW-Bestandes und fast die Hälfte der Arbeitsplätze. Der Senat hat die bis dato großzügigen Zuschüsse für den ÖPNV gekürzt, was von der BVG mit Serviceeinschränkungen und Fahrpreiserhöhungen beantwortet wurde. Dies und das neue Tarif-Konzept, das Zeitkarten für Einpendler aus Brandenburg verteuert, wird wohl kaum zum Umsteigen auf S- und U-Bahn ermuntern. [Seite der Druckausgabe: 36] 3. Wohnungsbau
Im Gegensatz zu westdeutschen Großstädten zeichnet sich die Nutzungsstruktur der Innenstadt Westberlins durch eine nahes Nebeneinander von Wohn- und Gewerbegebieten aus, durchbrochen von Verdichtungseinheiten mit Einkaufszeilen, Verwaltungs- und Dienstleistungsangeboten: die sogenannte Berliner Mischung. Diese gilt mit Einschränkungen auch für die ostberliner Stadtviertel am Rande der nach 1945 neu erbauten Mitte: Pankow/Weißensee, Prenzlauer Berg, Lichtenberg, Friedrichshain, Treptow. Dazu gehört, daß es auf Grund der in Westberlin bis 1987 geltenden Mietpreisbindung noch große Bestände an nicht modernisierten Altbauwohnungen (Einzelheizung, ohne Badezimmer) gibt, mit einem im Vergleich zu Westdeutschland sehr niedrigen Mietniveau. Das führte dazu, daß auch der Citybereich eine hohe Wohnbevölkerung aufweist. Diese fand gering qualifizierte Arbeitsplätze an den Industrie- und Gewerbestandorten in der Nähe ihrer Wohngebiete und konzentriert am südlichen [Seite der Druckausgabe: 37] Stadtrand. Nach Aufhebung der Insellage löst sich diese verkehrsextensive Siedlungsstruktur auf.
1.4 Berlin im Netz der europäischen Metropolen
Westeuropa zeichnet sich nicht nur durch eine dichte regionale wirtschaftliche Verflechtung aus, so daß man für viele Sektoren von EU-weiten Märkten sprechen kann, es besitzt auch ein relativ gut ausgebautes System materieller Netze. Dies gilt für alle Verkehrsträger (Straßen- und Schienennetz, Wasserwege und Fluglinien), aber darüber hinaus auch für Energietransporte (Pipelines, Elektrizitätsverbund) und Kommunikationsvermittlung, sowohl über Satellit als auch Kabel. Der wichtigste Investitionsschwerpunkt der Europäischen Union ist der Ausbau dieser Transeuropäischen Netze", vor allem der Bahnlinien für Hochgeschwindigkeitszüge und des Straßenfernverkehrsnetzes, da eine weitergehende Integration von Produktion und Märkten nur bei billigen und schnellen Transporten von Gütern und Dienstleistungen möglich wird. Westberlin zeichnete sich als die Frontstadt im geteilten Europa des Kalten Krieges nicht nur durch seine Insellage bezogen auf die alte Bundesrepublik aus, es befand sich auch in einer extremen Randlage in diesem westeuropäischen Netzwerk. Diese Isolierung trug wesentlich zur mangelnden Konkurrenzfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Westberlin bei und wurde vom Bund durch Subventionen ausgeglichen. Mit der deutschen Vereinigung und dem Zusammenbruch des realsozialistischen Systems bis zum Zerfall der Sowjetunion änderten sich diese Rahmenbedingungen schlagartig. Das vereinigte Berlin wurde (und wird) zügig an das westdeutsche Netzwerk angeschlossen und die Infrastrukturnetze in Ostdeutschland werden bis Ende des Jahrzehnts im wesentlichen das Niveau der alten Bundesländer erreicht haben. Die Stadt verfügt wieder über ein wirtschaftliches Umland und Hinterland und gilt in Osteuropa als erste Großstadt auf dem Weg in die Bundesrepublik und damit auf den (west-) europäischen Markt. Zwar verläuft zwischen Brandenburg und Polen nicht nur eine EU-Außengrenze, die ein erhebliches Entwicklungsgefälle markiert. Aber die wirtschaftlichen Beziehungen werden mit der absehbaren Aufnahme der ostmitteleuropäischen Reformstaaten in die EU zunehmen. Schon zu Beginn der Transformation in Osteuropa hat sie eine gesamteuropäische Verkehrsplanung entwickelt. Dazu gehört die Errichtung zweier gesamteuropäischer Verkehrskorridore: von Westeuropa über Berlin nach Kiew und Moskau. [Seite der Druckausgabe: 38] In einem Punkt sollte man sich allerdings keinen Illusionen hingeben. Die Infrastruktur in Ostmitteleuropa zu modernisieren und für westeuropäische Standards auszubauen, ist eine Aufgabe, die Milliarden kosten wird und die mittelfristigen Möglichkeiten dieser Staaten überfordert. Auch die EU wird nur Pilotprojekte finanzieren können, so daß diese Angleichung punktuell und schrittweise erfolgen muß. Die flächendeckende Angleichung ist nur denkbar, wenn die nachholende Entwicklung in ihrem jetzigen hohen Tempo anhält und bleibt eine Aufgabe für die erste Hälfte des nächsten Jahrhunderts. Neben diesen materiellen Netzen existieren aber auch virtuelle Netze im Sinne von Kommunikations- und Kooperationsbeziehungen zwischen Unternehmen, internationalen Organisationen und Bürokratien. In diesen Netzen kursieren Informationen und werden Entscheidungen vorbereitet, sie transportieren Ideen und vermitteln Macht. Solche informellen Kontakte bilden sich oft quer zu den formalen Entscheidungsabläufen und sind stark an Personen gebunden. Sie existieren in der Kultur, der Wissenschaft, den Medien usw. Über die Stellung einer Region in diesen Netzen entscheidet die Außenwahrnehmung: wie wichtig ist es an diesem Ort präsent zu sein, welche wichtigen Entscheidungseliten sind hier angesiedelt, welchen Einfluß auf den Gesamtmarkt hat der Absatz/Konsum vor Ort? Die Bedeutung einer angemessenen Selbstdarstellung in solchen Netzwerken hat Berlin jahrelang vernachlässigt. International ist die Stadt zu wenig präsent und entwickelt kein allgemein anerkanntes Profil. Nach der Rolle als Frontstadt im Kalten Krieg und den Ausgangspunkt für den Zusammenbruch des kommunistischen Weltsystems hat Berlin noch keine neue Selbstbestimmung entwickelt und vermarktet. Außerhalb Europas spielt die Stadt keine Rolle und selbst als Touristenattraktion hat ihre Anziehungskraft nachgelassen. Im Wettbewerb der europäischen Metropolen bleibt sie zweitrangig und kann sich nicht mit London oder Paris vergleichen. Der wichtigste Knotenpunkt in Gesamtdeutschland bleibt der Raum Frankfurt/Main, der auch der internationale Finanzplatz Europas werden könnte. Für Berlin bleibt die Hauptstadt-Funktion mit dem Regierungssitz, wobei wichtige politische Entscheidungen zunehmend oberhalb der nationalstaatlichen Ebene, d.h. in Brüssel getroffen werden. Darüber hinaus leidet die Stadt an dem verzögerten Strukturwandel in der Bundesrepublik, der aber für Berlin zusätzliche Hemmnisse schafft. Ein typisches Beispiel ist das deutsche Hochschulsystem, das die Internationalisierung der Wissenschaft in den letzten zehn Jahren verschlafen hat. In Skandinavien oder den Niederlanden sind Vorlesungen und [Seite der Druckausgabe: 39] Seminare in Englisch mittlerweile die Regel, es existieren verkürzte Studiengänge für ausländische Studenten, die mit einem international anerkannten Zertifikat abschließen können. Das führt dazu, daß die technische Elite der aufstrebenden Industriestaaten nicht mehr in Deutschland ausgebildet wird, was mittelfristig zu einer erheblichen Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit führen kann. Hier zeigt sich die Unbeweglichkeit deutscher Institutionen, die sich immer noch zu wenig an internationalen Standards orientieren. Welche Entwicklungspotentiale hat Berlin in diesem System der europäischen Metropole? Welches Profil soll und kann die Stadt anstreben? Berlin wird in die Rolle eines Knotenpunktes informeller Informationsnetze zwischen der EU und Ostmitteleuropa hineinwachsen, wenn sie die Voraussetzungen dafür schafft:
Die weitergehende Zielsetzung muß sein, Berlin international bekannt und anerkannt zu machen.. Dazu ist ein neues Standort-Marketing gerade auch durch die politischen Repräsentanten notwendig, die solche Perspektiven für die Stadt in den internationalen Medien offensiv vertreten. Entscheidungseliten treffen ihre Standortwahl nicht nur nach "harten" Kriterien wie Steuerbelastung oder Ausbau der Infrastruktur, sondern auch nach der Frage welches Image ein Standort besitzt und welche Botschaft eine Standortwahl vermittelt. Neue Unternehmen erwarten Angebote und Serviceleistungen und keine bürokratischen Hindernisse. Deshalb reicht es für Berlin nicht aus, daß sich Sony Europe und Daimler-Benz Services am Potsdamer Platz ansiedeln, um eine erstrangige europäische Metropole zu werden. Die Stadt ist dabei ihren Kredit aus der Phase des Mauerfalls und der Vereinigung zu [Seite der Druckausgabe: 40] verspielen, wenn es ihren Eliten nicht gelingt, einen Strukturwandel einzuleiten, der gezielt diese internationale Orientierung fordert. Dies gilt besonders für die politische Klasse, die sich zu sehr mit sich selbst und zu wenig mit der Zukunft der Stadt beschäftigt. Wenn sie keine Konzepte vorgibt, werden Verwaltung und Verbände sich weiter mit einer Verteilung des Mangels beschäftigen, statt Entwicklungschancen zu nutzen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000 |