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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.: 1 ] 1. Das Beschäftigungsproblem der Industrieländer Zur Einführung in das Thema der Konferenz gab der Vertreter des Wissenschaftszentrums Berlin einen auf eigenen Forschungsergebnissen beruhenden Überblick über die endogenen Veränderungen der Wachstumsprozesse der Industrieländer. Dem Ansatz des Referenten zufolge lagen die Hauptursachen für die Entstehung und die Dauer der Massenarbeitslosigkeit in den Industrieländern im Zusammenwirken ökonomischer Faktoren innerhalb der Volkswirtschaften, also bei den endogenen Faktoren. Die exogenen Faktoren, wie die beiden Ölschocks 1973 und 1982, Währungsturbulenzen sowie weltweite Verflechtungstendenzen der Produktion etc. hatten nach diesem Ansatz hingegen nicht die ihnen in der Öffentlichkeit bisweilen zugeschriebenen Gewichte für das Beschäftigungsproblem. Dies ließ sich in seinen Untersuchungen an der langfristigen makroökonomischen Entwicklung der OECD-Länder feststellen. Danach herrschte zwischen der Produktivitätsentwicklung und der Beschäftigungsentwicklung der Industrie in den 80er Jahren eine inverse Beziehung vor. Anhand der Detaildaten von 15 OECD-Ländern ließ sich nachweisen, daß die Beschäftigungsentwicklung in der Industrie zurückging, als die Nachfrage nach ihren Produkten relativ zur Produktivität zurückging. Die Lohnentwicklung war ebenso wie die Entwicklung der Preise dafür erheblich weniger verantwortlich, da diese Prozesse im wesentlichen unverändert geblieben waren. Ebenso erwiesen sich die externen Einwirkungen der eingangs genannten Art als wenig relevant, da ihre Bedeutung von Branche zu Branche sowie im Zeitablauf sehr unterschiedlich war, die beobachtete inverse Beziehung dagegen ein allgemeines und langfristiges Phänomen war. Der Kern des Beschäftigungsproblems war in allen untersuchten Ländern darin zu erkennen, daß die Beschäftigungsdynamik von Produktivitätssteigerungen im hochproduktiven Bereich negativ, im niedrigproduktiven Bereich dagegen positiv war. Dafür war wiederum die Elastizität der Nachfrage entscheidend, die im hochproduktiven Bereich zurückging. Das Vierteljahrhundert nach dem zweiten Weltkrieg wird als das "Goldene Zeitalter" der Industriegesellschaften angesehen, da in dieser Zeit drei Effekte gleichzeitig wirksam waren und einen starken Wachstumsmotor bildeten: [Seite der Druckausg.: 2 ]
Die langlebigen Gebrauchsgüter, die nach und nach in alle Haushalte Einzug hielten, waren das Kennzeichen dieser Expansionsperiode. Folglich konnten auch die auf die Stärkung der Nachfrage ausgerichteten Politikkonzepte nach Keynes erfolgreich sein. Dort, wo die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen schwächer wurde, konnten solche Programme zur Sicherung der Vollbeschäftigung, dem zweiten Kennzeichen dieser Periode, eingesetzt werden. Diese Entwicklung manifestierte sich aber auch in einem starken Strukturwandel von niedrigbezahlter Arbeit in niedrigproduktiven Bereichen hin zu hochbezahlter Arbeit in hochproduktiven industriellen Sektoren. Wiewohl dieser Strukturwandel keine schmerzlichen Reibungsverluste brachte, da er sich in aufsteigender Linie vollzog, verschwanden in den Folgejahren die Arbeitsplätze in denjenigen Sektoren mit niedriger Produktivität, mit denen das höhere Lohnniveau nicht mehr erwirtschaftet und bezahlt werden konnte. In diesem Umfeld findet sich schließlich auch die Basis für das schwedische Modell der "solidarischen Lohnpolitik", das von Rehn/Meidner konzipiert wurde. Der Ansatz bestand darin, durch eine einheitliche Lohnpolitik für die Gesamtwirtschaft in den niedrigproduktiven Bereichen Produktivitätssteigerungen anzureizen und in den hochproduktiven Bereichen die Beschäftigung zu steigern. Das Ergebnis dieser Politik war, daß die Löhne in den niedrigproduktiven Bereichen schneller stiegen als der Durchschnittslohn, so daß die Betriebe entweder ihre Produktivität entsprechend steigern oder aber die Produktion einstellen mußten. Die hochproduktiven Bereiche profitierten von dieser Politik, da ihre Produktivität schneller stieg als die Löhne. [Seite der Druckausg.: 3 ] Am Ende der 70er Jahre begannen sich die positiven Zusammenhänge zwischen Produktivitätsgewinnen, Beschäftigungssteigerungen und Einkommenssteigerungen umzukehren. Die Preiselastizität der Nachfrage nach langlebigen Gebrauchsgütern ging mit der weitgehenden Marktsättigung der Erstausstattungen zurück. Die Nachfrage nach Ersatzgütern war geringer und nicht mehr preiselastisch genug, um die Produktivitätssteigerungen zu übertreffen, wie dies in den Jahren zuvor der Fall gewesen war. Infolgedessen trat bei den Produktivitätsfortschritten der arbeitssparende Effekt in den Vordergrund und die Beschäftigung in den hochproduktiven Industriesektoren ging zurück. Damit gingen die positiven Zusammenhänge von Produktivitätswachstum und Beschäftigungswachstum sowie Einkommenswachstum verloren. Infolgedessen änderte sich auch der Strukturwandel der Beschäftigung. Die Nachfrage nach Arbeitskräften verlagerte sich von den hochproduktiven zu den niedrigproduktiven, und damit auch niedrigbezahlten Bereichen. Die Beschäftigungsausweitung fand hauptsächlich dort statt, wo die Arbeit weniger produktiv war bzw. bei Dienstleistungen, die generell ein geringeres Potential zur Steigerung der Produktivität aufwiesen. Die Einkommen wuchsen deshalb auch langsamer. Damit verloren auch die keynsianischen Politikkonzepte der klassischen Nachfragesteigerung ihre Wirksamkeit, da der notwendige Aufwand zur Erzielung von Beschäftigungseffekten zu groß wurde und damit nicht mehr politisch durchsetzbar war. Die Ära der Vollbeschäftigung war zu Ende und der Arbeitsmarkt wurde durch Massenarbeitslosigkeit geprägt. Die dritte Konsequenz war schließlich, daß die institutionellen Unterschiede zwischen den Volkswirtschaften - arbeitsrechtliche, tarifrechtliche und sozialstaatliche Rahmenbedingungen - in den Vordergrund traten, die in der vorangegangenen Expansionsperiode von den Marktkräften weitgehend neutralisiert worden waren. Die Reaktionsmuster auf diese Entwicklung lassen sich in drei Beispielsländern verdeutlichen:
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schiede in den USA wuchsen zwischen den obersten 10% und den untersten 10% der Lohnskala auf den Faktor 5, das heißt, oben wurde fünfmal mehr verdient als unten. Dieser Wert betrug in Schweden 2, in Deutschland 2,8. Auf diese Weise wuchs das Phänomen des "working-poor", deren Arbeitsentgelte am Rande des Existenzminimums lagen. Da Staat und Sozialpolitik diesem Phänomen nicht gegensteuerten, ergab sich keine signifikante Steigerung der ohnehin relativ niedrigen Staatsquote. Anders als in Deutschland wurde eine Erhöhung der Beschäftigungsquote dagegen in Schweden und den USA erreicht. Dies geschah durch die Erschließung von Beschäftigungsfeldern im (personenbezogenen) Dienstleistungsbereich, allerdings mit unterschiedlichen Mitteln - Expansion gesicherter Jobs im öffentlichen Sektor im ersten, Ausweitung ungesicherter working-poor-jobs im Privatsektor im zweiten Fall. Die Staatsquote erhöhte sich durch die Beschäftigungspolitik in Schweden und Deutschland, ebenfalls mit gegenläufigen Inhalten: Finanzierung aktiver Beschäftigung im ersten, Finanzierung von Nichtbeschäftigung im zweiten Fall. Allerdings setzte sich in Deutschland im Unterschied zu allen anderen Ländern in den 80er Jahren die Parallele zwischen Produktivitätssteige- [Seite der Druckausg.: 6 ] rungen und Beschäftigungswachstum fort, wenngleich auf sehr niedrigem Niveau und ohne Auswirkungen auf die offene Arbeitslosigkeit. Der Trade-Off zwischen Produktivität, Beschäftigung und Einkommen wird - wie erwähnt - häufig mit exogenen Faktoren - weltwirtschaftliche Verflechtungsprozesse, internationaler Handel, Geldmärkte etc. - in Verbindung gebracht. Insbesondere Produktionsverlagerungen aus den Industrieländern in die Schwellen- und Entwicklungsländer bzw. die Transformationsländer Mittel- und Osteuropas werden wiederkehrend als Begründung für die Andauer der Massenarbeitslosigkeit, d.h. für die Vernichtung von Arbeitsplätzen sowie für die Nicht-Entstehung von zusätzlichen Arbeitsplätzen im Inland gegeben. Bisher konnten nach Ansicht des Referenten diese Entwicklungen in keinem Fall wirkliche Erklärungen der beschriebenen makroökonomischen Verhältnisse liefern, da sie sich allesamt auf wesentlich kleinere Bereiche als die Gesamtwirtschaft beziehen, und ihre Einflüsse von daher nicht signifikant sind. Wie seine Untersuchungen zeigen, sind weder die Handelsströme der Industrieländer untereinander noch diejenigen zwischen Industrieländern und Schwellenländern geeignet, stichhaltige Erklärungen für das Beschäftigungsproblem zu liefern, das branchenunabhängig und über die gesamte Dekade der 80er Jahre in allen untersuchten Ländern auftrat. Der Handel zwischen Industrieländern bzw. Schwellenländern kann zwar Beschäftigungsverluste in einzelnen Bereichen zur Folge haben, erklärt aber nicht den generellen Trade-Off in der ökonomischen Gesamtentwicklung. Die Möglichkeiten, das Beschäftigungsniveau zu steigern und auf marktkonforme Weise der Arbeitslosigkeit entscheidend entgegenzuwirken, liegen deshalb auch nicht in defensiven Techniken bzw. protektionistischen Mitteln. Eine Ausweitung der Beschäftigung durch den Verzicht auf Produktivitätssteigerungen würde z.B. schnell kontraproduktiv, da der Verzicht auf Prozeßinnovationen im Produktionsbereich unweigerlich Verluste der Produktinnovationen nach sich zieht und entsprechende Beschäftigungsverluste mit sich bringt. Als offensive Möglichkeiten bietet sich kurzfristig die Erschließung neuer Beschäftigungsfelder im Dienstleistungsbereich, z.B. in Privathaushalten an. Ihrer Natur nach sind dort die Produktivitätssteigerungen gering. Die [Seite der Druckausg.: 7 ] Nachfrage bleibt in diesen Bereichen jedoch beschränkt, weil die Kosten von den Nachfragern nicht getragen werden können. Deshalb ist nach Ansicht des Referenten eine Mobilisierung dieser Nachfrage durch Subventionen angebracht, die in Deutschland aus dem hohen Aufwand für passive Leistungen nahezu kostenneutral realisierbar wäre. Auf lange Sicht kann nach seiner Ansicht jedoch nur eine Strategie Erfolge bringen, die bei den innovativen Produkten im Hochpreis-Segment ansetzt, um neue Märkte zu erschließen und zukunftsträchtige Produkte in den Bereichen Kommunikation, Verkehr, Umweltschutz zu etablieren. Durch strategische Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen, die dann durch gezielte Nachfrageunterstützungen gefördert werden, können hier dauerhaft Beschäftigungspotentiale erschlossen werden. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 2001 |