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[Seite der Druckausg.: III]


Zusammenfassung und Schlußfolgerungen

Der Kern des Beschäftigungsproblems der Industrieländer liegt nach Forschungsergebnissen aus dem Wissenschaftszentrum Berlin darin, daß die Beschäftigungsdynamik von Produktivitätssteigerungen im hochproduktiven Bereich seit Ende der 70er Jahre negativ war, weil die Elastizität der Nachfrage nach hochwertigen Verbrauchsgütern zurückging. Exogene Faktoren wie Ölpreisschocks, Währungsturbulenzen oder Produktionsverlagerungen in weniger entwickelte Länder waren demnach entgegen verbreiteter Meinung wenig relevant. Deren Bedeutung war von Branche zu Branche im Zeitablauf sehr unterschiedlich und bezog sich immer nur auf wesentlich kleinere Bereiche der Gesamtwirtschaft. Die beobachtete inverse Beziehung zwischen Produktivität und Beschäftigung ist hingegen ein allgemeines und langfristiges Problem.

Großbritannien verfolgt seit Ende der 70er Jahre die Strategie der Deregulierung des Arbeitsmarktes und der Gütermärkte. Der Kernvorwurf der Protagonisten dieses Ansatzes lautete, daß durch die Gewerkschaftsmacht Insider des Beschäftigungssystems auf Kosten der Outsider geschützt und begünstigt würden. Die Deregulierung am Arbeitsmarkt führte 1. zu einer Absenkung der Löhne, 2. zu einer Stärkung der Dispositionsfreiheit der Arbeitgeber bei Kündigungsschutz, Arbeitszeit und Arbeitsentgelten, 3. zur Erhöhung der Konfliktschwellen bei Arbeitskämpfen und gewerkschaftlichen Betätigungsrechten, 4. zur Absenkung des Schutzniveaus der Arbeitslosenversicherung und 5. zu Sanktionen bei mangelnder Verfügbarkeit für Arbeitsvermittlung bzw. Fördermaßnahmen.

Nach Darstellung des britischen Vertreters sind die Resultate dieser Strategie bislang nicht überzeugend, da die Beschäftigung bisher nicht wirklich expandiert sei, sondern lediglich zeitnäher auf die Wirtschaftsentwicklung reagiert habe. Dieses Ergebnis hänge allerdings möglicherweise auch damit zusammen, daß die einzelnen Deregulierungsmaßnahmen in vollem Umfang erst seit kurzer Zeit in Kraft sind. Hingegen seien die negativen sozialen Folgen für die Arbeitnehmerschaft bereits jetzt unübersehbar. Neben den direkten, erwarteten Folgen sei es zu einer Zunahme der Mehrfachbeschäftigungen, zu einer deutlichen Abnahme der Bildungsaktivitäten und zu einer Verlagerung von der offenen Arbeitslosigkeit in die Stille Reserve gekommen. Auch sei die Balance zwischen Insidern und Outsidern am Arbeitsmarkt praktisch unverändert geblieben.

Der Beweis für die These, daß wir die politische Option haben zwischen einer deregulierten Wirtschaft, die zwar ungerecht sei, die aber zu mehr Beschäftigung führe und einer regulierten, gerechteren Wirtschaft, die mit weniger Beschäftigung einhergehe, stehe daher noch aus.

In Frankreich wurde überwiegend mit den bekannten arbeitsmarktpolitischen Instrumenten Qualifizierung, Lohnkostenzuschüsse und staatlich geförderte Beschäftigung im öffentlichen bzw. non-profit-Sektor auf das Beschäftigungsproblem rea-

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giert. Im Jahre 1994 wurden neue Instrumente etabliert, die auf Beschäftigungsimpulse im regulären Arbeitsmarkt zielen: Der sogenannte Dienstleistungsscheck (Cheque Emploi Service), der zur Umwandlung von Schwarzarbeit in legale Beschäftigung dient, und das "Loi Quinquennale", das in der Gewährung von präventiven Lohnkostenzuschüssen bei gleichzeitiger kollektiver Senkung der Arbeitszeit besteht. Auch werden bei individueller Verkürzung der Arbeitszeit sowie für Min-destlohn-Beschäftigte in neuen Unternehmen staatliche Beitragszuschüsse zur Sozialversicherung gewährt.

In der französischen Abeitsmarktpolitik gab es nach Ansicht des Referenten bisher weniger ein Politikdefizit, als vielmehr ein Engagementdefizit der Arbeitsmarktakteure, vor allem der Wirtschaft und der Gewerkschaften. In letzter Zeit sei es vor allem angesichts der Gefahr antieuropäischer Radikalisierung eher gelungen, Arbeitgeber und Gewerkschaften zur aktiven Mitgestaltung in beschäftigungswirksamen Vereinbarungen zu bewegen.

In den Niederlanden konnte im Unterschied zu den meisten Nachbarländern das Beschäftigungsniveau stetig gesteigert werden. Die Bemühungen zielten primär darauf, das Angebot an Arbeit zu verringern. Allerdings geschah dies nicht wie in anderen Ländern durch passive Maßnahmen wie Frühverrentungen oder Verlängerungen der Ausbildungsphasen, sondern durch Ausdehnung der Teilzeitarbeit und durch flexible Formen der Arbeitszeitverkürzung.

Instrumente der Wirtschaftsförderung sollen die Beschäftigung im oberen Arbeitsmarktsegment steigern, während die Arbeitsmarktpolitik im unteren Arbeitsmarktsegment zusätzliche Beschäftigung mittels Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im sozialen Bereich bzw. mit Lohnsubventionen erschließen soll.

Derzeit befaßt sich die Diskussion in den Niederlanden mit einer grundlegenden Reform des Sozialsystems, wobei die Debatte um ein garantiertes Mindesteinkommen im Vordergrund steht, von dem man sich einen weiteren Flexibilisierungsschub am Arbeitsmarkt verspricht.

Schwedens Ansatz ist traditionell eine beschäftigungsorientierte Arbeitsmarktpolitik, wobei in der Vergangenheit vor allem der öffentliche Sektor als Auffangbecken diente. Das Ziel dieser Politik ist Vollbeschäftigung, diese Betonung wird als notwendig angesehen, gerade um sich nicht mit der hohen Arbeitslosigkeit abzufinden. Lohnkostenzuschüsse, Arbeitsbeschaffungs- und Qualifizierungsmaßnahmen zur (Wieder-)eingliederung haben eine klare Priorität vor der Zahlung von Lohnersatzleistungen. Nachdem der öffentliche Sektor seit Anfang der 90er Jahre nicht mehr als aufnahmefähiges Beschäftigungsfeld zur Verfügung stand, liegt das größere Gewicht nunmehr verstärkt in der privaten Wirtschaft.

[Seite der Druckausg.: V ]

Außerdem wird der Hochtechnologiesektor finanziell und durch begleitende Qualifizierungsmaßnahmen unterstützt - ohne daß er allerdings bisher die benötigte Beschäftigungsexpansion hätte erzeugen können.

Die Erfahrungen mit der Subventionierung von Niedriglohnbereichen durch Lohnkostenzuschüsse oder Verminderung von Sozialversicherungsbeiträgen werden eher negativ bewertet.

Polen hat seine politische und wirtschaftliche Systemtransformation mit einer Schocktherapie begonnen, deren Wirkungen im nachhinein durch eine sozialpolitische Flankierung nach westeuropäischen Modellen abgemildert wurden. 1995 wurden 2,7 Millionen Arbeitslose gezählt, trotz bedeutsamer Entlastungseffekte durch Frühverrentungen (1 Million) und Auswanderungen (0,5 Millionen). Ein besonderes, jedoch derzeit kaum lösbares Problem stellt die Schattenwirtschaft dar, in der schätzungsweise 2,4 Millionen Menschen beschäftigt sind.

Unter dem Titel "Strategie für Polen" hat die Regierung ihr langfristiges Programm aufgelegt, das den zentralen Investitions- und Reformbedarf aufzeigt. Dazu gehören vor allem Infrastrukturinvestitionen, z.B. für den Ausbau transeuropäischer Netze und für den Wohnungsbau. Angesichts der Brückenfunktion Polens wird hierbei westeuropäische Hilfe für unerläßlich gehalten.

Lehren für die Bundesrepublik Deutschland:

Der Länderbericht aus Großbritannien hat ergeben, daß die Erfolgsaussichten eines reinen Deregulierungsansatzes nicht besonders groß sind. Von einer verstärkten Deregulierungspolitik auch in Deutschland ist daher zumindest kurzfristig keine nennenswerte Beschäftigungszunahme zu erwarten.

Auch eine forcierte Arbeitsmarktpolitik, die auf Deregulierung und Lohnsenkung weitgehend verzichtet, wie im Falle Schwedens, kann Massenarbeitslosigkeit nicht ausschließen. Dennoch gilt Arbeitsmarktpolitik auch in Deutschland für unverzichtbar. Ein Ausbau des Zweiten Arbeitsmarktes kann hierbei nach Ansicht eines Vertreters des deutschen Arbeitsministeriums überall dort erfolgreich sein, wo - wie in den neuen Bundesländern - strukturelle Ungleichgewichte des Arbeitsmarktes und Infrastrukturschwächen zusammentreffen.

Die Lohnsubventionsmodelle anderer Länder, bei denen Sozialversicherungsbeiträge den Interventionspunkt darstellen, wurden zwiespältig beurteilt. Gegen eine Verbilligung von Sozialversicherungsbeiträgen spräche deren maßgebende Bedeutung für den individuellen Leistungsanspruch. Eine allgemeine Lohnsubvention für Beschäftigung in Privathaushalten stoße an finanzielle Grenzen und berge die Gefahr der Verdrängung regulärer Beschäftigung.

[Seite der Druckausg.: VI ]

Kollektive Arbeitszeitverkürzungen spielen vor allem in der deutschen Debatte eine Rolle. Eine expansive Beschäftigungswirkung wurde ihnen in der Diskussion allerdings nahezu einhellig abgesprochen, vielmehr wurden die kontraproduktiven Effekte, wie Tendenzen zu Zweitbeschäftigung und Schattenwirtschaft hervorgehoben.

Mit Blick auf die Erfolge in den Niederlanden, in Schweden und in Dänemark kann auch ein Ausbau der in Deutschland relativ gering dimensionierten Teilzeitarbeit neue Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnen. Die Zurückhaltung der Unternehmen wurde mit Vorurteilen bzw. traditionsverhafteten Vorbehalten erklärt.

Die positiven Erfahrungen der skandinavischen Länder lassen an eine stärkere Verknüpfung von Qualifizierung mit Betriebspraktika bzw. Beschäftigungsphasen auch in Deutschland denken, die auch den Lerngewohnheiten der Zielgruppen besser gerecht werden. Eine bereits umgesetzte positive Lehre aus der Beschäftigungspolitik anderer Länder stellt die Adaption des niederländischen START-Modells dar.

Mit Blick auf die deutsche Debatte um den Sozialstaat ist die von französischer, schwedischer und niederländischer Seite geäußerte Ansicht, daß es zu stabilen sozialen Sicherungssystemen keine Alternative gebe, bedenkenswert. Erst die damit gewährleistete Sicherheit mache Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt möglich und begegne der Gefahr politischer Extreme.

Der Vertreter des Wissenschaftszentrum Berlin warnte vor protektionistischen Mitteln und vor einer Ausweitung der Beschäftigung durch den Verzicht auf Produktivitätssteigerungen. Auf lange Sicht könne nur eine Strategie Erfolge bringen, die bei den innovativen Produkten im Hochpreis-Segment in den Bereichen Verkehr, Kommunikation und Umweltschutz ansetzt.

Ansätze einer gemeinsamen europäischen Beschäftigungspolitik:

Angesichts der Alarmzustände an den Arbeitsmärkten wird die Arbeitsmarktpolitik in den einzelnen Ländern von nationalen Egoismen regiert, denen durch eine gemeinsame europäische Beschäftigungsstrategie entgegengewirkt werden muß. Schwerpunkte einer solchen gemeinsamen Beschäftigungspolitik müssen nach Ansicht eines Vertreters des Europäischen Parlaments sein: Kostenentlastung des Faktors Arbeit durch stärkere Steuerbelastung des Energieverbrauchs, Übernahme erfolgreicher nationaler Arbeitsmarktinstrumente zur (Wieder-)eingliederung in die Berufswelt in Gemeinschaftsaktionen, effizientere Verteilung vorhandener Arbeit durch Ausbau von Teilzeitarbeit sowie Stärkung der Klein- und Mittelbetriebe. Im Ausbau der Arbeitnehmer-Mitbestimmung auf europäischer Ebene sieht er die Chance, Managemententscheidungen zu verbessern und Fehlentscheidungen zu mindern.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 2001

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