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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.: 23]
Es verdient eine Betrachtung, daß die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern sich so bereitwillig und in Millionenzahl den Qualifizierungsmaßnahmen unterziehen. Aus der Perspektive der Ämter und der Träger mag die transitive "Qualifizierung" von anderen, ihre "Umschulung" eine selbstverständliche Notwendigkeit sein, deren Verweigerung irrational wäre. Aus der Sicht der einzelnen ist sie es ganz und gar nicht. Weite Teile der Bevölkerung erleben die "Vereinigung" der beiden deutschen Staaten als einen Prozeß, in dem ihrem bekannten Lebensumfeld die Kategorien eines fremden und unverstandenen Systems übergestülpt werden, und es gehört ein beträchtliches Maß an Rationalisierung und Sublimierung dazu, im Angesicht dieser Entwicklung nicht einfach die Waffen zu strecken, zu resignieren oder aber blind aufzubegehren. Zu den größten Leistungen in diesem Zusammenhang gehört die offenbar fortdauernde Bereitschaft weiter Teile der Bevölkerung, den mühsam erlernten Qualifikationen andere, oft gänzlich neue hinzuzufügen, Berufe und Branchen, weite Teile der Alltagskultur und des Lebensverständnisses aufzugeben.
5.1 Teilnehmergewinnung
Was also in der Perspektive der Ämter und der Bildungsträger als "Teilnehmergewinnung" erscheint, ist in erster Linie eine Leistung der Teilnehmer selber. Jeder Beratung, jedem Kontakt mit einem Bildungsträger geht der Abschied vom erlernten Beruf voraus. (Einer Minderheit, die in der Praxis offenbar so gut wie keine Rolle spielt, erscheint die Umbruchsituation als Chance, sich noch einmal beruflich zu verändern. Auch zu DDR-Zeiten übten nur wenige schließlich ihren "Traumberuf" aus. Tatsächlich bietet der Umbruch Chancen für eine Veränderung, wie sie so schnell nicht wiederkommen dürfte.) Nur wenige Stellen haben in dieser Phase überhaupt Kontakt zu den künftigen Teilnehmern an Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen. Wer sich noch Hoffnungen auf den Erhalt seines Arbeitsplatzes macht, geht nicht zum Arbeitsamt. Wer sogar für den Erhalt seines Arbeitsplatzes kämpft, muß es geradezu als Resignation, wenn nicht als Verrat am selbstgesteckten Ziel verstehen, wenn er sich gleichzeitig auf die Arbeitslosigkeit vorbereitet und nach neuen Perspektiven umschaut. Zu den wenigen Stellen, die dieses Problem aus eigener Arbeit kennen, gehört die Qualifizierungs- und Arbeitsförderungsgesellschaft Dresden, die ihren frühen Kon- [Seite der Druckausg.: 24] takt hauptsächlich dem Umstand verdankt, daß sie gemeinsam mit einem der Mitkläger, der ÖTV, im Gewerkschaftsgebäude sitzt und dort Publikumsverkehr hat. Gemeinsam mit der Gewerkschaft müht sich die Qualifizierungsgesellschaft, schon früh zweigleisig zu fahren und ihren Klienten gleichzeitig zu empfehlen, um ihren Arbeitsplatz zu kämpfen und sich auf die Möglichkeit einer Niederlage einzustellen. Es sei, so wurde aus den Erfahrungen der Organisation berichtet, kontraproduktiv, Auseinandersetzungen um den Arbeitsplatz mit einer reinen Optimismusorientierung zu führen. So notwendig die Hoffnung für das Gelingen des Unterfangens ist: wird die Gefahr des Scheiterns nicht realistisch mitgedacht, ist nachher der Fall umso größer. Erste Emotionen von Arbeitnehmern, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind und nun mit dem Angebot von Fortbildung und Umschulung konfrontiert werden, sind Wut und Aggression, die sich möglicherweise auch gegen Berater wenden können. Berater und die oft anonymen Kräfte, die einem den seit zwanzig Jahren vorbildlich ausgefüllten Arbeitsplatz rauben, erscheinen als die Agenten eines und desselben Systems. Anders als den Beratern sind den Beratenen auch die Berufsbilder, die als Alternative angeboten werden, ganz unklar. Eine Kindergärtnerin hat keine Vorstellung davon, was eine Sozialarbeiterin tut. Die Unklarheit läßt sich in einem einzigen Gespräch gar nicht überwinden, weil sie sich nicht nur auf bildungs- und berufstechnische Informationen, sondern schon auf das Gesellschaftsverständnis erstreckt. Wer, wie viele Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern, als Alternative zur Arbeitslosigkeit und zu nachfolgender Weiterbildung die Kurzarbeit, auch mit "null Stunden", geboten bekommt, benötigt ein hohes Maß an Vorausschau und Einsicht, sich doch für die Weiterbildung zu entscheiden. Die Kurzarbeit bietet neben der vagen Option auf einen Verbleib auf dem Arbeitsplatz und im Beruf auch mehr Geld: Die Umschulungsbeihilfe liegt niedriger als das Kurzarbeitergeld. In einer Zeit allseits unklarer Aussichten und bei realen Kaufkraftverlusten muß vielen der aktuelle Verdienst als einzig sichere Orientierung gelten. [Seite der Druckausg.: 25]
5.2 Motivation
Die Vermittlung in reguläre Arbeitsplätze ist nicht nur nach dem Gesetz der Sinn der vielen Qualifizierungsmaßnahmen. Sie bildet vielmehr das individuelle Motiv der Teilnehmer. Eine ebenfalls akzeptable, vom Gesetz allerdings nicht ganz gedeckte Haltung, die, daß es mehr lohne, etwas Neues zu lernen als zu Hause herumzusitzen, gewinnt daneben zunehmend an Bedeutung. Bildung, so eine Formulierung, sei allerdings "kein lagerfähiges Gut"; Qualifikation auf Vorrat sei nur begrenzt möglich. Wer sich einer Qualifizierungsmaßnahme, erst recht einer längeren, unterzieht, will in aller Regel wissen, wozu und wann er das Gelernte einmal anwenden kann. Die Umstände bringen es dagegen mit sich, daß den Teilnehmern oft nicht mehr als eine vage Option auf die Zukunft gegeben werden kann. Das Wissen um die begrenzte Lagerfähigkeit der Bildung ist überdies weit verbreitet; man will wenigstens erfahren, wann die versprochene Zukunft so ungefähr eintritt, auf die man sich so intensiv und aufwendig vorbereitet. Betriebe, die Praktika für Umschüler anbieten, nutzen diese gelegentlich zur Rekrutierung geeigneter Arbeitskräfte. Wo die Teilnahme an einer Qualifizierungsmaßnahme allein den Sinn hat, den Teilnehmer so rasch wie irgend möglich in eine wie auch immer geartete Arbeit zu bringen, wird ein Arbeitgeber mit dieser Strategie Erfolg haben. Ein mögliches Gegengewicht gegen solche oft kurzsichtige, immer aber zu teure Vermittlung in Arbeit wäre ein adäquates Bewußtsein vom Wert der Qualifikation, die man gerade erwirbt. Aber an diesem Bewußtsein mangelt es. Dämpfend auf die Motivation der Teilnehmer wirkt es nach berichteten Erfahrungen, wenn ausschließlich oder vorwiegend funktionale Anforderungen in der Weiterbildung herausgestellt werden. Wenn sich Fortbildung nur als eine Anpassungsleistung an westdeutsche Normen versteht, greift sie zu kurz. Es gilt vielmehr, den schmalen Grat von Gestaltung und Anpassung zu gehen. Dabei sehen, so der Vertreter einer Gesellschaft für Bildung und soziale Projekte, die Träger sich als Anwälte ihrer Klienten. Die meisten Teilnehmer haben ein ausgeprägtes Empfinden von der Entwertung ihrer eigenen Qualifikationen, das oft noch über deren tatsächliche Entwertung hinausgeht. Auch dieses Gefühl dämpft die Motivation. Erheblich wirkt sich aus, daß viele Teilnehmer unsicher sind und es über die Dauer einer Maßnahme auch blei- [Seite der Druckausg.: 26] ben, ob das Erlernte auch tatsächlich den Anforderungen des Arbeitsmarktes entspricht. Während es noch verhältnismäßig leicht möglich ist, sich von der Qualität eines Trainers, der Unterrichtsmittel und der Fortschritte im Lesestoff eine Vorstellung zu machen, steht die Angemessenheit des Lernens für spätere Praxis weit außerhalb des Beurteilungsvermögens der Teilnehmer. Einen entwickelten Arbeitsmarkt, mit dessen Anforderungen man die eigenen Qualifikationen vergleichen könnte, gibt es noch nicht. Wer zudem niemals einen Arbeitsmarkt und sich selbst darin erlebt hat, hat auch keinen Instinkt entwickelt, der ihn Wichtiges von Unwichtigem trennen läßt. Die Folge ist eine durchgehende Unsicherheit, die sich zum Mißtrauen steigern kann. Solcher motivationshemmender Haltung muß vor allem mit Konstanz und Verläßlichkeit begegnet werden. Jede Veränderung der Anforderungen an die Maßnahmen, jede Korrektur der Zielstellung wirkt sich negativ aus.
5.3 Orientierung auf anerkannte Abschlüsse
Bildung mag generell kein lagerfähiges Gut sein. Dennoch gibt es gewisse Konservierungsmittel, die auch bei diesem Gut die Lagerfähigkeit erhöhen. Je deutlicher wird, daß viele Qualifizierungsmaßnahmen nicht unmittelbar in reguläre Beschäftigungsverhältnisse überleiten, desto mehr orientieren sich sowohl Teilnehmer als auch Träger an anerkannten Abschlüssen, die nicht nur vor dem Hintergrund einer aktuellen Anforderung des Marktes vor Ort, der Vorqualifikation oder gar der Kapazitäten eines zufällig am Ort aktiven Trägers ihre Bedeutung haben. Wenn schon, so der Leiter eines Arbeitsamtes, dem Arbeitslosen die unmittelbare Verwertbarkeit der Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahme in Form zeitnaher Beschäftigungsaufnahme nicht versprochen werden kann, stellt sich das Erfordernis für das Arbeitsamt, dem Arbeitnehmer ein Angebot für sein späteres, langes Arbeitsleben zu machen. Das sind Maßnahmen, die mit anerkannten Abschlüssen enden oder darauf vorbereiten. Häufig handelt es sich um Anpassungen früherer Berufsabschlüsse. Es ist unter Umständen sinnvoll, die Anpassung für den entsprechenden West-Beruf auch dann zu leisten, wenn keine aktuelle Perspektive in Sicht ist. Abschlüsse lassen sich möglicherweise auch bei sehr viel späterer Arbeitsaufnahme, zum Beispiel bei Rückkehr in den Beruf nach erzwungenen Umwegen, wieder gebrauchen. Zudem ermöglichen sie Mobilität, nach wie vor sind schließlich viele darauf angewiesen, in die alten Bundesländer auszuweichen. Nicht anerkannte Abschlüsse privater Bildungsträger dagegen haben zwar mitunter einen guten Ruf, aber den genießen sie meistens nur in einem Kammerbezirk. Anerkannte Prüfungen im Anschluß an AFG-geförderte Qualifizierungsmaßnahmen gibt es aber heute noch [Seite der Druckausg.: 27] nicht in genügender Zahl. Es wurde von Fällen berichtet, daß IHKs aus Westdeutschland hilfsweise Prüfungen abnahmen. Auf die Dauer allerdings wird angestrebt, Teilnehmer grundsätzlich nicht mehr einfach mit einer Bescheinigung nach Hause zu schicken, deren Kurswert schwer nachvollziehbaren Schwankungen unterworfen ist. Vielmehr gilt es, einfache, auch kurze Qualifizierungsmaßnahmen wie eine Einführung in die elektronische Datenverarbeitung zu Bausteinen zu machen, die für spätere, umfassendere Maßnahmen ihren Wert behalten. Es macht einen großen Unterschied, ob jemand nach einer Qualifizierung ohne anschließende Vermittlung in Arbeit das Gefühl haben muß, er habe jetzt umsonst gelernt, oder ob er den Eindruck gewinnt, es sei eben noch nicht genug gewesen und er müsse noch mehr tun. Das ist nur zu erreichen, wenn auch kleine Einheiten abgesichert und auf spätere Abschlüsse angerechnet werden. Vor einer generellen Orientierung auf anerkannte Abschlüsse wurde allerdings auch gewarnt. Das Alter und die Lebensplanung, die familiäre Situation und die Mobilität seien zu berücksichtigen. Es gehört in der Tat zum geforderten sorgsamen Umgang mit Lebenszeit, gerade ältere Arbeitnehmer vor der Vermittlung in eine langwierige Qualifizierungsmaßnahme sehr gründlich zu beraten und raschen Entschlüssen zu mißtrauen.
5.4 Fortbildung und Umschulung als "mentale Anpassung"
Die berufliche Veränderung ist oft die gravierendste, aber doch nur eine Veränderung, die die Menschen in den neuen Bundesländern trifft. Das Lebensumfeld verändert sich rapide, vertraute Qualifikationen auch im außerberuflichen Bereich, etwa die Kenntnis von Bezugsquellen von Waren, die Kontakte zu Entscheidungsträgern, erst recht die gesetzlichen Grundlagen des Zusammenlebens, alles das verändert sich in nie gekannter Geschwindigkeit, zum Teil buchstäblich über Nacht. Noch entscheidender dürfte für viele sein, daß auch die Maßstäbe, mit welchem Verhalten denn beruflicher Erfolg zu erzielen sei, gewaltig ins Rutschen geraten sind. So ist es schon schwierig, einen Facharbeiter für eine Fortbildung etwa in Richtung Arbeitsvorbereitung zu gewinnen, weil ihm die Erfahrung zum Reflex geworden ist, daß man mit der Verbannung an den Schreibtisch nur verlieren kann: Tatsächlich haben solche "Beförderungen" zu DDR-Zeiten einen Einkommensverlust mit sich gebracht. Gegenüber Aufstieg und "Karriere" herrscht noch immer erhebliches Mißtrauen, was zum einen an den vielen abschreckenden Beispielen liegt und zum anderen auch an der egalitären Wertorientierung. [Seite der Druckausg.: 28] Gleichzeitig fällt für viele der Arbeitsplatz auch als Ort der Kommunikation und des gemeinsamen Lernens weg. Erfahrungen können nicht mehr diskutiert werden, Veränderungen werden fremd und abstrakt. Alles das macht eine organisierte "mentale Anpassung" der Teilnehmer an Qualifizierungsmaßnahmen zwingend erforderlich. Es muß nicht nur der Umgang mit dem Personalcomputer und eventuell ein neuer Beruf erlernt werden: Ein Transformationsprozeß ungeheuren Ausmaßes ist zu bewältigen. Während berufsbegleitende Qualifizierung in westlichen Betrieben die allerdings auch selten vom Arbeitsamt gefördert wird heute schon zu einem hohen Prozentsatz auf Persönlichkeitsbildung, Teamverhalten, ja sogar auf Selbsterfahrung orientiert ist, fehlt dieses Element bei der Fortbildung und Umschulung in den neuen Bundesländern weitgehend. Teilnehmer sind verzagt, mutlos, rat- und orientierungslos: Alles das wirkt sich auf ihre Vermittelbarkeit viel gravierender aus als etwa der Umstand, daß jemand ein bestimmtes Textverarbeitungsprogramm nicht kennt. Das Rückgrat der Teilnehmer muß gestärkt, Vertrauen muß aufgebaut werden. Ein Berater in strukturpolitischen Fragen nannte es einen eminent wichtigen Standortfaktor, wenn es ein Potential aus lebendigen, aufgeschlossenen, offenen und auseinandersetzungsfreudigen Menschen gebe. Die Diskussion, die diese Probleme immer wieder streifte, brachte Einigkeit, daß Lebenshilfe in einem alle Bereiche umfassenden Transformationsprozeß der Gesellschaft notwendig ist und daß hier ein enormes Defizit liegt. Von der Seite der Arbeitsverwaltung wurde das auch nicht bestritten, wohl aber eingewandt, daß Arbeitsförderungsmaßnahmen von ihrem Zuschnitt her berufliche Qualifikationen vermittelten und für anderes nur in engen Grenzen offen seien. Die Kapazität für "mentale" Hilfe sei, so die Einschätzung eines Praktikers, wohl durchaus vorhanden.
5.4.1 § 41a-Maßnahmen
Der Paragraph 41a des Arbeitsförderungsgesetzes ermöglicht es, den eigentlichen berufsbildenden Qualifizierungen mehrwöchige Motivationskurse vorzuschalten, in denen die Teilnehmer etwa auf Umschulungen auch psychisch vorbereitet werden. Von dieser Möglichkeit wird auch in den neuen Bundesländern Gebrauch macht, geht man aber streng nach dem Bedarf, so würden diese 41a-Maßnahmen dort einen unverhältnismäßig großen Raum einnehmen. Es ist politisch gewollt, diese [Seite der Druckausg.: 29] Maßnahmen nicht auf Kosten der beruflichen Qualifizierung im engeren Sinne auszubauen. Nachdem das Arbeitsförderungsgesetz schon bei der allgemeinen Volksweiterbildung im Osten mit gutem Erfolg Aufgaben bewältigt hat, die ihm bei seiner Konstruktion gar nicht zugedacht waren, ist allerdings nicht einzusehen, warum man nicht auch beim Paragraphen 41a neue Aufgaben mit bewährten Mitteln lösen sollte.
6. Schlußbemerkung
Auch bald zwei Jahre nach der Wirtschafts- und Währungsunion kann noch niemand sagen, für welchen Bedarf die umfangreichen Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen nach dem Arbeitsförderungsgesetz nun genau qualifizieren sollen. Bei den Betroffenen beginnt die Hoffnung, nach einer gewissen Lehrzeit für ein neues Arbeitsleben gerüstet zu sein, der Einsicht Platz zu machen, daß Qualifizierung immer noch besser ist als Nichtstun. Die Berufs- und Arbeitsmarktforschung ist überfragt, wenn sie angeben soll, welcher Beruf wann und wo einmal gefragt sein wird, und kann nur grobe Anhaltspunkte geben. Eine gezielte Industriepolitik findet nicht statt; die strukturpolitischen Ansätze beschränken sich darauf, vage Hoffnungen auf eine künftige Wirtschaftsstruktur zu stützen. Oft gelingt es nicht einmal, die Qualifizierungsmaßnahmen mit anderen strukturpolitischen Aktivitäten zu koordinieren. Gleichzeitig sind die Wirkungen des umfangreichen Qualifizierungssektors auf die sich entwickelnde Wirtschaft noch weitgehend unbegriffen. Schon regen sich vereinzelt Stimmen, das "marktfremde" Instrumentarium des Arbeitsförderungsgesetzes zu kappen, ohne daß gleichzeitig angegeben würde, wie man denn dann mit der zu erwartenden Massenarbeitslosigkeit umgehen solle. Das Angebot ist längst so unüberschaubar, daß qualifizierte, neutrale Beratung von den Arbeitsämtern kaum mehr geleistet werden kann. Hilfen, sich in dem Bildungsdschungel zurechtzufinden, sind rar. Die "Brücke ins offene Meer", die mit der Massenqualifizierung gebaut wird, braucht, wenn schon der Brückenkopf am anderen Ufer nicht sichtbar ist, einen neuen Stützpfeiler. Das bedeutet, daß mehr qualifizierte Berufsabschlüsse geboten werden müssen und daß die Teilqualifikationen zu Bausteinen für solche Berufsabschlüsse werden sollten. Unversehens ist die berufliche Fortbildung zur Schulbank der Nation geworden. Es reicht nicht mehr aus, berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln. Gefragt sind Alltagswissen und vor allem die Einübung von Haltungen, wie sie in der Markt- [Seite der Druckausg.: 30] Wirtschaft verlangt werden, Mittel also zur mentalen Bewältigung dieses ungeheuren Transformationsprozesses. Möglicherweise übersteigt diese Aufgabe endgültig die Kapazität einer Arbeitsverwaltung, selbst die einer personell besser ausgestatteten. Die Scheu, das Arbeitsförderungsgesetz nun, nachdem es schon die Wirtschafts- und Strukturpolitik weitgehend ersetzt, noch zur Grundlage einer allgemeinen Volkserziehung werden zu lassen, ist verständlich. Andere Instrumente sind aber nicht in Sicht.
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Referentenliste
Tagungsleiter: Reinhard Pinitz, Landesvorsitzender Sachsen der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (Afa) Ottmar Schreiner MdB, SPD-Bundestagsfraktion, Sprecher der Arbeitsgruppe Arbeit und Sozialordnung Referenten: Hans-Rainer Boeken, Geschäftsführer Vision GmbH, Gesellschaft für Bildung, Organisation und Beratung GmbH Leipzig Dr. Klaus Buschbeck, Abteilungsleiter, Abt. Aus- und Weiterbildung, Industrie- und Handelskammer Dresden Regine Erhard, Geschäftsführerin der Stiftung berufliche Weiterbildung Berlin Ulrike Houbertz, Leiterin des Berufsqualifizierungszentrums Leipzig Hans-Dieter Kaeswurm, Direktor des Arbeitsamtes Dresden Barbara Meifort, Bundesinstitut für Berufsbildung Berlin Dietrich Mertens, Projektkoordinator Zukunftswerkstatt Köpenick GmbH, Gesellschaft für Bildung und soziale Projekte Berlin Stefan Mertenskötter, Geschäftsführer der Qualifizierungs- und Arbeitsförderungsgesellschaft Dresden mbH i.G. QAD Friedemann Stooß, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg Dr. Alois Streich, Präsident des Landesarbeitsamtes Sachsen © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2002 |