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[Seite der Druckausgabe: 20 / Forsetzung]]


V. Wirtschaftspolitik zur Verbesserung der Standortbedingungen in den neuen Bundesländern

  1. Aufgabe für die Wirtschaftspolitik muß es vor allem sein, die Standortbedingungen in den neuen Bundesländern attraktiver zu machen und damit die Voraussetzungen für einen kräftigen Aufschwung in den neuen Bundesländern zu schaffen. Hierzu bieten sich Ansatzpunkte auf verschiedenen Ebenen an. Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene ist vor allem eine den Wachstums- und stabilisierungspolitischen Erfordernissen gerecht werdende Wirtschaftspolitik notwendig, die, vor allem im Hinblick auf die hohe Arbeitslosigkeit schon früher bedeutsam war, nun aber unter den Bedingungen des vereinten Deutschlands noch erheblich an Dringlichkeit gewonnen hat (Ziffern 18 ff.). Zudem steht die Wirtschhaftspolitik vor der Aufgabe, den Abbau des wirtschaftlichen Gefälles zwischen Ost und West zu beschleunigen. Das erfordert in erster Linie Anstrengungen zum Abbau bestehender Standortnachteile und Investitionshemmnisse im Osten und darüber hinaus, da sich nicht alle diese Hemmnisse rasch und vollständig beseitigen lassen, auch weiterhin regionalpolitische Förderpräferenzen für den Osten (Ziffern 22 ff.). Immer deutlicher wird schließlich, daß sich auch innerhalb der neuen Bundesländer regionalpolitische Diskrepanzen verschärfen. Dem entgegenzuwirken ist die dritte bedeutsame Aufgabe (Ziffern 27 ff.).

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V 1. Wachstums- und stabilisierungspolitische Erfordernisse

  1. Im Zentrum der wirtschaftspolitischen Zielsetzung der kommenden Jahre muß es stehen, die ganze deutsche Wirtschaft, auch den westlichen Teil, auf einen möglichst stabilen und gegenüber Störungen robusten Wachstumspfad zu führen. Von der Wachstumsdynamik der westdeutschen Wirtschaft hängt es ganz wesentlich ab, in welchem Umfang

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    westdeutsche Investoren bereit und in der Lage sein werden, in den neuen Bundesländern zu investieren. Sie ist darüber hinaus von entscheidender Bedeutung dafür, wie die hohen Belastungen der öffentlichen Haushalte in den kommenden Jahren werden verkraftet werden können und welcher finanzielle Rahmen für die neuen Bundesländern verfügbar ist. Wenn die seit etwa einem Jahr beobachtbare Stagnation der westdeutschen Wirtschaft nicht überwunden werden kann, dann wird es westdeutschen Unternehmen schon bald an den notwendigen Mitteln und - angesichts freiwerdender Kapazitäten in Westdeutschland - auch an der Bereitschaft fehlen, ihre Investitionsbudgets in Ostdeutschland weiterhin aufzustocken. Auch die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte würde erhebliche erschwert. Angesichts des gewaltigen Bedarfs an privatem Kapital und öffentlichen Transferleistungen liegt es auf der Hand, daß eine Wachtstumsschwäche der westdeutschen Wirtschaft die Bewältigung der Integrationsaufgabe viel schwieriger machen würde und eine schwere Bürde für die wirtschaftliche Erneuerung und die sozialpolitsche Flankierung des Umbruchs in Ostdeutschland wäre.

  1. Was es bedeutet, der wachstumspolitischen Aufgaben gerecht zu werden, kann hier nur in Grundzügen erörtert werden. Wachstumspolitik ist im Kern gute Ordnungspolitik, sie spart kaum einen Bereich der Wirtschaftspolitik aus. Ihr Ziel sollte es sein, Märkte funktionsfähig und offen zu halten und einen intensiven Wettbewerb zu sichern. Das erfordert es, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ständig fortzuentwickeln und Regulierungen immer aufs Neue auf ihre Zweckbestimmung und ihre Wirkungen hin zu überprüfen.
    Zu den für wirtschaftliches Wachstum wichtigen Bedingungen gehört es auch, daß das Risiko und der Ertrag des Investierens zueinander passen und daß die Anreize für wirtschaftliche Initiative nicht durch übermäßige Steuer- und Abgabenlasten zunichte gemacht werden. Die Finanzierung der hohen Transfers an die neuen Bundesländer sollte daher vorzugsweise aus Ausgabeneinsparung an anderer Stelle erfolgen, die Steuer- und Abgabenfinanzierung sollten möglichst begrenzt, jedenfalls ausgewogen erfolgen

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    (s. Ziffer 21). In den letzten beiden Jahren sind beträchtliche Steuer- und Abgabenerhöhungen erfolgt. Sie waren ein wesentlicher Grund dafür, daß die realen Nettolöhne je Beschäftigten kaum noch gestiegen sind und die Gewinn-Erlös-Relation im Unternehmenssektor zwar nicht dramatisch, aber doch deutlich zurückgegangen ist. Auswirkungen auf die Investitionsnachfrage und Kosumnachfrage waren unverkennbar. Es wäre daher aus wachstumspolitischer Sicht verfehlt, eine Strafabgabe für Unternehmen einzuführen, die nicht in den neuen Bundesländern investieren, sie könnte die Investitionstätigkeit insgesamt empfindlich treffen.
    Aber auch die öffentliche Verschuldung birgt Gefahren für die Dynamik des Wirtschaftswachstums. Diese liegen einmal in möglichen Zinssteigerungen infolge der Kapitalmarktbelastung durch die öffentliche Hand, zum anderen darin, daß wachsende Rückzahlungs- und Zinszahlungserfordernisse auf die öffentliche Schuld den Spielraum für wachstumsfördernde öffentliche Aufgaben, namentlich im Inftastrukturbereich, auch in Zukunft stark einschränken.

  1. Nicht minder wichtig als die wachstumspolitische Aufgabe ist derzeit der stabilisierungspolitische Auftrag Wirtschaftspolitik. Beides hängt zum Teil zusammen, denn Stabilität von Preisen und Kosten ist aus verschiedenen Gründen eine Vorbedingung für stetiges und angemessenes Wachstum. Die stabilisierungspolitische Aufgabe hat aber auch einen eigenständigen Stellenwert. In einem weltoffenen Kapitalmarkt hängen nämlich die Bedingungen, unter denen die Bundesrepublik Kapital attrahieren kann, entscheidend von den Wechselkurserwartungen und damit auch von der Stabilitätserwartungen der internationalen Kapitalanleger ab. Privaten Haushalten und Unternehmen bietet sich heutzutage ein weites Spektrum an internationalen Anlagemöglichkeiten. Inflationsbefürchtungen und damit verbundene Abwertungserwartungen würden die Attraktivität von D-Mark-Anlagen vermindern. Als Folge würden entweder die Zinsen steigen und/oder der Außenwert der Währung sinken. Beides wäre äußerst unerwünscht. Steigende Zinsen müßten die interne

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    Nachfragedynamik schwächen, Abwertungen der D-Mark den internen Preisauftrieb und die Verteilungskämpfe weiter anheizen.

    Um eine solche Situation zu vermeiden, müssen Staat, Tarifparteien und Geldpolitik sich gemeinsam um Stabilität bemühen und ihren Verantwortlichkeiten jeweils konsequent nachkommen: Der Geldpolitik fällt die Aufgabe zu, den Geldwert stabil zu halten. Dieses Ziel ist derzeit deutlich verletzt; auch wenn man Sondereinflüsse durch steuerliche Änderungen auf das Preisniveau in Rechnung stellt. Die Geldpolitik kann aber nicht alleine dafür sorgen, daß die Geldwertstabilität wiedererlangt wird und dabei Beschäftigungs- und Produktionseinbußen vermieden werden. Inwieweit dies gelingen kann, hängt vor allem davon ab, welcher Kurs in der Tarifpolitik und in der Finanzpolitik gefahren wird. Bleibt die Tarifpolitik auf einem Konfliktkurs zur Geldpolitik, d.h. stellt sie den Unternehmen Jahr für Jahr mehr an Geldentwertung in Rechnung als die Geldpolitik zu akzeptieren gewillt ist, dann werden die Produktionseinbußen und die Beschäftigungsverluste infolge der Disinflation besonders hoch sein, weil hohe oder gar noch weiter steigende Zinsen und zunehmende Reallöhne die Investitionsnachfrage und Arbeitsnachfrage der Unternehmen dämpfen. Eine schonende Rückkehr zur Preisniveaustabilität ist dagegen möglich, wenn die Tarifparteien im Vertrauen auf einen gemeinsamen stabilisierungspolitischen Erfolg mit der Geldpolitik von vorneherein darauf verzichten, die ex post eingetretenen Preissteigerungen vollständig in den Tarifverträgen des nächsten Jahres zu zementieren. Es ist verständlich, wenn dies aus Sicht der Arbeitnehmer als eine Vorleistung angesehen wird, gleichwohl wäre eine solche tarifpolitische Strategie nicht zum Schaden, sondern, weil sie beschäftigungsfreundlicher ist und trotzdem nicht den Reallohnzuwachs (wegen niedrigerer Inflation) einschränken muß, zum Nutzen der Arbeitnehmer.

  1. Hier kommt der potentielle Beitrag der Finanzpolitik ins Spiel. Sie kann auf mehrfache Weise dazu beitragen, daß der Standort Deutschland attraktiv bleibt und möglichst noch attraktiver wird. Die Finanzpolitik hat zum einen einen erheblichen Einfluß auf das

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    Klima, in dem die Tarifverhandlungen stattfinden. "Ungeplante" Steuererhöhungen können dieses Klima ebenso belasten, wie Maßnahmen, die die Finanzierung allgemeiner Lasten (Kosten der deutschen Einheit) ungleichmäßig auf Bevölkerungsgruppen verteilen (Z.B einseitig auf Pflichtversicherte in der gesetzlichen Sozialversicherung). Die Finanzpolitik sollte durch möglichst vertrauenswürdige mittelfristige Konzeptionen versuchen, auch das tarifpolitische Klima zu verbessern. Dabei wird das Werben um einsichtige und maßvolle Lohnabschlüsse um so eher Früchte tragen, je deutlicher die eigenen Sparanstrengungen der Finanzpolitik zum Vorschein kommen. Zum anderen hat die Finanzpolitik erheblichen Einfluß auf die Stabilität der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und auf die Zins- und Wechselkursentwicklung.

    Bislang hat die starke Kreditnachfrage des Staates noch nicht zu stabilitätspolitischen Turbulenzen geführt, weil den expansiven Nachfrageimpulsen des Staates kontraktive Impulse durch eine schwache Weltkonjunktur und stagnierende Exporte gegenüberstanden. Darüber hinaus blieb auch das Vertrauen der Finanzmärkte offenbar weitgehend erhalten, daß die finanzpolitischen Probleme nicht zu einer dramatischen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in der Bundesrepublik führen würden. Aus diesen Gründen hat die starke Kapitalmarktbelastung durch den Staat und der damit einhergehende Umschwung im Kapitalverkehr mit dem Ausland nur vergleichsweise geringe Zinseffekte und keine dauerhaften Wechselkursänderungen ausgelöst. (Der Kapitalmarktzins ist in den Monaten nach der Ankündigung der Währungsunion im ersten Halbjahr 1990 um rund 1 Prozentpunkt gestiegen und hat sich seit Mitte 1990 weitgehend parallel zur internationalen Zinsenentwicklung wieder etwas ermäßigt) Das muß jedoch nicht so bleiben.

    Eine Vertrauenskrise an den internationalen Finanzmärkten, die sich in einer Schwäche der D-Mark oder stark steigenden Zinsen äußerte, wäre ein schwerer Schaden für den Standort West wie Ost. Die Finanzpolitik muß deshalb glaubhaft machen, daß ehrgeizige Konsolidierungspläne eingehalten werden und daß die Kreditaufnahme mehr als bisher in

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    investive Verwendungen fließen wird. Dies ist eine der ausschlaggebenden Bedingung dafür, daß internationales und heimisches Kapital ohne starke Zinssteigerungen oder Abwertungsverluste in der Bundesrepublik Deutschland gehalten werden kann. Wichtig ist dabei, daß die Konsolidierung nicht zu Lasten solcher Ausgaben geht, die, wie vor allem Infrastrukturinvestitionen, für die Attraktivität der Bundesrepublik und insbesondere der neuen Bundesländer als Produktionsstandort von großer Bedeutung sind.

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V. 2 Maßnahmen zur allgemeinen Verbesserung der Standortbedingungen in den neuen Bundesländern

  1. Seitdem in beiden Teilen Deutschlands die D-Mark als einheitliche Währung gilt und die westdeutsche Wirtschaftsordnung auch in Ostdeutschland Gültigkeit erlangt hat, ist die wirtschaftliche Integration der alten und der neuen Bundesländer als ein regionalpolitisches Entwicklungsproblem anzusehen. Die Integration der beiden Teile Deutschlands vollzieht sich nämlich unter grundlegend anderen Bedingungen als die allmähliche Integration nationaler Volkswirtschaften mit eigener Währung etwa im Rahmen des europäischen Binnenmarktes:

    - Erstens gibt es in einem einheitlichen Währungsraum keinen Wechselkurs- oder Preismechanismus, der zunehmende Handelsdefizite einer Region mit anderen Regionen desselben Währungsraumes ausgleichen würde oder die Beschäftigungseffekte auseinanderlaufender Lohn- Produktivitäts-Relationen milderte.

    - Zweitens ist die Mobilität von Arbeitskräften weitaus höher als zwischen nationalen Volkswirtschaften. Das liegt nicht allein an einer gemeinsamen Sprache, sondern ist auch auf eine einheitliche Arbeitsmarktordnung zurückzuführen, die rechtliche oder administrative Hemmnisse für Wanderungen weitgehend ausschließt. Die hohe potentielle Mobilität der Arbeitskräfte führt in der Tendenz zu einer Angleichung der

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    Löhne zwischen den Regionen. Wie man in den neuen Bundesländern sieht, kann dies die wettbewerbsschwachen Unternehmen bei weitem überfordern.

    - Drittens schließlich ist auch die Mobilität des Kapitals in einem einheitlichen Währungsraum besonders hoch. Die Entwicklungsperspektiven einzelner Regionen sind daher in entscheidendem Maße dadurch bestimmt, inwieweit es ihnen gelingt, als Standort für wettbewerbsstarke Produktionen attraktiv zu werden.

    Die einfache Schlußfolgerung aus diesen Überlegungen ist, daß Kapital in den neuen Bundesländern und für die neuen Bundesländer mobilisiert werden muß, wenn eine weitere Abwanderung der Menschen verhindert werden soll. Schutzzäune gegen den Wettbewerb lassen sich kaum errichten und sie wären alles andere als eine dauerhaft tragfähige Lösung. Um möglichst rasch viele weitere Investoren in die neuen Bundesländer anzulocken, gilt es in allererster Linie, die Anstrengungen zum Abbau noch bestehender und zum Teil gravierender Standortnachteile und Investitionshemmnisse beizubehalten und zu intensivieren (Ziffer 23 ). Das wird nicht überall schnell gelingen können. Daher ist auch eine präferenzielle Investitionsförderung für die neuen Bundesländer nach wie vor vonnöten (Ziffer 25).

    Die Standortnachteile und Investitionshemmnisse sind in ihrer Bedeutung schwer zu gewichten, es ist aber wohl vertretbar, die mangelnde Infrastrukturaustattung und die Kapazitätsengpässe in der öffentlichen Verwaltung, die zu Verzögerungen bei Planungs- und Genehmigungsverfahren, aber auch bei der Feststellung und Beurkundung von Eigentumsansprüchen führen, an erster Stelle zu nennen.

    Die Defizite in der Infrastrukturausstattung der neuen Bundesländer werden nicht in wenigen Jahren beseitigt werden können. Das gilt vor allem bei der Sanierung der Verkehrsinfrastruktur, die noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen dürfte. Im Bereich der Telekommunikationsinfrastruktur konnten die schlimmsten Engpässe inzwischen wohl

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    beseitigt werden, aber auch hier gibt es angesichts der rasch wachsenden Nachfrage noch beträchtliche Defizite. Nicht zu unterschätzen ist im übrigen auch die Bedeutung der sozialen Infrastruktur, des Angebots an Schulen, Kultur- oder Sport- und Freizeiteinrichtungen. Mobile Arbeitskräfte messen solchen Standortfaktoren hohe Bedeutung bei. Auch in diesen Bereichen wird es noch lange dauern, bis ein den westdeutschen Verhältnissen ähnlicher Standard erreicht ist.

    Für ein Vorankommen der wirtschaftlichen Erneuerung in Ostdeutschland ist es aber entscheidend wichtig, daß die ärgsten Engpässe rasch beseitigt werden. Das scheitert häufig nicht nur am Geld, sondern auch an administrativen Problemen und rechtlichen Regularien, die zu langen Planungs- und Genehmigungszeiten führen. Das ist insbesondere bei der Verkehrsinfrastruktur der Fall. Eine generelle Lösung für diese Probleme liegt nicht auf der Hand. Hilfreich kann es unter dem Blickwinkel der Finanzierung, aber auch unter dem Aspekt des Zeitgewinns sein, private Anbieter an der Bereitstellung von Infrastrukturleistungen zu beteiligen. Das kann dazu beitragen, daß die administrativen Engpässe in der Planung und Durchführung solcher Projekte nicht mehr so stark ins Gewicht fallen. Der Jahreswirtschaftsbericht der Landesregierung Brandenburg 1992 nennt Bereiche, in denen eine solche Privatisierung in Betracht zu ziehen wäre: z.B. für den Ausbau der Telekommunikations- und des Eisenbahnnetzes, für die Wasserversorgung und -entsorgung, für das Betreiben von Güterverkehrszentren, aber auch bei der Gewerbeflächenerschließung und Sanierung von Liegenschaften. Im Verkehrsbereich sind die zeitlichen Verzögerungen allerdings auch durch gesetzliche Planungs- und Genehmigungsverfahren bedingt. Es bleibt abzuwarten, ob die rechtlichen Maßnahmen, die einer Beschleunigung dieser Verfahren dienen, den gewaltigen Zeitbedarf reduzieren werden, der Verkehrsprojekte in den alten Bundesländern bislang kennzeichnete.

    Beschränkte Kapazitäten in der öffentlichen Verwaltung haben sich bislang ebenfalls als ein gravierender Engpaß erwiesen (Vgl. z.B. Sachverständigenrat 1991, 1992). Es war

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    wohl unvermeidbar, daß beim Neuaufbau einer öffentlichen Verwaltung erhebliche Anlaufschwierigkeiten und Reibungsverluste auftraten. Auch heute noch sind Engpässe in diesem Bereich zu konstatieren. Hemmend wirkt es sich auf die Investitionstätigkeit insbesondere aus, daß in den Ämtern zur Regelung offener Vermögensfragen, in den Grundbuchämtern, in den Katasterämtern und bei den für Planungs- und Genehmigungsverfahren zuständigen Stellen vielfach noch keine ausreichenden Personalkapazitäten vorhanden sind. Die gewaltige Anzahl an ungeklärten Vermögensfragen dürfte vor allem für den privaten Wohnungsbau nachteilige Folgen haben. Verzögerungen bei der Eigentumsfeststellung und -beurkundung behindern aber vielfach auch die Bereitstellung von Gewerbeflächen durch die Kommunen. Schließlich kann es selbst dann, wenn die Eigentumsverhältnisse geklärt sind, oft unverhältnismäßig lange dauern, bis sie beurkundet sind (Söstra, 1992). Gerade für mittelständische und kleinere Unternehmen ist dies von großer Bedeutung, denn Grundstücke und Gebäude lassen sich erst dann beleihen, wenn das Eigentum an ihnen beurkundet ist.

    Nachdem die gesetzlichen Bestimmungen zur Rückübertragung von Eigentum mehrfach modifiziert worden sind, um investitionsbereiten Käufern Hindernisse aus dem Weg zu räumen, ist es wohl vor allem das Problem mangelnder Personalkapazitäten in den entsprechenden Behörden, das die Eigentumsproblematik nach wie vor zu einem Investitionshindernis macht (allerdings betrifft das vorwiegend die Investitionstätigkeit im Wohnungsbau) . Es fehlen nicht nur Juristen im höheren Dienst, sondern auch Registrare und Sachbearbeiter. Es wäre zu prüfen, ob neben den bereits eingeleiteten Maßnahmen zur Verbesserung der Personalsituation (inzwischen sind über 25.000 westdeutsche Beamte und Angestellte in den neuen Bundesländern tätig, u.a. werden Lohnkostenzuschüsse für westliche Bedienstete gezahlt) in diesen Tätigkeitsbereichen nicht auch ein lohnender Einsatz von ABM-Kräften möglich wäre.

  1. Um die noch bestehenden Standortdefizite allmählich abzubauen, brauchen die neuen Länder und die ostdeutschen Gemeinden eine hinreichende und mittelfristig

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    voraussehbare Finanzausstattung. Derzeit werden die Länder und Gemeinden im wesentlichen über den "Fonds Deutsche Einheit" finanziert. Das vor der deutschen Vereinigung bestehende System an Finanzbeziehungen zwischen den Gebietskörperschaften erwies sich unter den neuen Bedingungen als nicht aufgabengerecht. Mit Auslaufen des Fonds Deutsche Einheit wird dieses System grundlegend reformiert werden müssen. Da eine solche Reform durchweg zustimmungsbedürftige Gesetzesveränderungen, möglicherweise sogar Grundgesetzänderungen erforderlich machen wird, und daher viel Zeit beansprucht, besteht hier akuter Handlungsbedarf. Wichtige Kriterien einer Reform sollten es sein, daß Aufgabenkompetenz und Finanzierungsverpflichtung zueinander passen, daß zur Ausgabenautonomie auch eine gewisse Steuerautonomie gehört, und daß eine übermäßige Nivellierung der Finanzkraft falsche Anreize setzt. Mit dem horizontalen Ausgleich alleine werden sich die Finanzprobleme der neuen Bundesländer auch nach 94/95 kaum lösen lassen. Daher werden vertikale Zuweisungen des Bundes, möglicherweise zum Teil mit investiver Zweckbindung auch danach noch erforderlich sein.

  1. In Anbetracht der Tatsache, daß es in den neuen Bundesländern Standortnachteile und Investitionshemmnisse gibt, die nicht schnell vollständig beseitigt werden können, ist es angebracht, unternehmerisches Engagement in den neuen Bundesländern vorerst stärker zu fördern als in den alten. Neben dem Nachteilsausgleich kann man für eine Investitionsförderung auch ins Feld führen, daß die Investitionsrisiken in den neuen Bundesländern in vielen Fällen - z.B. bei der Übernahme von Treuhandunternehmen mit Umweltaltlasten - höher sein werden als in den alten.

    Während die Notwendigkeit einer Förderung wenig umstritten ist, gibt es deutliche Meinungsunterschiede im Hinblick auf die Intensität und die Art der Förderung. Der derzeitigen Regelung, die mit der vor kurzem verlängerten Investitionszulage und dem Investitionszuschuß im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" vor allem am Kapitaleinsatz anknüpft, wird angelastet, daß sie eine

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    allzu kapitalintensive und daher nicht hinreichend beschäftigungsfreundliche Produktionsstruktur begünstigt. Ob dieser Einwand greift, ist indessen fraglich, denn zum einen soll die Investitionsforderung ja lediglich die Kosten für den Investor kompensieren, die durch spezifische Standortnachteile und Investitionshemmnisse in Ostdeutschland entstehen, und zum anderen ist es unwahrscheinlich, daß Unternehmen in den neuen Bundesländern noch wesentlich kapitalintensiver produzieren als in Westdeutschland, wenn sie damit rechnen müssen, daß die Investitionsforderung schon zum Zeitpunkt notwendiger Reinvestitionen gestrichen sein wird. Im übrigen mag man argumentieren, daß der Zeitpunkt für einen Übergang zu einer anderen Form der Subventionierung - etwa zur Lohnsubventionierung oder zur Wertschöpfungssubventionierung inzwischen verstrichen ist, weil der Vertrauensschutz für bereits getätigte Investitionen sonst schwer zu realisieren ist oder aber investitionswillige Unternehmen, die ihre Investitionen bereits auf Basis bestehender Regelungen projektiert haben, nicht vor wiederum neue Tatsachen gestellt werden sollen. Damit soll nicht gesagt werden, daß die bestehende Lohnsubventionierung - über Liquiditiätshilfen der Treuhandanstalt, Kurzarbeitergeld und AB-Maßnahmen - eine systematisch und wettbewerbspolitisch befriedigende Lösung darstellt.

    Ein weiterer Kritikpunkt an der derzeitigen Investitionsforderung betrifft den undifferenzierten Rechtsanspruch auf die Zahlung der Investitionszulage. Mit Blick auf große Dienstleistungsunternehmen aus den Bereichen Handel, Banken und Versicherungen, aber auch hinsichtlich der Energieversorgungsunternehmen in Ostdeutschland wird die Frage gestellt, ob hier Investitionen subventioniert wurden, die ohnehin durchgeführt worden wären. Selbst wenn man wüßte, daß es erhebliche Mitnahmeeffekte geben hat, folgt daraus jedoch nicht unbedingt, daß es sinnvoll wäre, bestimmte Branchen aus der Zulagenregelung auszuklammern. Es fehlen eindeutige Kriterien, um dies zu tun. So ist es a priori ganz ungewiß, welche Investitionen auch ohne Zulage durchgeführt worden wären; fragen kann man die Unternehmen aus naheliegenden Gründen nicht. Auch das Kriterium, daß die Bereiche einen überregionalen Absatz haben

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    müssen, wäre wenig hilfreich, denn das ist etwa im Dienstleistungsbereich häufig der Fall. Im übrigen würde eine solche Regelung kleinere und mittlere Betriebe etwa im Handwerk, aber auch in Dienstleistungsbereichen treffen, deren Position aus einer Reihe von Gründen noch keineswegs völlig gefestigt ist. Eine andere Frage ist die regionale Differenzierung, die im folgenden Abschnitt behandelt wird.

  1. Für die Erneuerung der ostdeutschen Wirtschaft ist die Fortsetzung der Privatisierungspolitik von entscheidender Bedeutung. Bislang ist es der Treuhandanstalt noch gelungen, im Wege sogenannter Verbundlösungen auch große Unternehmenseinheiten loszuwerden. Das dürfte schwieriger werden. Dagegen wird es immer wichtiger, bestehende Unternehmen aufzuspalten, um so verkaufsfähige kleinere Einheiten anzubieten. In dieser Zerschlagung liegt eine Chance, stärker wettbewerbliche Marktstrukturen und ein mittelständisches Unternehmertum in Ostdeutschland zu fördern.

    Die Ankündigung der Treuhandanstalt, kleinere Unternehmen zunehmend mit Festpreisen anzubieten und denjenigen Kaufinteressenten den Zuschlag zu erteilen, die die höchsten Investitions- und/oder Arbeitsplatzzusagen machen, ist eine Möglichkeit, den Verkauf stärker zu standardisieren und das Privatisierungstempo hoch zu halten.

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V.3 Regionalpolitik innerhalb der neuen Bundesländer

  1. Zu der Notwendigkeit, die Standortbedingungen in den neuen Bundesländern allgemein zu verbessern, tritt die Aufgabe, die wirtschaftlichen Divergenzen innerhalb der neuen Bundesländer selbst zu vermindern. Diese regionalen Entwicklungsunterschiede haben ihre Ursache zum Teil in der unter dem Regime der Planwirtschaft betriebenen Wirtschaftspolitik. So gibt es in den neuen Bundesländern ein ausgeprägtes Süd-Nord-Gefälle, das auf der Konzentration landwirtschaftlicher und maritimer Produktionen im Norden und industrieller Produktionen im Süden zurückgeht. Probleme bereiten darüber

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    hinaus auch ausgeprägte Monostrukturen, wie sie zum Beispiel in der Chemieregion Halle, Bitterfeld, Merseburg, in der Stahlregion in Eisenhüttenstadt oder in der Kohle- und Energieregion um Cottbus zu beobachten sind. Die Erweiterung des Bundesgebietes mit der deutschen Vereinigung hat für die einzelnen Regionen ganz unterschiedliche wirtschaftliche Konsequenzen. Diejenigen Regionen, die im vereinten Deutschland an Zentralität gewonnen haben und eine günstige Position in der Hierarchie der Infrastruktur besitzen, haben positive Entwicklungsaussichten. Auch die politikinduzierte Schwerpunktbildung in Landeshauptstädten kann der regionalwirtschaftlichen Entwicklung Impulse geben. Daneben stehen Regionen mit ungünstigeren Aussichten. Hierzu gehören nicht allein die monostrukturierten Industrieregionen, sondern auch die stark auf landwirtschaftliche Produktion spezialisierten Gebiete im Norden, sowie die Grenzgebiete zu Polen und zur Tschechoslowakei. Es spricht einiges dafür, und dies wird der Tendenz nach durch die regionale Struktur der bisher erzielten Investitionszusagen bestätigt, daß sich regionalen Unterschiede innerhalb der neuen Bundesländer zunächst noch ausweiten und sich nicht vermindern werden.

  1. Die folgenden Ausführungen befassen sich deshalb mit der Frage, was die Regionalpolitik tun kann und tun muß, um eine allzu starke Ausweitung regionaler Disparitäten zu vermeiden. Soweit der Begriff der Regionalpolitik dabei nur auf die Gemeinschaftsaufgabe" Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" bezogen wird, ist er viel zu eng. Allein durch eine Differenzierung der regionalen Investitionsförderung, die vorhandene Standortnachteile der einzelnen Regionen ausgleichen oder mildern soll, ist die regionalpolitische Aufgabe in Ostdeutschland nicht zu lösen. Vielmehr sind es die Standortnachteile selbst, an denen anzusetzen ist. Diese Aufgabe obliegt den Ländern und vor allem den Kommunen in den betroffenen Regionen. Dabei ist auch eine enge Koordination und Kooperation mit der allgemeinstaatlichen Wirtschaftspolitik auch des Bundes (z.B. Infrastrukturausbau) und mit den Verbänden der Wirtschaft, den Gewerkschaften, der Arbeitsverwaltung und der Treuhandanstalt äußerst wichtig.

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    Folgende Ansatzpunkte bieten sich den strukturschwachen Wirtschaftsgebieten, um im Standortwettbewerb mit den attraktiveren Regionen nicht allzu stark zurückzufallen:

    Vor allem in den strukturschwachen Gebieten ist es von entscheidender Bedeutung, daß noch bestehende Investitionshemmnisse ausgeräumt werden. Gerade hier wäre es wichtig, die noch offenen Eigentumsfragen, die mehr Aktivität im Wohnungsbau oder einer Bereitstellung von Gewerbeflächen im Wege stehen, rasch zu klären. Die Möglichkeiten der Ämter und Behörden, das zu erreichen, sind begrenzt und hängen entscheidend von den vorhandenen finanziellen und personellen Ressourcen ab. Die geplanten Verwaltungshilfen zur Klärung offener Vermögensfragen, die unter anderem eine Verdoppelung des Personals in den Vermögensämtern vorsehen, sind daher von großer Bedeutung (vgl. Infodienst Kommunal, Mai 1992). Darüber hinaus sollten die Kommunen und die Treuhandanstalt, wo es möglich ist, alles daran setzen, ein attraktives Angebot an Gewerbeflächen zu schaffen, sei es durch "standortrecycling", sei es durch die Freigabe neu zu erschließender Flächen. Hilfreich wäre es in diesem Zusammenhang, wenn die Anträge der Kommunen auf Rückübertragung von Vermögen schneller beschieden werden könnten. Schließlich ist es zur Erleichterung und Beschleunigung der Ansiedlungspolitik wichtig, private Gesellschaften zur Erschließung und Entwicklung von Industriegebieten einzuschalten, um die kommunalen Planungskapazitäten zu entlasten.

    - Gravierende Investitionshemmnisse liegen auch in der vielerorts unzureichenden Infrastruktur. Hier ist der Handlungsspielraum in den strukturschwachen Regionen vor allem durch finanzielle Restriktionen begrenzt. Wo aber die finanziellen Mittel fehlen, kommt es um so mehr darauf an, Planungs- und Genehmigungszeiten zu verkürzen, oder auf die Angebote privatwirtschaftlicher Gesellschaften zurückzugreifen. Der zunächst naheliegende Gedanke, über den Ausbau der überörtlichen Infrastruktur (z.B. Landesstraßen und Bundesstraßen, überregionale Versorgungsnetze) zunächst die strukturschwachen Gebiete besonders zu bevorzugen, vermag allerdings nicht zu

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      überzeugen. Den Vorteilen für die betroffenen Problemregionen stünden Nachteile für die ostdeutsche Wirtschaft insgesamt gegenüber, weil der Ausbau der attraktiveren Standorte mit den größeren Investitions- und Beschäftigungspotentialen verzögert würde. Sinnvoll erscheint daher allein ein engpaßorientierter Ausbau der Infrastruktur.

      Richtig ist es sicherlich, in der finanziellen Investitionsforderung eine stärkere Differenzierung zugunsten der besonders strukturschwachen Regionen zu Wege zu bringen. Zwar tritt auch hier grundsätzlich die Spannung zwischen Wachstums- und Ausgleichsziel in der Regionalpolitik zu Tage, denn Investitionsforderung in einem Gebiet mit hohem Wachstumspotential dürfte größere Wirkungen haben als in weniger wirtschaftsstarken Regionen. Es ist aber davon auszugehen, daß die Entwicklung in den attraktiveren und urbanen Standorten der neuen Bundesländer (wie in Dresden oder in Ostberlin) - nicht zuletzt auch wegen der massiven Kapitalsubventionen der vergangenen Jahre - schon jetzt angestoßen ist und eine Eigendynamik entwickeln wird . Es sollte keiner besonderen staatlichen Förderung bedürfen, Investoren in diesen attraktiven Regionen anzusiedeln. Generell wäre eine stärkere Verlagerung der Mittel der Regionalförderung in die strukturschwachen Gebiete der neuen Bundesländer zu befürworten.

      Auch von der Treuhandanstalt wird häufig die Beachtung regionalpolitischer Erfordernisse verlangt. In dem Maße, in dem bei der Stillegung oder Sanierung von Unternehmen regionalpolitische Erwägungen im Spiel sind, werden regionale und sektorale Aspekte der Strukturpolitik vermischt. Wenngleich dies in Einzelfällen in den neuen Bundesländern unvermeidbar ist, sollte eine solche Kopplung regionaler und struktureller Aspekte aber aus einer Reihe von Gründen auf ein Minimum beschränkt werden. Gegen eine sektorale Orientierung der Regionalpolitik sprechen die gleichen Gründe, die auch gegen eine sektorale Strukturpoltik in Reinform vorgebracht werden:
      im Endeffekt entsteht ein starker politischer Druck zu dauerhafter Subventionierung, auch wenn der Erhalt und die Subventionierung wettbewerbsunfähiger Unternehmen nur

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      als vorübergehend angekündigt wird; die Zukunftsperspektiven bestimmter Unternehmen sind durch Behörden, auch wenn entsprechende Gutachten vorliegen, kaum zu beurteilen. Insofern fehlen klare Kriterien für eine spezielle Förderung einzelner Unternehmen.

      - Eine besondere Verantwortung für die Beschäftigungsentwicklung kommt der Tarifpolitik zu. Mehr Flexibilität in der Lohnpolitik könnte erheblich dazu beitragen, daß die Beschäftigungsprobleme in den neuen Bundesländern insgesamt, aber auch in besonderen Problemregionen Ostdeutschlands geringer wären. Es geht nicht darum, dem Entstehen einer arbeitsintensiven Produktionsstruktur mit überdurchschnittlich vielen schlecht bezahlten Arbeitsplätzen Vorschub zu leisten. Die Investoren, die sich heute in den neuen Bundesländern engagieren, müssen vielmehr damit rechnen, daß die Löhne wie auch die anderen Kostenfaktoren (vgl. Ziffer 7) mittelfristig den Verhältnissen in Westdeutschland entsprechen. Wie die Umfragen zeigen, scheint diese Bewertung auch bei den meisten Unternehmen vorhanden zu sein. Es geht vielmehr darum, daß die Lohnpolitik die noch im Treuhandbesitz befindlichen oder auch in der Anfangsphase stehenden privatisierten ostdeutschen Unternehmen zumindest vorübergehend nicht unter den massiven Lohnkostendruck stellt, den nur neuerrichtete und nach westlichen Standards arbeitende Produktionsstätten verkraften können. Lohnabschlüsse, die stärker an der betrieblichen Leistungskraft der Betriebe orientiert wären, könnten vielen Betrieben die Sanierung erleichtern, und sie würden den Beschäftigungsabbau insbesondere in solchen Regionen zeitlich strecken, in denen wettbewerbsschwache Altunternehmen konzentriert sind. Eine solche Flexibilität könnte durch Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen herbeigeführt werden, die bei Übereinstimmung von Arbeitgeber und Betriebsrat eine untertarifliche Lohnzahlung vorsähen. Wenn für die Arbeitnehmer erkennbar ist, daß ein vorübergehend niedrigerer Lohnanspruch die Sicherheit des Arbeitsplatzes erhöht, und daß der untertarifliche Lohn immer noch über der Lohnersatzleistung bei Arbeitslosigkeit liegt, könnten solche Regelungen durchaus Akzeptanz finden. Wenn das nicht so ist, wäre zu prüfen, ob sie durch Produktivkapitalbeteiligungen möglicherweise attraktiver gemacht werden können.

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      In dem Maße, in dem niedrigere, jedenfalls differenziertere Lohnsteigerungen die Beschäftigungsentwicklung verbessern und die Unterbeschäftigung reduzieren, entlasten sie das Budget der Arbeitslosenversicherung. Soweit sich niedrigere Lohnsteigerungen auch auf den öffentlichen Dienst erstrecken, tragen sie direkt zur Entlastung des öffentlichen Haushaltes bei und erweitern so den Spielraum für investive Transfers in die neuen Bundesländer. Sie sind auch aus diesen Grund unter dem Aspekt der Verbesserung des ostdeutschen Standorts von Bedeutung.

      - Auch bei intensiven Bemühungen der örtlichen Entscheidungsträger und aktiver regionaler Strukturpolitik wird es kaum vermeidbar sein, daß in den strukturschwachen Gebieten erhebliche Produktionskapazitäten aufgegeben und Arbeitskräftefreisetzungen in Kauf genommen werden müssen. In einigen Gebieten wird es absehbar sein, daß der Beschäftigungsstand auch längerfristig nicht wieder erreicht werden dürfte. Eine zunächst hohe Arbeitslosigkeit und spätere Abwanderungen werden dann in Kauf genommen werden müssen. Wo sich eine Zunahme der wirtschaftlichen Aktivität bereits ankündigt oder berechtigte Hoffnung auf zukünftige Beschäftigungsmöglichkeiten besteht, kommt auch der Arbeitsmarktpolitik regionalpolitische Bedeutung zu. Eine arbeitsmarktpolitische Flankierung des wirtschaftlichen Umbruchs wird ihrerseits auf ein Bündel von Maßnahmen zurückgreifen müssen, auf Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Kurzarbeit und Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen. Aktive Arbeitsmarktpolitik sollte sich besonders auf die wirtschaftsschwachen Regionen konzentrieren. Auch hier ist indessen darauf zu achten, daß der "zweite Arbeitsmarkt" nicht die Entstehung eines primären Arbeitsmarktes wohlmöglich noch behindert. So ist für Kurzarbeit und AB-Maßnahmen ist eine klare zeitliche Begrenzung vorzusehen. Darüber hinaus wäre bei AB-Maßnahmen eine stärkere Qualifizierungskomponente erwünscht, und Tätigkeiten, die über AB-Mittel finanziert werden, sollten, etwa im Bereich der Infrastruktur oder der Altlastensanierung, dazu beitragen, den Standort attraktiver zu machen. Auch in

      strukturschwachen Regionen ist darauf zu achten, daß AB-Maßnahmen möglichst wenig die privatwirtschaftliche Aktivität beeinträchtigen.


    © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000

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