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4. Personenförderung und Wirtschaftsförderung: ein Zielkonflikt

Arbeitsbeschaffung ist das einzige arbeitsmarktpolitische Instrument, das unmittelbar auf eine Verringerung oder Beseitigung der Arbeitslosigkeit zielt. Damit hat sie etwas Selbstzweckhaftes. Sie erschöpft sich darin aber nicht. Von Anfang an wurden vor allem Notstands- und infrastrukturelle Aufgaben durch Arbeitsbeschaffung erledigt. Auftraggeber war stets der Staat, der sich sowohl als Verantwortlicher für die Infrastruktur empfand, als auch im Interesse sozialer Stabilität die Zahl der Arbeitslosen eindämmen wollte. Die erste große, klassische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in Deutschland war der Bau der Autobahnen. Sie wurde nicht erst von den Nazis, sondern schon von dem mit Notverordnungen regierenden Reichskanzler Brüning geplant. Auch das Arbeitsförderungsgesetz schreibt bekanntlich, neben der arbeitsmarktpolitischen Zweckmäßigkeit, vor, daß Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen "im öffentlichen Interesse" liegen müssen.

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4.1 Der Doppelcharakter der Arbeitsbeschaffung

Der Umfang sowie die Art der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in den neuen Bundesländern orientieren sich nicht nur an der Zahl der Arbeitslosen, sondern auch am Umfang der gesellschaftlich notwendigen zu erledigenden Aufgaben. Ein Zusammenhang zwischen den Mängeln der Infrastruktur und der geringen Investitionsbereitschaft von Kapitalgebern und damit der hohen Arbeitslosigkeit liegt auf der Hand. Konkurrenzfähige Betriebe gedeihen nur auf einem ererbten, vorgegebenen Niveau der Infrastruktur, das noch lange nicht erreicht ist. Staatlich oder von einer öffentlichen Sozialversicherung finanzierte Arbeitsbeschaffung ist entsprechend auch vom Sanierungsbedarf der neuen Bundesländer her geboten. Irgendwann, so die Vorstellung, reicht die Infrastruktur hin, einer größeren Zahl von Betrieben das rationale Wirtschaften zu ermöglichen; mit dem weiteren Ausbau der Sanierungsleistungen läßt sich fortan Geld verdienen. Der Sinn von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ist also ein zweifacher: Menschen sollen ihre Qualifikation, ihre Arbeitseinstellung erhalten, der Erwerb von Einkommen soll mental an eine Arbeitsleistung gekoppelt bleiben. Gleichzeitig sollen sie etwas gesellschaftlich Sinnvolles tun, um das Künstliche ihrer Situation zu überwinden.

So sind nach den Forschungen des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) mehr als die Hälfte aller geförderten ABM-Aktivitäten "im engeren Sinn investiv", d.h. sie richten sich direkt auf die Verbesserung der wirtschaftsnahen Infra-

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Struktur, auf bauliche Instandsetzung oder Planung und auf Umweltverbesserung. Bei den Großprojekten ist diese Komponente noch stärker.

Die Personenförderung und die Wirtschaftsförderung, zu der die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in einem so hohen Maße beitragen, gehorchen verschiedenen, in einigen Punkten sogar auseinanderlaufenden Kriterien.

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4.2 Logik der Personenförderung

Arbeitsbeschaffung als reine Personenförderung wird vor allem denen eine Chance geben wollen, die am Arbeitsmarkt vermutlich die größten Nachteile zu überwinden haben. Sie wird ihren Erfolg vor allem darin sehen, möglichst vielen Menschen zu helfen, und deshalb an einer gewissen Fluktuation interessiert sein, damit jeder einmal an die Reihe kommt. Sie wird aus dem gleichen Grund zu einer starken Nivellierung der "Löhne" und "Gehälter" tendieren. Die Suche nach und die Sicherung von Aufträgen ist ihr reines Mittel zum Zweck der Beschäftigung. Sachmittel, die nach dem im Westen gültigen Arbeitsförderungsgesetz ja gar nicht gegeben werden, werden im Osten der Logik nach nur so weit finanziert, wie sie zur Aufrechterhaltung eines formal sinnvollen Arbeitsbetriebs unerläßlich sind.

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4.3 Logik der Wirtschaftsförderung

4.3.1 Das Beispiel Sachsen-Anhalt

Deutlich offenbart sich der Konflikt zwischen den Erfordernissen der Personenförderung und denen der Wirtschaftsförderung in Sachsen-Anhalt, das geradezu flächendeckend mit Beschäftigungsgesellschaften versorgt ist und wo die Landesregierung vieles unternimmt, um Gründung und Erhalt solcher Gesellschaften zu fördern. Bei den für das Land typischen "Sanierungsgesellschaften" handelt es sich in der Regel um Ausgründungen aus Kombinaten, die mit anderen Arbeitslosen noch angefüllt werden. Sie beschäftigen jede dritte Person mit einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Ihr Zweck ist die Sanierung von Betriebsflächen und die Rekultivierung etwa des vom Braunkohletagebau geschundenen Landes. Diese Aufgaben haben in den großen Industrieregionen des Landes nicht allein einen landschaftspflegerischen und ökologischen, sondern vor allem einen wirtschaftlichen Sinn: Die riesigen Betriebsflächen sollen für künftige Investoren wieder attraktiv werden. Diesem Konzept wird vor Ansiedlungen auf der grünen Wiese der unbedingte Vorzug gegeben, unter anderem, weil hier Arbeitskräfte,

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öffentlicher Verkehr und dergleichen nicht erst herbeigeschafft werden müssen. Allein für die Sanierungsgesellschaften gibt das Land Sachsen-Anhalt 1991 und 1992 920 Millionen Mark aus. Von den Sachkostenzuschüssen, die die Bundesanstalt für Arbeit in den neuen Bundesländern für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur Verfügung stellt, gehen entsprechend 52 Prozent nach Sachsen-Anhalt. Obwohl in dem Land nur 19 Prozent aller Arbeitslosen in den neuen Bundesländern zu Hause sind, finden hier doch 35 Prozent aller Umwelt-Arbeitsbeschaffungen statt.

Auch für den Staat, in Gestalt des Landes Sachsen-Anhalt, steht die sozialpolitische Funktion der Beschäftigungsgesellschaften nicht allein im Vordergrund. Die Übernahme gesellschaftlicher Aufgaben durch große Gesellschaften entlastet nicht nur den Sozialhaushalt des Landes und der Kommunen im Lande, sondern führt auch zu weiteren Komplementärmitteln aus der Bundesanstalt für Arbeit. So setzt die flächendeckende Einrichtung von Beschäftigungsgesellschaften geradezu eine Art Subventionsschraube in Gang. Wo die Sanierung erst einmal begonnen hat, läßt sich in vielen Fällen zusätzliches Geld aus zweckgebundenen Mitteln für Umweltschutz oder Wirtschaftsförderung beschaffen, wie sie in den Haushalten von Bund und Ländern eingestellt sind.

Sanierung ist aufwendig und teuer. Viele Aufträge, die nicht vor Ort und nur von besonders ausgebildeten Arbeitskräften ausgeführt werden können, müssen fremdvergeben werden. Erforderliche Maschinen binden erhebliche Mittel. Die Förderung etwa der Bundesanstalt für Arbeit für das Schwermaschinenkombinat "Ernst Thälmann" liegt bei 85 Millionen Mark. 32 Millionen davon gehen über Aufträge an das Handwerk und an Zulieferfirmen. Für das ganze Land Sachsen-Anhalt schätzt die Regierung, daß ein Drittel der Sanierungsaufwendungen auf Fremdaufträge entfällt und daß 50 Prozent der angekauften Materialien in den neuen Bundesländern hergestellt werden.

Die Sanierungsgesellschaften übernehmen in der Tat gigantische gesellschaftliche Aufgaben. So wurde von einer Gesellschaft mit 5286 Mitarbeitern berichtet, die in 35 Groß-Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen tätig ist, vor allem im Braunkohlegebiet arbeitet und dort bisher 580 Hektar Fläche saniert hat.

Inzwischen ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit sozialen Diensten wie etwa der Kinderversorgung und mit Sozialstationen ohne Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht mehr möglich. Darauf wies ein Vertreter der Bundesanstalt für Arbeit hin. Daraus läßt sich schließen, daß die Reduzierung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht

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nur einen Anstieg der Arbeitslosenzahlen, sondern auch den Wegfall unentbehrlicher sozialer Leistungen nach sich ziehen würde.

4.3.2 Das Beispiel Magdeburg

Im Arbeitsamtsbezirk Magdeburg werden allein 200 Millionen Mark Sachmittel von der Bundesanstalt für Arbeit ausgegeben. Hinzu treten 105 Millionen Sachkostenzuschüsse des Landes. Der Schwerpunkt liegt - bei einer Gesamtzahl von über 3000 Maßnahmen 1991 - nicht auf den "Mega-ABMs", wie sie große Beschäftigungsgesellschaften zu akquirieren suchen; vielmehr liegt die durchschnittliche Anzahl der Arbeitnehmer pro Maßnahme bei fünf, was auf große Vielfalt und Breite bei der Auswahl der Träger schließen läßt. 20 Prozent der Maßnahmen sind landwirtschaftlicher Art, weitere 20 Prozent gehen in den Bereich Büro und Verwaltung, 16 Prozent sind soziale Dienste, 8 Prozent Bau- und Industriegeländeerschließung; hinzu treten Forstwirtschaft und Verkehr. Zur Zeit sind im Bezirk Magdeburg knapp 24 000 Menschen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen tätig, davon sind 38 Prozent Frauen. In Magdeburg ist man offenbar unermüdlich auf der Suche nach neuen Funktionen, die mittels Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen erledigt werden könnten. Ein Vertreter nannte Deichsanierung, Verkehrserschließung und Wegesanierung als neue Aufgaben. Phantasie scheint dabei eine erhebliche Rolle zu spielen. So wurde aus einer alten Ziegelei im Kreis Haldensleben eine Reha-Einrichtung mit Fahrdienst für Behinderte und zugleich ein Industriemuseum, ein Spezialzentrum für die Reparatur alter Technik und ein Feuchtbiotop (!). Beschränkungen für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen werden in Magdeburg mit Erfolg umschifft. Die Vorschrift etwa, daß Kommunen nurmehr "zusätzliche", nicht aber ihre regelmäßigen Aufgaben aus Mitteln für die Arbeitsbeschaffung bestreiten dürfen, wird vorwärtsweisend ausgelegt. So gilt die Sanierung einer Straße dann als "zusätzlich", wenn gleichzeitig Tempo 30 eingeführt wird. Von 11 000 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Magdeburg, die zum Jahresende eigentlich auslaufen sollten, gelten 5 500 schon heute als "gesichert". Für die Koordination und Einrichtung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ist beim Magdeburger Magistrat eine eigene Koordinierungsstelle eingerichtet worden.

Vertreter von ABS-Gesellschaften in Magdeburg und Sachsen-Anhalt unterstrichen mit großem Nachdruck die Probleme, die sich beim Auslaufen kurzfristiger Projekte ergeben. Die bevorstehenden Kürzungen wurden sogar als "Katastrophe" bezeichnet, nicht nur für die Arbeitslosen, sondern auch für die zu erledigenden Aufgaben. Das Mittel der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, so wurde die historische Entwicklung bis heute

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skizziert, habe sich von einem "Bollerwagen" zu einem "Sanitätsfahrzeug" entwickelt. im Gedächtnis blieb den Teilnehmern die anschließende Mahnung eines Diskussionsredners, man müsse nun erreichen, daß das Sanitätsfahrzeug nicht zum "Leichenwagen" umgerüstet werde. Nachhaltig wiesen Vertreter von Trägern immer wieder darauf hin, daß die Begrenzung der Maßnahmen auf ein Jahr völlig unzulänglich sei und eine vernünftige Arbeit verunmögliche. Wenn das sinnvolle Instrument der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zerschlagen werden solle, dann müsse man sich "hörbar" machen, erklärte der Vertreter einer Gesellschaft unter großem Beifall. Namentlich wurde von anderer Seite die Einschaltung der Öffentlichkeit, vor allem die Information der Presse, genannt.

Der Vertreter einer Sanierungsgesellschaft warnte vor hurtigen Rezepten zur Privatisierung von Betriebsteilen in ABS-Gesellschaften und legte seine Warnung am Beispiel einer Bauschuttrecyclinganlage dar. Die Anlage sei zwar im Prinzip privatisierbar. Es fehlten aber bereits die Abnehmer für recycelten Bauschutt, und niemand könne schon die Anlieferung bezahlen. Da sei es sinnlos, einzelne Glieder einer Kette formal herauszulösen, ohne daß ihnen unter gegebenen Umständen die Möglichkeit bleibe, sich an irgendwelche anderen Ketten anzuschließen.

Ein weiteres in Magdeburg praktiziertes Modell ist die "Teilzeit-ABM". Dabei wird parallel in einem Teil der Zeit Fortbildung und Umschulung angeboten.

4.3.3 Existenzgründungen

Auf Interesse stieß ferner die Initiative einer "Sozial- und Arbeitsgesellschaft" in Dessau, die sich auf Existenzgründungen spezialisiert hat, einige hundert Arbeitslose beschäftigt und bisher 48 von ihnen mit Beratung und Schulung in die Existenzgründung begleitet hat. Nach einer Expertise für die Bundesregierung ist Existenzgründung aus ABS-Gesellschaften heraus ein relevantes Potential regionaler Strukturentwicklung, zumal gerade die Gründung kleiner und mittlerer Unternehmen eine wichtige Voraussetzung für die wirtschaftliche Gesundung der neuen Bundesländer darstelle. Die Lösung der Beschäftigungsprobleme für massenhaft Menschen sei von Existenzgründungen allerdings nicht zu erwarten.

Die Beratungsgesellschaft in Dessau verhandelt mit den Banken, vermittelt vorhandene technische Einrichtungen, übernimmt gegebenenfalls für einige Zeit die Miete, gewährleistet die Darstellung einer jungen Firma auf einer wichtigen Messe und erwirbt unter

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Umständen Minderheitsbeteiligungen an neugegründeten Firmen. Der Schwerpunkt liegt bei Umweltmaßnahmen und sozialen Diensten. Gelehrt wird vor allem Unternehmensführung und die Anfertigung einer Marktanalyse. Wo möglich, wird Beratung auch im Dschungel der Förderungsmöglichkeiten angeboten, wobei auf die Kenntnisse der Banken zurückgegriffen wird. Sonst allerdings halten sich die Banken nach dem Geschmack der "Sozial- und Arbeitsgesellschaft" vor allem mit direktem Engagement in jungen Firmen noch zu sehr zurück. Eher sind sie bereit zu spenden als sich über eine Beteiligung oder einen Kredit zu engagieren.

In der Diskussion wurde vor allem auf die Möglichkeiten hingewiesen, Wirtschaftsförderungsmittel in Anspruch zu nehmen. Neben Darlehen der Kreditanstalt für den Wiederaufbau und der Deutschen Ausgleichsbank wurden namentlich das Innovationsprogramm des Bundeswirtschaftsministers für Produkt- und Prozeßinnovationen, die Eigenkapitalhilfe für neue Technologie-Unternehmen aus dem Bundesministerium für Forschung und Technologie und die Forschungs- und Entwicklungsdarlehen für sogenannte "Sprunginnovationen" aus dem gleichen Hause genannt.

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4.4 Interessen der ABM-Träger und -Teilnehmer

Gerade die individuelle Brückenfunktion von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen erschwert nach Auffassung der Träger ihre zweite Funktion, die soziale, technische und ökologische Infrastruktur der neuen Bundesländern zu erhalten und zu sanieren. Ungeachtet der Tatsache, daß die Bundesanstalt für Arbeit heute mit der Treuhand der größte Auftraggeber in der ehemaligen DDR und der strukturpolitisch wohl wichtigste Agent ist, wurde für die immer wieder geforderte unternehmerische Strukturierung der riesigen Gesellschaften, angesichts deren Auftragsvolumens auf den ersten Blick zwingend, noch keine einzige Durchführungsbestimmung geschaffen.

An erster Stelle wurde immer wieder die vorwiegend sozialpolitisch motivierte zeitliche Begrenzung der Maßnahmen genannt. Der Geschäftsführer einer Sanierungsgesellschaft befürchtet "ABM-Ruinen gigantischen Ausmaßes", wenn wie geplant die Befristung für seine mit hohen Investitionsmitteln arbeitende Maßnahme zum 31. Dezember 1992 ausläuft. Ein anderer beklagte sich über Zufall, Willkür und Unvernunft bei der Festsetzung der Finanzierungsmodalitäten. Nach Sanierung von zehn Hektar verseuchten Industriegrundes war seine Maßnahme in eine "zweite Etappe" getreten. In dieser "zweiten Etappe" mit dem Jahresbeginn 1992 reduzierte sich der Finanzierungsanteil der Bundesanstalt für Arbeit von 100 auf 80 Prozent. Für die fehlenden 20

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Prozent sprang das Land Sachsen-Anhalt ein. Nicht bedacht wurde dabei, daß der größere, von der Bundesanstalt getragene Anteil entsprechend der Tarifentwicklung dynamisiert war, nicht aber der kleinere Landesanteil. Der kleine Fehler führte zu einem Minus von 1,3 Millionen Mark bei den Personalkosten. Für die Möglichkeiten eines Geschäftsführers bei einer Sanierungsgesellschaft ist diese mehr zufällig entstandene Lage aussichtslos. Eigentlich, so seine Schlußfolgerung, hätte er die Maßnahme mit 850 Personen schon zum 1. Juni abbrechen müssen.

Die Drohung, daß gigantische Arbeitsbeschaffungsprojekte zu einem Stichtag sang- und klanglos auslaufen, versetzte die Träger allgemein in große Unruhe. Allein die Vertreter sehr großer Gesellschaften, denen allein ihrer Dimension wegen öffentliche Aufmerksamkeit sicher sein konnte, suchten Trost in der Vorstellung, daß auch eine eindeutige Vorschrift, die ihr Wirken begrenze, sich kaum gegen die politischen Zwänge der Umgebung werde durchsetzen können. Träger großer Maßnahmen waren zuversichtlich, daß es letzten Endes mehr um die Art und Quelle der Finanzierung als um den Bestand gehe. Gesellschaften mit Tausenden von Beschäftigten entwickeln auch politisch rasch eine hohe Resistenz, haben ihre Kanäle und die Garantie öffentlicher Aufmerksamkeit. Anders ist es mit kleinen, zum Beispiel sozialen Projekten. Die Arbeitslosen-Beratungsstelle in Weißenfels, wo die Arbeitslosigkeit noch am weitesten über dem Landesdurchschnitt liegt, mußte zum 30. Juni 1992 wegen Auslaufens der Förderung durch das Arbeitsamt geschlossen werden. Eine Vertreterin des Arbeitslosenverbandes äußerte die realistische Befürchtung, daß die Förderung ihrer Beratungsstelle ohne großes Aufsehen auslaufen könne. Sie ist selber in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme tätig und hat in ihrer vom Arbeitsamt alimentierten Funktion weitere 22 Maßnahmen in die Wege geleitet. Offiziell wird für den entlastenden Effekt von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ein Faktor von 1,4 angegeben. Pro untergebrachten Arbeitslosen werden über die notwendigen Fremdaufträge für die Maßnahmen noch einmal 0,4 Arbeitsplätze erhalten. Das Beispiel des Arbeitslosen-Verbandes zeigt, daß dieser Faktor auch ganz erheblich höher sein kann.

Zum zweiten wurde Kritik daran geübt, daß wegen der verfügten Einkommenshöchstgrenze in den Beschäftigungsgesellschaften kaum qualifiziertes Management gewonnen oder behalten werden kann. Auch die Führungskräfte in den Gesellschaften sind Arbeitslose; sie nehmen dort auch Führungsaufgaben wahr. Dafür erhalten sie eine Vergütung von höchstens 2500 Mark im Monat. Entsprechend verlassen sie beim ersten Angebot die Gesellschaft und verhindern so Kontinuität im Management. Sozialpolitisch ist solche Fluktuation gewünscht. Schließlich ist es ja der Sinn der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, einzelne Personen in Dauerarbeitsverhält-

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nisse zu vermitteln. Für das Funktionieren des Projekts ist die hohe Fluktuation natürlich kontraproduktiv.

Die Beschwichtigung eines Vertreters der Bundesanstalt für Arbeit, bei dem Betrag von 2500 Mark handele es sich nur um eine Orientierungszahl, von der abgewichen werden könne, wurde nicht akzeptiert. Der Betrag sei nur um maximal 300 Mark zu überschreiten, und dadurch werde die Konkurrenzfähigkeit der Gesellschaften auf dem Arbeitsmarkt für Führungskräfte kaum verbessert.

Einzelne Vertreter von Beschäftigungsgesellschaften gingen in ihrer Kritik noch weiter und machten deutlich, daß gerade die qualifizierten Fachleute mehr zum Dableiben als zum Weggehen ermuntert werden müßten. So brauche die Gesellschaft, die die Braunkohleareale kultiviere, ihre qualifizierten Geologen und Petrologen, um ihrer gesellschaftlichen Aufgabe nachzukommen. In Leuna, wo auf einem Gelände von 6,5 mal 3,5 Kilometern verseuchtes Chemiegelände saniert werden muß, geht es nicht ohne Chemiker.

Ein Vertreter des Sprecherrats der Interessengemeinschaften zur Arbeitsförderung, Beschäftigung und Strukturentwicklung in Sachsen-Anhalt beschwerte sich, daß das Arbeitsamt bei der Vermittlung in die Gesellschaften regelmäßig eine Arbeitslosigkeitsdauer von drei bis sechs Monaten verlange, und forderte eine Änderung der Gesetzesgrundlage. Ein anderer Vertreter eines Trägers sah sich schließlich gemüßigt, sein Verständnis dafür zu äußern, daß das Arbeitsamt "auch" Personenförderung betreibe, nachdem ein weiteres Mal laut Professionalisierung der ABS- Gesellschaften verlangt worden war.

Träger von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen neigen offenbar dazu, den wirtschaftsfördernden Sinn ihrer Tätigkeit in den Vordergrund und den sozialpolitischen Sinn in den Hintergrund zu stellen. Allem Anschein nach können sie auf diese Weise ihre Daseinsberechtigung besser unterstreichen und auch ihre Finanzierungschancen verbessern. Orientiert man sich an dem nach Aufforderung meist zögerlich genannten, durchweg geringen Frauenanteil in den meisten Gesellschaften, so kann man annehmen, daß sie sich mit ihren Prioritäten auch wirklich durchsetzen. Die riesige Magdeburger GISE-GmbH zum Beispiel, eine Trägergesellschaft für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, hat einen Frauenanteil von gerade einmal 22,8 Prozent. Im ganzen Arbeitsamtsbezirk Magdeburg machen Frauen zwei Drittel der Arbeitslosen, aber nicht einmal zwei Fünftel der Teilnehmer an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen aus. Ob es wirklich stimmt, daß Betriebe mit niedrigerem Frauenanteil weniger effizient

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arbeiten, spielt dabei gar keine Rolle. Es genügt zu wissen, daß nach landläufiger Meinung in den neuen Bundesländern Frauen als nach gängigem Muster Zuständige für die Kinderversorgung die längeren Fehlzeiten haben.

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4.5 Interessen der Wirtschaft

Zunächst erscheint es sicher überraschend, daß Vertreter der Wirtschaft die Prioritäten der Beschäftigungsgesellschaften auch noch unterstützten. Schließlich galten die Befürchtungen der Wirtschaft bisher stets den großen ABM-Konzernen, die eigene Marktmacht entwickeln und so die kleinen, sich entwickelnden Privatbetriebe an die Wand drücken könnten.

Statt solche Befürchtungen vorzutragen, pries ein Vertreter einer Industrie- und Handelskammer die Beschäftigungsgesellschaften nicht nur als einzige Möglichkeit, große Mengen Arbeitsloser zu absorbieren, sondern stellte sogar eine Reihe von Forderungen auf, die mehrheitlich auf eine Stärkung der Gesellschaften hinauslaufen. Zwar sollen die Gesellschaften nach seiner Vorstellung einen klaren, zeitlich begrenzten Auftrag erhalten. Sie sollen aber ein tragfähiges Konzept für sachlichen und personellen Einsatz entwickeln können, einen Auftragssockel garantiert bekommen, über professionelles Management verfügen, ihre Kunden auftragsgerecht bedienen können, betriebswirtschaftliche Rechnungsführung und Controlling entwickeln, qualifizieren und ausbilden. Der Sinn solcher Forderungen liegt in dem Bestreben, die Beschäftigungsgesellschaften zu privatisierungsfähigen Einheiten weiterzuentwickeln. Je mehr sie schon im Stadium ihrer Finanzierung durch die Bundesanstalt für Arbeit betriebswirtschaftlicher statt sozialpolitischer Logik gehorchen, desto interessanter werden sie für die Übernahme. Eine fachlich vorgebildete, motivierte, aufeinander eingearbeitete Belegschaft, die überdies mit Führung durch professionelles Management vertraut ist, ist um ein Vielfaches attraktiver als die demotivierte Truppe eines schrumpfenden und ewig wartenden Treuhandbetriebes.

Hüter der ordnungspolitischen Funktion von Arbeitsförderung, wie sie im Bild von der Brücke dargestellt ist, bleibt so allein der Staat. Nicht umsonst war es der Vertreter der Bundesanstalt für Arbeit, der sich zu der ungern gehörten Versicherung genötigt sah, Arbeitsförderung sei nun einmal Personenförderung. Wo es keine wirksamen Mittel und Ideen zur Wirtschaftsförderung gibt, klammern sich nun einmal alle an die einzig relevanten Verteiler von Mitteln, auch wenn deren Auftrag eigentlich ein ganz anderer ist. Nicht umsonst war es ein Politiker, namentlich ein ehemaliger Bundesarbeitsminister,

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der auf dem "Wirtschaftspolitischen Diskurs" als einziger nach der Legitimität des Umstands fragte, daß die Versicherten und nicht der Staat die Lasten des Aufbaus tragen, womit Beamte und Selbständige ungerechtfertigt entlastet würden. Alternative zu einer solchen Überbeanspruchung des Instrumentariums der Arbeitsförderung, so seine Einlassung, sei eine Finanzierung der Sanierung über höhere Einkommensteuer. Aus begreiflichen Motiven, möchte man schließen, hielt sich die Wirtschaft diesmal mit kleinlichen ordnungspolitischen Einwänden zurück. Wird Ordnungspolitik wirklich ernstgenommen, so muß die Wirtschaft weit stärker belastet werden.

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4.6 Ergebnisse des Zielkonflikts

Große Beschäftigungsgesellschaften, deren im Titel der Tagung erscheinende "Grenzen", was Anzahl der Beschäftigten, finanzielle Mittel, Auftragsvolumen und Zeitperspektive angeht, nur ganz fern am Horizont sichtbar sind, müssen wie große Unternehmen arbeiten. Schließlich haben sie deren Funktionen wahrzunehmen. Das versteht sich für alle Beteiligten nahezu von selbst.

Aus der Sicht eines Arbeitsamtes mag zum Beispiel eine große Sanierungsgesellschaft so etwas wie eine Übungsfirma sein. Gerade darum wird dort jeder einsehen, daß es auch in einer Übungsfirma ähnlich zugehen muß wie in der Wirklichkeit, und mit Genugtuung beobachten, wie die Grenzen allmählich verschwimmen. Wer in einer Beschäftigungsgesellschaft harte, ernste, gesellschaftlich notwendige Arbeit tut, vergißt gern und zu Recht, daß nicht ein ominöser Markt ihm die Aufgaben stellt, sondern der Staat (oder eine ähnliche Institution), der das schon früher stets tat. Wer in einer Beschäftigungsgesellschaft Führungsaufgaben wahrnimmt, wird sich möglichst, was die Unternehmensziele angeht, dem anpassen, was ein künftiger Arbeitgeber von ihm erwartet. Die Auftraggeber, meistens Kommunen oder andere öffentliche Stellen, sind selbstverständlich mit Vorrang daran interessiert, daß die Aufträge ordentlich, pünktlich und sachgerecht erledigt werden. Die am Ort schwache und im gesamtgesellschaftlichen Rahmen investitionsunlustige Wirtschaft betrachtet die Entwicklung mit Wohlgefallen. Sie läßt Professionalisierung und Effektivierung der Gesellschaften gern geschehen und wartet mit der großen ordnungspolitischen Mahnung bis zu dem Tag, wo die Gesellschaften anfangen, Profit abzuwerfen. Auch dieses Verhalten des Umfelds treibt eine Beschäftigungsgesellschaft dazu, sich auch auf dem Arbeitsmarkt möglichst genau wie eine private Firma zu verhalten. Ihre Möglichkeiten sind gut, ihre Grenzen fern.

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Ein Störfaktor ist dabei vielleicht der einzelne Arbeitsamtsmitarbeiter, der die "professionellen" Anforderungen der ABM-Träger nicht immer erfüllen kann und will, weil es ihm doch zunächst darum geht, gerade die "schwierigen" Kandidaten aus seiner Kartei gut unterzubringen, und nicht die, die von allen gern genommen werden. Einziger mächtiger Antagonist ist der Finanzier der Beschäftigungsgesellschaften: die Bundesanstalt für Arbeit. Aber auch sie braucht sich um ihre Einkünfte nicht selber zu sorgen und scheut den Vorwurf, sie sei bei der von der Sache gebotenen Entwicklung zur Professionalisierung ein bürokratischer Bremser. So wird sie der Entwicklung der Beschäftigungsgesellschaften nicht im Wege stehen. In der Regierungskoalition liegen die Interessen anders. Aus Gründen der Haushaltskonsolidierung ist man zwar selber nicht bereit, die Entwicklung der Beschäftigungsgesellschaften zu konzernförmigen Einheiten zu finanzieren, aber einverstanden, wenn die Bundesanstalt für Arbeit diesen Part übernimmt. Es sind nicht sozialpolitische Bedenken, die von dieser Seite kommen. Unbestritten ist bei der Bundesregierung, daß die Arbeitslosen im Osten irgendwie und nicht zu schlecht alimentiert werden müssen. Auf längere Sicht dürfte der Koalition als Träger dieser Finanzierung eine gesetzliche Sozialversicherung lieber sein als jeder andere mögliche.

Dennoch gibt es Opfer der Entwicklung: die benachteiligten Gruppen auf dem Arbeitsmarkt. Die stillschweigende Auflösung des Widerspruchs zwischen Personen- und Wirtschaftsförderung zu einer Seite könnte auf lange Sicht Folgen für das soziale Klima in ganz Deutschland haben. Die DDR-Parole von der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" gewinnt auf fatale Weise Aktualität: Es sind gerade die sozialpolitischen, die kompensatorischen Instrumente, die selber die Auslese vornehmen, deren Folgen sie ja beseitigen sollen. Denn wie ein Unternehmen zu arbeiten heißt rationalisieren, Personal abbauen, Alte durch Junge ersetzen, eine rationale Gehaltsstruktur schaffen, Incentives einsetzen - und vor allem für dauerhaften Bestand der Firma sorgen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 2001

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