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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausgabe: 38 / Fortsetzung] 4. Ansätze für abgestimmte Lösungsansätze - Stadtentwicklungsgutachten und Stadtentwicklungsprogramme 4.1. Genereller Handlungsrahmen In den anhaltenden wirtschaftsstrukturellen Veränderungen in den neuen Bundesländern markiert die in Westdeutschland schon seit langem erkennbare Tendenz der Verlagerung der Wirtschaftstätigkeiten vom sekundären auf den tertiären Sektor eine aktuelle Entwicklungsrichtung. Im Bereich der Neuansiedlung von Betrieben zeigt sich, daß große Ansiedlungen selten, mittlere und kleine dagegen häufig auftreten. Auch unter Berücksichtigung von Konkursen verbleibt dabei ein bemerkenswertes [Seite der Druckausgabe: 39] Saldo an Firmengründungen. Diese reichen vom Handwerksbetrieb über Logistikunternehmen bis hin zum Soft-Ware-Haus. Wesentlich für diese sehr spezialisierten Firmen ist das Angewiesensein auf Synergie- und Agglomerationsvorteile, d.h. sie benötigen ein entsprechendes Umfeld vor- und nachgelagerter Firmen, weil sie ganz bestimmte Teile in der Produktion und Vermarktung eines Produktes übernommen haben. Sie sind dabei vor allem auf die Fühlungnahme mit bestimmten, in gewisser Weise "ergänzenden" Diensten und Leistungen angewiesen: auf Handwerksbetriebe und Gewerbe, auf Ingenieurbüros oder Fachanwälte, auf Marketingspezialisten oder Technologieberater. Dies alles ist aber am besten zugänglich und gebündelt nur an jenen Orten zu finden, die sich in die abgestufte und hierarchische Zentenstruktur der Städte und Gemeinden einpassen. Diese Verflechtungsvorteile lassen sich nicht nur an der Breite des Spektrums der jeweiligen Dienste und Leistungen ablesen, sondern finden ihren Ausdruck auch in den dafür notwendigen Organisationsformen sowie den baulichen und sonstigen infrastrukturellen Voraussetzungen. Dies wird besonders deutlich am Beispiel der Gründerzentren, der Handwerks- und Gewerbehöfe, der Industrie- und Technologieparks, der Logistikzentren und der Büro- und Gewerbeparks. Zwei konstitutive Merkmale all dieser Projekte sind:
Eine weitere Tendenz, mit der sich die Städte in ihrem Bemühen um eine erfolgreiche Stadt- und Wirtschaftsentwicklung konfrontiert sehen, ist die teilweise erkennbare Bedeutungsüberlagerung der sog. "harten" durch "weiche" Standortfaktoren. Einiges deutet darauf hin, daß der bereits heute äußerst scharf geführte Wettbewerb zwischen den Städten und Gemeinden um die Ansiedlung von Betrieben und Unternehmen, Verwaltungen, freie Berufe etc. und die damit einhergehenden Steuereinnahmen vermehrt über die "weichen" Standortfaktoren entschieden wird. Er findet zudem nicht nur auf der regionalen sondern auch auf nationaler Ebene, für einige Großstädte sogar europa- oder weltweit statt. Er kann sicher nur erfolgreich bestanden werden, wenn zum einen eine klare Vorstellung von den heutigen Standortanforderungen der Firmen, Verwaltungen und sonstigen Organisationen entwickelt wird, zum anderen, wenn Klarheit besteht über die Leistungsmöglichkeiten der eigenen Stadt. [Seite der Druckausgabe: 40] Hier bieten sich vielfältige Ansatzpunkte für die Kommunen. Sie liegen im Bereich der Energieversorgung und der Verkehrsinfrastruktur, des Handels, der Unterhaltung und Kultur, attraktiver Erholungsgebiete und einer intakten Landschaft. Orientiert an den Anforderungen der Wirtschaft und der Bevölkerung gilt es, das vorhandene Entwicklungspotential der Stadt zu identifizieren und entsprechend zur Entfaltung zu bringen. Hierauf sind auch die städtischen und staatlichen Investitionen abzustimmen. Sie können Anschubwirkung haben für eine Verbesserung der Position der Stadt im Wettbewerb um Ansiedlungen, aber auch um neue Bewohner und um Besucher, mit der Perspektive eines zirkulären, sich wechselseitig aufschaukelnden Entwicklungsprozesses. Allerdings: Heutige Entscheidungen über Standorte, Verkehrstrassen oder Flächennutzungen können das angesprochene Entwicklungspotential beeinträchtigen oder gar zerstören. Deshalb ist es eine der dringlichsten Aufgaben, das jeweils vorhandene Entwicklungspotential erst einmal zu ermitteln und zu bestimmen.
4.2. Stadtentwicklungsgutachten Brandenburg - ein Modell für andere Städte in den neuen Bundesländern?
Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat schon zu einem frühen Zeitpunkt Verbindung mit der Stadt Brandenburg aufgenommen. Es stellte sich die Frage, ob mit Hilfe eines Wissenstransfers ein Beitrag zur Überwindung der vorhandenen Krisenerscheinung geleistet werden könnte. Erste Gutachten über Maßnahmen der Wirtschaftsförderung, über die Situation des Handels und eine städtebauliche Verträglichkeitsstudie lagen bereits vor. Vorbehalte bestanden gegenüber einer bloßen Bestandsaufnahme vorhandener Daten, aber auch gegenüber Prognoseversuchen hinsichtlich der Entwicklung der Wirtschaft bzw. einzelner Branchen. Entsprechende Aussagen erschienen aufgrund des brachialen Strukturwandels nicht möglich. So fiel die Entscheidung für ein nicht-numerisches, eher ganzheitlich-intuitives Verfahren. Vereinbart wurde, mit einem Stadtentwicklungsgutachten herauszuarbeiten, wo das Entwicklungspotential der Stadt liegt und in welcher Richtung sich besondere Entwicklungschancen auftun. Nach den bisherigen Arbeiten deuten sich folgende Ergebnisse an:
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Die Stadt sollte sich dabei weniger als Hotelbasis sondern eher als zentraler Ort für den Fremdenverkehr verstehen: als Zentrum für Boots- und Schiffahrten, als Standort eines attraktiven Hallen- und Freizeitbades, als Schwerpunkt für Hotels einer gewissen Größenordnung und Ausstattung usf.. Die Frage der Verfügbarkeit geeigneter Grundstücke wird vielerorts als entscheidendes Investitions- und Entwicklungshemmnis gesehen. Es sind sicher aber noch nicht alle Möglichkeiten ausgereizt, denkt man etwa an die nicht mehr benötigten bzw. aufgegebenen Industrie- und Gewerbegrundstücke sowie die verlassenen oder künftig nicht mehr erforderlichen militärischen Areale. Sie finden sich auch in Brandenburg, etwa entlang der B1 bzw. an der früheren F1 unweit des Stadtzentrums. Hier liegen die Standorte mit den von der Wirtschaft gewünschten Koppelungs-, Synergie- und Agglomerationsvorteilen. Und hier sind am Rande der Seen und im Kontakt zur freien Landschaft auch die Anforderungen an einen in naturräumlicher Hinsicht attraktiven Standort erfüllt. Ohne Zweifel ist hier das künftige Standort- und Entwicklungspotential für innerstädtische Einkaufszentren, den Fremdenverkehr, für Gründerzentren, für Handwerks- und Gewerbehöfe, für Technologie- und Gewerbeparks etc. zu verorten. Ansprechpartner hierfür sind vor allem das Bundesfinanzministerium, das Bundesvermögensamt aber auch die Treuhandanstalt. Hier gilt es möglichst günstige Erwerbsbedingungen für die Kommune auszuhandeln. Die Treuhandanstalt ist hier zunächst nicht anders zu sehen als andere Bundeseinrichtungen und wie andere Eigentümer auch. Die Kommunen sollten hier auf ihre Planungshoheit pochen, dazu gehört allerdings ein gewisses Selbstbewußtsein. [Seite der Druckausgabe: 42] - Die Ermittlung des jeweiligen Entwicklungspotentials ist eine Aufgabe der Stadtentwicklungsplanung. Dabei handelt es sich um eine interdisziplinäre und ressortübergreifende Arbeit, die sich in horizontaler Verknüpfung der verschiedenen Ämter und in Kooperation zwischen Politik und Verwaltung vollzieht. Zumindest in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern sind hierfür entsprechende Organisationsstrukturen zu schaffen, sei es als eigenes Dezernat oder als Stabsstelle beim Oberbürgermeister. Damit auch andere Städte von der von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Brandenburg geleisteten Arbeit profitieren können, soll ihnen das Gutachten zugänglich gemacht werden. Es könnte auch in generalisierter und zugleich komprimierter Form als verallgemeinerter Leitfaden zur Verfügung gestellt werden. Tatsächlich artikuliert sich der Beratungsbedarf der Kommunen in Hinblick auf die Bewältigung ihrer neuen Aufgaben inzwischen sehr lautstark. Gerade im Umgang mit Bundeseinrichtungen, der Treuhand, mit Länderministerien oder Groß-Investoren sehen sich die Kommunen häufig einem Kampf wie "David gegen Goliath" ausgesetzt. Der Bauausschuß des Deutschen Städtetages hat sich in dem Zusammenhang bereit erklärt, sich bei eklatanten Fällen vermittelnd einzuschalten im Sinne einer "Hilfe gegenüber dem Staat" zugunsten der kommunalen Selbstverwaltung. Der Städtetag wie auch die Veranstaltungen der Friedrich-Ebert-Stiftung - und hier ist insbesondere auf die regionalen Büros der Stiftung zu verweisen - könnten Plattformen sein, um die legitimen Anliegen der Kommunen besser zur Sprache zu bringen. Dabei sollte auch den besonderen Bedingungen und Erfahrungen der Menschen in den neuen Bundesländern Rechnung getragen werden. So gehört zu den Errungenschaften des gesellschaftlichen Umbruchs sicher die Institution der "runden Tische". Solche Beteiligungsformen, aber auch mehr Veranstaltungen mit Werkstatt- und Diskussionscharakter sollten verstärkt beim Erfahrungsaustausch genutzt werden, damit dieser nicht nur einbahnstraßenartig in West-Ost-Richtung angelegt bleibt, sondern Schnittstellen geschaffen werden für die wechselseitige Verknüpfung bislang abgeschotteter Erfahrungswelten. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000 |