FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausgabe: 33]


5. Die Rolle der Treuhand in der Beschäftigungspolitik

Die Entscheidungen der Treuhandanstalt stellen einen entscheidenden Faktor für die Industrie- und Strukturpolitik in den neuen Bundesländern dar. Zwar kommen die Begriffe Arbeitsmarkt und sozialpolitische Flankierung in der Aufgabenbeschreibung der Treuhand nicht vor, so die Ausführungen eines Vertreters der Treuhandanstalt, jedoch seien schon frühzeitig Schritte zu einer arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Hilfestellung in die Wege geleitet worden.

Zur Ausführung dieser Aktivitäten wurde Mitte des letzten Jahres das Direktorat Arbeitsmarkt und Soziales gegründet. Aufgabe dieser Abteilung ist die arbeitsmarkt- und sozialpolitische Unterstützung, nachdem die Entscheidungen der Unternehmensbereiche der Treuhand über einzelne Firmenkonzepte gefallen sind.

Einen Schwerpunkt der arbeitsmarktpolitischen Initiativen stellt die Unterstützung im Bereich von AB- und Qualifizierungsmaßnahmen dar, die durch das Arbeitsförderungsgesetz und eventuelle Länderprogramme nicht abgedeckt werden können. So werden den Trägern von beruflicher Weiterbildung geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt, sowohl in Form von langjähriger Miete als auch in Form des Kaufs zu günstigen Konditionen (z.B. Stundung des Kaufpreises). Träger von beruflicher Erstausbildung können Räumlichkeiten und Mobiliar unentgeltlich bis zu einer Dauer von 20 Jahren in Anspruch nehmen. Voraussetzung ist allerdings, daß diese Leistungen nicht mit dem Privatisierungsauftrag der Treuhand kollidieren.

Im Fall von Schwierigkeiten in der Sachkostenfinanzierung, die sich durch die geplante Finanzkürzung von AB-Maßnahmen abzeichnen, übernimmt die Treuhand für Grund und Boden in ihrem Besitz weiterhin Bürgschaften, die Voraussetzungen für Darlehen durch die Bundesanstalt für Arbeit sind. Vor Einführung des Programms "Aufschwung-Ost", das auch Sachkostenzuschüsse gewährt, erfolgte die Finanzierung von Sachkosten fast ausschließlich durch Darlehen der Bundesanstalt für Arbeit. In diesem Zusammenhang wies der Vertreter der Treuhand auch auf einen bestehenden, wenn auch noch nicht praktizierten Beschluß hin, daß Grund und Boden der Treuhandanstalt kostenlos an Kommunen übertragen werden kann für gezielte industriepolitische Aktivitäten.

Der Abbau von Ausbildungspersonal und -kapazität in den Betrieben gefährdet oft die Weiterführung der beruflichen Ausbildung. Für die Treuhandunternehmen wird sichergestellt, daß die Auszubildenden auf Kosten der Unternehmen, unabhängig von Ort und Träger, die Ausbildung ordnungsgemäß abschließen können.

[Seite der Druckausgabe: 34]

Grundsätzlich werden Beschäftigungsgesellschaften von der Treuhandanstalt als notwendige Institutionen eingeschätzt. Eine Beteiligung als Gesellschafter von Arbeits- und Beschäftigungsgesellschaften ist nach der im Juli 1991 getroffenen Rahmenvereinbarung nicht vorgesehen. Eine Beteiligung an den Sachkosten und an der Finanzierung von Geschäftsführern wird jedoch als erfolgreichere Strategie betrachtet. Weiterhin unterstützt die Treuhand die Beschäftigungsgesellschaften durch

  • Ausbildungsprogramme für das Management von Arbeits- und Beschäftigungsgesellschaften

  • Finanzierung von Beratern

  • Überlassung von Räumlichkeiten

Zur Sicherstellung der finanziellen Überlebensfähigkeit von Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften ist es auch aus Sicht der Treuhand unabdingbar, daß Möglichkeiten zur Refinanzierung gegeben sein müssen. Dies kann dadurch erfolgen, daß sie verstärkt selbst als Träger von Qualifizierungsmaßnahmen auftreten, anstatt häufig westliche Bildungsträger heranzuziehen. In diesem Fall übernimmt die Treuhand die Vorfinanzierung, wenn Verzögerungen in der Finanzierung durch die BfA eintreten.

In der Diskussion wurde von einem ehemaligen Arbeitsminister auf den Auftrag der Treuhand hingewiesen, wie er in der Präambel des Treuhandgesetzes formuliert wurde: Schaffung von Wettbewerbsstrukturen und damit Erhaltung von Arbeitsplätzen bzw. Schaffung neuer Arbeitsplätze. Dies sei ein deutlicher arbeitsmarktpolitischer Auftrag. In diesem Zusammenhang wurden die Vorgaben der Treuhandanstalt zur Sanierung von Betrieben kritisiert, welche die Unternehmen auf den Erhalt von vorhandenen Kapazitäten festlegen und keine Möglichkeit zur Entwicklung neuer Zweige zulassen.

Kritisch diskutiert wurde die Vorgehensweise der Treuhand in der Frage der Folgen der Privatisierung von Betrieben. Die Zurückhaltung bei der Beteiligung an Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften stelle ein Ausweichen vor den Folgen des Arbeitsplatzabbaus und vor der Etablierung konkreter Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit dar. Die mangelnde Flexibilität und Schnelligkeit bei der Bildung von Beschäftigungsgesellschaften könnte dazu führen, daß in Anbetracht der Menge von abzubauenden Arbeitsplätzen in den Unternehmen die Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften nicht genug Vorlauf hätten, um entsprechende organisatorische und konzeptionelle Vorbereitungen zu treffen.

[Seite der Druckausgabe: 35]

Die Politik der Treuhand wurde auch von dem Vertreter der Hansestadt Rostock kritisch beleuchtet. Bei 44 000 noch im Jahre 1991 im Bereich der Großindustrie zu entlassenden Arbeitskräften in Rostock ist die Verfügung der Treuhand über Flächen, Anlagen und Gebäude ohne Übernahme eines Strukturauftrags ein volkswirtschaftlich kostspieliges Vorgehen. Für die Kommune ist es unmöglich, 44 000 Arbeitskräfte auf neuen Flächen unterzubringen. Abgabe der Flächen an die Kommune oder gemeinsame Aktionen von Land und Kommune zur schnelleren Entscheidungsfindung oder auch der Aufbau einer für Strukturfragen zuständigen Abteilung in der Treuhandanstalt ist für den Vertreter der Hansestadt Rostock eine Grundvoraussetzung zur Bewältigung der strukturellen Probleme. Grundsätzlich ist er der Ansicht, daß die Einbeziehung der Treuhandanstalt in die Strukturpolitik besser durch die Anbindung an das Wirtschaftsministerium gewährleistet sei. Die Größe der Aufgaben in den neuen Bundesländern erlaube es einfach nicht, nur den Aspekt der Privatisierung zu verfolgen.

Obwohl die Treuhand neben der Privatisierung auch die Sanierung von Unternehmen unterstützen will, ist nach seiner Ansicht das Instrumentarium unzureichend und muß durch Fördermöglichkeiten auf Landes- und kommunaler Ebene ergänzt werden. Als Beispiel wurde die Situation der Firma ROKOMA, Hersteller von Konfitüren und Senf, angeführt. Obwohl die Firma Lieferant für alle großen Handelsketten in den alten Bundesländer ist, versagte die Treuhand bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Genehmigung für ein Kühlhaus. Aufgrund der durch die Kosten der Einmietung bedingten geringen Kühlkapazität kann das Rohmaterial nicht zum billigsten Preis nach der Jahresernte eingekauft werden, sondern muß vierteljährlich zu wesentlich höheren Preisen erstanden werden. Mit einem Materialkostenanteil von 80% an den Produkten ist das Unternehmen nicht konkurrenzfähig und die Abwicklung scheint bevorzustehen. Flexible finanzielle Förderungsmöglichkeiten zur Sanierung solcher überlebensfähiger Betriebe auf Landes- und kommunaler Ebene müssen ermöglicht werden, um bestehende Arbeitsplätze zu erhalten. Im Bundesland Thüringen wurde beispielsweise zu diesem Zweck eine Investmentgesellschaft eingerichtet.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 2000

Previous Page TOC Next Page