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TEILDOKUMENT:
6. Zusammenfassung und Ausblick: Standortsicherung durch Modernisierung und Umweltschutz Die Chemieindustrie in den neuen Ländern sieht sich der großen Herausforderung ausgesetzt. Unternehmen herauszubilden, die im Konkurrenzkampf auf den in- und ausländischen Märkten bestehen können. Dabei trägt die ostdeutsche Chemie schwer an den Erblasten ihrer realsozialistischen Vergangenheit. Weitgehend abgekoppelt von Modernisierungsimpulsen des internationalen Wettbewerbs, ohne ausreichende Devisen für den Import effizient einsetzbarer Rohstoffe und eingeengt von chronischer Knappheit der Investitionsmittel fiel die Chemieindustrie in der ehemaligen DDR immer weiter hinter internationalen Produktionsstandards zurück. Veraltete, energieintensive und umweltbelastende Produktionsanlagen, die ineffiziente Nutzung einheimischer Braunkohle als Rohstoffbasis sowie ein, gemessen an der Produktivität, zu hoher Personalbestand verursachen Kosten, denen keine vergleichbaren Einnahmen gegenüberstehen. Während in der staatlich reglementierten Planwirtschaft Abnahmegarantien im Inland sowie in den "sozialistischen Bruderländern" und Subventionen für Westexporte den Absatz der hergestellten Produkte erleichterten, müssen die Unternehmen nunmehr versuchen, sich in Qualität und Preis gegen starke in- und ausländische Konkurrenten zu behaupten. Da ein großer Teil der bisher produzierten Waren nicht den Qualitätsansprüchen auf den westlichen Märkten genügt und zudem aufgrund der veralteten Produktionsbasis und des zu hohen Personalbestands zu teuer angeboten werden müssen, ist der Absatz vieler Unternehmen der ostdeutschen Chemieindustrie stark rückläufig. Hinzu kommen eine international zu beobachtende Abschwächung der Nachfrage nach Chemieprodukten, vor allem im Grundstoffbereich, sowie der Zusammenbruch bisher bedeutsamer Exportmärkte in den ost- und mitteleuropäischen Ländern. Das Management der ehemaligen Staatsbetriebe ist zur Bewältigung dieser Herausforderungen ungenügend gerüstet: Weil der Außenhandel vornehmlich über staatliche Behörden abgewickelt wurde und Marketing in der nach Planvorgaben produzierenden und verkaufenden Industrie kaum notwendig war, fehlen dem heutigen Management Marktkenntnisse sowie Erfahrungen mit den internationalen Wettbewerbsbeziehungen. Und nicht zuletzt hat die fehlende Marktanpassung dazu geführt, daß, gemessen am internationalen Standard, die Produktenpalette zu grundstofflastig ist, mit geringem Innovationspotential und großer Konjunkturanfälligkeit. Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, hat die Chemieindustrie der neuen Ländern daher unter anderem folgende Aufgaben zu lösen:
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Aus eigener Kraft wird die Chemieindustrie dazu allerdings nicht in der Lage sein, denn weder verfügt sie über genügend Investitionsmittel noch über ausreichend Know-how zur Modernisierung ihrer Produktionsstätten und zur Eroberung neuer Märkte. Da auch die finanziellen staatlichen Unterstützungsleistungen begrenzt sein müssen, der Staat keine unternehmerische Kompetenz zur Verfügung stellen kann und zudem die Gefahr besteht, daß ein allzu langer Verbleib der Unternehmen unter der Obhut der Treuhandanstalt überkommene und damit letztlich nicht haltbare Produktionsstrukturen konserviert, ist die rasche Privatisierung der Chemieunternehmen durch die Treuhandanstalt erforderlich. Am Beispiel der Großchemie in Sachsen-Anhalt zeigt sich, daß dabei eine Gratwanderung zwischen betriebswirtschaftlicher Rentabilität und volkswirtschaftlich wünschenswerten Zielsetzungen stattfinden muß. Während auf der einen Seite die Großunternehmen in Leuna, Buna, Bitterfeld und Wolfen betriebswirtschaftlich betrachtet nicht als überlebensfähig angesehen werden, sprechen volkswirtschaftliche Überlegungen für den Erhalt der Standorte: Ein Verlust der Chemiestandorte würde nicht nur die Arbeitslosigkeit in den betroffenen Regionen hochschnellen lassen, sondern den wirtschaftlichen Aufschwung auf Dauer bremsen, sei es, weil Fachpersonal und leistungsfähige Arbeitskräfte abwandern, Klein- und Mittelbetriebe ihre Zulieferrolle einbüßen, die sinkende Kaufkraft in der Region den Handel beeinträchtigt oder sei es, weil ohne die Großindustrie die Realisierung der geplanten Industrieparks gefährdet wäre. Zudem würden Standortvorteile wie die Nähe zu den Märkten im Osten und die hohe Akzeptanz der Bevölkerung für die Chemieindustrie aufgegeben. Und nicht zuletzt: Gerade die Erfahrungen bei der Sanierung der Altlasten, die notwendige Umstellung von Produktionsstätten und die jahrzehntelang geübte Wiederverwertung von Altstoffen bieten die Chance, innovative Unternehmen zu formen, die hochwer- [Seite der Druckausgabe: 42] tige Produkte möglichst umweltschonend, rohstoffsparend und unter Berücksichtigung von Entsorgungs- und Wiederverwendungsmöglichkeiten anbieten. Während es auf der einen Seite daher notwendig ist, die Chemieunternehmen möglichst rasch zu privatisieren und zu sanieren, um den Staat von seiner auf Dauer nicht finanzierbaren Verantwortlichkeit für die Chemieindustrie zu entlasten, müssen andererseits staatliche Unterstützungen dafür sorgen, daß den leistungsfähigen und leistungswilligen Menschen in den Krisenregionen der neuen Bundesländer berufliche Perspektiven geboten werden. Die Einrichtung von Qualifizierungs- und Beschäftigungsgesellschaften für die Vermittlung neuer Qualifikationen gehört ebenso dazu wie die Schaffung von Wettbewerbsgerechtigkeit für die unter der Bürde ihrer realsozialistischen Vergangenheit leidenden Unternehmen. Ohne Anschubfinanzierung werden die Betriebe nicht in der Lage sein, dringende Modernisierungen vorzunehmen und die zum Teil bereits vorhandenen Produktideen in gewinnträchtige Betriebszweige umzusetzen. Gewiß droht die Gefahr, daß eine allzu lange staatliche Unterstützung überalterte Strukturen so lange konserviert, bis die Betriebe unter dem Druck des Marktes doch aufgegeben werden müssen, mit möglicherweise größeren Kosten und schwerwiegenderen sozialen Folgen als nach einer raschen Auflösung der nicht zügig zu privatisierenden Unternehmen. Aber welche Zeiträume sind akzeptabel, um den Betrieben eine realistische Chance zu geben? Die Antwort darauf läßt sich nicht "errechnen". Kostenschätzungen für die Sanierung der Altlasten, für die Abgleichung der Altschulden, der auflaufenden Verluste sowie für die dringend nötigen Investitionen mögen bei dieser Entscheidung als Orientierung dienen ebenso wie die Schätzung der Opportunitätskosten von Stillegungen. Doch abgesehen davon, daß auch solche Daten nicht objektiv sind, sondern auf Annahmen zum Beispiel über die Chancen einer Modernisierungsinvestition und über die Dauer der Arbeitslosigkeit ehemaliger Beschäftigter beruhen: Letztlich ist politisch darüber zu entscheiden, welche Kosten für wie lange als akzeptabel gelten, um die dringende Umwandlung überalterter und personell überbesetzter Betriebe zu dynamischen und effizient arbeitenden Unternehmen so sozial verträglich wie möglich zu gestalten. Dieser Umbau fordert politische Kreativität, Ideenreichtum und Mut zum Risiko. Am wenigsten dürfte der Rückgriff auf wirtschaftsideologische Betonfundamente dabei helfen, der jede Stillegung als unsozial und jede staatliche Unterstützung als Maßnahme zur Konservierung veralteter Produktionsstrukturen geißelt. Wenn der Staat sich länger als erhofft zur Stützung der Chemieindustrie engagieren muß, [Seite der Druckausgabe: 43] dann liegt darin nicht schon ein Verstoß gegen die Marktwirtschaft. Niemand will heute die Chemieindustrie im staatlichen Dauerbesitz halten. Vielmehr geht es darum, ihr einen zeitweiligen Schutz zu gewähren, um ihr die Chance für eine erfolgreiche Teilnahme am Wettbewerb zu geben. Wenn dafür eine Zeitlang staatliche Mittel notwendig sind, dann ist daran zu erinnern, daß der wirtschaftspolitische Grundkonsens in der Bundesrepublik nicht nur und wohl auch nicht in erster Linie auf der bloßen Effizienz der Marktwirtschaft beruht, sondern auch auf dem immer wieder neu zu erbringenden Beweis, daß diese Wirtschaftsform ihrem anspruchsvollen Attribut "sozial" auch gerecht zu werden vermag. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999 |