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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.: 33] 5. Wirtschaftspolitische Schlußfolgerungen für Mecklenburg-Vorpommern 1. Die Hauptsorge der Menschen ist die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz und in den Familien die Sorge um den Ausbildungsplatz für die Söhne und Töchter, die jetzt und demnächst die Schulen verlassen und eine Lehrstelle suchen. Es gibt schmerzhafte ökonomische Prozesse und notwendige Schritte, die in der nächsten Zeit in Mecklenburg-Vorpommern ablaufen müssen. Es wäre falsch, gegen Strukturwandel anzusubventionieren, aber es muß sozialverträgliche Lösungen im Interesse der betroffenen Menschen geben, d.h.
Das A und O künftiger Wirtschaftspolitik und ihr Prüfstein wird sein, wie schnell es gelingt, neue, zukunftsgerichtete Arbeitsplätze in Mecklenburg-Vorpommern aufzubauen. 2. Man kann jede D-Mark einmal als Arbeitslosenunterstützung ausgeben, um damit "Arbeitslosigkeit zu finanzieren", oder man kann dieselbe D-Mark nehmen, um damit Investitionen anzureizen und neue Arbeit zu schaffen. Eine offensive Wirtschaftsförderungspolitik ist dabei das beste Instrument: die Unterstützung von Investitionen am Ort durch Finanzleistungen, durch Infrastrukturhilfen und durch gute Rahmenbedingungen. Wirtschaftsförderung heißt aber auch, den Wirtschaftsstandort und Wirtschaftsraum Mecklenburg-Vorpommern bekanntzumachen, potentielle Investoren zu finden und in geeigneter Form anzusprechen. Das ist eine staatliche, aber auch eine kommunale Aufgabe. 3. Standort ist kein kleiner enger Bereich. Die Frage, ob eine Bevölkerung gut ausgebildet und fleißig ist, zählt ebenso dazu wie die, ob sie streitbereit ist oder ob es ein kulturelles Umfeld gibt. Wer hier investieren will, der schaut sich vorher an, ob seine Beschäftigten, und zu denen zählen ja auch Manager mit gehobenen Ansprüchen, hier werden wohnen wollen. In Düsseldorf gibt es 6.000 Japaner. Die hat NRW im Wettbewerb mit Belgien und Holland dorthin geholt. Mecklenburg-Vorpommern wird sich als Standort in ähnlicher Weise gegen Schleswig-Holstein und Niedersachsen durchsetzen müssen. Die Frage: [Seite der Druckausg.: 34] Was sind Standortvorteile und wie lassen sie sich ausbauen? wird das Land Mecklenburg-Vorpommern auf Jahre beschäftigen. 4. Die sozialen Probleme werden sich nicht von selber lösen. Die dirigistischen Reglementierungen des alten SED-Staates haben versagt, und die Menschen sind ihrer überdrüssig. Der Staat in einer Demokratie hat jedoch Verantwortung für die sozial Schwachen und für die Zukunft der jungen Menschen; er hat Rahmenbedingungen zu setzen, die Investitionen und damit Arbeitsplätze ins Land bringen. Der Frühkapitalismus mit der Devise "freie Bahn dem Stärkeren" bringt nicht die Lösung, sondern nur die soziale Marktwirtschaft mit der Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums und dem Schutz vor dem Mißbrauch der wirtschaftlichen Macht. 5. Auf- und Ausbau der Wirtschaft stoßen da an ihre Grenzen, wo die Umwelt zerstört wird. Vierzig Jahre SED-Regime haben sich als ein System organisierter Verantwortungslosigkeit gegenüber der Umwelt erwiesen. Es besteht nicht nur die Verantwortung, bei allem wirtschaftlichen Aufbau die Umwelt stets im Auge zu behalten, sondern sie muß in Ordnung gebracht werden, wo sie beschädigt worden ist. 6. Demokratisch aufgebaute, von der Arbeitnehmerschaft legitimierte Gewerkschaften, die die Interessen der Beschäftigten wirksam vertreten und sich nicht als Transmissionsriemen der Obrigkeit verstehen, sind natürliche Partner der politischen Arbeit. 7. In den weiten Landstrichen Mecklenburg-Vorpommerns besteht zur Zeit die Gefahr, daß der ganze Sektor der zwischenbetrieblichen Organisationen, der z.B. den LPGen zugeordnet war, wegbricht. Hier kommt es darauf an, schnell den Mittelstand entstehen zu lassen, den die SED jahrzehntelang künstlich behindert und stranguliert hat. 8. In den Küstenregionen findet sich eine monostrukturelle Wirtschaft. Die Strukturanpassungen der Schiffsbauindustrie, wie sie im Westen stattgefunden haben, sind hier aufgrund eines verordneten, falschen Autarkie-Denkens unterblieben. Gebraucht werden neue Produktlinien, neue Technologie, um den Menschen an der Küste die Zukunft zu sichern. [Seite der Druckausg.: 35] 9. Der SED-Staat hat Militärschwerpunkte geschaffen, die ganze Regionen in Vorpommern von der Armee abhängig machen. Es wird ein "Sonderprogramm Militärstandorte" gebraucht, um die Menschen dieser Regionen diese Last nicht allein tragen zu lassen. Für bisherige Rüstungsbetriebe müssen im Wege der Konversion friedliche Nutzungen gefunden werden. Diesen Prozeß der Umwandlung zu organisieren, wird für das Land Mecklenburg-Vorpommern eine der größten programmatischen Herausforderungen sein. Ein Teil der Mittel, die durch die Beschränkung der Streitkräfte und der Rüstung freiwerden, muß eingesetzt werden, um gezielt den Menschen, Betrieben, Einheiten und Kommunen zu helfen, die der gewünschte und gewollte Abrüstungsprozeß negativ betrifft. 10. Zu den Schwierigkeiten der Treuhand: Auch hier hat die Regierung Modrow ein böses personelles Erbe hinterlassen. Es wird eine intensive Kontrolle geben müssen, allein um aufzuarbeiten, was da in den letzten Monaten hin- und hergeflossen ist. Es wird effektive Einflußmöglichkeiten auf die Treuhand für die künftige Regierung Mecklenburg-Vorpommern und der anderen Länder der DDR geben müssen, um die wirtschaftlichen Interessen der Belegschaften und die rasche wirtschaftliche Entwicklung des Raumes sicherstellen zu können. 11. Die endgültige Klärung der Eigentumsfrage wird, so ist zu befürchten, noch eine Weile dauern. Es gibt klare Eintragungen in den Liegenschaftsbüchern ohne Bewegungen aus jüngerer Zeit, da kann man anfangen. Es gibt andere Gebiete mit Gemengelage und wieder andere, die völlig unsicher sind. Man muß entweder danach gehen, wo man sicher ist, oder wo das rechtliche Instrumentarium, etwa beim Bau von Bundesstraßen oder Eisenbahnstrecken, erlaubt, sich über Unsicherheiten hinwegzusetzen. Wenn es um die Beleihungsfähigkeit geht, gibt es daneben das Instrument der öffentlichen Bürgschaften. Anfangen muß man bei der Ordnung der Liegenschaftsbücher und bei den Feststellungen. Notfalls müssen sachkundige Beamte aus der Bundesrepublik dabei mithelfen. 12. Unter den Bedingungen des Grundgesetzes gilt für die Verwaltung der Grundsatz von Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes. Wenn es eine gesetzliche Grundlage gibt, darf die Verwaltung nicht handeln; da sind die Regeln sehr streng. Entscheidungen können falsch sein. Das ist verzeihlich, wenn sie wohlüberlegt und mit einem vernünftigen Ziel getroffen worden sind. Unter dem [Seite der Druckausg.: 36] Recht der Bundesrepublik Deutschland und des Grundgesetzes sind Risikoentscheidungen in einzelnen Bereichen möglich; in anderen sind sie nicht nur entschädigungspflichtig, sondern werden später auch aufgehoben. Viel hängt davon ab, ob sich die Position durchsetzt: Entschädigung kommt vor Rückgabe - in diesem Fall ist es einfacher - oder die Position: Rückgabe vor Entschädigung - dann wird es in der Tat sehr schwierig. - Um so wichtiger wird die Frage, was zu tun ist, um die Rechte der Menschen zu wahren, die in der ehemaligen DDR leben und gelebt haben. Um so wichtiger wird es auch, die Fristen knapp zu fassen. An der raschen Klärung der Eigentumsverhältnisse hängt die Zukunft all jener, die für Veränderung auf die Straße gegangen sind; all jener, die auf diese Änderung hoffen und setzen. Bislang sind die Erwartungen nicht in Erfüllung gegangen. 13. Die deutsche Einheit hat in den bisherigen Ländern der Bundesrepublik einen Wachstumsschub verursacht, ein zusätzliches Wachstum um 1 bis 1,5 %. Das sind gewaltige Summen. Die daraus resultierenden Mittel ließen sich für Liquiditätshilfen verwenden. Die Gelder, die bei Einführung der Währungsunion mit LKWs in die DDR gebracht worden sind, hätten ebensogut in Westdeutschland bleiben können. Sie sind von der Bevölkerung der DDR gleich wieder in die Bundesrepublik getragen worden, um damit die Autos, die Fernseher und andere technische Produkte zu bezahlen. Den Rest haben die Banken in Form der Spareinlagen zurückgebracht, denn in der Bundesrepublik gibt es weit günstigere Anlagemöglichkeiten. 14. Liquidität läßt sich am schnellsten über die Kommunen in den Wirtschaftskreislauf bringen und zwar in Form öffentlicher Aufträge, die der Bank die notwendigen Sicherheiten geben. Gut geführte Kommunen haben Aufträge in der Schublade. In Mecklenburg-Vorpommern fehlt es im Moment noch an den öffentlichen Aufträgen. Die Urlaubszeit unmittelbar im Anschluß an die Währungsunion hat zu der Flaute noch beigetragen. Es gibt jedoch schon jetzt viele Existenzneugründungen. In einzelnen Teilbereichen ist der Aufschwung bereits erkennbar: Die Betriebe des Heizungsbaus und der Sanitärtechnik sind zum Teil schon bis Jahresende ausgelastet. Sobald die Kommunen anfangen, Bauaufträge zu vergeben, wird für alle anderen Gewerbe auch genug zu tun sein. 15. Mittelfristig sind Strukturprogramme notwendig. Solange die Infrastruktur nicht vorhanden ist, nützen auch hohe Investitionsanreize nicht. Ein zwischen [Seite der Druckausg.: 37] den Kommunen, dem Staat und den Unternehmen abgestimmtes Vorgehen ist notwendig, um die aktuelle Krise zu überwinden und die Struktur mittelfristig so zu verbessern, daß Investoren sich für eine Investition in Mecklenburg-Vorpommern entscheiden. Mecklenburg-Vorpommern hat ja jenseits der aktuellen Sorgen etwas zu bieten: mehr Flächen als andere und - solche Werte zählen durchaus auch in der Wirtschaft - es ist ein schönes Land; das ist ein sehr positiver Standortfaktor. 16. Die Akteure der Gewerbepolitik bei der Stadt, bei den Kommunen, in den Gewerbeaufsichtsämtern, der Liegenschaftsverwaltung und der Treuhand haben ihre Rolle noch nicht gefunden. In der gegenwärtigen Phase geht es darum, Begriffe und Konzepte ins Gespräch zu bringen. Im zweiten Schrillt ist die Zusammenarbeit der Ämter untereinander und in der Stadtverwaltung zu organisieren. Dafür ist eine intensive organisatorische Hilfe erforderlich. Wo in Kommunen Wirtschaftsbetriebe fortbestehen, ist es ebenfalls wichtig, nicht nur deren Rationalisierung zu betreiben, sondern sich zugleich um die Fortbildung in Marketing, Vertrieb, Werbung, Controlling, Rechnungswesen und Umweltschutz zu kümmern. Dabei geht es vor allem um die Ausbildung derjenigen, die später andere einzuweisen und auszubilden haben. 17. Instrumente des Landes sollten sein
18. Dingliche Aufgabe der Landesverwaltung ist,
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19. Erforderlich ist ein positives Fördergefälle der neuen gegenüber den alten Bundesländern; innerhalb des DDR-Territoriums: des Nordens gegenüber Berlin und dem Süden; im Lande Mecklenburg-Vorpommern selbst; des Ostens gegenüber dem Westen. Mecklenburg-Vorpommern braucht eine gerechte Finanzausstattung. Es darf keine Minderausstattung geben; im Gegenteil, überproportionale Finanzmittel sind erforderlich, um die gewaltigen Infrastrukturaufgaben, um den Nachholbedarf zu bewältigen. 20. Die Infrastruktur zu verbessern, wird die Hauptaufgabe dieses Jahrzehnts sein:
21. Daneben müssen im Vordergrund stehen:
22. Für die Wirtschaft Mecklenburg-Vorpommerns ist eine solide Basis von mittleren und kleineren Betrieben, bei starkem Zuwachs im Handwerk und bei den Dienstleistungen von besonderer Bedeutung:
[Seite der Druckausg.: 39] 23. Mecklenburg-Vorpommern liegt heute am Rande der EG. Die Europäische Einigung wird sich fortsetzen. Das vereinte Europa wird sich nach Norden und nach Osten ausdehnen. Damit bieten sich neue Chancen. Die "Neue Hanse" steht für wirtschaftlichen und kulturellen Austausch mit Skandinavien, Polen, dem Baltikum und Rußland. Damit wird Mecklenburg-Vorpommern aus seiner Randlage ins Zentrum rücken. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 2001 |