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Rechtliche Aspekte der deutschen Wiedervereinigung / [Jutta Limbach. - Electronic ed. - Seoul], 1999. - 49 S. = 27 Kb, Text. - ISBN 89-87509-54-0 Electronic ed.: Bonn: FES Library, 1999. Orig. print ed. contains German and Corean text. - Online ed. only contains German text. © Friedrich-Ebert-Stiftung Rechtliche Aspekte der deutschen Wiedervereinigung
Prof. Dr. Jutta Limbach
- Inhalt - I. Reprivatisierung in Ostdeutschland
IV. Unvorbereitet vor neuen Aufgaben?
I. Reprivatisierung in Ostdeutschland
Die Privatrechtsordnungen der beiden deutschen Staaten waren grundlegend verschieden. In der DDR stand das sozialistische Eigentum (vor allem in Form des Volkseigentums) im Mittelpunkt, Privateigentum hatte nur eine untergeordnete Bedeutung. Neben das Volleigentum am Grund und Boden trat nach dem DDR-ZGB das dingliche Nutzungsrecht für Bürger durch staatliche Verleihung oder Zuweisung. Hinzu kam eine - wie sich erst später zeigte - teilweise erhebliche Differenz zwischen Rechtslage und Rechtswirklichkeit. Es gab z.B. eine Vielzahl von nur faktischen Nutzungsverhältnissen.
Im Zuge der Wiedervereinigung war zunächst erwogen worden, die Privatrechtssysteme beider Staaten für eine Übergangszeit fortbestehen zu lassen und sie nur langsam anzugleichen. Bei den Verhandlungen zum Einigungsvertrag(EV) sah man dies aber bald als nicht praktikabel an. Man vereinbarte daher, daß das BGB grundsätzlich auch im Beitrittsgebiet gelten sollte. Es wurden zahlreiche Anpassungsvorschriften in das EGBGB eingebaut. Im Prozeß der Rechtsangleichung und der Transformation des Vermögensrechts in Ostdeutschland ergaben sich Schwierigkeiten, über die man sich in den ersten Monaten der Wiedervereinigung keine Vorstellungen gemacht hatte und deren Umfang sich erst in den folgenden Jahren erschloß.
In Ostdeutschland war es in der sowjetischen Besatzungszeit und nach Gründung der DDR zu einer umfassenden Verstaatlichung privaten Vermögens gekommen. Viele Enteignungen waren gegen geringe oder gar keine Entschädigung erfolgt. Der gesamtdeutsche Gesetzgeber war der Auffassung, daß viele dieser Eingriffe der Korrektur bedürften. Es standen zwei Wege zur Verfügung: entweder die Rückübertragung der entzogenen Vermögenswerte oder die grundsätzliche Beibehaltung des bestehenden Zustandes und die Entschädigung derjenigen, die infolge sogenannten Teilungsunrechts Verluste erlitten hatten. Die Entscheidung zwischen den beiden Alternativen gehörte zu den schwierigsten und umstrittensten Fragen der Wiedervereinigung. Man traf die Grundsatzentscheidung "Rückgabe vor Entschädigung" früh in einer gemeinsamen Erklärung der beiden Regierungen am 15. Juni 1990. Am 23. Sept 1990 erließ die Volkskammer dann das Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (VermG), das in Bundesrecht überführt wurde und - nach mehreren Novellierungen - auch heute die gesetzliche Regelung offener Vermögensfragen darstellt.
Nach dem VermG sind Vermögenswerte grundsätzlich zurückzuübertragen,
Die Grundsatzentscheidung "Rückgabe vor Entschädigung" ist deshalb brisant, weil auf vielen der vom VermG betroffenen Grundstücke Bürger der DDR in Übereinstimmung mit den eigenen Behörden und im guten Glauben an die Beständigkeit ihres Erwerbs zum Teil über Jahrzehnte hinweg erhebliche Investitionen vorgenommen haben. Nötig war deshalb eine Interessenabwägung zwischen Alteigentümern und Nutzern. Die Restitution wurde deshalb bei sozialer Unverträglichkeit ausgeschlossen. Dieser Tatbestand ist erfüllt, wenn an dem Vermögensgegenstand nach dem 8. 5. 1945 Eigentum oder ein dingliches Nutzungsrecht redlich erworben wurde, insbesondere wenn ein Bürger der DDR auf dem Grundstück auf der Grundlage eines staatlich verliehenen Nutzungsrechts ein Eigenheim errichtet hat und hieran nach dem DDR-ZGB Gebäudeeigentum erlangt hat. Der Grundeigentümer ist dann auf eine Entschädigung verwiesen. Ein nur faktische Bebauung genügt dagegen nicht. Die Redlichkeit des Erwerbers ist nach bestimmten Regelbeispielen ausgeschlossen.
Des weiteren ist eine Rückübertragung ausgeschlossen, wenn sie von der Natur der Sache her nicht mehr möglich ist, etwa wegen Widmung der Sache zum Gemeingebrauch.
Ein Petitum der Sowjetunion und der DDR in den Beitrittsverhandlungen war - so sah es jedenfalls die Bundesregierung - der Ausschluß der Rückübertragung von Vermögenswerten, die zwischen 1945 und 1949 auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet worden sind.
Ferner können Vorschriften des Investitionsvorranggesetzes zum Ausschluß der Rückübertragung führen.
Bei den Ämtern zur Regelung offener Vermögensfragen sind über eine Million Anträge eingegangen, mit denen über 2,3 Millionen Ansprüche auf Rückübertragung geltend gemacht werden.
II. Elitenwechsel
Die Behandlung der alten Eliten ist ein Aspekt der großen Aufgabe gewesen, ein staatssozialistisches System in ein demokratisches System umzubauen. Der von der DDR gewählte Weg über den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland (Art. 23 GG a.F.) anstelle einer gemeinsamen Neuschöpfung einer gesamtdeutschen Verfassung bedingte eine weitestgehende Anpassung an die westdeutschen Verwaltungsstrukturen. Auswirkungen auf die zu lösenden Personalfragen hatten vor allem folgende Rahmenbedingungen:
Der vorgefundene Aufbau der öffentlichen Verwaltung (im engeren Sinn) entsprach nur zum Teil den westdeutschen Mustern, was eine Neugliederung der Verwaltungen und eine teilweise Umverteilung der Verwaltungsaufgaben und des Verwaltungsvermögens verlangte (Einführung der Länder anstelle der Bezirke, eventuell einer mittleren Verwaltungsebene, Stärkung der Gemeinden und Kreise).
Bei der Entscheidung, welche Bediensteten in den öffentlichen Dienst der Bundesrepublik zu übernehmen sind, kommt es auf die folgenden Aspekte an:
Die Beschäftigten sollten glaubhaft der freiheitlich-demokratischen Grundordnung anhängen (Eignung). Der demokratische Rechtsstaat will sich nicht mit undemokratischen Funktionären schwächen, aber auch vor allem der ostdeutschen Bevölkerung keine Exponenten des DDR-Regimes zumuten. Ein besonderes Augenmerk galt Verwaltungsbereichen, die das Regime in hervorgehobener Weise stützten (Justiz, Polizei, Staatssicherheitsdienst, Militär, Schule).
Die Beschäftigten sollten die fachlichen Voraussetzungen erfüllen (Befähigung). Das betraf die berufliche Qualifikation in formeller Hinsicht (inbesondere vorgeschriebene Laufbahnvoraussetzungen) wie auch tatsächlich. Verlangt war insoweit beispielsweise Verständnis für die westliche Rechts- und Wirtschaftsordnung, was einen nennenswerten Teil von in der DDR erworbenen Qualifikationen abwertete. Im universitären Bereich sollte der internationale Standard erreicht werden.
Die Auswirkungen einer etwaigen Entlassung auf die psychische und finanzielle Situation galt es im allgemeinen wie im speziellen (ältere Beschäftigte, Mütter, Behinderte) zu beachten.
Zu bedenken war, daß sehr hohe Anforderungen an die Eignung und Befähigung zu einem unerwünschten Stillstand von Verwaltung und Rechtsprechung hätten führen müssen, soweit nicht genug qualifiziertes Personal aus Westdeutschland herangezogen werden und solange nicht genügend Nachwuchs aus Ostdeutschland ausgebildet werden konnte.
Die Lösung der Personalfragen verknüpfte der Einigungsvertrag -EV- mit dem Problem des Verwaltungsumbaus.
Für die Richter und Staatsanwälte aus der DDR wurden strengere Kontrollen eingeführt. Sie wurden alle einer Überprüfung durch die Richterwahlausschüsse unterzogen.
Für Polizisten gab es keine besondere Regelung, im Unterschied zum Militär. Die Wehrpflichtigen wurden übernommen. Die Zeit- und Berufssoldaten kamen in die Warteschleife, es sei denn, der Fortbestand ihrer Diensteinrichtungen wurde angeordnet. Dann war die Entlassung nach Einzelfallprüfung möglich.
Nach den Feststellungen der Enquete-Kommission "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit" haben sich die immer wieder zu vernehmenden Befürchtungen, daß die alten Seilschaften fortbestünden, für die Landesverwaltungen im wesentlichen nicht bestätigt. Ungünstiger wird die Situation bei der Polizei, in den Kommunalverwaltungen sowie bei den in die Marktwirtschaft entlassenen Wirtschaftsbetrieben eingeschätzt (BTDrucks 13/11000, S. 39 - 41)
Das Bundesverfassungsgericht mußte nur geringe Korrekturen vornehmen.
BVerfGE 84, 133: Die Einführung der Warteschleife ist verfassungsgemäß, allerdings müssen der Mutterschutz und ähnliche schutzwürdige Belange bei Weiterbeschäftigung beachtet werden.
BVerfGE 85, 360 und 86, 81: Entsprechende Entscheidungen für die Wissenschaftseinrichtungen.
BVerfGE 92, 140: Zur Verfassungsgemäßheit des Grundes mangelnder Eignung für eine ordentliche Kündigung sowie zur Auslegung der Norm.
BVerfGE 96, 152: Keine pauschale Verneinung der Eignung bei einem Lehrer, der Schulparteisekretär war.
BVerfGE 96, 171: Verfassungsgemäßheit der Pflicht zur Selbstbezichtigung auf Nachfrage, allerdings sollen Stasi-Tätigkeiten etc. vor 1970 grundsätzlich unerheblich sein.
BVerfGE 96, 189: Besonders herausgehobene Stellung eines früheren Stasi-Informanten kann Weiterbeschäftigung unzumutbar machen (Universitätsrektor).
BVerfGE 96, 205: Entlassung eines unzureichend wissenschaftlich ausgewiesenen Hochschulhistorikers ist verfassungsgemäß.
(4) Die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung ist auch zulässig, wenn
(5) Ein wichtiger Grund für eine außerodentliche Kündigung ist insbesondere dann gegben, wenn der Arbeitnehmer
und deshalb ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint.
6. Kriterien für die Prüfung von Richtern und Staatsanwälten am Beispiel der Vorschriften des Landes Berlin
Kriterienkatalog (in Stichworten)
Für die Entscheidung über die Berufung von Richtern und Staatsanwälten aus dem früheren Ost-Berlin in das Probedienstverhältnis ist grundsätzlich für die persönliche Eignung der Bewerber maßgebend: die fachliche Eignung wird nach der Regelung des Einigungsvertrages zunächst nicht geprüft. Dabei kommt es vor allem darauf an, ob die Bewerber die Gewähr dafür bieten, daß sie ihr Amt im Sinne des Grundgesetzes ausüben werden, und ob sie unter Berücksichtigung ihrer früheren Tätigkeit der Öffentlichkeit als Richter oder Staatsanwälte zugemutet werden können.
I.
Gesichtspunkte, bei deren Vorliegen die Bewerbung im Regelfall - ohne vorheriges Vorstellungsgepräch - abgelehnt werden sollte:
Von der vorstehenden Regel kann im Einzelfall zugunsten des Bewerbers abgesehen werden, wenn insbesondere eine o.g. Tätigkeit nachweislich nur kurzfristig oder vereinzelt ausgeübt wurde.
II.
Gesichtspunkte, die allein oder zusammen mit anderen in Verbindung mit dem Ergebnis eines Vorstellungsgepräches Grund für die Ablehnung der Bewerbung sein könnnen, sind insbesondere:
Auf ein Vorstellungsgespräch kann im Einzelfall verzichtet werden, wenn die genannten Gesichtspunkte nach Dauer oder Intensität erhebliches Gewicht haben. Bei der Beurteilung der Eignung kann zugunsten der Bewerber berücksichtigt werden, wenn insbesondere eine o. g. Tätigkeit nachweislich nur kurzfristig oder vereinzelt ausgeübt wurde. Dasselbe gilt, wenn sich Bewerber in den Fällen der Nummern 4 bis 6 nachweislich bemüht haben, das SED-Regime zu liberalisieren oder zur Abmilderung seiner Härten beizutragen.
III.
Allgemeiner Prüfungsmaßstab:
Soweit Bewerber nicht aus den unter I. und II. genannten Gründen abgelehnt werden, erfolgt ihre Übernahme in das Probedienstverhältnis, wenn sie nach dem Gesamteindruck die persönliche Eignung für das Amt des Richters oder Staatsanwaltes besitzen. Sie müssen insbesondere erwarten lassen, daß sie das angestrebte Amt in Übereinstimmung mit den Zielsetzungen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung führen werden: außerdem darf der erfolgreiche Abschluß der Probezeit nicht mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sein.
III. Regierungskriminalität
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, daß die strafrechtliche Ahndung des Mißbrauchs staatlicher Gewalt (Todesschüsse an der Berliner Mauer) nicht gegen das Rückwirkungsgebot aus Art. 103 Abs, 2 GG verstoßt.
Das Rückwirkungsverbot ist absolut und erfüllt seine rechtsstaatliche und grundrechtliche Gewährleistungsfunktion durch eine strikte Formalisierung.
Artikel 103 Abs. 2 GG läßt eine Bestrafung nur zu, wenn die Tat im Zeitpunkt ihrer Begehung mit hinreichender Bestimmtheit in einem gesetzlichen Tatbestand mit Strafe bedroht ist. Die Vorschrift schützt darüber hinaus vor der Verhängung einer höheren als der zur Tatzeit gesetzlich angedrohten Strafe. Für den Bürger begründet das verfassungsrechtlich garantierte Rückwirkungsverbot das Vertrauen darauf, daß der Staat nur ein solches Verhalten als strafbare Handlung verfolgt, für das der Gesetzgeber die Strafbarkeit und die Höhe der Strafe im Zeitpunkt der Tat gesetzlich bestimmt hat. Der Bürger kann danach sein Verhalten eigenverantwortlich so einrichten, daß er eine Strafbarkeit vermeidet.
Artikel 103 Abs. 2 GG verbietet es auch, die Bewertung des Unrechtsgehalts der Tat nachträglich am Nachteil des Täters zu ändern. Deshalb ist ein bei Tatbegehung gesetzlich geregelter Rechtfertigungsgrund weiter anzuwenden, auch wenn dieser im Zeitpunkt des Strafverfahrens entfallen ist.
Allerdings hat Artikel 103 Abs . 2 GG als Regelfall im Blick, daß die Tat im Anwendungsbereich des vom GG geprägten materiellen Strafrechts der Bundesrepublik Deutschland begangen und abgeurteilt wird. In diesem Normalfall bietet das von einem an die Grundrechte gebundenen Gesetzgeber erlassene Strafrecht die Grundlage für den von Artikel 103 Abs. 2 GG gewährten absoluten und strikten Vertrauensschutz. Dies gilt nicht mehr uneingeschränkt, wenn als Folge der Wiedervereinigung gesetzlich vorgeschrieben ist, daß für die Beurteilung von Straftaten, die in der ehemaligen DDR begangen worden sind, das Strafrecht der DDR anzuwenden ist. Die besondere Vertrauensgrundlage entfällt, wenn der andere Staat für der Bereich schwersten kriminellen Unrechts die Strafbarkeit durch Rechtfertigungsgründe ausschließt, indem er über geschriebene Normen hinaus zu solchem Unrecht auffordert, es begünstigt und so die in der Völkerrechtsgemeinschaft allgemein anerkannten Menschenrechte in schwerwiegender Weise mißachtet. Der strikte Schutz von Vertrauen durch Artikel 103 Abs. 2 GG muß dann zurücktreten. Dem Bürger eines ehemals anderen Staates, der jetzt der Strafgewalt der Bundesrepublik unterliegt, wird die Berufung auf einen solchen Rechtfertigungsgrund verwehrt; im übrigen bleibt das Vertrauen darauf gewährleistet, nach dem Gesetz bestraft zu werden, das für ihn im Zeitpunkt der Tat galt.
IV. Unvorbereitet vor neuen Aufgaben?
Wir sehen, daß auch ein gesteuerter sozialer Wandel nicht frei von Verwerfungen ist. Heute würden wir die eine oder andere Frage einfach deshalb anders oder doch differenzierter als im Jahre 1990 regeln, weil wir inzwischen über ein gediegeneres Wissen verfügen als zur Zeit der Turbulenzen des Jahres 1990. Es fehlte seinerzeit an situationsgerechten Wirklichkeitsbildern. Sachentsprechende Lösungen, so belehrt uns die Politikwissenschaft, setzen vor allem verläßliche Information voraus. Der Zusammenbruch der staatssozialistischen Systeme ist selbst von Experten nicht vorausgesehen worden. Die Politik sah sich unvorbereitet vor neuartigen Aufgaben. Sie stand über dies angesichts der welt- und innenpolitischen Lage unter einem raschen Entscheidungszwang. Die einzige Konstante im Jahr 1990 war die Zeit für eine umfassende Problemanalyse. Die Politik sah sich zu prompten Maßnahmen gedrängt, ohne die Chance, deren Voraussetzungen und Folgen analytisch ausloten zu können.
In dieser Situation ist die Politik mehr oder minder unbewußt nach der Devise von "Versuch und Irrtum" verfahren. Sie hat mit den herkömmlichen Instrumenten und Konzepten auf gänzlich neuartige Sachverhalte reagiert. Das gilt nicht nur für den Bereich der Wirtschaft und das seinerzeit ungebrochene Vertrauen auf marktwirtschaftliche Mechanismen. Das gilt auch für den Bereich der Rechtspolitik. Hier ist die alte rechtssoziologische Einsicht vernachlässigt worden, daß ich etwas von dem in einer Gesellschaft gelebten Recht begriffen haben muß, wenn ich neue Regeln einführen will.
Offensichtlich hat es an sozialer Phantasie und Kompetenz gefehlt, die - so belehrt und die Politikwissenschaft - in Situationen des Umbruchs von größerer Wichtigkeit ist als das Fachwissen. Hinzukommt, daß unter großem Problemdruck die Bereitschaft gelähmt zu sein scheint, kreativ zu sein. Die politischen Akteure ziehen sich auf die altvertrauten Handlungs- und Denkweisen zurück, wenn sie von einer Situation überfordert werden. Kein Wunder, daß nicht nur die betroffene Bevölkerung, sondern auch die Politiker von den Folgen ihrer Maßnahmen mitunter enttäuscht worden sind.
In den ersten vier Jahren nach der Vereinigung sind wiederholt frühere Fehleinschätzungen und Versäumnisse korrigiert worden. Die mehrfach geänderten Gesetze im Bereich der offenen Vermögensfragen belegen nicht nur die Herrschaft des Prinzips von Versuch und Irrtum, sondern ergänzen dieses um den dritten Akt: die Reparatur. Am Beispiel des Investitionsvorranggesetzes läßt sich ein Lernschritt verdeutlichen, nämlich der, daß es bei dem Streit um da Eigentum nicht nur um einen Konflikt zwischen Privatpersonen, sondern vor allem und den Aufbau Ost geh.
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