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Deutschland und die Türkei im Spiegel der Medien : die Verantwortung der Medien in den deutsch-türkischen Beziehungen / [Verf.: Edgar Auth]. - [Electronic ed.]. - Istanbul, 1998. - 37 S. = 94 Kb, Text . - (Politik und Gesellschaft)
Electronic ed.: Bonn: FES Library, 1998

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT





Vorwort

Die Friedrich-Ebert-Stiftung betrachtet es als ein wichtiges Ziel ihrer Tätigkeit in der Türkei, einen Beitrag zur Sensibilisierung der deutschen und türkischen Öffentlichkeit für die Probleme der deutsch-türkischen Beziehungen zu leisten. Da das Verhältnis zwischen den in Deutschland lebenden türkischen oder türkischstämmigen Bürgern und der deutschen Bevölkerungsmehrheit von besonderer Bedeutung für die Qualität der deutsch-türkischen Beziehung ist, stellt dieser Aspekt einen Schwerpunkt unserer Arbeit dar.

In diesem Kontext stand auch das von der Friedrich-Ebert-Stiftung gemeinsam mit der Türkischen Gemeinde in Deutschland (tgd) am 19. November 1997 in Hamburg veranstaltete Symposium zum Thema "Deutschland und die Türkei im Spiegel der Medien - Die Verantwortung der Medien in den deutsch-türkischen Beziehungen", an dem Politiker, Wissenschaftler und Medienvertreter aus beiden Ländern teilnahmen.

Noch immer wird das deutsch-türkische Verhältnis durch Vorurteile und einseitige Vorstellungen vom Leben der jeweils anderen Bevölkerungsgruppe und des jeweils anderen Landes belastet, wobei diese Vorurteile zum großen Teil auf mangelnder Kenntnis und unzureichenden Informationen beruhen. Wie sich diese Vorstellungen in der Berichterstattung spiegeln und welchen Anteil die deutschen und türkischen Medien an der Bildung dieser Vorurteile und der häufig einseitigen Wahrnehmung haben, wurde in den verschiedenen Referaten und Diskussionen des Symposiums erörtert.

Mit der Publikation des folgenden Bandes möchte die Friedrich-Ebert-Stiftung die Beiträge dieses Symposiums einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen und hofft damit, das gegenseitige Verständnis zu vertiefen und den deutsch-türkischen Dialog zu bereichern.

Juli 1998
Jörg Lange
Friedrich-Ebert-Stiftung Istanbul

Zusammenfassung

Im Rahmen des von der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Türkischen Gemeinde in Deutschland (tgd) durchgeführten Symposiums diskutierten am 19. November 1997 in Hamburg türkische und deutsche Journalisten, Wissenschaftler, Politiker, Diplomaten und Unternehmer über die Verantwortung der Medien in den deutsch-türkischen Beziehungen. Im Mittelpunkt der Referate und Diskussionen stand die Auseinandersetzung mit dem Bild der Türken in den deutschen Medien sowie dem Deutschlandbild, das in den türkischen Medien vorherrscht. Zentral war weiterhin die Erörterung der verantwortungsvollen Rolle der Medien bei der Verbesserung der Beziehungen zwischen Deutschen und Türken, auf die Professor Hakki Keskin, Vorsitzender der tgd, bereits in seiner Begrüßung verwies.

In welchen Bereichen diese Beziehung immer noch problematisch ist, verdeutlichte Theo Sommer, Mitherausgeber der Wochenzeitung Die Zeit, in seiner Bestandsaufnahme des deutsch-türkischen Verhältnisses. Dieses werde von deutscher Seite im wesentlichen durch die kritische Haltung gegenüber dem Umgang mit der kurdischen Minderheit und die strittige Frage der doppelten Staatsbürgerschaft, von türkischer Seite durch die Perzeption Deutschlands als Hindernis auf dem Weg der Türkei zur EU- Mitgliedschaft und die Behandlung der Türken in Deutschland als "Bürger zweiter Klasse" belastet.

Der Rolle der deutschen Medien bei der Prägung eines spezifischen Türkenbildes widmete sich Nail Alkan, Assistenzprofessor an der Universität Ankara. In seiner historisch angelegten Untersuchung kam er zu der Schlußfolgerung, daß in den deutschen Medien im wesentlichen ein negatives Bild über die Türkei und die in Deutschland lebenden Türken vorherrsche, während positive Berichte über deren kulturelle, religiöse und sozial-menschliche Hintergründe keinen Platz in der Berichterstattung fänden. Seine Kritik an der einseitigen und unsachlichen Berichterstattung der deutschen Medien wurde in der anschließenden Diskussion aufgegriffen und mit wenigen Ausnahmen bestätigt.

Mit dem Deutschlandbild in den türkischen Medien beschäftigte sich Oktay Eksi, Kolumnist der Hürriyet und Präsident des Türkischen Presserates. Seiner Untersuchung zufolge herrscht in den großen türkischen Zeitungen durchschnittlich ein positives Deutschlandbild vor. Die SPD-Politikerin Anke Fuchs berichtete allerdings auch von negativen Schlagzeilen in den türkischen Medien. Nach dem Brandanschlag in Krefeld 1997 sei Deutschland dort stark diffamiert worden.

Der besonderen Rolle der türkischen Medien in Deutschland wurde mit einem zusätzlichen Referat Rechnung getragen. In seinem Bericht kam Yüksel Pazarkaya vom Westdeutschen Rundfunk zu dem Ergebnis, daß das Medienangebot aus der Türkei die Türken in Deutschland hauptsächlich an die alte Heimat binde. Die Deutschlandausgaben der großen türkischen Zeitungen stellten allerdings mit ihrer relativ großen Anzahl an Berichten über Deutschland einen unverzichtbaren Beitrag zum Verständnis der Politik und Arbeitswelt in Deutschland dar. Auch in der anschließenden Diskussion wurden die türkischen Medien in Deutschland als ein wesentlicher Faktor beurteilt, der die Integration der Türken in Deutschland sowohl fördern als auch behindern könne.

Die Frage der Integration der Türken in Deutschland wurde bei der Debatte über die doppelte Staatsbürgerschaft wieder aufgegriffen. Als hinderlich wurde von Gerd Andres, MdB, angesehen, daß der türkische Staat seine Angehörigen nicht loslasse und die Integration in Deutschland nicht unterstütze. Von einigen türkischen Teilnehmern wurde die mangelnde Aufnahmebereitschaft des deutschen Staates kritisiert und darauf hingewiesen, daß das Problem zweier Loyalitäten und Identitäten nicht sofort gelöst werden könne.

Den Abschluß des Symposiums bildete der Aufruf von Anke Fuchs zur Neubestimmung der deutsch-türkischen Freundschaft durch eine Fortsetzung des gemeinsamen Dialogs.

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Deutschland und die Türkei im Spiegel der Medien - Die Verantwortung der Medien in den deutsch-türkischen Beziehungen

Ein Veranstaltungsbericht

In der Reihe Deutsch - Türkische Dialoge war dies bereits das zweite Treffen, an dem Politiker, Wissenschaftler und Medienvertreter aus beiden Ländern teilnahmen. Nachdem das erste Symposium ("Die Türkei zwischen gestern und heute") in Antalya die Probleme der innertürkischen Entwicklung unter dem Eindruck der Auseinandersetzung um den Islamismus zum Thema hatte, stand bei der zweiten Veranstaltung die türkische "Diaspora" in Deutschland im Mittelpunkt. Anders als im milden Klima des türkischen Badeorts war nun, im Hamburger Steigenberger Hotel, Ungeduld unüberhörbar. Auf der türkischen Seite, weil nach mehr als 30 Jahren drei Einwanderergenerationen immer noch als Fremde in Deutschland behandelt werden, denen wesentliche Grundrechte und vor allem die angestrebte doppelte Staatsbürgerschaft vorenthalten werden. Auf der deutschen, weil die türkischen Immigranten so beharrlich an ihrer Herkunft festhalten und die von vielen angestrebte deutsche Staatsbürgerschaft eben nur eine von zweien bleiben soll.

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Begrüßung und Einführung durch Professor Hakki Keskin, Vorsitzender der tgd

"Gerade wir, die Deutschlandtürken, spüren am eigenen Leibe, wie sehr gespannte und belastete Beziehungen zwischen unserem Herkunftsland Türkei und unserer neuen Heimat Deutschland das Bild der Türken negativ beeinflussen". Mit diesen Worten leitete der Vorsitzende der tgd Hakki Keskin in das Thema des Symposiums ein. Zum notwendigen sachlichen Dialog wolle die tgd und könnten die Vertreter der "vierten Gewalt", Presse und Rundfunk, entscheidend beitragen.

Als Beispiel für die seiner Meinung nach unsachliche Berichterstattung nannte Keskin die Schuluniform türkischer Kinder. Ein deutscher Autor und Türkeispezialist habe in den siebziger Jahren darin Parallelen zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland gesehen. "Völlig zu Unrecht", urteilte Keskin. Die "bewußt schlicht gehaltene Schuluniform" solle seit Gründung der türkischen Republik helfen, daß nicht schon durch Kleidung die großen sozialen Unterschiede zwischen den Kindern erkennbar würden.

"Undifferenziert" empfand Keskin auch die Behandlung der Kurdenfrage in manchen deutschen Medien. Bis vor wenigen Jahren sei das Vorgehen der türkischen Armee gegen die bewaffneten Kämpfer der "Terrororganisation PKK" (Arbeiterpartei Kurdistans, E.A.) so dargestellt worden, als sei es gegen die kurdische Zivilbevölkerung gerichtet. Nicht selten sei der Eindruck vermittelt worden, als ob in der Türkei schon die Zugehörigkeit zur kurdischen Bevölkerung Grund der Verfolgung sei. Keskin räumte ein, daß bei den Kämpfen zwischen Militär und PKK auch die kurdische Zivilbevölkerung stark in Mitleidenschaft gezogen wurde und wird. Dazu habe das türkische Parlament bereits Untersuchungsausschüsse gegründet. "Sehr verärgert" aber seien Türken in Deutschland über die Darstellung, die Kurden würden in der Türkei als Ethnie verfolgt. Tatsächlich ist laut Keskin in der türkischen Nationalversammlung fast jeder vierte Abgeordnete und auch der Parlamentspräsident kurdischer Herkunft.

In der modernen türkischen Staatsphilosophie spiele im Gegensatz zu Deutschland die ethnische Herkunft "nach dem Blute" keine Rolle, denn diese ließe sich in einer Region, in der sich seit Jahrtausenden viele Völker und Zivilisationen mischten, weder rechtfertigen noch umsetzen. In Anatolien, einer "Brücke zwischen Asien und Europa", hätten Hethiter, Griechen, Römer, Seldschuken, Osmanen und viele andere ihre Spuren hinterlassen. Die Türkei stelle ein Mosaik aus 56 Sprachen und Dialekten neben einer Vielzahl von Ethnien dar. Der Gründer der Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, habe alle rechtlich gleichgestellt und auf diese Weise unter der türkischen Staatsbürgerschaft eine neue Nation formen wollen.

In Deutschland wird nach Keskins Beobachtung die "verfehlte Kurdenpolitik" in der Türkei dafür verantwortlich gemacht, daß Jahr für Jahr Zehntausende türkischer Staatsbürger kurdischer Herkunft hier Asyl beantragen. Obwohl rund 95 Prozent dieser Anträge abgelehnt würden, forderten deutsche Politiker zu recht, daß die Türkei als ein demokratischer Rechtsstaat die Fluchtgründe zu beseitigen habe. Diese Forderung müsse Ankara schon deswegen ernst nehmen, weil durch das Problem hohe Kosten entstünden und sich innertürkische Auseinandersetzungen auf deutsches Territorium verlagerten.

Abschließend äußerte Keskin den Wunsch, da die Barrieren für die rechtliche Gleichstellung der Türken in Deutschland zielstrebig beseitigt werden sollten. "Weil Deutschland unumkehrbar die neue Heimat von 2,3 Millionen Menschen aus der Türkei geworden ist, müßte es schon im Interesse der Sicherung des sozialen Friedens den Weg für die Integration der hier dauerhaft lebenden Türken und der anderen Einwanderer freimachen".

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Anke Fuchs, Vorstandsmitglied der Friedrich-Ebert-Stiftung, schloß sich ihrem Vorredner in zwei Punkten an. Auch nach ihrer Ansicht ist eine Diskussion über die Verantwortung der Presse notwendig. Da die historische Bezugnahme auf das freundschaftliche Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland allein nicht mehr ausreiche, müsse weiterhin der Dialog intensiviert und die jeweiligen Interessen definiert und deutlich geäußert werden.

"Es sind die gemeinsamen Werte, die uns zusammenführen", betonte der türkische Botschafter in Bonn, Volkan Vural, in seinem Grußwort. Er nannte drei Problemkreise, die sich in der Presse widerspiegelten: Erstens würden die Türken in Deutschland als "Bürger zweiter Klasse" dargestellt. Zweitens wirke Deutschland wie ein Hindernis auf dem Weg der Türkei in die EU. Der dritte Problemkreis liege schließlich in der sehr kritischen Haltung Deutschlands zum "Terror" im Südosten der Türkei und der PKK. Vural behauptete, ein Teil des Geldes und der Waffen für die Terrororganisationen gelangten über deutschen Boden in sein Land.

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Deutsche und Türken - Bestandsaufnahme eines problematischen Verhältnisses
Theo Sommer, Mitherausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit"

Der Stand des deutsch-türkischen Dialogs ist nach Ansicht von Theo Sommer immer noch "unbefriedigend". Als Deutscher stelle er sich die Frage, ob die 2,3 Millionen Türken hierzulande ausgegrenzt bleiben oder bewußt integriert werden sollten. "Sind sie Gäste, erwünschte oder unerwünschte, sind sie Arbeitskräfte, entbehrliche, überflüssige oder notwendige? Sind sie Deutsche in spe, vollgültige Mitbürger, Bürger von morgen (...) anstatt der in ihren Rechten verkürzten Mitbürger von heute oder sind sie Abschiebungskandidaten?"

Der Westen sehe die Türkei als wichtiges Bollwerk universaler Werte gegen den islamischen Fundamentalismus und Vorposten der Demokratie in einer unruhigen Weltregion. Für Deutschland aber bedeute die Türkei mehr als das, äußerte Sommer unter Verweis auf die Türken im Land. 60 Prozent von ihnen seien länger als 10 Jahre hier, die Hälfte über 15 Jahre, ein Viertel über 25 Jahre und fast zwei Drittel "sind schon bei uns geboren". Diese dritte Generation habe keine andere Heimat als Deutschland. Außerdem wollten immer weniger Türken in die Türkei zurückkehren. Auch die Überweisungen in die Heimat schrumpften, denn viele Türken investierten mittlerweile ihr Erspartes in Deutschland. Dort aber würden sie als Menschen, die Deutsche werden möchten, nicht anerkannt.

Aus dem Umstand, daß 2,3 Millionen Türken in Deutschland lebten, leitete Sommer die gesteigerte Sensibilität der Deutschen der Türkei gegenüber ab sowie das Interesse daran, daß die Türkei laizistisch bleibe und der dort vordringende Fundamentalismus nicht weiter nach Deutschland gelange. Am "Bürgerfrieden" in der Türkei habe Deutschland ein großes Interesse, damit es nicht zum "verlängerten Schlachtfeld" der dort streitenden Parteien werde. Ebenso verhalte es sich mit der wirtschaftlichen (In) Stabilität der Türkei. Grundsätzlich gilt für Sommer, da sich "am Umgang mit den Ausländern in unserer Mitte (...) letztlich die Weltoffenheit, die Liberalität und die Humanität unseres eigenen Staatswesens und unserer Gesellschaft erweisen muß".

Wirtschaftlich seien die Türken in Deutschland längst integriert: Jährlich werden 2,5 Milliarden DM an Rentenbeiträgen, 8,5 Milliarden DM an Lohn- und Einkommensteuer und 500 Millionen DM Solidaritätsbeitrag von den Türken gezahlt. 1975 wurden in Deutschland 100 türkische Unternehmen gezählt, heute seien es 45 000 mit einem Investitionsvolumen von 8,3 Milliarden, das längst nicht mehr nur in "Dönerbuden" fließe.

"Dennoch leben die meisten weiterhin in einer Art von Apartheidsystem, das ich für schändlich halte", äußerte Sommer. Sie würden Mitbürger genannt, seien aber in Wahrheit Bürger zweiter Klasse. Noch herrsche hier der "Köhlerglaube" vor, sie kehrten eines Tages nach Anatolien zurück. Diese Vorstellung ist aber nach Sommers Auffassung falsch. Monatlich 5 000 Einbürgerungsanträge von Türken in Deutschland zeigten daß immer mehr hierher gehören wollten. 126 000 Türken hätten offiziellen Angaben zufolge inzwischen einen deutschen Paß erhalten. Ginge es aber in dem Tempo jener 13 000 Einbürgerungen von 1977 bis 1990 weiter, dann würde es 230 Jahre dauern, bis alle einen deutschen Paß hätte, rechnete Sommer vor. Selbst bei der großzügigeren Handhabung der letzten Jahre würde die Einbürgerung noch 100 Jahre dauern. "Aber wenn wir wirkliche Integration wollen, dann kommen wir um die Einbürgerung nicht herum", lautet das Credo des Publizisten. Das "endlose Zaudern und Zögern um die Doppelstaatsbürgerschaft sei ebenso peinlich wie die "Verwaltungsschikane des Kindervisums".

Faktisch ist Deutschland nach Sommers Ansicht schon längst ein Einwanderungsland. Der Streit um die doppelte Staatsbürgerschaft sei von "billigsten Spekulationen auf Stammtisch-Ressentiments" gekennzeichnet, besonders in Bundesländern, in denen Wahlen bevorstünden. Im Bundestag gibt es nach Sommers Kenntnis eine Mehrheit für die doppelte Staatsbürgerschaft, nicht aber in der Regierungskoalition. Besonders empört sei er, daß Bayern für die deutsche Minderheit in Polen jene Doppelstaatsbürgerschaft fordere, die es für die Türken ablehne. "Da befürchtet man offenbar keine Loyalitätskonflikte", sagte er unter dem Beifall der ca. 50 Zuhörer.

Seit den 60er Jahren, als sich Ankara in die Warteschlange der Gemeinschaft einreihte, habe es Schwierigkeiten in der Beziehung Europas zu der Türkei gegeben. Als Gründe dafür nennt Sommer die drei Militärputsche innerhalb von zwei Jahrzehnten, die Invasion Zyperns im Jahre 1974 den Kurdenkrieg, der von beiden Seiten "erbarmungslos geführt wird", "ewige Menschenrechtsverletzungen", Folter in den Gefängnissen, Todesschwadronen gegen freisinnige Geister und schließlich die "nicht ganz völkerrechtskonformen Militärexpeditionen in den benachbarten Irak".

In der Türkei andererseits hat der "dilatorische" Bescheid der EU auf ihr formelles Beitrittsgesuch von 1987 Unmut ausgelöst, als man dieses unter Hinweis auf die damals noch nicht absehbare Entwicklung in Osteuropa auf 1993 verschob. 1995 folgte dann die Zollunion, für die er auch in Hinblick auf die Türkei eine positive Bilanz zog. Das Volumen des Handels mit der Türkei habe 1996 mit 35 Milliarden um 80 Prozent höher gelegen als drei Jahre zuvor und befinde sich nun etwa auf demselben Niveau wie der Handel mit Polen.

Auch Europa habe allerdings Anlaß zu Unmut da die Türkei ihrerseits Verpflichtungen nicht eingehalten habe. Die Verfassungsänderung die auf Drängen des Europarats 1995 angenommen wurde bleibe in europäischen Augen unzureichend und vieles habe sich bis heute noch nicht in Gesetzesänderungen niedergeschlagen. So verbiete die türkische Verfassung bis heute die Abtretung von Souveränitätsrechten die eine wichtige Voraussetzung für die Integration in Europa darstellt.

Die Brüsseler Tagung der Europäischen Volksparteien (EVP) habe wiederum "Entsetzen" in der Türkei ausgelöst. Damals wurde kolportiert, das europäische Projekt sei als "nun einmal christliches" definiert worden. Nach einiger Aufregung habe sich auch die EVP zum Pluralismus bekannt. Die Türkei könne demzufolge eines Tages auch EU-Mitglied werden. Dies sei auch von den Außenministern und dem deutschen Bundeskanzler bestätigt worden. Dennoch verfolge die deutsche Politik keine eindeutige Linie, kritisierte Sommer.

Nach Ansicht des Mitherausgebers der ZEIT gibt es vier Gründe die für eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU sprechen:

1. Es sei einfacher für alle, wenn 2,3 Millionen "Turkodeutsche" demselben politischen Großverband angehörten.

2. Seiner Meinung nach sei Europa "kein exklusiv christlicher Club". Damit schließe er sich den Worten Bundespräsident Roman Herzogs an, die dieser dem türkischen Staatspräsidenten gegenüber geäußert habe die europäischen Staaten seien trotz 2000 jähriger christlicher Prägung laizistisch, wozu eine laizistische Türkei durchaus passe. Gebe sich Europa aber christlich fundamentalistisch, dürfe es sich nicht wundern, wenn es damit den religiösen Radikalen in der Türkei Wasser auf ihre Mühlen leite.

3. Zeige Europa den Türken die kalte Schulter, so entmutige es all jene dort, die ihr Land zivilisieren und modernisieren wollten. "Außerdem laufen wir damit Gefahr, daß wir uns den Zusammenprall der Kulturen ins eigene Land holen", warnte Sommer.

4. Die strategische Bedeutung der Türkei sei heute nicht geringer als während des kalten Krieges, sondern viel eher gewachsen. Deswegen bedarf die anatolische Brücke zur arabischen Welt, nach Transkaukasien und Zentralasien der Verankerung im Westen.

Die Beitrittskriterien zur EU die 1993 in Kopenhagen festgelegt wurden seien nicht speziell auf die Türkei zugeschnitten, sondern allgemein gehalten. Sie umfaßten folgende Kriterien:

• Die Garantie einer demokratischen Ordnung, die Wahrung der Menschenrechte sowie den Schutz von Minderheiten.

• Eine funktionsfähige Marktwirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Union.

• Die Bereitschaft der Beitrittskandidaten, die Verpflichtungen aus einer Mitgliedschaft zu übernehmen.

• Die Fähigkeit der EU, neue Mitglieder aufzunehmen und dabei die Stoßkraft der europäischen Integration zu erhalten.

Wende man diese Kriterien auf die Türkei an dann habe die Türkei zwar heute keine Chance auf eine EU-Mitgliedschaft, aber sehr wohl in 10 oder 20 Jahren. Anlaß zu Klage gebe es immer wieder auf dem Gebiet der Menschenrechte. An die Adresse des türkischen Botschafters Volkan Vural gewandt fügte Sommer hinzu, daß das auch für den Umgang mit der Presse gelte. Viele Journalisten und Schriftsteller wanderten nur wegen ihrer Überzeugung ins Gefängnis.

Auch in Bezug auf die Kurden-Frage seien alternative Lösungsansätze nicht zu sehen obwohl mittlerweile sogar türkische Generale einsähen, daß dieser Konflikt militärisch nicht zu lösen sei. Sommer zog daraus folgende Schlußfolgerung: "Eine islamisch fundamentalistische Türkei paßt nicht nach Europa, aber ich glaube, auch eine kemalistische Türkei in der die Militärs über den Grad der Demokratie bestimmten paßt nicht nach Europa". Die Türkei sei nicht an, der Religionszugehörigkeit ihrer Bürger zu messen, sondern am Grad ihrer Zivilität, schloß Sommer unter Applaus.

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Das Türkeibild in den deutschen Medien - Geschichte und Entwicklung
Nail Alkan, Assistenzprofessor an der Universität Ankara

Nail Alkan leitete sein Referat mit der philosophischen Überlegung ein daß "die realistische Wahrnehmung seiner Umwelt nicht unbedingt zu den Stärken des Menschen zählt". Andere Völker, Ethnien und insbesondere politische Gegner würden oft anders wahrgenommen, als sie wirklich seien. Das einmal geprägte Image sei deswegen sehr schwer zu verändern.

Das Image der Türkei in Deutschland werde sowohl durch Kontakte und eigene Beobachtungen (Primärerfahrungen) als auch durch Mitteilungen anderer (Sekundärerfahrungen) geprägt. Ersterfahrungen seien zum einen durch die seit den 60er Jahren nach Deutschland kommenden Gastarbeiter aus der Türkei entstanden, zum anderen durch jene zwei Millionen deutsche Touristen, die jährlich den Bosporus und Anatolien bereisten.

Das Türkeibild in den Medien (Sekundärerfahrungen) wird nach Alkans Analyse von dem Grundsatz "bad news are good news" beherrscht, denn positive Berichte fänden selten einen Platz. In der Zeit vor der Ankunft türkischer Gastarbeiter in Deutschland sei dieses Bild in den deutschen Zeitungen und im Rundfunk allerdings noch "recht positiv" gewesen. Dafür waren nach Alkan drei Gründe verantwortlich:

1. Ziel der eingeschränkten deutschen Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg war es, in der Deutschlandfrage von so vielen Staaten wie möglich unterstützt zu werden. Die Türkei unterstützte Bonn in seinem Alleinvertretungsanspruch und gehörte zu den letzten, die die DDR anerkannten. Außerdem befürwortete sie den Eintritt Deutschlands in die NATO und entsprach damit dem von Konrad Adenauer in Ankara persönlich vorgetragenen Wunsch.

2. Laut Alkan waren in dieser Nachkriegszeit "die Werte und Normen in Westeuropa und der Bundesrepublik Deutschland betreffend Demokratie, Menschenrechte und ethnische Minderheiten bei weitem nicht so stark ausgeprägt, wie es heute der Fall ist".

3. Ein weiterer Grund für die positive Darstellung in dieser Zeit sei die geographische Ferne der Türkei gewesen. Berichte aus den Nachbarstaaten hätten mehr interessiert.

In den 60er Jahren erfolgte dann nach Alkans Darstellung ein Wandel im veröffentlichten deutschen Türkeibild. So habe man die Türkei als ein außereuropäisches Land dargestellt, obwohl sie seit 1948 in der OEEC und seit 1949 Mitglied des Europarats sei. Von der Türkei wurde damals in einem Atemzug mit jenen Ländern der dritten Welt gesprochen, bei deren Übergang zur Demokratie es zunächst noch "einer straffen Führung" (FAZ, 3.6.1960) bedürfe und in denen das Militär jederzeit putschbereit sei.

Weiterhin sei die Türkei als orientalisch und rückständig beschrieben worden. In der FAZ sei beispielsweise von 60 Prozent Analphabeten die Rede gewesen, obwohl das statistische Jahrbuch des Landes eine weitaus niedrigere Zahl verzeichnet habe. Nach Alkans Auffassung hätte die Türkei tatsächlich nicht mit westeuropäischen Demokratien verglichen werden können. Deswegen wäre es sehr viel wichtiger gewesen, "wenn die Presse die Demokratie in der Türkei durch objektive Berichterstattung unterstützt hätte, anstatt darüber zu schreiben, daß die Demokratie einen Luxus für die Türkei darstelle".

Ab Mitte der 60er Jahre beobachtete Alkan ein neues Element im deutschen Türkeibild: die Gastarbeiter. Diese seien als "unzivilisierte, unhygienische und unordentliche Menschen dargestellt worden, die eine mangelnde Ausbildung haben und in jede Messerstecherei verwickelt sind". Positive Berichte über sie seien selten gewesen. Vielmehr herrschte das Bild des Türken als reiner Arbeitskraft vor. Über kulturelle, religiöse und sozial-menschliche Hintergründe der neuen Mitbewohner sei nicht berichtet worden.

In den 80er und 90er Jahren hat sich dieses Bild nur wenig korrigiert. Die Türkei werde nun zwar als europäisches Land betrachtet, doch Gesellschaft, Tradition und Sitten der Türken gälten weiter als unterentwickelt und orientalisch. So sei etwa 1990 in der Tageszeitung Die Welt zwischen dem europäischem Teil westlich des Bosporus und dem in Traditionen verhafteten Osten der Türkei unterschieden worden. Diese Trennung sei schon beim Blick auf den sehr kleinen Teil der Türkei westlich des Bosporus als bedenklich anzusehen.

Hinzugekommen seien die Kritik des Westens an Menschenrechtsverletzungen in der Türkei und Folter in deren Gefängnissen. Weiterhin hätten Terroranschläge und Ministerrücktritte die deutsche Berichterstattung dominiert. Als "Klischee" bezeichnet es Alkan, daß die Türkei im Hinblick auf die Wirtschaftshilfe als "Faß ohne Boden" dargestellt worden sei. Diese von Alkan als zu negativ empfundene Berichterstattung sei nicht durch positive Nachrichten, z.B. über die türkische und osmanische Kultur, ausgeglichen worden. Es sei noch nicht einmal der Versuch unternommen worden, dem westdeutschen Publikum ein solches Bild zu vermitteln.

Undifferenziert negativ nannte Alkan auch das Bild von den in Deutschland lebenden Türken. Männer seien hier durchweg als brutal und Frauen als hilflos erschienen. Der Versuch, zwischen Gebildeten und Ungebildeten, zwischen Städtern und Dörflern zu unterscheiden, sei unterblieben. Auch der soziale und wirtschaftliche Wandel in der Türkei habe bis etwa 1990 keine Berücksichtigung gefunden.

Erst ab 1990 entdeckte Alkan auch Positives über sein Land in der deutschen Presse. Nunmehr werde attestiert, daß die "Demokratie Wurzeln geschlagen hat" in der Türkei. In wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht sei nun vom strategischen Eckpfeiler des Westbündnisses an der Südostflanke zu lesen und vom "erstklassigen Schuldnerland", zu dem sich die Türkei entwickelt habe.

Dennoch verweist Alkan auf die Studie des Gießener Professors Siegfried Quandt, die zwischen dem 1. März und dem 30. April 1995 durchgeführt wurde. Sie kommt zu dem Ergebnis, daß die Türkeiberichterstattung vor allem von Meldungen über die Kurdenfrage dominiert sei. 52 Prozent der Presseberichte seien negativ ausgefallen, nur 7 Prozent hatte Quandt als positiv klassifiziert. Ähnliches gelte auch für die Fernsehberichterstattung. Dort seien etwa die historischen, ideologischen und aktuellen Zusammenhänge der Kurdenproblematik nicht deutlich gemacht worden. Quandt habe auch beobachtet, daß sich viele Journalisten nur sporadisch mit der Türkei beschäftigten, wodurch es ihnen an Hintergrundwissen mangelte.

Diese Ergebnisse führen Alkan zu dem Schluß, daß das Türkeibild in den deutschen Medien "nicht sehr positiv ist". Als Grund dafür nennt er die Historie des Türkeibildes und die aktuellen Ereignisse in der Innen- und Außenpolitik der Türkei, die die Perzeption des Landes negativ beeinflußten.

Besonders der Rückgriff auf die zuletzt erwähnte Gießener Studie reizte Moderator Scharlau vom Norddeutschen Rundfunk (NDR) zu dem Wortspiel, daß das "Quantifizieren von Berichten", das in Quandts Institut auch über Japan durchgeführt worden sei, "selten die Wahrheit ans Licht" bringe.

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"Wo bleibt das Positive?" - Fragen eines Praktikers
Wolfgang Koydl, Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Istanbul

Angesichts der angeklungenen Medienkritik stellte sich Wolfgang Koydl als "erster Übeltäter" vor, der mitverantwortlich für das negative Bild der Türkei ist. Amüsiert zeigte er sich darüber, wie von professionellen Beobachtern des Journalismus die negative Berichterstattung bemängelt werde. So habe schon Erich Kästner die Frage "Wo bleibt das Positive?" gestellt.

Die Inflation des Negativen erklärte sich der Journalist schlicht mit dem Leserverhalten: "Würden sie einen Artikel lesen mit der Überschrift 'Schon fünf Jahre kein Wirbelsturm in Florida'" oder eher den über einen Hurrikan". Den Ausdruck "bad news are good news" kenne er nicht. Das Motto "only no news are bad news" werde der Situation des Journalismus eher gerecht und habe lange auf die Situation der Türkei zugetroffen. Nun aber gäbe es endlich ein Türkeibild, denn es berichteten Korrespondenten von dort.

Doch dadurch entstünden neue Fragen nach dem, was die Türkei sei: "Ist Bodrum, ist Bitlis, ist Bursa die Türkei? Ist es die Frau im Kopftuch oder der junge Kadett an der Militärakademie? Der Bauer aus Anatolien?" Objektivität jedenfalls gebe es im Journalistenberuf nicht. Koydl forderte eher auf zu untersuchen, wer an welchem Türkeibild interessiert sei. Zu den Vorurteilen zählte er: "Alle Türken sind Täter", die Minderheiten wie etwa die Kurden unterdrückten oder "jede türkische Frau trägt ein Kopftuch und unter jedem Kopftuch steckt eine geduckte graue Maus". Das stimme genauso wenig, wie die Vorstellung, daß jeder unbedeckte Kopf einen unabhängigen emanzipierten Geist zeige.

Koydl nannte auch Klischees über Deutsche in den türkischen Medien, z.B. das Bild, daß alle Deutschen verkappte Rassisten seien, die sich nun an den Türken austobten. Die dann, wenn sie nicht gerade Häuser anzündeten, den Beitritt der Türkei zur EU blockieren. Eine weitere Theorie, die er gelesen habe, gehe davon aus, daß sich Deutschland als einziges Land in der EU vergrößert habe und nun alles daran setze, andere zu zerschlagen. Mit Jugoslawien sei das gelungen und nun solle mit der Türkei fortgefahren werden, von der man Kurdistan abspalten wolle. "Daß das alles so nicht stimmt, wissen wir hier, aber es prägt natürlich sehr stark das Bild von vielen Lesern und Fernsehzuschauern", gibt Koydl zu bedenken. Eine schwierige und zugleich spannende Aufgabe für Journalisten. Ihm jedenfalls reiße die Redaktion die Berichte förmlich aus der Hand.

Nach Einschätzung von Koydl wüßten die wenigsten Deutschen genug über die Türkei. Aber auch nur eine kleine Gruppe von Türken scheint ihr Land ausreichend zu kennen. Bei seinen Reportagen komme er in Gegenden, die seine türkischen Kollegen nie gesehen haben. "Die gucken mich an und denken, ich sei im Ausland gewesen". Zum Beispiel habe sich in der Zeit der Debatte über die islamischen Imam-Hatip-Schulen niemand die Mühe gemacht, dort einmal hinzugehen. Manchmal habe er sogar den Eindruck, daß die ausländische Korrespondenten einen Teil der Arbeit für die türkischen Kollegen mitleisteten. "Wir gehen dorthin und gucken, wir sind auch diejenigen, die unbequeme Fragen stellen."

Nach Koydl lassen sich zwei Verhaltensweisen in Bezug auf den Kurden-Konflikts im Südosten des Landes beobachten: Entweder herrsche Stillschweigen über die Kurdenfrage oder die Kommentare der ausländischen Korrespondenten würden in langen Auszügen von den türkischen Medien zitiert. So kalkulierten türkische Kollegen scheinbar nach dem Motto: "Ich selber kann das nicht machen, also schiebe ich andere vor". Die Frage, ob man den Kurden-Konflikt militärisch lösen könne, tauche in den Medien nicht auf.

In Hinblick auf die angeblich negative Darstellung der Türkei in der deutschen Presse gab Koydl zu bedenken, daß diese weniger an der Berichterstattung läge als viel mehr an den negativen Tatsachen selbst.

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Oberflächlich und wenig differenziert auf Sensationen ausgerichtet
Eine Diskussion voller Kritik an den deutschen Medien

Deutsche und Türken sind sich nach Meinung des Oldenburger CDU-Abgordneten Thomas Kossendey so nahe wie nie zuvor "und doch sind wir uns so unwahrscheinlich fern geblieben in dem, was wir voneinander wissen". So zeige eine in Münster erstellte Promotionsarbeit ein verheerendes Bild der deutschen Presse. Die Qualität der Berichte über die Türkei sei nichts für Informationshungrige, denn Hintergründe tauchten in den Artikeln nur selten auf. Auch seien die Nachrichten über die Türkei sehr einseitig ausgerichtet. Die Artikel aus den 90er Jahren könne man unter dem Titel "Beunruhigung" zusammenfassen. Geschichte, Kunst, Kultur und das rechte Verständnis vom Islam würden "vollkommen ausgeblendet".

Häufig empfänden sich deutsche Journalisten mit ihrer kritischen Haltung in erster Linie nicht als Überbringer von Nachrichten, sondern "mehr als Missionare". Viele Artikel entstünden aus dem Wunsch, den Lesern darzustellen, wie etwas besser und gerechter sein könnte, statt dem Publikum mitzuteilen, wie der Zustand im Moment aussieht. Inzwischen seien die Journalisten allerdings selbstkritischer geworden, wie ihm seine Lektüre zeige.

Das Thema Türkei ist nach Ansicht von Kossendey in Deutschland zu einem "sehr virulenten Thema der Innenpolitik" geworden. Beim Stichwort Waffenexport erinnere er sich an manche Nachtsitzung im Bundestag, in dem "irgendwann zwischen elf und zwölf die Grünen oder die PDS eine aktuelle Stunde beantragt" hätten, weil Erbakan oder Ciller etwas Falsches geäußert hätten. "Wenn das Verhältnis zwischen zwei Staaten irgendwann zu einem Thema der Innenpolitik wird, dann ist die Gefahr sehr groß, daß die Rationalität ausgeblendet wird", befand der Christdemokrat. Auf einem solchen Boden wachse keine Freundschaft und kein Vertrauen.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Gerd Andres äußerte die Ansicht, daß das Bild der Türkei hauptsächlich von den in der Bundesrepublik lebenden Türken bestimmt wird. Diese "türkische Gesellschaft hier bei uns" reflektiert nach Andres' Meinung jedoch nicht den Entwicklungsstand in der Türkei. Häufig habe er die Erfahrung machen müssen, daß die Zuwanderer in Deutschland eine Gesellschaft konservierten, die sich in den vergangenen Jahren rapide weiterentwickelt habe.

Auch spiegele dieses Türkeibild alle Brüche und Rückschritte der Integration in die deutsche Gesellschaft wider. Auf den Lokalseite fänden sich Berichte über den Bau von Minaretten oder die "Riesenauseinandersetzungen" darüber, ob ein türkischer Fußballverein das Gelände eines deutschen benutzen darf. Auch berichteten die deutschen Medien ausführlich, wenn Kurden auf Autobahnen demonstrierten und sich anzündeten. Doch nähmen dieselben Medien eine Zusammenkunft der alevitischen Gemeinden in Köln nicht wahr, bei der unter 25000 Aleviten "keine einzige Frau mit einem Kopftuch" zu sehen gewesen sei.

Emine Demirbüken, tgd-Pressesprecherin und Ausländerbeauftragte in Berlin, machte als Betroffene auf die verengte Perspektive aufmerksam, mit der man die Türken in Deutschland betrachte. Wie sehe man die Türken in Deutschland und wann seien sie interessant? Nach ihrer Erfahrung sei die Aufmerksamkeit dann am größten, wenn es um die Frage der Kurden oder um die Kopftuchträgerinnen in der Türkei gehe. Das Türkenproblem werde als gesondertes Problem behandelt, "als ob wir eine Gesellschaft neben der Gesellschaft wären", die nur interessant ist in Bezug auf ihre Rückkopplung zur Türkei. Hier wünschte sie sich mehr Ausgewogenheit, denn sensationelle Berichterstattung zerstöre sehr viel. Verärgert zeigte sie sich über einen Artikel mit der Überschrift "Islam ist mit dem Grundgesetz unvereinbar", der ein Interview wiedergibt, das die Schlagzeile nicht bestätigt. Aus solchen Berichten könne sie nur schließen, daß das Türkenimage so gelenkt wird, wie man es gerade brauche.

Weiterhin beklagt Demirbüken die geringe Toleranz im alltäglichen Zusammenleben. Sie wünscht sich "ein bißchen Respekt" und fragt, wann wir anfangen, die 2,3 Millionen Türken in Deutschland als ein Gesamtpaket der gesellschaftlichen Zukunftswerkstatt zu sehen. "Und wann endlich werden die Türken nach dem Rentenproblem oder zur Steuerreform gefragt und nicht nur nach dem Islamismus und den Kurden?"

Matthias Sonn von der deutschen Botschaft in Ankara knüpfte an dieses "Sondergruppenproblem" der Türken in Deutschland an. Türken würden weniger als "Teilmenge" der deutschen Gesellschaft behandelt, die besondere Merkmale aufweise und daher auch besonderer Zuwendung bedürfe, sondern als etwa ganz eigenes, als "Fremdkörper".

Auch die türkischen Medien in Deutschland und der Türkei sähen die Türken in Deutschland so und bezeichneten sie als sogenannte "Gurbetschi". d.h. Personen, die in der Fremde leben und die Heimat verlassen haben. Vor allem in den türkischen Medien in Deutschland fehlten vertiefte Kommentare zur Rentenreform oder Steuerreform, all den Themen, die Frau Demirbüken zu recht erwähnt habe. Diese Themen beträfen die türkische Bevölkerung aber genauso, da sie in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht volle Inländerbehandlung genieße.

In einem Zwischenresümee zog Moderator Scharlau eine überwiegend negative Bilanz der deutschen Berichterstattung über die Türken und die Türkei. Scharlau, selbst Journalist, hielt dieses negative Urteil für nicht gerechtfertigt und war der Ansicht, daß man die Medien im Allgemeinen nicht beschuldigen könne, da nur in einzelnen Medien eine solche Berichterstattung vorherrsche. Es seien offenbar "die anderen, die das nicht hinkriegen", wandte er sich an Koydl, der als einziger für seine Artikel gelobt worden war.

Auch Wolfgang Koydl kann dieses negative Bild nicht bestätigen. Nach seiner Kenntnis werde sehr wohl auch über die türkische Kultur und Wirklichkeit berichtet. "Ich sehe meine Aufgabe in erster Linie darin, dieses Land selber kennenzulernen und das, was ich dort feststelle, zu vermitteln und zu erzählen, was dort wirklich los ist". Seiner Meinung nach fehle allerdings ein "Korrespondent für Almanistan", der in Köln sitze und sich mit den Türken in Deutschland beschäftige. Zu der Aussage, daß sich Deutsche und Türken so nahe seien wie nie, bemerkte er fragend, um welche Deutschen und welche Türken es sich dabei handele. Gastarbeiter würden nicht nur in der FAZ - wie von Alkan zitiert - für unzivilisiert und unhygienisch gehalten. Dieses Zitat könne auch aus dem türkischen Bürgertum kommen. Für Leser in Ankara hätte ein Korrespondent aus Almanistan also eine wichtige Funktion.

Yüksel Pazarkaya aus der Türkeiredaktion des Westdeutschen Rundfunks (WDR) schloß sich dem Bemühen seiner Kollegen an, ein differenzierteres Bild von den Medien zu entwickeln. Die Kritik an der deutsche Presse und dem Rundfunk treffe "in der Intensität" für die letzten Jahre nicht mehr zu. Allerdings fehlten genaue Untersuchungen zu diesem Thema. Seinem Eindruck nach finde man hier eine kritische Berichterstattung, sogar "mit viel Hintergrundwissen und Objektivität". Dagegen seien viele Berichte, die noch in Athen erstellt würden, "sehr antitürkisch gelenkt".

Dieter Schlegel von der Deutschen Welle wies auf den Widerspruch hin, von den deutschen Medien ein differenziertes Türkeibild zu verlangen und zugleich pauschal über diese Medien zu urteilen. Von türkischer offizieller Seite würden oft kritische Berichte in deutschen Medien gerügt, etwa wenn es um Menschenrechte gehe. Solche Äußerungen würden dann als "negatives Türkeibild" eingestuft. Wenn die deutschen Korrespondenten in der Türkei die Kritik von offizieller Seite auf sich ziehen, so sei das eine Bestätigung dafür, daß sie gut arbeiteten. Denn die offiziellen Stellen wünschten ein Türkeibild im Ausland, das absolut pauschal positiv sei. So einer Forderung "kann kein Journalist akzeptieren". Seiner Beobachtung nach würden "alle" deutschen Korrespondenten mit zunehmendem Türkeiaufenthalt sachlich immer kritischer.

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"Mich friert"
Ein Zwischenruf des türkisch-deutschen Unternehmers Vural Öger

"Die Türkei will wirklich enger Bruder und Partner sein - Hilfe, uns wird schlecht" - Mit diesem Ausruf beschrieb Vural Öger temperamentvoll seine Alltagserfahrung mit den Medien in Deutschland, seinem "Land Nummer zwei", dessen Paß er besitzt. Manche Medienmacher meinten, in den meisten Vorstädten nehme der Anteil ausländischer, meist türkischer, Jugendliche überhand. "Junge, kriminelle Türken - und die Multikulti-Gesellschaft steht vor der Pleite", formulierte Öger. Dann blätterte er in einer fiktiven Zeitung: "Auf Seite 2 ein Artikel über den bedrohlichen Islamismus, auf Seite 3 der Titel "Wir verweigern den jungen Türken die Staatsbürgerschaft und machen eine Fallstudie über die Kriminalität", auf Seite 5 ganz fair und zutreffend ein anderer über die türkische Mafia. Ganz hinten im Blatt die Empfehlung des neuen türkischen Restaurants 'Istanbul' und der Reisetip von heute: Antalya und Troja, Sonne und Mittelmeer".

Nach seiner Beobachtung bemühten sich die Medien um eine Korrektheit fast bis "zum Tode der Hoffnung", daß zwei Nationen zusammenkämen, die durch eine lange Freundschaft verbunden seien. In den Medien finde sich keine Hetze und kein offener Rassismus, sondern "es erhebt sich der deutsche Bedenkenträger". Es werde gegrübelt, und man sorge sich um die Fremden unter uns und um das ferne, fremde Land am Bosporus. Dies geschehe "immer auf ganz faire, nüchterne, sehr deutsche und sehr gründliche Weise. Die alte Unbefangenheit werde "vernichtet und die Freundschaft zerfetzt". Aber diese faire und korrekte Berichterstattung habe nach Ögers Empfinden ihre eigene Kälte. (Bei diesen Berichten, z.B. über die Untaten eines Politikers in Ankara, den Kurdenkrieg, die Armutszahlen und das Busunglück mit 25 Toten, könne ein Staatsanwalt den Medienbetrieb nie bezichtigen, unkorrekt zu sein.) Auch die deutsche Politik befasse sich nur mit Problemen, wenn sie von der Türkei spricht, z.B. mit der Frage, warum etwa die Türkei nicht zu Europa gehöre oder doch vielleicht einmal gehören werde, warum sie bedenklich, gefährlich und unberechenbar sei.

Die sieht Öger in der Rolle des "pausenlosen Nörgelhofs", der "Klagemauer Europas", die in den Medien als "eine Kreuzung aus Mittelalter und Hoffnungslosigkeit" dargestellt werde. "Ich lese, ich höre, ich sehe so unglaublich wenig von einem Versuch, die Freundschaft zu festigen oder von der Hilfe, die sie dabei brauchen könnte. Die Türkei ist vielmehr eine Art Käfer auf dem Seziertisch", klagte Öger.

Die negative Türkeiberichterstattung sei dabei nicht nur ein Phänomen der Boulevardpresse oder Kennzeichen rechtsradikaler Parolen, sondern genauso eine Erscheinungsformen des feinen und bürgerlichen Journalismus, dessen Wirkung Kälte sei. "Und mich friert", schloß Öger, der sich dennoch bei "objektiven" Journalisten - wie etwa Theo Sommer - bedankte.

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"Das Glas ist halb voll"
Oktay Eksi über das Deutschlandbild in den türkischen Medien

Ausdrücklich als einen nicht wissenschaftlichen Beitrag bezeichnete Oktay Eksi, Kolumnist der Hürriyet und Präsident des Türkischen Presserates, sein Referat über das "Deutschlandbild in den türkischen Medien". Er hatte die fünf führenden Tageszeitungen Cumhuriyet, Hürriyet, Milliyet, Yeni Yüzy_l und Sabah zwischen dem 1. August und dem 1. November 1997 untersucht und 122 Artikel, die sich mit Deutschland beschäftigten, ausgewertet. Unberücksichtigt ließ er die in Europa angefertigten Ausgaben.

Als Ergebnis seiner Untersuchung hielt Eksi fest, daß zumindest keine der großen Verlegergruppen in der Türkei ein bestimmtes Deutschlandbild steuere und durchschnittlich ein positives Deutschlandbild vorherrsche. In den Zeitungen Sabah (positive Deutschland-Tendenz) und Yeni Yüzyil (ausgeglichen), die beide zu der Sabah-(Bilgin-) Gruppe gehörten, hielten sich Zustimmung und Ablehnung tendenziell die Waage. Eine ähnliche Tendenz sei bei Milliyet (positive Tendenz) festzustellen, während Hürriyet eher von einer negativen Berichterstattung über Deutschland geprägt sei. Die beiden letzten Zeitungen gehören zu der Dogan-Gruppe.

Inhaltlich stand in den Artikeln die deutsche Haltung zum angestrebten EU-Beitritt der Türkei im Mittelpunkt, die bei 40 Prozent aller berücksichtigten Artikel positiv bewertet wurde. 54 Prozent schlugen einen negativen Grundton an, weil Deutschland als Hindernis auf diesem Weg betrachtet wurde.

Zusammenfassend sei das Deutschlandbild in der türkischen Presse "nicht von Vorurteilen geprägt". Doch hafte Deutschland nach Eksis Einschätzung oft das Image des Bremsers auf dem Weg der Türkei in die EU an. In Bezug auf die deutsch-türkischen Beziehungen neige die Presse seines Landes zu einer Darstellung, die der Sichtweise vom "halbvollen Glas" entspreche, während die deutsche Presse eher eine negative Haltung einnehme, die die Einschätzung vom "halbleeren Glas" widerspiegele.

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Durch die Tragödie von Krefeld ernüchtert
Schlagworte und nicht zurückgenommene Anschuldigungen in der türkischen Presse

Die SPD-Politikerin Anke Fuchs hatte bei einer Türkeireise im April das türkische Medienecho auf die Geschehnisse in Krefeld hautnah erlebt. Dort ereignete sich im Frühjahr eine Tragödie, die zu heftigen Reaktionen in der türkischen Presse führte. Beim Brand in der Wohnung einer türkischen Familie kamen eine Mutter und ihre zwei Kinder ums Leben. War zunächst von einem Brandanschlag mit rechtsradikalem Hintergrund ausgegangen worden, so ist nach jüngsten Erkenntnissen und dem Selbstmord des Familienvaters eher von einer Familientragödie auszugehen, bei der der Vater die eigene Wohnung in Brand gesteckt haben soll. Der Mann erhängte sich, nachdem überlebende Töchter ihn auf einem Videofilm beim Abfüllen eines Benzinkanisters auf einer Tankstelle identifiziert hatten. Damals hatte sogar die türkische Außenministerin pauschal "die Deutschen" angegriffen.

Anke Fuchs schilderte nun ihre Gespräche mit türkischen Offiziellen, bei denen sie von gemeinsamen Interessen in Bezug auf den türkischen EU-Beitritt und die Besserstellung der Türkei-Deutschen ausgegangen war. "In einer politische Naivität hatte ich die Vorstellung, daß es einen Minimum-Konsens gibt", äußerte Fuchs auch im Bezug auf die Berichterstattung. Sie sei "sehr enttäuscht worden", bekannte die Sozialdemokratin. Zwar sei dies auch die Zeit gewesen, in der Kanzler Kohl die Türkei "aus zivilisatorischen Gründen" außerhalb Europas gestellt habe. Doch habe Außenminister Kinkel dies später wieder gebührend zurechtgerückt.

Fuchs erinnerte sich an "eine Presse mit schlagwortartiger Kampagne gegen die Bundesrepublik", in der es keine Differenzierung gegeben hätte. Auch die Worte Außenminister Kinkels hätten keine Chance gehabt. Das Thema wurde nach ihrer Beobachtung zur innenpolitischen Profilierung, in diesem Fall gegen Ministerpräsident Erbakan, genutzt. Einwände gegen Vorverurteilung seien auf taube Ohren gestoßen.

Aus diesem Grund sei es wichtig, über die Verantwortung der Presse zu reden. Auch auf die Aufklärung der Krefelder Familientragödie sei die Reaktion der Presse "sehr lau" gewesen. Eine Kritik, die ihr Fraktionskollege Gerd Andres noch unterstrich.

Der türkische Botschafter Volkan Vural entgegnete später, die Vorurteile in der deutschen Boulevardpresse gegenüber den Türken seien mindestens genauso schlimm. Da stehe man "eins zu eins". Im Zusammenhang mit Krefeld seien die Anschuldigungen der damaligen Innenministerin in der türkischen Presse selbst am schärfsten kritisiert worden.

Auch Ahmed Külahci, Vorsitzender des Vereins der ausländischen Presse in Deutschland, verteidigte seine türkischen Kolllegen. Man dürfe seiner Meinung nach die Beobachtung der türkischen Presse nicht auf Krefeld reduzieren, riet der Journalist vom Bonner Büro der Hürriyet. Zwischen 1991 und 1996 seien in Europa 34 türkische Staatsbürger in Europa ums Leben gekommen. Nach Angaben des deutschen Verfassungsschutzes seien 1996 in Deutschland 8324 fremdenfeindliche Anschläge verübt worden.

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Die türkischen Medien in Deutschland binden die Türken an die alte Heimat
Yüksel Pazarkaya (WDR)

Über den Beitrag der türkischen Medien in Deutschland zum besseren Verständnis zwischen Deutschen und Türken referierte Yüksel Pazarkaya vom Westdeutschen Rundfunk. Er unterschied zwischen türkischen Medien aus der Türkei und solchen, die von "Deutschland-Türken" hier gemacht werden. Dreiviertel der türkischen Haushalte in Deutschland verfüge über Kabel- bzw. Satellitenanlagen und nutze diese auch für den Empfang türkischer Medien.

Zum Verständnis zwischen Deutschen und Türken trügen Fernsehbeiträge aber kaum bei, denn diese würden überwiegend in der Türkei und für die Türkei produziert und zeitgleich dort und hier ausgestrahlt. Nur im staatlichen Sender TRT/INT gebe es ein Programm speziell für die Deutschland-Türken. Doch auch dort überwögen in der Türkei produzierte Beiträge mit der Ausnahme der wöchentlich einstündigen Sendung "Arayis". Deren Titel ("Die Suche") meine die Suche nach der "türkischen Identität in Europa". In dieser Sendung jedoch kämen Deutsche ganz selten zu Wort. Zusätzlich werde die Suche nach der gewandelten Identität nicht selten von den beteiligten Türken aus Deutschland aber auch der Türkei in Kritik an Deutschland verwandelt. TRT/INT habe in Deutschland weder ein Büro noch einen Korrespondenten oder Berater.

Als Zwischenglied bezeichnete Pazarkaya die türkischen Tageszeitungen aus Deutschland (Hürriyet, Milliyet, Sabah und Türkiye), die mit 200 000 täglich verkauften Exemplaren etwa eine halbe Million Deutschland-Türken erreichten und deren Meinungsbildung wesentlich beeinflußten. Sie seien in der Mehrheit als liberal bis national-liberal einzustufen. In jüngerer Zeit böten sie eine breitere Palette von Meinungsartikeln. So lese man in der auflagenstärksten Hürriyet täglich Kolumnen, die von kurdisch national bis türkisch national reichten und meist kritisch gegenüber der Regierung in Ankara ausfielen. Bei Hürriyet und Sabah kämen zu den in der Türkei hergestellten Seiten täglich drei bis vier mit Berichten und Kommentaren zu Deutschland bzw. Europa hinzu. In der Türkeiausgabe - hier bestätigte er Eksi und andere - werde nur sehr selten über Deutschland berichtet, während in der Deutschlandausgabe die Anzahl der Berichte über Deutschland diejenigen über die Türkei sogar überschreite. Damit seien diese Zeitungen unverzichtbar für das Verständnis der Politik, Sozialpolitik und Arbeitswelt in Deutschland.

Einem Beitrag zur Verständigung zwischen den Menschen komme das jedoch keineswegs gleich. Statt dessen stehe das "vermeintliche Interesse der Türken in Deutschland" im Vordergrund. Dies führe konsequenter Weise zur Kritik an der Minderheiten- und Ausländerpolitik und fördere täglich die "kritische Distanz zu dem Land, in dem man als Minderheit lebt". Bei weniger reflektierenden Menschen führe dies sogar zu "Aversionen, die dann mit Voreingenommenheiten einhergehen". Zwar gebe es - wie im Beispiel Krefeld - reißerische bis ausfällige Überschriften, doch verdienten diese türkischen Zeitungen nicht den Vorwurf der nationalistischen Hetze.

Weiterhin spielten die - zwar quantitativ knapp bemessenen - öffentlich-rechtlichen Angebote eine "qualitativ höchst positive Rolle". Vor allem die täglichen Hörfunksendungen der ARD hätten viel zur Eingliederung der Türken in Deutschland und zum sozialen Frieden beigetragen. Die türkische Sendung des WDR in Köln sei sogar zum "Kulminationspunkt einer neuen Deutschland-Identität der Türken" geworden. Doch lasse dies in jüngster Zeit nach, zum einen, weil türkische Sender stärker würden, zum anderen wegen der deutschen Einheit.

Aus seiner Untersuchung der Medien zieht Pazarkaya die Schlußfolgerungen, daß die "Medienangebote aus der Türkei (...) die Türken in Deutschland an die alte Heimat binden". Die Angebote von ARD und ZDF könnten heute mit "mehreren Fernsehprogrammen aus der Türkei" aber nicht mehr konkurrieren und es fehle ein medialer Unterbau für die Diaspora-Türken.

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Die Klassensprecher
Diskussion über türkische Medien in Deutschland

In der anschließenden Diskussion äußerte sich die Abgeordnete Leyla Onur positiv über kritische Stimmen in den türkischen Printmedien. Ihrer Ansicht nach sollten jedoch die Probleme des Zusammenlebens nicht in einer Weise hochgespielt werden, daß "sie sich vorrangig im Bewußtsein der Türken festsetzen". Sie sei hier aufgewachsen und habe es gut gefunden, daß sich früher auch Türken mit Hilfe der deutsche Medien hätten informieren müssen. Nachdem nun über Satellitenschüsseln in Deutschland "20 türkische Sender" zu empfangen seien, nehme sie bei langjährig hier lebenden und integrierten Freunden aus der Türkei einen Prozeß der Desintegration wahr. Diese Entwicklung sei für beide Seiten nicht vorteilhaft.

Hürriyet-Korrespondent Ahmet Külahci verteidigte die türkische Presse in Deutschland. Man dürfe sie nicht für das schlechtes Bild, das sie vom Land verbreite, tadeln, wenn sie über die Probleme der hier lebenden Türken berichte. Als Beispiel nannte er eine Strafrechtsänderung, die kürzlich die Abschiebung straffällig gewordener Jugendlicher erleichtert habe. Dies wirke in einzelnen Fällen wie eine Doppelbestrafung für ein und dieselbe Straftat. Gleiches gelte für den Doppelstandard bezüglich der Einbürgerung. Während Deutsche aus der ehemaligen Sowjetunion die deutsche Staatsbürgerschaft erhielten, verlange man von den Türken, die türkische Staatsbürgerschaft aufzugeben, um deutscher Staatsbürger zu werden.

Auch Botschafter Volkan Vural hielt die Rolle der Medien als "Klassensprechers" der Türken für angemessen. Vural Öger erklärte, daß niemand außer Hürriyet sich der Türken hier angenommen habe. Viele von ihnen würden sich von der deutscher Presse und dem Fernsehen abwenden, weil ihnen deren Berichterstattung über das Kurden- und Zypernproblem nicht gefiele.

Külahci fühlte sich durch eine Studie des Bonner Bundespresseamts bestätigt, aus der er zitierte: "Die Berichterstattung von Hürriyet, Milliyet und Türkiye ist im Prinzip überwiegend kritisch, aber sachlich zutreffend".

Hannelore Wenzel-Dodenberg vom Bundespresseamt wies darauf hin, daß Külahci verkürzt zitiert habe. Im Bericht ihres Amts sei im weiteren fünf Prozent der Berichterstattung als sachlich nicht zutreffend gekennzeichnet worden. Dort aber seien Stil und Sprache auf einem Niveau, das unterhalb der schlimmsten Boulevardzeitungen Deutschlands läge.

Cem Özdemir, türkischstämmiger Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, wünschte sich die Auswertung der türkischen Medien durch das Bundespresseamt für Abgeordnete, "denn das sind unsere Zeitungen". Seine Kritik an den Medien galt den vielen "Negativschlagzeilen", die verändert werden müßten. Özdemir setzte sich auch für einen Generationenwechsel in den Redaktionen, denn "die marginalisierten Vertreter der ersten Generation, die ihr politisches Denken in der Türkei gelernt haben (...) werden unsere Probleme nicht lösen können. Wir brauchen Leute, (...) die diese Gesellschaft gut kennen, die nicht mit Komplexen behaftet sind, die sich frei bewegen und auf gleicher Augenhöhe den Deutschen begegnen". Özdemir möchte weg von dem Gefühl der "Opferrolle" und dem Blick durch die "Betroffenheitsbrille". Es müsse dagegen stärker herausgestellt werden, daß sich in den vergangenen 30 Jahren etwas verändert habe, daß es erfolgreiche (türkische) Arbeitgeber, Showstars, Rapper, Politiker und Künstler gebe.

Gehe in Deutschland die Bildungspolitik "vor die Hunde (...) dann ist das auch unser Problem, nicht nur ein Problem der Deutschen", warnte Özdemir. Er schlug vor, mit den Augen der jeweils anderen zu schauen, etwa denen der älteren Frau aus Duisburg, die plötzlich mit Minarett und Muezzin konfrontiert werde. Umgekehrt sollte auch diese Frau etwas über Sorgen, Nöte und Ängste ihrer türkischen Nachbarn erfahren. "Dazu brauchen wir interkulturelle Medien", verlangte Özdemir, etwa nach dem Vorbild des zweisprachigen TV-Senders Arte im deutsch-französischen Verhältnis.

Ähnlich wie Leyla Onur aufgrund vieler Türkei-Reisen konstatierte Matthias Sonn von der deutschen Botschaft in Ankara, daß es in der türkischen Presse in der Türkei (...) kein Deutschlandbild als solches gebe". Deutschland interessiere ausschließlich in Hinblick auf türkische Belange. Mit weitem Abstand stehe dabei an vorderster Stelle der türkische Wunsch nach Mitgliedschaft in der EU. Allein nach diesem Kriterium werde das deutsche außenpolitische Verhalten gemessen. Dann erst folge das Interesse an der Lage der türkischen Bevölkerungsgruppe in Deutschland.

Nach Sonns Ansicht sind die türkischen Medien ein wesentlicher Faktor, der die Integration der Türken in Deutschland fördern oder behindern könne. Die Integration nütze denen am meisten, die auf Dauer hier leben, gleichgültig, ob sie eingebürgert seien oder noch nicht. Die türkischen Medien in Deutschland hätten in dieser Hinsicht einen Wandel durchgemacht, denn deren Eigentümern in der Türkei hätten erkannt, daß eine vernünftig verstandene Integration der türkischen Bevölkerungsgruppe in Deutschland die Anerkennung ihrer eigenen Interessen voraussetze. Deswegen könne man den Türken in Deutschland nicht das Bild einer feindlichen Exilumwelt vermitteln, in der sie nur mit Mühe und bei starkem Zusammenhalt und Abgrenzung überleben können. Nun bemühten sich die türkischen Medien darum, den türkischen Lesern eine breitere Information der hiesigen Lebenswelt zu bieten.

Auch Mehmet Aktan von der Milliyet aus Bonn bestätigte einen Wandel bei den türkischen Zeitungen in Deutschland. Die Türkei sei Deutschland so nahe gekommen, daß manche Türken übers Wochenende nach Hause fliegen könnten. "Ist die Bindung an die Heimat ein Hindernis bei der Integration?" fragte Aktan. Seiner Ansicht nach seien alle Artikel, auch negative, die in türkischen Zeitungen in Deutschland erschienen, ein Beitrag für die Integration.

Die türkischen Zeitungen kreierten kein "feindliches Exil-Umfeld", sondern eher "ein problematische Umfeld": Es gebe Fremdenfeindlichkeit, und die Situation auf dem Arbeitsmarkt habe sich nicht geändert. In den Schulen würden Türken weiter diskriminiert. Die Türken hätten kein Wahlrecht, das Kindervisum sei eingeführt worden.

dpa-Korrespondent Baha Güngör wies darauf hin, daß in Deutschland nicht nur jene "großen" Zeitungen wie die SZ gelesen würden. Von den 30 Millionen Blättern hier sei die Mehrzahl regional verbreitet. Diese müßten ihre Berichterstattung verändern, da sie die Deutschen erreichten, die Tür an Tür mit den Türken leben. Eine große Bedeutung habe auch das Fernsehen, besonders die Privatsender. In türkischen Privatkanälen habe er noch nie eine positive Darstellung des Lebens türkischer Jugendlicher in Deutschland gesehen. Diese kämen dort nur als Opfer von Heroinhändlern oder von Banden vor.

Ahmed Külahci ergänzte, daß 32,6 Prozent der Türken in Deutschland keine Zeitung läsen, 11,9 Prozent nur einmal in der Woche und 27,6 Prozent mehrmals wöchentlich. Nur 28,9 Prozent studierten jüngsten Erhebungen zufolge regelmäßig die Zeitung. 45,7 Prozent der Türken in Deutschland griffen dabei ausschließlich zu türkischen Gazetten, 6,4 Prozent ausschließlich zu deutschen und 38 Prozent läsen sowohl deutsche als auch türkische Zeitungen. Bezogen auf das Fernsehverhalten kam man zu folgenden Ergebnissen: 39,2 Prozent der Türken in Deutschland konsumierten ausschließlich türkische Kanäle, 7,4 Prozent ausschließlich deutsche und 53,5 Prozent beide.

Hüseyin Baraner lebt in Istanbul. Er nannte sich einen "neutralen Türken", der für seine Firma die türkische Presse dort auswertet. Deutschland komme in türkischen Wirtschafts- und Fachzeitschriften "überraschend" häufig vor. Daß das in anderen Medien seltener sei, liege an den Lesegewohnheiten. Viele Türken interessierten sich in erster Linie für Persönlichkeiten. "Und die Türken kennen keine deutschen Persönlichkeiten".

Unzufrieden mit dem Deutschlandbild in den türkischen Medien zeigte sich auch der SPD-Abgeordnete Gerd Andres. Ein Deutschlandbild entstehe dort immer dann, "wenn die innenpolitische Interessenlage der Türkei betroffen ist". In "bösartiger Art und Weise werden dann Kolumnen geschrieben", die sich z.B. damit beschäftigen, wie in Deutschland die kurdische PKK geschont werde. Er kritisiere das Türkeibild der deutschen Presse, verlange aber auch mehr Kritik daran, wie die türkische Presse mit bestimmten Fragen etwa des Rechtsradikalismus und türkenfeindlicher Punker umgehe. Seiner Ansicht nach müsse man sich deutlicher Wahrheiten sagen.

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Aufnehmen und Loslassen
Diskussion über die doppelte Staatsbürgerschaft

Die Diskussion über die doppelte Staatsbürgerschaft von langjährig in Deutschland lebenden Türken spiegelte unterschiedliche Meinungen wieder: Theo Sommer hält die doppelte Staatsbürgerschaft für eine Selbstverständlichkeit, Hakki Keskin befürwortet sie, für Emine Demirbüken bedeutet sie fast schon zu wenig.

Botschaftsrat Sonn bezeichnete die Doppelstaatsbürgerschaft als ein Mittel, nicht als Selbstzweck. Ein Mittel zu Integration. Für ihn stelle sich allein die Frage, ob es sich dabei um ein taugliches Mittel handele oder, wie von Sommer angedeutet, "sogar um ein Patentrezept". Er selbst plädiere für die Adoption des "erfrischenden Voluntarismus" la Vural Öger. "Wir müssen wissen, wo wir stehen, wissen wo wir hinwollen und diesen Weg dann gemeinsam beschreiten".

Gerd Andres schloß sich diesem Votum an. Wenn hier für die Integration gestritten werde, so müsse seiner Meinung nach "die Türkei ihre Leute auch loslassen", denn eine Doppelfunktion werde auf die Dauer scheitern. Über die Funktion einer doppelten Staatsbürgerschaft lasse sich reden. Doch dann wäre es nicht akzeptable, daß alle türkischen Politiker auf Deutschlandbesuch die Türken hier als potentielle Wähler für die Türkei einstuften.

Kenan Kolat, der Geschäftsführer des türkischen Bundes in Berlin, widersprach der Äußerung Andres'. Seiner Ansicht nach muß der deutsche Staat diese Menschen erst einmal aufnehmen. Dann könne der türkische Staat sie vielleicht loslassen.

Auch Hakki Keskin widersprach Andres: Eingewanderte könnten nicht eine einzige Identität und Loyalität haben. Nach einer Sozialisation im Herkunftsland bleibe das Problem von zwei Loyalitäten und zwei Identitäten. (In einem Zwischenruf bemerkte Birgit Schnieber-Jastram an, daß das nicht auf Dauer der Fall sein müsse). Für Keskin hängt viel davon ab, wie diese Gesellschaft die Zugewanderten aufnehme und mit welchen Rechten sie sie ausstatte. "Dann wird meine Loyalität und meine Identität sich zugunsten dieser Gesellschaft verschieben", deutete er an. Solche Orientierungen selbst bei der zweiten oder dritten Generation sollten nicht beunruhigen. Es verwundere ja auch nicht, daß sich vor dreihundert Jahren nach Rumänien ausgewanderte Deutsche immer noch mit deutscher Identität zu ihrem Herkunftsland bekennen. Aufgrund der Arbeit der Türken in Deutschland ermögliche und empfehle die Türkei heute sogar, sich in Deutschland einbürgern zu lassen.

Auch Vural Öger wandte sich gegen eine Schwarz-weiß-Politik, die nach dem Grundsatz verfährt: bist du Deutscher oder bist du keiner. Eine solche Politik werde scheitern. Er bat um Verständnis für die Seele dieses Volkes.

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Birgit Schnieber-Jastram äußerte die Auffassung, daß man vielleicht gemeinsam zu viel sinnvolleren Lösungen als den im Moment praktizierten kommen werde, wenn sich die türkische Regierung bereit erklärte, zur Integration der Türken in Deutschland beizutragen. Viele Probleme seien erkannt, doch spielten wie im Tischtennis beide Seiten die Bälle hin und her, anstatt gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

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Familiensinn, Freundschaftsbegriff und Nationalismus
Ein Exkurs über türkische Befindlichkeiten

Die Türkei selbst hat, laut Matthias Sonn, an den Türken in Deutschland ein eigenes Interesse, das keineswegs immer darin bestanden habe, die Integration der türkischen Bevölkerungsgruppe in Deutschland zu fördern. Die meisten relevanten Kräfte in der Türkei seien von dem Verständnis ausgegangen, daß die Türken in Deutschland als eine "türkische Lobby im Ausland (...) selbstverständlich zugunsten türkischer politischer Interessen zur Verfügung zu stehen hätten (...), wann immer das Vaterland sie braucht". Daß Türken im Ausland andere Interessen haben könnten als Türken in der Türkei, komme dort vielen revolutionär vor. Bei dieser Einschätzung spielt der Einfluß des türkischen Nationalismus eine wichtige Rolle. Ein Türke gelte ihm zufolge als Türke, wo immer er sei, der mit Herz und Hand für die Interessen seines Vaterlandes einzustehen habe, unter Umständen auch unter der Rückstellung eigener Interessen.

Im Verhältnis zu Deutschland registrierte Sonn das psychologische Phänomen enttäuschter freundschaftlicher Erwartungen. Historisch hätten sich die Türken daran gewöhnt, Deutschland als ihren besten Freund in der Welt zu empfinden. Die Existenz auseinanderfallender Interessen zwischen den beiden Staaten habe bei den Türken deswegen zu besonders starken Enttäuschung geführt. Dort sei ein Freund jemand, der - jedenfalls öffentlich - immer zu einem steht. Ein Freund, der öffentlich kritisiere, sei kein Freund mehr, "sondern jemand, der mich verraten hat".

Vural Öger bestätigte dies. Sein Vater habe Deutschland als Freundesland bezeichnet. Dieses Bild sei inzwischen differenzierter geworden. "Der Türke hat immer gedacht, es gibt eine Seelenverwandtschaft mit den Deutschen", doch in Deutschland erlebe er nach einer gewissen Zeit "eine Enttäuschung nach der anderen".

Auch bei den in Deutschland lebenden Türken machte Cem Özdemir ein spezifisches "Wir"-Gefühl aus. In den türkischen Medien würden nach seiner Beobachtung Ereignisse so dargestellt, daß sie das "Wir"-Gefühl bestärkten, z.B. hätten stets "wir" ein Fußballspiel gewonnen oder "wir" eine Ausstellung eröffnet. In deutschen Medien würden dagegen die jeweils individuell Handelnden genannt. Das türkische Kollektivbewußtsein trenne stets zwischen "wir" und den anderen. Zwischenpositionen - wie die seine - seien selten. Es herrscht die Vorstellung, daß "jeder, der nicht auf meiner Seite ist, auf der anderen Seite steht". Hinzu komme ein spezielles Familienverständnis, das innerhalb der Familie jede Kritik zulasse, diese nach außen hin aber unterbinde.

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Blick zurück im Zorn
Emine Demirbüken

Tgd-Sprecherin Emine Demirbüken ist der Meinung, "daß wir alle eine Ebene erreicht haben, wo wir endlich mal streiten sollten". Nettigkeiten würden nicht mehr weiterführen. Vielmehr sei die Zeit gekommen zu fragen: "Was machen wir jetzt mit dem Gesagten?". Als eine in Deutschland aufgewachsene Türkin stelle sie den Anspruch an die deutsche Gesellschaft, hier als Landsfrau anerkannt zu werden und nicht als die "Arrogante, die noch den türkischen Paß in der anderen Tasche hat" zu gelten. Sie stimme der Aussage "unseres Bundespräsidenten" Roman Herzog zu, daß das interkulturelle und interreligiöse Zusammenleben viel weiter vorangeschritten sei als unser eigentlicher Dialog. "Wenn wir nicht mit unserem Dialog anfangen, wird das Zusammenleben zu einem Alptraum."

Zuvor hatte Demirbüken einen Beitrag zu der von ihr gewünschten "Streitkultur" erbracht, den nicht nur Moderator Scharlau als "ungeheuren Angriff auf deutsche Medien" empfand. Als Pressemitteilung der tgd verteilte sie einen Text, der mit den Worten beginnt: "Ein Teil der deutschen Intellektuellen hat seinen Antisemitismus inzwischen auf einen Antitürkismus oder Antiislamismus verlagert. Was im Falle der Judenvernichtung obsolet wurde, geht im Falle der Türken allemal: die pauschale Stigmatisierung eines ganzen Volkes und seiner Geschichte aufgrund seiner Andersartigkeit". Sie bezog sich dabei offenbar auf kritische Anmerkungen des "Spiegel" und der "Zeit" über die türkische Staatsdoktrin des Kemalismus.

Die Leistungen des Gründers der modernen türkischen Republik wurden auch auf dem Symposium durchaus unterschiedlich bewertet (vgl. Theo Sommer oben). Atatürks Wirkung wird von Türken meist mit Öffnung, Demokratisierung und Westorientierung des vormals osmanisch-islamischen Lands gleichgesetzt. Westliche Beobachter sehen dagegen heute eher eine Hypothek darin, daß die moderne Türkei von Militärs wie Atatürk gegründet wurde. Die Angst, daß die damals verteidigte Einheit des Lands gefährdet sein könnte, dürfte der Grund dafür sein, daß beispielsweise das Streben der Kurden nach Eigenständigkeit als Separatismus bekämpft wird.

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"Knallharte Interessen" statt Schönfärberei
ein Schlußwort von Anke Fuchs

In ihrem Schlußwort kündigte Anke Fuchs an, sie werde nicht auf die "Seele der Türkei Rücksicht" nehmen. Es gebe nach ihrer Auffassung keine selbstverständliche deutsch-türkische Freundschaft mehr. Diese müsse neu erarbeitet werden, wobei "unsere eigenen Interessen" gewahrt und geäußert werden sollten. Es sei besser, "knallhart" zu sagen, daß es nichts mehr gebe, was diese Freundschaft trage. Wolle die Türkei aber wirklich zur EU gehören, "dann dürfen auch wir sagen können, daß die Voraussetzungen dazu erfüllt sein müssen". Denn es bestehe zugleich die Anforderung, die Interessen der Menschen in Deutschland zu wahren.

Der Kritik an dem Umgang der Bundesrepublik mit den in Deutschland lebenden Türken schloß sie sich in den meisten Punkten an. Auf der anderen Seite könne von Deutschland nicht erwartet werden, alle Schritte zur Verbesserung allein durchzuführen.

Abschließend wies Anke Fuchs auf ein weiteres Kernproblem hin: Früher seien die Menschen aus der Türkei gekommen ohne einen Weg zurück. Heute werde gependelt, "bleibt man beides". "Überfordern wir nicht auch Menschen?" Den Türken in Deutschland werde einerseits angeboten, in einer Gesellschaft mit unserer Verfassung zu leben, auf der anderen Seite aber in die Verfassungswirklichkeit der Türkei zurückzukehren, die durchaus Unterschiede zur deutschen Realität aufweise, z. B. hinsichtlich der Gleichberechtigung der Frauen. Weitere Fragen schlössen sich an dieses Kernproblem an: Überfordern wir Menschen, die zwar formal zweisprachig seien, aber noch keine der beiden Sprachen richtig könnten (eine junge Türkin nannte dies in einem Zwischenruf ignorant).

Integration könne nach ihrer Ansicht nicht bedeuten, zwischen "zwei Welten hin- und her zu pendeln". Also müsse definiert werden, "wie gehen wir miteinander um, wie verhindern wir, daß die Verfassungswirklichkeit der Türkei bei uns Fuß faßt", sagte sie unter Anspielung auf die Lage der Frauen in der Türkei.

Anke Fuchs schloß die Debatte mit der Ankündigung, daß die Friedrich-Ebert-Stiftung diesen Dialog fortsetzen werde.


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