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Kaßler, Carl (Karl) (1847 - 1921)

Geboren am 11. September 1847 in Berlin als Sohn eines Arbeiters, evangelisch. Absolvierte nach der Volksschule eine Tischlerlehre. Mitglied im ADAV und verschiedenen lassalleanischen Streik- und Gewerkschaftsorganisationen, die im Berlin der frühen siebziger Jahre um ihre Organisationsform rangen. Von 1872 bis 1875 Kassierer im Berliner ADAV. Arbeitete seit [1880] als Portier in der Hauptstadt und gab der aufkommenden Bewegung der Handelshilfsarbeiter (Hausdiener, Geschäftsdiener, Packer, Markthelfer) in Berlin wichtige und entscheidende Impulse. Mitglied des am 20. September 1883 gegründeten "Vereins Berliner Hausdiener", der ersten bedeutenden Lokalorganisation von Hilfsarbeitern in Handelsgewerbe. Vom Berliner Verein spaltete sich am 7. Juli 1886 der "Unterstützungsbund der Hausdiener Berlins" ab, dessen Mitglieder sich nicht mehr in einem reinen Geselligkeits- und Unterstützungsverein aufgehoben fühlten. Wahl Kaßlers zum Revisor auf der Generalversammlung am 9. Oktober 1888 des Unterstützungsbundes, der sich programmatisch als Gewerkschaftsorganisation verstand (1891 ca. 1.000 Mitglieder).

Seit 1889 Redakteur und Expedient der wöchentlich erscheinenden "Einigkeit. Organ für die Gesamtinteressen der Haus- und Geschäftsdiener, Portiers sowie deren Berufsgenossen"; später mit dem Untertitel "Offizielles Organ folgender Vereine und Krankenkassen: Unterstützungsbund der Hausdiener Berlins; Verein Berliner Hausdiener, Freie Vereinigung der Hausdiener Berlins; Unterstützungsbund der Berliner Hausdiener in der Lederbranche; Verband Berliner Portiers und Berufsgenossen; Kranken- und Sterbekasse der Berliner Hausdiener (eingeschriebene Hilfskasse 61); Kranken- und Sterbekasse des Verbandes der Berliner Portiers und Berufsgenossen (eingeschriebene Kasse 96)". Zusammen mit einer großen Preßkommission mußte Kaßler im September 1892 das Blatt eingehen lassen, da es ihm an finanzieller Unterstützung mangelte. Zum 1. Januar 1892 fusionierte der "Unterstützungsbund der Hausdiener" mit dem "Zentralverein der Haus- und Geschäftsdiener" zum "Verband der Geschäftsdiener, Packer und Berufsgenossen". Auf der 1. Generalversammlung am 29. Januar 1892 votierte die vereinigte Mitgliedschaft für Carl Kaßler als neuen Vorsitzenden. Der Portier führte den Lokalverband im "revolutionären" Geiste und präsentierte als beliebter Redner den gängigen sozialdemokratischen Werte- und Weltanschauungskanon. Gewerkschaftspolitisch galt sein Engagement der Bekämpfung überlanger Arbeitszeiten und der Abschaffung der Sonntagsarbeit. Seit Oktober 1893 Mitglied eines Ausschusses seiner Berufsorganisation, die sich an der Enquete über die Verhältnisse im Handelsgewerbe des Reichsamtes des Inneren beteiligte. Am 11. September 1892 Teilnehmer eines Kongresses (24 Delegierte aus 10 Städten Deutschlands) von Handlungsgehilfen und Handlungshilfsarbeitern zur Beratung der "miserablen Lage der Arbeiter im Handelsgewerbe". Wahl Kaßlers in die paritätisch besetzte Agitationskommission aus gelernten und ungelernten Handelsangestellten. Der Standesdünkel der Handlungsgehilfen verhinderte indes ein gleichberechtigtes Zusammenarbeiten. Trennung der Agitationskommission zum 1. April 1893. Als "Agitationskommission der Hausdiener Deutschlands" bildeten Carl Kaßler und Carl Alboldt den Kristallisationskern neuer gewerkschaftlicher Organisationsversuche (neues Verbandsblatt ab 1. April 1893: "Correspondenzblatt des Verbandes der Geschäftsdiener, Packer und Berufsgenossen").

Im September 1893 startete Kaßler seine erste große Agitationstour durch Norddeutschland. Gleichzeitig gingen von Kaßler entscheidende organisatorische Anstöße für den 1. Berufskongreß seiner Berufskollegen aus. Bekam von der Berliner Mitgliedschaft am 29. Oktober 1893 ein Mandat, den geplanten Kongreß aller im Handelsgewerbe beschäftigter Geschäfts-, Haus-, Komptordiener, Markthelfer, Packer, Ausläufer, Speicher-, Speditions- und Kellerarbeiter, Geschäftskutscher und verwandter Berufsgenossen zu Pfingsten 1894 nach Halle an der Saale einzuberufen. In Halle Delegierter als Mitglied der Agitationskommission. Leiter des Kongresses, der die Zeit für den Aufbau einer gewerkschaftlichen Zentralorganisation noch nicht für gekommen hielt und mit der Autorität Kaßlers für die Beibehaltung der Lokalorganisation ("lose Zentralisation durch Vertrauensmännersystem") stimmte. Kaßler lehnte eine Wiederwahl in die Agitationskommission nach jahrelanger Kärrnerarbeit ab.

Wiederwahl zum Vorsitzenden seiner Berliner Lokalorganisation bis Mai 1895. Um die Ausdehnung des Verbandes auf andere Berufsschichten zu dokumentieren, beschloß die Generalversammlung am 15. Oktober 1894 die Umwandlung in "Verband aller im Handels- und Transportgewerbe beschäftigten Hilfsarbeiter für Berlin und Umgebung". Erneute Rundreise im Auftrage der Agitationskommission vom 29. Oktober bis 10. November 1894 durch die Städte Bremerhaven, Bremen, Hamburg, Kiel, Lübeck, Rostock, Stettin, Danzig, Königsberg, Elbing und Frankfurt an der Oder. Bei der Wahl zum Kassierer auf der Generalversammlung am 7. Mai 1895 bekam Oswald Schumann nach heftigen innerverbandlichen Auseinandersetzungen nicht genügend Stimmen. Kaßler verzichtete seinerseits auf das Amt des Vorsitzenden und übernahm selbst das wichtige Kassiereramt. Zeichnete ab 1. Juli 1895 als Verleger und verantwortlicher Redakteur für den neugegründeten "Handelshilfsarbeiter. Organ für die Interessen aller im Handels- und Transportgewerbe beschäftigten Hilfsarbeiter Deutschlands. Publikationsorgan der Organisationen der Markthelfer, Packer, Kutscher, Hausdiener und verwandter Berufe Deutschlands, Offizielles Organ der Agitationskommission der Handelshilfsarbeiter Deutschlands" formal verantwortlich, um den Österreicher Johann Dreher als Redakteur vor Repressionen zu schützen. Am 4. Januar 1896 erneut zum Kassierer und Arbeitsvermittler des "Verbandes aller im Handels- und Transportgewerbe beschäftigten Hilfsarbeiter für Berlin und Umgebung" gewählt, ein teilbesoldetes Amt mit 27 Mark pro Woche vergütet. Kaßler gab daraufhin seine Portiersstellung auf und arbeitete zeitweise als Bote. Delegierter auf dem 2. Kongreß der Gewerkschaften Deutschlands vom 4. bis 8. Mai 1896 in Berlin, vertrat dort 4.211 lokalorganisierte Mitglieder in Deutschland. Versuchte gegen die großen Gewerkschaften vergeblich, einen Verbotsantrag zur Beförderung der Gewerkschaftspresse an Sonntagen durchzusetzen. Von den Berliner Mitgliedern am 24. und 25. Mai 1896 mit den meisten Stimmen zum 2. Kongreß aller im Handels- und Transportgewerbe beschäftigten Hilfsarbeiter nach Halberstadt vom 24. bis 26. Mai 1896 delegiert; Referat: "Unsere Agitation und Taktik". Sprach sich für die Beibehaltung der bestehenden lokalen Organisationsform aus. Viele Widersprüchlichkeiten der in Halberstadt gefaßten Beschlüsse, der brüchige Kompromiß zwischen "Lokalisten" und "Zentralisten", letztlich aber die unversöhnliche Haltung der Berliner Lokalorganisation gegenüber der redaktionellen Ausgestaltung des Verbandsorgans ließen Kaßler die Seite wechseln. Auf dem außerordentlichen Kongreß vom 25. bis 27. Dezember 1896 in Altenburg votierte der knapp Fünfzigjährige - "im innersten Herzen noch Lokalist" - für den neugeschaffenen "Zentralverband der Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter Deutschlands". Johannes Hoffmann, Carl Kaßler und Oswald Schumann erhielten vom Kongreß ein Mandat als provisorischer Vorstand.

Am 7. Januar 1897 auf der Vorstandssitzung zum Hauptkassierer gewählt. Gleichzeitig gab Kaßler nach heftigen Auseinandersetzungen mit den in Berlin dominierenden Lokalisten sein Amt als Arbeitsvermittler auf und eröffnete ein Zigarrengeschäft mit Fruchtweinherstellung aus eigener Kelterei. Nach dem Willen des Altenburger Kongresses übernahm Kaßler zum Schutz Johann Drehers zusätzlich die Funktion eines "zeichnenden Redakteurs" für das neugeschaffene Verbandsblatt "Courier". Eine Rolle, in die Kaßler bis zum Jahre 1903 noch mehrfach schlüpfen sollte. Eine Urabstimmung der Mitglieder bestätigte am 1. Juli 1897 das provisorische Statut und den provisorischen Zentralvorstand. Der Berliner lehnte auf der 1. Generalversammlung vom 25. bis 28. Dezember 1898 in Kassel zunächst das ihm angebotene Kassiereramt ab, da die Aufwandsentschädigung zu gering bemessen war. Mit der Option auf eine hauptamtliche Anstellung (nach erfolgreichem Zusammenschluß mit den Lokalisten) in Kassel erneut zum Hauptkassierer gewählt. Teilnehmer an der Konferenz der Generalkommission zur Vereinigung beider Gewerkschaftsrichtungen am 11. Dezember 1898. Auf der "Einigungskonferenz" zu Ostern 1899 in Leipzig mit 17 gegen 6 Delegiertenstimmen zum Kassierer gewählt, ehe die Konferenz an Formalitäten scheiterte. Der Verbandsausschuß des "Zentralverbandes der Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter Deutschlands" legte nach geglückter Wiedervereinigung zum 1. Juli 1900 seiner Festanstellung zunächst Steine in den Weg; Kaßler konnte bis zur 2. Generalversammlung vom 6. bis 10. April 1901 in Nürnberg nur als besoldete Hilfskraft eingestellt werden. In Nürnberg endgültige Wahl zum besoldeten Hauptkassierer. Kaßlers Name stand für die Beitragsreform des Jahres 1905. Der Frankfurter Verbandstag beschloß in diesem Jahr die Einführung von drei, bzw. vier Beitragsklassen (die Klasseneinteilung nach Orten wurde 1910 aufgegeben). Seitdem steuerten alle Mitglieder Beiträge gemäß ihres Wochenlohnes bei. Wiederwahl auf allen Verbandstagen bis 1914.

Auch die organisierten Seeleute und Hafenarbeiter akzeptierten nach der Vereinigung im Mai 1910 seine Kompetenz als finanzieller Sachwalter. Mit Carl Kaßler stand neben dem deutlich jüngeren Oswald Schumann ein Vertreter an der Verbandsspitze, der den ungeahnten Aufstieg der ungelernten Handelshilfsarbeiter Berlins aus rudimentären Organisationsansätzen hin zum machtvollen Bündnis aller Hilfsarbeiter des Dienstleistungs-, Transport- und Verkehrsgewerbe im kaiserlichen Deutschland in idealer Weise verkörperte. Am 9. Verbandstag vom 7. bis 13. Juni 1914 konnte der kranke Carl Kaßler nicht teilnehmen. Der Verbandstag stellte ihm bei andauernder Krankheit eine Invalidenrente in Aussicht, wählte ihn allerdings in Abwesenheit nochmals einstimmig zum Kassierer. Im August 1915 unterzeichnete Kaßler einen Aufruf der sozialdemokratischen Kriegsopposition, um den Kriegskurs der Partei zu korrigieren. Scharfe Rüge des Gewerkschaftsvorstandes wegen eigenmächtigen Handelns. Letztlich wurden Kaßler die Unterschlagungen des sächsischen Gauleiters und SPD-Landtagsabgeordneten, Otto Richter, zum Verhängnis, die er nicht rechtzeitig aufgedeckt hatte. Trat 1916 auf Drängen des Verbandsausschusses von seinem Amt zurück und mußte ein Teil des Defizits aus eigener Tasche ausgleichen. Lebte seit 1916 aus dem Unterstützungsfonds "invalider Verbandsangestellter". Carl Kaßler starb am 19. Oktober 1921 in Berlin.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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