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Drescher, Wilhelm (1867 - 1949)

Geboren am 1. September 1867 in Mittelgläserdorf (Schlesien), verheiratet, Dissident. Fuhr nach der Volksschule zur See. Arbeitete als Kohlenzieher, Heizer und Oberheizer auf den Postdampfern des Norddeutschen Lloyd. Ließ sich im Januar 1895 in Hamburg nieder, weil er sich einer längeren Krankenbehandlung unterziehen mußte. Nach kurzer Fahrt zur See nahm er von Oktober 1895 bis Februar 1896 Domizil in Altona. Musterte im April 1896 endgültig ab und ließ sich zunächst als Lagerarbeiter beim Norddeutschen Lloyd, später als Hafenarbeiter, in Bremerhaven nieder. Mitglied der freigewerkschaftlichen Lokalorganisation "Fachverein der Schiffsheizer und Kohlenzieher". Der Lokalverein ging wenig später mit 187 Mitglieder im nationalen "Seemanns-Verband in Deutschland" auf, der zum 1. Februar 1898 seine Arbeit aufnahm. Machte sich im Februar 1899 als Schankwirt selbständig.

Der ehemalige Seemann blieb jedoch seinen alten Berufskollegen - wie viele andere Funktionäre aus der Hafenarbeiter- und Seeleutegewerkschaft auch - gewerkschaftlich eng verbunden. Im Januar 1901 einstimmig zum Vorsitzenden der Bremerhavener Mitgliedschaft gewählt. Drescher löste Johann Schmalfeldt ab, den Nestor der Seeleutegewerkschaft an der Wesermündung. Von 1902 bis 1903 mußte sich der Selbständige mit einem Sitz im lokalen Vorstand begnügen. Delegierter auf der 3. Generalversammlung des Seemann-Verbandes vom 20. bis 23. April 1903 in Hamburg und dem 4. Verbandstag vom 17. bis 20. April 1905 an gleicher Stelle. 1903 Erwerb der Bremer Staatsbürgerschaft. In Bremerhaven tat Drescher viel für die Errichtung eines Arbeitersekretariats; für dieses Projekt konnte er bei seinen Mitgliedern Extrabeiträge durchsetzen.

Der gebürtige Schlesier gab im Oktober 1903 seine Gastwirtschaft kurzfristig auf und übernahm als Selbständiger einen Tabak- und Zigarrenladen, ehe er 1905 mit einer eigenen Gastwirtschaft wieder als "Kommunikationszentrum" für die Seeleute seiner Wahlheimat diente. Von 1900 bis 1913 sozialdemokratischer Stadtverordneter in Bremerhaven. 1906 als stellvertretendes Mitglied für die Seeleute in das Reichsversicherungsamt in Berlin gewählt. Drescher vertrat auf dem 5. Verbandstag vom 21. bis 25. Oktober 1907 in Hamburg 1.215 Kollegen. Profilierte sich auf dem Gewerkschaftskongreß als konsequenter Gegner aller Unterstützungseinrichtungen und als Anhänger von Massenstreiks zur Durchsetzung politischer Ziele. ("Aber auch für den Generalstreik wird die Zeit kommen, wo er durch den Zwang der Verhältnisse für uns eine reale Tatsache wird.") Nach dem Verbandstag Wahl zum Vorsitzenden des Verbandsausschusses, der seit Gewerkschaftsgründung sein Domizil in Bremerhaven hatte. Drescher löste damit Johann Schmalfeldt ab. Durch die Verbandsreform und die "Entmachtung" des Ausschusses im Jahr 1908 wurde Dreschers Einfluß deutlich beschnitten. (Neuer Verbandsname ab 1907: "Zentralverband seemännischer Arbeiter Deutschlands".) Der Ausschußvorsitzende gehörte zu den wenigen Seeleutefunktionären, die sich einer Aufkündigung des Kartellvertrages mit den organisierten Hafen- und Transportarbeitern vehement widersetzten. Der Seeleutegastwirt drängte hingegen - in deutlicher Opposition zum Gewerkschaftsvorstand - auf eine rasche Einigung mit den befreundeten Organisationen.

Sein syndikalistisches Selbstverständnis dokumentierte er deutlich als Oppositioneller auf dem 6. Verbandstag vom 24. bis 27. Mai 1909 in Hamburg: prinzipielle Ablehnung aller Unterstützungskassen, um den Kampfcharakter der Gewerkschaften nicht zu verwässern, Widerstand gegen die Anstellung weiterer besoldeter Funktionäre, Drängen auf umfassende gewerkschaftliche Zusammenschlüsse zur Vorbereitung kommender Streikkämpfe. Mitglied der vierköpfigen Verhandlungsdelegation der Seeleutegewerkschaft, die vom 13. bis 16. Dezember 1909 auf einer "denkwürdigen Konferenz" in Hamburg, in der "Einheitsorganisation aller Transportarbeiter zu Wasser und zu Lande" mündete. Mit dem gemeinsamen Verbandstag der Hafenarbeiter, Seeleute und Transportarbeiter am 12. Mai 1910 erlosch Dreschers nationales Mandat. Ein Teil seiner gewerkschaftspolitischen Forderungen waren in Erfüllung gegangen. Er bekleidete künftig in der neustrukturierten Ortsverwaltung des "Deutschen Transportarbeiter-Verbandes" einen ehrenamtlichen Vorstandsposten. Als Delegierter Bremerhavens gehörte er auf nationaler Ebene zu den profiliertesten Vorkriegsoppositionellen auf den Verbandstagen 1912 in Breslau und 1914 in Köln: Drescher wehrte sich gegen den Bau eines repräsentativen Gewerkschaftshauses in Berlin, votierte für Urwahl des Verbandsvorstandes, machte sich gegen die Ausweitung des Unterstützungswesen stark und kritisierte die mangelnde Mitwirkungsmöglichkeiten der lokalen Gremien bei der Besetzung hauptamtlicher Posten. Vom Verbandsvorsitzenden Oswald Schumann auf dem 9. Verbandstag vom 7. bis 13. Juni 1914 im Volkshaus zu Köln scharf attackiert ("... ich bedaure lebhaft, daß er seine rednerischen und sonstigen Fähigkeiten so wenig praktisch nutzbar für die Organisation zu machen versteht...").

Während des Krieges machte Drescher politisch eine deutliche "Rechtsentwicklung" durch. Beruflich mußte er im September 1917 seine Wirtschaft aufgeben und arbeitete als Schlosser. Nach dem Kriege von 1919 bis 1923 sozialdemokratischer Stadtrat im Bremerhaven. Seit 1920 besoldeter Arbeitersekretär des Ortsausschusses des ADGB, gleichzeitig lokaler ADGB-Vorsitzender. Sein förderndes Interesse galten der Arbeiterwohlfahrt und der Sozialistischen Arbeiter-Jugend. 1933 aus allen Ämtern entlassen. Lebte künftig als Rentner. Wilhelm Drescher starb am 22. November 1949 in Bremerhaven.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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