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TEILDOKUMENT:
Dittmer, Emil (1873 - 1960) (1) Geboren am 10. Oktober 1873 in Pyritz (Hinterpommern). Erlernte nach der Volksschule den Beruf eines Buchdruckers, zog Anfang der neunziger Jahre nach Berlin um und arbeitete dort als Buchdrucker, Korrektor und Faktor. Seit 1892 Mitglied des "Verbandes der deutschen Buchdrucker". Besuchte in Berlin diverse Weiterbildungseinrichtungen. 1898 in den Vorstand des "Verbandes der deutschen Buchdrucker" gewählt. Ab [1899] Wanderschaft und Studienreisen in Europa und Kleinasien (bis Konstantinopel). Von 1901 bis 1903 Arbeit als Buchdrucker in Genf, in dieser Zeit Korrespondent des "Vorwärts" und der "Leipziger Volkszeitung" und ehrenamtlicher Präsident des Genfer "Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins". 1903 Rückkehr nach Berlin, stand als Abstinent lebensreformerischen Kreisen nahe. Am 1. Juli 1903 erfolgte zunächst seine Anstellung als "Hilfsarbeiter" der Filiale Berlin im damaligen "Verband der in Gemeinde- und Staatsbetrieben beschäftigten Arbeiter und Unterangestellten". Vom 1. Oktober 1903 (nach dem Zusammenschluß der zersplitterten Berliner Filialen zu einer Großorganisation) bis 31. Dezember 1904 als Filialkassierer gewählt, wurde im November sogleich in den politischen Streik der Arbeiter im Gaswerk Danziger Straße verwickelt, die ihr Recht auf Landtagswahlbeteiligung während der Arbeitszeit erkämpfen wollten. 1904 bis [1910] Mitglied der Berliner Gewerkschaftskommission. Trat am 1. Januar 1905 nach dem Rücktritt des alten Vorsitzenden seine neue Stelle als 1. Vorsitzender der größten und wichtigsten Filiale des Reiches an. Spannungsreiches Verhältnis zum 1. Verbandsvorsitzenden Bruno Poersch, wobei Mentalitätsunterschiede zwischen dem sprachkundigen, weitgereisten Autodidakten und der alles dominierenden Führungspersönlichkeit im Verband nicht zu übersehen waren. Delegierter auf dem 4. Verbandstag vom 27. Mai bis 1. Juni 1906 in Mainz. Dittmer war als Berliner Filialvorsitzender deutlich um einen Ausgleich mit der Generalkommission der Gewerkschaften bemüht. Setzte sich von dem eher auf sozialen Ausgleich bedachten Kurs des zwischenzeitlich zurückgetretenen Verbandsvorsitzenden Bruno Poersch deutlich ab und plädierte für "die gleichen Ziele, wie die übrigen modernen Arbeiterorganisationen" (d.h. Streiks als "normales" gewerkschaftliches Kampfinstrument). In Mainz gegen eine deutliche Opposition als Nachfolger Heinrich Bürgers zum Redakteur der "Gewerkschaft" gewählt; damit Mitglied des Vorstandes des "Verbandes der Gemeinde- und Staatsarbeiter" (neuer Verbandsname ab 1906). Konnte wegen seiner Berliner Verpflichtungen das Redakteursamt offiziell erst am 1. Oktober 1906 antreten. Zeichnete allerdings bereits am 21. September 1906 für einen programmatischen Aufruf verantwortlich, der das künftige Redaktionsprogramm skizzierte: für eine konsequente Verfechtung des Koalitions- und Streikrechts der Gemeinde- und Staatsarbeiter, für eine stärkere Berücksichtigung der Kommunal- und Sozialpolitik und umfassende Aufklärungs- und Belehrungsartikel. ("Unsere Presse soll die Leuchte sein, welche dem neu gewonnenen Mitglied die Ziele und Prinzipien der Organisation weist [...].") Als Redakteur Verfasser nahezu aller Leitartikel. Redigierte das Blatt eher gemäßigt und wurde im Kaiserreich nur in einen spektakulären Prozeß verwickelt. (1908: 200 Mark Geldstrafe wegen Beleidigung des Hamburger Kaidirektors Paul Winter.) 1906 bis 1933 Mitglied der Berliner Kommunalen Pressevereinigung. Als Meinungsbildner Verfechter der Idee der Betriebsorganisation und über den "Verband der Gemeinde- und Staatsarbeiter" hinaus, Protagonist gewerkschaftlicher Konzentration. Vor dem I. Weltkrieg galt die "Gewerkschaft" unter den kommunalpolitischen Pragmatikern als eines der besten Gewerkschaftsblätter. Neben seiner Redaktionstätigkeit Mitarbeiter an der Theoriezeitschrift der deutschen Sozialdemokratie "Die Neue Zeit" und dem österreichischen Pendant "Der Kampf". Als "klassischer" Vertreter des Arbeiterbildungsgedanken lehrte Dittmer seit 1907 an der Berliner Arbeiterbildungsschule; in der Generalversammlung der Mitgliedschaft der Groß Berliner Filiale in den Bildungsausschuß des "Verbandes der Gemeinde- und Staatsarbeiter" gewählt, der gleichzeitig für die Jugendsektion verantwortlich war. 1913 zeitweise als Bildungssekretär für die zentrale Parteischule der SPD in Berlin vorgesehen. Neben der "Gewerkschaft" hatte der ehemalige Buchdrucker auch die Redaktion der "Sanitätswarte" übernommen, wobei sein Hauptaugenmerk Weiterbildungs- und Qualifizierungsfragen galt. Referate "Prüfungsvorschriften" und "Stellenvermittlungsgesetz" auf der 2. Konferenz des Krankenpflege-, Massage- und Badepersonals Deutschlands vom 21. bis 22. August 1911 in Berlin. Redaktionstätigkeit, Arbeiterbildung und Interessenvertretung des Gesundheitspersonals sollten künftig Dittmers gewerkschaftlichen Weg bestimmen. Lebte als Vorstandsmitglied mit dem Verbandsvorsitzenden Albin Mohs in Dauerfehde. Unterstützte die mißglückte Abwahl Mohs' auf dem 5. Verbandstag 1909 in Dresden. Wurde selbst 1912 auf dem 6. Verbandstag in München auf Initiative Mohs' aus dem Vorstand herausgewählt und als Redakteur nur noch mit beratender Stimme zugelassen. Nach der Wiederwahl Mohs' in München (mit einer Stimme Mehrheit) zunächst Rücktritt als Redakteur, konnte allerdings mit den übrigen Vorstandsmitgliedern zum "Weitermachen" überredet werden. Wiederwahl als Redakteur auf allen kommenden Verbandstagen bis 1928. Delegierter auf der 1. Internationalen Konferenz der "Arbeiter öffentlicher Betriebe" in Stuttgart vom 25. bis 27. August 1907. Hielt auf der 3. Konferenz vom 23. bis 25. September 1913 in Zürich das zentrale Referat "Die rechtliche Stellung des Gemeindearbeiters, Koalitions- und Streikrecht". Dittmers Resolution formulierte die Essentials der deutschen Gemeindearbeiterbewegung: vollständige Anerkennung des Koalitions- und Streiksrechts der Arbeiter öffentlicher Betriebe, Einheits (Betriebs)-Organisation für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst. 1914 Wahl als sozialdemokratischer Stadtverordneter in Berlin (bis 1922). Von 1914 bis 1933 2. Vorsitzender der Preßkommission des "Vorwärts". Sollte 1914 zum Kriegsdienst eingezogen werden, wurde indes auf Initiative seiner Gewerkschaft während des gesamten Krieges zurückgestellt. Redigierte die Verbandsorgane während des Krieges im Sinne der sozialdemokratischen Mehrheit der Generalkommission der Gewerkschaften. Nach der Novemberrevolution Mitglied der Deputation für das Gesundheitswesen und der Deputation für Jugendwohlfahrt der Berliner Stadtverordnetenversammlung. Nutzte die Mehrheitsverhältnisse, um entschiedene Reformen für das Gesundheitspersonal zu initiieren. Setzte mit den Sozialdemokraten eine Verfügung des Magistrats durch, die obligatorisch die Ausbildung der städtischen Krankenpflege regelte, eine Verordnung, die als Grundlage für die Ausbildungsverordnung des preußischen Ministers für Volkswohlfahrt vom 21. Juli 1921 diente. Der Redakteur der "Sanitätswarte" konnte viel von seinen programmatischen Forderungen "Berufsausbildung des Krankenpflegepersonals" auf der 3. Konferenz des Krankenpflegepersonals in Jena vom 30. November bis 1. Dezember 1919 verwirklichen. Mitglied des Landesgesundheitsrates Preußens und Mitglied des Reichsgesundheitsrates, seit 1925 Vorsitzender der Berliner Fachkommission Gesundheitswesen im "Verband der Gemeinde- und Staatsarbeiter". Hauptredner zu Ausbildungsfragen im Gesundheitswesen auf den Reichskongressen der Sektion Gesundheitswesen 1924 und 1926 in Dresden und Düsseldorf. Auf der Sitzung des Bundesausschusses des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes vom 2. bis 4. November 1920 in eine Studienkommission gewählt, die die Bedingungen zur Errichtung einer "Akademie der Arbeit" in Frankfurt am Main prüfen sollte. Als nach der Novemberrevolution der Neueintritt Hunderttausender in die freien Gewerkschaften erfolgte, wurde Dittmer vom Verbandsvorstand beauftragt, ein Bildungsprogramm des Verbandes zu entwickeln, das er auf dem 9. Verbandstag im August 1922 in Magdeburg präsentierte. Es sah, "eine systematische Bildungsarbeit von der Filiale wie auch vom Verbandsvorstand mit allen Kräften zu fördern [...]" vor. Dittmer figurierte nach Magdeburg neben seiner Redakteurstätigkeit als Bildungsdezernent und Beauftragter für Jugendfragen seiner Gewerkschaft. Die Inflation machte zunächst Dittmers ambitioniertes Bildungsprogramm zunichte. Frucht seiner Bemühungen war allerdings seit 1922 die von ihm betreute Serie "Schriften zur Aufklärung und Weiterbildung"; die bis zum Beginn des Jahres 1930 mit 42 Heften erschien. 1925 legte Dittmer erneut ein allumfassendes, ganzheitlich orientiertes gewerkschaftliches Bildungsprogramm vor, das ihn als einen der profiliertesten gewerkschaftlichen Erwachsenenbildner der Zwischenkriegszeit auswies. Der 10. Verbandstag im August 1925 in Frankfurt am Main stimmte seinen Thesen "Die Bildungsaufgaben der Organisation" zu und auch der Verbandsbeirat akzeptierte im April 1926 sein Programm, welches er zusätzlich auf Berufs- und Fachkongressen popularisierte ("Erhöhung der Lebensfreude"). Dittmers Bildungsvorstellungen bezogen sich auf die Agitation und Werbearbeit, das Vortragswesen in den Filialen, beinhaltete Richtlinien für örtliche Arbeitsgemeinschaften zur rhetorischen und pädagogischen Schulung, sah Führungen in Betrieben und Museen vor und zog den Film als Bildungsmedium mit in die Überlegungen ein. Gedacht war an Wochenend- und Ferienkurse. Der 1. Funktionärskurs fand vom 30. Mai bis 26. Juni 1926 (mit 300 Teilnehmern) statt. Dittmer trat selbst als Lehrer auf, ab 1927 in der eigenen Bildungsschule in Buckow mit hauptamtlicher Leitung, ab 1930 in einer eigenen Klasse des Gesamtverbandes in der ADGB-Bundesschule in Bernau. Neben dem ungleich größeren "Deutschen Metallarbeiter-Verband" war der "Verband der Gemeinde- und Staatsarbeiter" innerhalb der freien Gewerkschaftsbewegung die einzige Mitgliedsorganisation, die sich eine eigene Bildungstätte mit einem ausgewiesenen hauptamtlichen Bildungsexperten leistete. 1923 übernahm Dittmer zusätzlich die Redaktion der "Beamtengewerkschaft" (Startauflage 8.000 Exemplare) und ab [1924] die Fachzeitschrift "Technik und Wirtschaft". Viele seiner Vorträge und Abhandlungen wurden als Monographien gedruckt und vertrieben: "Die Stadt Berlin und ihre Arbeiter". Berlin 1906, "Zur Lage des Krankenpflegepersonals. Krankenhauspfleger und -Pflegerinnen, Privatpfleger, Bade- und Massagepersonal, Handwerker, Haus- und Betriebspersonal, Schwesternpflege und Schwesternheime, Organisation des Pflegepersonals". Berlin 1911, "Die Sozialisierungsbestrebungen in Staat und Gemeinde". Berlin 1919, "Die Bildungsaufgaben der Gewerkschaften". Berlin 1922, "Gewerkschaften, Industrie-Menschheit und Produktionsschule". Berlin 1925, "Zur Organisationsfrage der deutschen Gewerkschaften". Berlin 1925. Von 1920 bis 1933 leitete er als unbesoldeter Stadtrat im Berliner Bezirk Kreuzberg das Volksbildungsamt und die Abteilung Leibesübungen. Er selbst war aktiver Wanderer und Mitglied des "Touristenvereins Die Naturfreunde". Teilnehmer einer Besprechung freigewerkschaftlicher und sozialdemokratischer Funktionärsträger über die Verlängerung der allgemeinen Schulpflicht am 11. März 1927. Nachdem die Zusammenschlußverhandlungen des "Verbandes der Gemeinde- und Staatsarbeiter" mit der "Reichsgewerkschaft Deutscher Kommunalbeamter" und des "Verbandes deutscher Berufsfeuerwehrmänner" sich 1926 zerschlagen hatten, wurde auf einer Beamtenkonferenz am 5. September 1926 in Düsseldorf der Aufbau einer eigenen Beamtenabteilung unter dem Namen "Reichsbund der Beamten und Angestellten in den öffentlichen Betrieben und Verwaltungen (RBA), Mitgliedschaft im Verband der Gemeinde- und Staatsarbeiter" beschlossen und Dittmer in die Reichsleitung mit beratender Stimme delegiert (66% der Mitglieder kamen aus dem Gesundheitswesen). Bestätigung in diesem Amt auf der 1. Reichsvertretertagung der Organisation am 5. bis 6. Oktober 1928 in Stuttgart. Gab 1928 die Verantwortung für die Betreuung der Jugendlichen an Carl Polenske ab. Auf dem Gründungskongreß des "Gesamtverbandes der Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe und des Personen- und Warenverkehrs" vom 7. bis 10. Oktober 1929 in Berlin zum Redakteur der "Gewerkschaft" und zum "Hauptschriftleiter" aller Gewerkschaftsorgane des Gesamtverbandes gewählt. Dittmer zeichnete zu Beginn des Jahres 1930 für 13 Gewerkschaftsblätter verantwortlich, wobei das Hauptorgan "Die Gewerkschaft" für die neu geschaffenen Fachgruppen jeweils mit eigenen Fachorganen erschien; ferner behielt Dittmer die Redaktion der seit 1922 herausgegebenen "Schriften zur Aufklärung und Weiterbildung", bibliographisch als "Neue Folge" des Gesamtverbandes benannt. Mußte Ende 1931 wegen der ungeheueren Schwierigkeiten während der Wirtschaftskrise das Zeitschriftenprogramm des Gesamtverbandes deutlich straffen und einige Zeitschriften zusammenlegen. Dittmer verblieb zu den übrigigen Vorstandsmitgliedern in einer spröden Distanz. Vertrat als Redakteur bis 1933 den offiziellen Kurs seiner Gewerkschaft, der sich dezidiert gegen den ultralinken KPD-Gewerkschaftskurs richtete und auf eine enge Zusammenarbeit mit der SPD orientierte. Seine Faschismusanalyse in der Verbandspresse blieb blaß, charakterisierte die Nationalsozialisten als "Prätorianergarde" des großen Kapitals, die ausschließlich der Mehrung der Dividenden dienten. Versuchte bis Ende April 1933 in der Verbandspresse vorsichtig den gewerkschaftlichen Spielraum im "neuen Deutschland" auszuloten. Am 2. Mai 1933 im Zusammenhang mit der Besetzung der Gewerkschaftshäuser von den Nationalsozialisten inhaftiert und zunächst im Antikriegsmuseum in der Parochialstraße einige Tage festgehalten. Später ins Polizeigefängnis nach Plötzensee verbracht. Er saß dort bis zum 23. Mai 1933 ein. Lebte nach seiner Haftentlassung zurückgezogen als Rentner in Berlin-Lichtenberg; glaubte, ein Zusammengehen von Sozialdemokraten und Kommunisten in letzter Stunde hätte die Herrschaft des Nationalsozialismus abwehren können. Dittmer blieb während der nationalsozialistischen Herrschaft arbeitslos, da die Arbeitsämter explizit angewiesen waren, ihm keine Arbeit zuzuweisen. Verzog vor Kriegsende außerhalb Berlins, stellte sich nach 1945 dem FDGB Groß Berlins als Referent für Betriebsräteschulung und Mitglied des Kulturausschusses zur Verfügung. 1946 SED und Mitglied im Verband der Deutschen Presse (angeschlossen dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund). Schrieb 1947 noch für westdeutsche Gewerkschaftsblätter. 1948 von SED und FDGB zu seinem 75. Geburtstag hoch geehrt. Zu seiner "Heimat" entwickelte sich der Verband der Deutschen Presse. Nahm bis Mitte der fünfziger Jahre als Delegierter und Gast-Delegierter auf den Konferenzen des Bezirksverbandes Berlin teil. Bekam vom [Ost-] Berliner Magistrat ein jährliches "Ehrengeld" in Höhe von 300 DM bewilligt. Emil Dittmer starb am 21. Januar 1960 als ältestes Mitglied des Verbandes der Deutschen Presse.
Fußnote:
1Der Artikel wurde im August 2005 - nach Eingang ergänzender Hinweise von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand - aktualisiert.
© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998; Korrektur u. Ergänzung: August 2005 |