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Davidsen, Heinrich (1891 - 1963)

Geboren am 6. Oktober 1891 in Flensburg als Sohn eines Arbeiters, verheiratet, protestantisch. Fuhr nach der Volksschule zur See, besuchte die Seefahrtsschule und erwarb das Kapitänspatent. Arbeitete als Nautiker und führte als Kapitän Fischdampfer in die Gewässer vor Island und Grönland. Am 1. Juni 1907 Eintritt in den "Zentralverband seemännischer Arbeiter Deutschlands", der sich am 12. Mai 1910 in Hamburg auf einem gemeinsamen Gewerkschaftstag mit den Verbänden der Hafenarbeiter und Transportarbeiter unter dem Dach des "Deutschen Transportarbeiter-Verbandes" vereinte. Unterstützte von 1910 bis 1911 das "Russische Sozialistische Komitee in London". Schmuggelte auf dem Dampfer "Merkur" sozialistische Schriften nach Riga und Lobau und brachte vom Zarismus verfolgte Flüchtlinge nach Grangsmouth in England. Leistete von 1911 bis 1913 seinen Wehrdienst in der Kriegsmarine ab. 1912 Eintritt in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Von 1907 bis 1911 und von 1913 bis 1914 gewählter Vertrauensmann seiner Gewerkschaft. Davidsen machte den Weltkrieg bei der Kriegsmarine auf einem Minensuchboot mit.

Nach dem Kriege verdingte er sich als Hafenarbeiter in Flensburg und war während der Abstimmungszeit über das künftige Schicksal Schleswigs im "Deutschen Ausschuß" tätig. Von 1918 bis 1920 Mitglied des Flensburger Arbeiter- und Soldatenrates und des örtlichen Gewerkschaftskartells. Von 1919 bis 1920 ehrenamtlicher Leiter der Sektion der Hafenarbeiter des "Deutschen Transportarbeiter-Verbandes" in Flensburg. Seit dem 1. Oktober 1920 hauptamtlich angestellter Bevollmächtigter seiner Gewerkschaft in Swinemünde. Als einziger besoldeter Gewerkschaftsfunktionär in der Ostseestadt Ende Dezember 1921 zum Vorsitzenden des Gewerkschaftskartell Swinemünde gewählt. Neben der Gewerkschaftsarbeit starkes Engagement in der SPD; im April 1921 Wahl Davidsens als Beisitzer in den SPD-Ortsverein Swinemünde. Von 1921 bis 1933 Schriftleiter des "Mitteilungsblattes für das Verpflegungs- und Bedienungspersonal in der Deutschen Großschiffahrt". Regelmäßiger Mitarbeiter am sozialdemokratischen "Stettiner Volksboten". Spätestens 1922 war der Norddeutsche zum wichtigsten Arbeiterfunktionär Swinemündes avanciert, der auf allen zentralen Versammlungen der Arbeiterorganisationen sprach. Organisierte im Juli 1922 den Generalstreik in der Ostseestadt im Anschluß an den Rathenaumord und suchte gemeinsam mit der übergroßen Mehrheit der Mitglieder des SPD-Ortsverein die Partei auf einen "Linkskurs" zu drängen; lehnte jede bürgerliche Koalitionspolitik ab. Am 10. Februar 1924 auf Platz 2 der SPD-Liste in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. Mit 7 von 30 Mandaten blieb die SPD in Swinemünde stärkste politische Kraft, verharrte im Parlament jedoch in einer strikten Oppositionspolitik gegenüber der bürgerlich-konservativen Mehrheit.

Sprecher seiner Partei in Schulfragen. Am 22. März 1924 in den Swinemünder Magistrat gewählt. Behielt als "Stadtvater" zunächst das Abgeordnetenmandat bei, trat Ende April 1924 jedoch wegen Arbeitsüberlastung als Parlamentarier zurück. Im Magistrat vertrat der Gewerkschafter die Interessen der Stadt als Standort der Werft- und Metallindustrie, die er im deutlichen Gegensatz zur "Strandindustrie" sah. Im Oktober 1924 auf der Kreiskonferenz des SPD-Kreises Usedom-Wollin als Kassierer in den Kreisvorstand gewählt. Bekleidete von 1920 bis 1928 auch das Amt eines gewählten 1. Vorsitzenden des "Deutschen Transportarbeiter-Verbandes" (seit 1923: "Deutscher Verkehrsbund"). Unter Führung des Schleswigers stiegen die Mitgliederzahlen der freien Gewerkschaften wieder an (1924: 500 Mitglieder; 1925: 1.500 Mitglieder). Der "Deutsche Verkehrsbund" musterte als stärkste Einzelgewerkschaft 1925 ca. 500 Mitglieder (bei knapp 900 Berufsgenossen in Swinemünde). Während des ultralinken Kurses der KPD setzte sich Davidsen 1925 pointiert von der Kommunistischen Partei als potentiellem Koalitionspartner der SPD ab. Wahl in den Vorstand der Allgemeinen Ortskrankenkasse für den Gemeindebezirk Swinemünde im November 1925; Mitglied des "Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold" und Gründungsmitglied einer Wohnungsgenossenschaft in der Ostseestadt. Von 1922 bis 1933 Vorstandsmitglied der Seekasse (Invalidenversicherung) und der Seekrankenkasse.

Im Mai 1928 verließ Davidsen die Ostseestadt und übernahm die Stelle eines besoldeten Sekretärs der Reichsabteilung Seeleute, die unter Franz Köhler in Hamburg residierte; im gleichen Jahr als Vertreter des "Deutschen Verkehrsbundes" in das Reichsversicherungsamt Berlin entsandt. Während des Jahres 1929 fungierte er als technischer Berater eines Ausschusses des Internationalen Arbeitsamtes in Genf, in dem es hauptsächlich um die Beseitigung der Bordelle in den Hafenstädten ging. Delegierter für den "Gesamtverband der Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe und des Personen- und Warenverkehrs" auf dem Prager Kongreß der "Internationalen Transportarbeiter-Föderation" (ITF) vom 7. bis 13. August. Wahl in die Tarifkommission für Seeleute der ITF. Ende 1932 wechselte Davidsen als Reichsabteilungsleiter für Seeschiffahrt und Hochseefischerei nach Berlin. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung am 18. Mai 1933 entlassen. Kehrte 1933 nach Hamburg zurück, ohne eine Anstellung zu finden. Organisierte in enger Zusammenarbeit mit der ITF den Schmuggel antifaschistischer Broschüren von Antwerpen nach Hamburg und wirkte am Wiederaufbau des illegalen Parteiapparates der SPD mit. Am 21. März 1934 verhaftet, weil er ein Paket des verbotenen "Neuen Vorwärts" entgegengenommen hatte. Nach Schutzhaft und Untersuchungshaft am 24. November 1934 wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Er saß diese Strafe - unter Anrechnung der Untersuchungshaft - bis zum 17. April 1936 ab und wurde danach der Staatspolizei überstellt. Blieb nach seiner Haftentlassung bis zum Juli 1937 arbeitslos. Davidsen fand danach als kaufmännischer Angestellter bei der Schiffsmaklerfirma Reinhold Bange ein Unterkommen, setzte seine illegale Arbeit unter den Hafenarbeitern Hamburgs fort.

Wechselte im August 1942 zur Fa. Land- und See-Transport Hamburg. Am 1. November 1944 als "wehrunwürdig" erklärt. Nach der Kapitulation stellte sich Davidsen sofort dem in Hamburg neu entstandenen "Gesamtverband der Verkehrs- und Gemeindearbeiter" zur Verfügung. Mit anderen "gestandenen Gewerkschaftern" bekämpfte er die zentralistische Einheitsgewerkschaft "Sozialistische Freie Gewerkschaft" und half in Hamburg dem Industrieverbandsprinzip zum Durchbruch. Teilnehmer auf der ersten Zusammenkunft von 25 ehemaligen Funktionären aus der Weimarer Republik am 21. Juni 1945 in der Hansestadt, die den Antrag an die britische Besatzungsmacht auf Zulassung des Gesamtverbandes in Hamburg vorbereitete. Auf der zweiten Sitzung am 19. Juni 1945 in den vorläufigen Vorstand gewählt. Von Hamburg aus wurde der Aufbau der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes in Schleswig-Holstein gesteuert. Der erweiterte Vorstand des Gesamtverbandes fasste am 24. September 1945 den Beschluß, Heinrich Davidsen mit der Leitung der Bezirksverwaltung Nordwest zu betrauen. Auf der ersten Generalversammlung des Gesamtverbandes in Hamburg am 25. April 1946 bestätigten 350 Delegierte, die knapp 32.000 Mitglieder repräsentierten, Heinrich Davidsen als Bezirksleiter für den Bezirk Nordwest, der mit der Region Schleswig-Holstein identisch war. Am Rande der 1. Gewerkschaftskonferenz der britischen Zone vom 12. bis 14. März 1946 im Katholischen Vereinshaus in Hannover-Linden verständigten sich die Vertreter des öffentlichen Dienstes, der Eisenbahner, des Transport- und Verkehrsgewerbes eine "Arbeitsgemeinschaft Verkehr und Öffentlicher Dienst" ins Leben zu rufen, deren Gründung am 12. April 1946 in Bielefeld beschlossen wurde.

Wahl Davidsens in den Vorstand der Arbeitsgemeinschaft auf der Bielefelder Aprilsitzung. Am 20. Mai 1946 konstituierte sich der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft und verabschiedete im Beisein Davidsens die von Hans Jahn vorgelegte Satzung. Dem Antrag der Arbeitsgemeinschaft auf Beitritt zur "Internationalen Transportarbeiter-Föderation" gab der Exekutivrat der ITF auf seiner Sitzung am 13. August 1946 in Stockholm statt. Damit war die ITF das erste internationale Berufssekretariat, das deutsche Gewerkschaften nach dem Kriege als Mitglieder aufnahm. Als deutscher Vertreter reiste Heinrich Davidsen mit drei anderen Gewerkschaftern zur ITF-Tagung vom 26. bis 29. April 1946 nach Antwerpen. In idealtypischer Weise verkörperte der Flensburger die Kontinuität der internationalistischen Tradition der Transportarbeiter der Weimarer Republik über den antifaschistischen Widerstandskampf hin zum demokratischen Neubeginn nach 1945. Als Leiter der Abteilung Schiffahrt im Gesamtverband (später: Vorsitzender der Zonenfachgruppe Seeschiffahrt und Hochseefischerei) suchte er unnachsichtig die Säuberung der deutschen Seeschiffahrt von nationalsozialistischen Einflüssen, um deutschen Seeleuten wieder neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu eröffnen. ("Erst wenn die Seeleute der anderen Länder erkennen, daß in der deutschen Seeschiffahrt wirklich kein Nazigeist mehr vorhanden ist, werden sie bereit sein, ihre scharf ablehnende Haltung gegen die Beschäftigung deutscher Seeleute auf fremden Schiffen aufzugeben.")

Auf der ersten Internationalen Hafenarbeiter- und Seeleutekonferenz der ITF navh dem Kriege in Hamburg vom 5. bis 6. Februar 1947 berichtete Heinrich Davidsen über die deutschen Seeleute nach dem Kriege und stellte eine Reihe von Forderungen für die Wiederzulassung der deutschen Seeschiffahrt auf. Es war dem Fachgruppenleiter Seeschiffahrt zu danken, daß auf der Internationale Konferenz der ITF in Oslo vom 19. bis 24. Juli 1948 Bedenken ausländischer Seeleutegewerkschaften gegen eine Bemannung mit deutschem Personal fielen, so daß die ersten deutschen Seeleute auf fremden Schiffen anheuern konnten. Der Kongreß wählte den gelernten Seemann zum stellvertretenden Mitglied des Generalrates. Obgleich vom Bezirk Nordwest als Bezirksleiter wiedergewählt, legte der schleswig-holsteinische Bezirksleiter Wert darauf, auch von der Hamburger Generalversammlung am 21. Juli 1947 ein Mandat für die Leitung des Bezirks zu bekommen; ein Vorgang der die dominierende Rolle Hamburgs bei der Wiedergründung der Gewerkschaften unterstrich. Wiederwahl im Dezember 1947 in Rendsburg (34.600 Mitglieder).

Seit dem 1. April 1948 Vorstandsmitglied der "Gemeinwirtschaftlichen Hochseefischerei GmbH" in Bremerhaven, die im Juni 1947 als Kooperationsprojekt zwischen GEG und DGB gegründet wurde und im August 1948 ihren Fangbetrieb aufnahm. 1951 benannte die Genossenschaft den 18. Neubau ihres Schiffes nach ihrem Mitbegründer und Vorstandsmitglied. Seine besondere Fürsorge galt der "Volksküchenorganisation im Hafen" wie dem "Seemannsheim" auf St. Pauli; in beiden Sozialorganisationen hatte er leitende Ehrenämter inne. Auch die Seemannskommissionen beider Konfessionen unterstützte er, damit setzte er sich klar von der alten Generation "atheistischer" Seemannsfunktionäre ab. Davidsen spielte im Konzentrationsprozeß der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes der Westzonen eine zentrale Rolle. Delegierter auf der 2. Gewerkschaftskonferenz der britischen Zone vom 21. bis 23. August 1946 in Bielefeld. Die Delegierten des Vereinigungsverbandstages der Gewerkschaften Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr der britischen Zone vom 9. bis 12. September 1947 in Krefeld wählten Davidsen zu einem der Schriftführer. Wahl zum Hauptvorstandsmitglied auf der Krefelder Tagung; ebenfalls Mitglied des Bezirksvorstandes des Bezirks Nordmark des Deutschen Gewerkschaftsbundes der britische Besatzungszone (letztmals Wiederwahl in den Vorstand am 1. April 1949). Innerhalb des Vorstandes zählte Davidsen zu den scharfen innerverbandlichen Kritikern des amtierenden Vorsitzenden Malina und sprach ihm wegen dessen intransigenten Führungsstil seit April 1948 offen das Mißtrauen aus.

Als Hauptvorstandsmitglied nahm Davidsen an allen wichtigen Vorständekonferenzen der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, Transport und Verkehr des Jahres 1948 teil, die organisatorisch und strukturell den Vereinigungsprozeß in den Westzonen steuerten. Organisatorisch gelang ihm im Bezirk Nordwest, der lange als Schmerzenskind in der britischen Zone galt, eine durchgreifende Organisationsreform, indem sämtliche kleine Ortsverwaltungen aufgelöst wurden und leistungsfähigeren Kreisverwaltungen Platz machten. Teilnehmer auf dem außerordentlichen Verbandstag der ÖTV der britischen Zone vom 25. bis 26. Januar 1949 in Köln, der die Loslösung des Postpersonals sanktionierte. Delegierter auf dem Vereinigungsverbandstag der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, Transport und Verkehr vom 28. bis 30. Januar 1949 in Stuttgart. Als Bezirksleiter in den Hauptvorstand der Gewerkschaft ÖTV gewählt. Nach dem Weggang Adolph Kummernuss' von Hamburg nach Stuttgart wurde in Hamburg die Leitung des Bezirks vakant. Die Delegiertenversammlung des Bezirks Hamburg wählte am 21. Februar 1949 Davidsen zum neuen ÖTV-Bezirksleiter. Mitglied der Hamburger Bürgerschaft von 1949 bis 1953. Hatte in der Bürgerschaft die Funktion eines 2. Vorsitzenden der SPD-Fraktion inne. Einstimmige Wiederwahl als Bezirksleiter auf der Bezirkskonferenz am 16. Oktober 1951 in Hamburg. Bestätigung Davidsens als Hauptvorstandsmitglied auf dem 1. Gewerkschaftstag vom 18. bis 22. Februar 1952 in Hamburg, den er im Namen von 70.000 organisierten Mitgliedern begrüßte.

Am 16. Mai 1949 auf der Vertreterversammlung des Ortsausschusses Hamburg zum 1. Vorsitzenden des Hamburger DGB-Bezirks gewählt. Auch Davidsens gewerkschaftliche Arbeit als Hamburger DGB-Vorsitzender mußte sich "der Wandlung der wirtschaftspolitischen Anschauung von der Zentralverwaltungswirtschaft zur freien sozialen Marktwirtschaft anpassen". Seinen Arbeitsschwerpunkt setzte er bei der Bekämpfung der Hamburger Arbeitslosigkeit. Vor allem der Errichtung und dem Ausbau der Hamburger Arbeitsbehörde galt sein Interesse. Hierbei nutzte er die besonders privilegierte Stellung des DGB-Ortsausschusses, dessen Einfluß wegen des Stadtstaatcharakters weit über den Einfluß vergleichbarer lokaler DGB-Vorstände hinaus ging. Sowohl in Senatskreisen, bei den Behörden, in der Hafenwirtschaft und den kommunalen Arbeitgebern wurde er stets respektvoll als "Herr Kapitän Davidsen" angesprochen; eine Anrede, die mehr als förmliche Höflichkeit war. Bei der Verabschiedung von knapp 20 Gesetzen wirkte Davidsen in den frühen fünfziger Jahren in enger Kooperation mit den Arbeitsbehörden mit. Mit dem Gesetz über die Einrichtung einer Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 10. März 1952 kam auch in der Arbeitsverwaltung das bewährte Prinzip der Selbstverwaltung wieder zum Tragen. Mitglied des Verwaltungsausschusses beim Landesarbeitsamt Hamburg. Gesellschafter der Vermögensverwaltung dert Gewerkschaft ÖTV GmbH.

Davidsen litt seit seiner Inhaftierung an einer fortschreitenden Herzerkrankung. Zum 1. Juli 1953 ging er als Bezirksleiter in Pension, gleichzeitig legte er sein Amt im DGB nieder. Heinrich Davidsen starb am 2. Juli 1963 in Quickborn.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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