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TEILDOKUMENT:
Die vorliegende "Chronologie der deutschen Gewerkschaftsbewegung von den Anfängen bis 1918" entstand in der Zeit von 1992 bis 1995. Sie war von Dieter Schuster für eine Veröffentlichung in einem der Gewerkschaftsverlage vorgesehen. Aus ökonomischen Gründen wurde der Druck des umfangreichen Werkes allerdings nie realisiert. Diese Entscheidung hatte etwas mit der schwierigen Situation der deutschen Gewerkschaften zu Beginn der neunziger Jahre zu tun. Dieter Schuster beendete seine Chronik mit dem Jahr 1919, nachdem sich herauskristallisierte, dass ein Druck nicht realisiert werden konnte. Das Werk erreichte nur Manuskriptreife. Es war jedoch durch eine Texterfassung elektronisch gespeichert. Die Revolutionierung der Kommunikationstechniken bot indes die einmalige Möglichkeit, die nahezu 1.000 Manuskriptseiten elektronisch zu publizieren und damit die Chance, ein einmaliges Hilfsmittel für die Gewerkschaftsforschung und die politische Bildung der Öffentlichkeit nutzbar zu machen. Seit dem Siegeszug des Internet und des World Wide Web hat sich die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung bemüht, die neuen Möglichkeiten des "Netzes der Netze" konsequent zu nutzen.
Aber nicht nur Stiftungsveröffentlichungen hat die Bibliothek ins Netz gelegt.
Es lag deshalb auf der Hand, dass die Bibliothek die einmalige Chance nutzen würde, Dieter Schusters Basiswerk zu veröffentlichen und es vor dem "Vergessen" zu bewahren. Die Stiftungsbibliothek hat ein ganz besonderes Verhältnis zur deutschen Gewerkschaftsbewegung. 1995 übernahm sie den vollständigen Bestand der Bibliothek beim Bundesvorstand des DGB. Die Bibliothek mit ihren einmaligen Schätzen steht heute uneingeschränkt über den nationalen und internationalen Leihverkehr und das Katalogangebot über das Internet der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung. Die intensive Nutzung der Bestände spricht für sich. Auch andere Gewerkschaftsbibliotheken haben den Weg nach Bonn gefunden. So vertrauten die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die Industriegewerkschaft Medien, die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten, die Gewerkschaft Holz, die damalige Industriegewerkschaft Bau, Steine, Erden und viele internationale Berufssekretariate ihre Bibliotheken der Friedrich-Ebert-Stiftung an. Die Stiftungsbibliothek zählt damit weltweit zu einer der größten Gewerkschaftsbibliotheken überhaupt. Dieter Schuster hat die Übernahme von Archiv- und Bibliotheksbeständen von Düsseldorf nach Bonn wohlwollend und mit Rat und Tat begleitet. 1992 war er als ehemaliger leitender Archivar und Bibliothekar aus Altersgründen aus den Diensten des DGB ausgeschieden. Als Intimkenner der deutschen Gewerkschaftsbewegung war sein Wissen auch bei Publizisten, die sich mit gewerkschaftlichen Themen befassten, viel gefragt. Sein wissenschaftliches und publizistisches Gesamtwerk ist beeindruckend. Die vorliegende Chronik ergänzt sein Oeuvre um einen weiteren Baustein. Dieter Schuster wurde am 22. November 1927 in Leipzig geboren. Die Schrecken des Zweiten Weltkrieges erlebte er in jungen Jahren selbst hautnah, denn noch als Schüler wurde er 1943/44 als Luftwaffenhelfer einer der vielen "Kindersoldaten", von denen das NS-Regime viele in den Tod schickte. 1945 wurde der junge Luftwaffenhelfer zur damaligen Wehrmacht eingezogen, geriet danach in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Entlassung vollendete er 1946/47 seinen zwangsweise unterbrochenen Schulbesuch und machte sein Abitur. 1948 absolvierte der an Geschichte brennend Interessierte ein Volontariat beim Stadtgeschichtlichen Museum in Leipzig. Ein Jahr später kehrte er dem Zwangsregime den Rücken und studierte bis 1958 an der Bonner Universität Geschichte, Germanistik und Philosophie. Als Werkstudent verdiente er sich seinen Lebensunterhalt durch Ordnungsarbeiten im Parteiarchiv der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. 1958 promovierte er zum Dr. phil. Nichts machte seine Interessenschwerpunkte mehr deutlich als das Thema seiner Dissertation "Das preußische Dreiklassenwahlrecht, der politische Streik und die deutsche Sozialdemokratie bis zum Jahr 1914"; an der Geschichte der Sozialdemokratie und den gewerkschaftlichen Kampfmitteln war er gleichermaßen interessiert. Seine fachliche "Gesellenprüfung" als Bibliothekar und Archivar legte er in Amsterdam ab. Von 1960 bis 1965 verzeichnete er am Internationalen Institut für Sozialgeschichte gemeinsam mit anderen deutschen Mitarbeitern zentrale Quellen der deutschen Arbeiterbewegung. Die Internationalität des Instituts, seine intellektuelle Weite bei gleichzeitiger handwerklicher "Pflichterfüllung" hat ihn entscheidend geprägt. Ende 1964 holt ihn der Deutsche Gewerkschaftsbund nach Düsseldorf; seit 1966 leitete er eine leistungsfähige Bibliothek und ein umfassendes Zentralarchiv. In zahlreichen nationalen und internationalen Gremien engagiert sich Dieter Schuster. Sie aufzuzählen würde den Rahmen eines Vorwortes sprengen. Herausgehoben werden soll nur seine Mitarbeit innerhalb der International Association of Labour History Institutions (IALHI). Als Repräsentant der deutschsprachigen Einrichtungen nahm er Funktionen im IALHI-Vorstand wahr. Von Anfang an verbindet der Hüter des "Gedächtnisses der deutschen Gewerkschaftsbewegung" das Interesse an den Quellen mit publizistischen Interessen. In mehreren umfangreichen Publikationen vermittelt er einen kompetenten Überblick über die nationale und internationale Gewerkschaftsbewegung. Zahl und Breite der Titel seiner Bibliographie besticht. Das Standardwerk "Die deutsche Gewerkschaftsbewegung" erreichte seit 1971 mehrere Auflagen. Es wird ins Englische, Französische, Spanische, Japanische und Arabische übersetzt. Die dreibändige "Chronik der deutschen Sozialdemokratie" (gemeinsam mit Franz Osterroth) steht heute im Lesesaal aller Nationalbibliotheken auf der Welt. Ohne Dieter Schuster wären viele Dokumente für die wissenschaftliche Rekonstruktion und Bewertung historischer Prozesse verloren gegangen. Für die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung bedeutete es deshalb eine große Ehre und eine besondere Herausforderung, die "Chronik" des ehemaligen DGB-Bibliothekars und DGB-Archivars elektronisch zu publizieren und weltweit zugänglich zu machen. Die einmaligen Recherchemöglichkeiten elektronischer Dokumentation haben den wissenschaftlichen Gebrauchswert des Basiswerkes deutlich erhöht. Die Gewerkschaftschronik war natürlich nicht für eine elektronische Veröffentlichung vorgesehen. Auch der Manuskriptcharakter der Chronik hatte nicht das Stadium der Veröffentlichungsreife erreicht. Auf die Gründe wurde hinlänglich eingegangen. Zu danken ist deshalb besonders den Kolleginnen Edelgard Slama und Ruth Großgart. Sie haben viele Zitate überprüft und manche Unebenheit geglättet. Ruth Großgart hat die vollständige Transformation in ein internetgängiges Format übernommen. Beiden Kolleginnen sei an dieser Stelle besonders herzlich gedankt. Der Stipendiat der Hans-Böckler-Stiftung, Hubert Woltering, hat mit Unterstützung der gewerkschaftsnahen Stiftung den Text mit Registern erschlossen. Gerade die unüberschaubare Flut der Informationen in den Netzen macht ein intellektuelles Aufarbeiten von Informationsangeboten nötig. Als Gewerkschaftshistoriker und "gelernter" Wissenschaftlicher Bibliothekar war Hubert Woltering besonders prädestiniert, Dieter Schusters Basisarbeit für eine Internetedition aufzuarbeiten. Wir wünschen der Gewerkschaftschronik eine weite Verbreitung. Globalisierung und Arbeitsteilung haben den Charakter von Gewerkschaftsarbeit nachdrücklich verändert. Organisation und Basisarbeit der Gewerkschaft wird auf lange Zeit lokal und national bleiben. Und nach wie vor gilt: Wer nicht weiß woher er kommt, weiß nicht wohin er geht.
© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2000 |