Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. -
[Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
Außerordentlicher Parteitag der USPD in Berlin. 176 Delegierte. Gefordert werden: Die sofortige Auflösung des alten Heeres und der Freikorps; die Errichtung einer Volkswehr aus den Reihen der klassenbewußten Arbeiterschaft; sofortiger Beginn der Vergesellschaftung der kapitalistischen Unternehmungen; Wahl der Behörden und der Richter durch das Volk; der im Kriege geschaffene Vermögenszuwachs soll weggesteuert werden; Ausbau der sozialen Gesetzgebung; Trennung von Staat und Kirche und von Kirche und Schule; Anspruch jeden Kindes auf die seinen Fähigkeiten entsprechende Ausbildung und die Bereitstellung der hierzu erforderlichen Mittel; Einführung eines öffentlich-rechtlichen Monopols für Inserate und Übertragung an die Kommunalverbände; Herstellung freundlicher Beziehungen zu allen Nationen; sofortige Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur russischen Räterepublik und zu Polen; Wiederherstellung der Arbeiter-Internationale auf dem Boden der revolutionären sozialistischen Politik im Geiste der Konferenzen von Zimmerwald und Kienthal. Der Parteitag beschließt, solange die kapitalistische imperialistische Gesellschaftsordnung den Völkern ihren Stempel aufdrücke, komme eine Landesverteidigung für die sozialistischen Arbeiter nur in Frage, wenn es gelte, die errungene sozialistische Freiheit und Herrschaft gegen Angriffe kapitalistischer Mächte zu sichern und zu festigen. Der 1. Mai sei durch allgemeine Arbeitsniederlegung zu feiern. Der Parteitag »erhebt flammenden Protest« gegen das bisherige Ermittlungsverfahren gegen die Mörder von Rosa Luxemburg und K. Liebknecht. Er verurteilt auf das schärfste, daß ein wesentlicher Teil der Gewerkschaftsangestellten - die Gewerkschaftsbürokratie - dem revolutionären Kampf des Proletariats teilnahmslos oder gar feindlich gegenübersteht. Die Mitglieder werden zur Arbeit in den Gewerkschaften aufgefordert, um diese »auf den Boden der Revolution« zu bringen. Die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Kommunismus und der Politik der USPD sollen in gemeinverständlicher Weise in Broschürenform klargelegt werden. Ein Verzeichnis nennt 45 USPD-Parteizeitungen. H. Haase lehnt ab, gemeinsam mit E. Däumig den Parteivorsitz zu übernehmen. Nach E. Däumigs Verzicht werden zu Parteivorsitzenden bei 145 Stimmen gewählt: H. Haase (107), A. Crispien (133), zu Sekretären Luise Zietz (99) und W. Dittmann (89); zu Beisitzern G. Laukant (92), Anna Nemitz (77) und J. Moses (63). Dem Beirat gehören an: H. Fleißner (100), O. Braß (97), A. Henke (89), S. Oerter (87), J. Herzfeld (75), K. Kürbs (68), K. Kröpelin (68); der Kontrollkommission Lore Agnes (120), A. Geck (105), K. Ludwig (105), W. Bock (103) und R. Wengels (97).
2. Vom Beginn der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 3., unveränd. Aufl. 1980.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001
Stichtag:
2./6. März 1919
Mitgliederstand ca. 300 000. Tagesordnung: Die Aufgaben der Partei (H. Haase, E. Däumig); die internationale Konferenz in Bern (K. Kautsky); die Organisation der Partei (W. Dittmann); die Stellung der USPD zu den Gewerkschaften (R. Dißmann).
Während der Eintritt in den Rat der Volksbeauftragten kritisiert wird, bezeichnet es W. Dittmann als großen Fehler, daß die USPD-Mitglieder nicht dem Zentralrat beigetreten seien. H. Haase sagt den bürgerlichen Klassen den offenen Kampf an, lehnt aber die »Politik der Abenteuer, wie sie die KPD betreibt«, ab. Der Parteitag verabschiedet ein das Erfurter Programm ergänzendes Aktionsprogramm, nach dem sich die USPD auf den Boden des Rätesystems stellt und die Diktatur des Proletariats als notwendige Vorbedingung für die Verwirklichung des Sozialismus erstrebt wird. Um dieses Ziel zu erreichen, bediene sie sich aller politischen und wirtschaftlichen Kampfmittel, auch der Parlamente.
Das vornehmste und entscheidendste Kampfmittel sei die Aktion der Massen; planlose Gewalttätigkeiten seien verwerflich.
Der Parteitag spricht den in ganz Deutschland streikenden Arbeitern seine wärmste Sympathie aus und erklärt den politischen Massenstreik als das momentan beste Mittel des Proletariats, »Protest gegen das konterrevolutionäre Verhalten der pseudosozialistischen Regierung zu erheben«. Er erblickt in der Nationalversammlung weder ein Volksparlament, noch den Ausdruck des wirklichen proletarischen Volkswillens. Der Parteitag erhebt ent-
schieden Einspruch gegen die vom Zentralrat aufgestellten Bedingungen für die Teilnahme an dem einberufenen zweiten Rätekongreß, da die Delegiertenwahlen nicht nach Betrieben, sondern nach Bezirken durchgeführt und Vertreter der Bauernräte zugelassen werden sollen.