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TITEL/INHALT

Chronik der deutschen Sozialdemokratie / Franz Osterroth ; Dieter Schuster. - [Electronic ed.]. - Berlin [u.a.]
2. Vom Beginn der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 3., unveränd. Aufl. 1980.
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

Stichtag:
17./23. Sept. 1922

SPD-Parteitag in Augsburg. 349 stimmberechtigte Teilnehmer. Tagesordnung: Die Internationale und die Einigung des Proletariats (O. Wels); die Sozialdemokratie im Kampf um die wirtschaftliche und soziale Stellung der Frau (Johanna Reitze); die Justizreform (A. Saenger).
F. Bartels teilt mit, daß die Mitgliederzahl der Partei 1127134, darunter 175 713 weibliche Mitglieder, beträgt. 139 Parteizeitungen erscheinen. Die »SPD-Nachrichten für Funktionäre« haben eine Auflage von ca. 75 000 Exemplaren, »Die Gleichheit« eine von 36 000. Die Zahl der Bildungsausschüsse beträgt 500. Es bestehen zur Zeit etwa 140 jungsozialistische Gruppen. Die »Jungsozialistischen Blätter« haben eine Auflage von etwa 2300 Exemplaren. O. Wels teilt die organisatorischen Abmachungen mit, die zwischen den beiden sozialdemokratischen Parteien getroffen worden sind. Danach sollen die Organisationen auf der Grundlage des alten Organisationsstatuts eine kameradschaftliche Verständigung suchen. Der Vorstand der vereinigten SPD setzt sich zusammen aus drei Vorsitzenden, drei Kassierern, sechs Sekretären, zehn Beisitzern und dem Chefredakteur des Zentralorgans der Partei. Die USPD stellt einen Vorsitzenden, einen Kassierer, einen Sekretär und vier Beisitzer. Die Kontrollkommission besteht aus elf Personen, von denen die SPD sieben stellt.
Der Schutz der deutschen Republik gegen jeden monarchistischen Angriff durch Erziehung der breiten Massen des Volkes zu demokratischer und republikanischer Staatsgesinnung und durch Stärkung der proletarischen Kampffront zur Abwehr der nationalistischen Mordpropaganda sei die dringendste Aufgabe der Sozialdemokratie. Vor allem sei es notwendig, den staatlichen Verwaltungsapparat dem Einfluß der monarchistischen Reaktion zu entziehen. Der Parteitag bedauert, daß in verschiedenen Ländern, insbesondere in Preußen, die finanzielle Auseinandersetzung mit den ehemaligen Fürstenhäusern noch nicht durchgeführt sei.
Ein Antrag, mit der DVP eine Koalition nicht einzugehen, wird abgelehnt. Die Fraktion habe im Reichstag dahin zu wirken, daß die schwarz-weiß-rote Fahne für das gesamte Reichsgebiet verboten und das Zeigen dieser Fahne unter empfindliche Strafe gestellt werde. Parteivorstand und Reichstagsfraktion werden ersucht, mit allen Mitteln dahin zu wirken, daß die Reichsflagge Schwarz-Rot-Gold zur Flagge der Reichswehr bestimmt werde.
Für eine würdige Vertretung der deutschen Republik im Ausland durch Republikaner sei Sorge zu tragen und im Auswärtigen Amt Republikanern Geltung zu verschaffen.
Der Parteitag erwartet von der Reichstagsfraktion und den Fraktionen der Gliedstaaten, daß sie jedes parlamentarische Mittel benutzen, um die Schutzpolizei zu einem zuverlässigen Instrument der verfassungsmäßigen republikanischen Regierung zu machen und daß der Republikanisierung der Reichswehr die schärfste Aufmerksamkeit gewidmet wird.

Die Mitarbeit von Parteimitgliedern an reaktionären Zeitungen sei mit den Parteipflichten unvereinbar.
Im Interesse des Ansehens und der Werbekraft der Partei sei jedes Zusammengehen mit der KPD abzulehnen, solange diese Partei nicht bereit sei, sich restlos für die Erhaltung der Republik einzusetzen und auf jede unsachliche, beschimpfende und verleumdende Auseinandersetzung mit den übrigen Parteien zu verzichten.

Die in Bayern betriebene verantwortungslose, das deutsche Volk schwer schädigende Politik durch antirepublikanische Umtriebe wird verurteilt.

Der 9. November, der 1. Mai und der 11. August werden abermals als gesetzliche Feiertage gefordert.

Erneut wird die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit auf die unglückseligen Besatzungszustände in den westlichen Gebieten der deutschen Republik gelenkt.

Alle sozialdemokratischen Fraktionen der Landtage werden aufgefordert, für die Einrichtung von Elternbeiräten an den Schulen mit weitgehenden Rechten einzutreten. Die Reichstagsfraktion wird verpflichtet, einem Reichsschulgesetz nur zuzustimmen, wenn es eine ehrliche Durchführung des Artikels 146, Abs. 2 (Möglichkeit zur Gemeinschaftsschule) der Reichsverfassung sei. Auf eine rasche Verabschiedung eines solchen Gesetzes sei mit allen Kräften zu dringen.
Mit allen Mitteln müsse für die Durchführung der in der Reichsverfassung geforderten Neuordnung der Lehrerbildung hingewirkt werden.
Der Parteitag macht allen Mitgliedern den Eintritt in die und die aktive Unterstützung der Konsumgenossenschaften und Produktivgenossenschaften zur Pflicht, weil dadurch die Bekämpfung des Preiswuchers wirksam unterstützt werde.
In der Vorbereitung einer Hochschule der Arbeiterbewegung sieht der Parteitag eine wichtige Aufgabe.
Das Görlitzer Programm wird um den Abschnitt »Gesundheitspflege« erweitert:
Übernahme des gesamten Heil- und Gesundheitswesens in den Gemeinbetrieb. Vereinheitlichung des sozialen Versicherungswesens und dessen Ausdehnung auf alle Volksangehörigen. Planmäßige Verteilung aller der Gesundheitspflege dienenden Einrichtungen auf Stadt und Land. Ausbau der Krankenanstalten und aller anderen gesundheitlichen Heil- und Fürsorgeeinrichtungen. Elternberatungsstellen zwecks Heranbildung eines an Körper und Geist gesunden Nachwuchses. Eingliederung der Ärzte, Hebammen und des übrigen Heil- und Krankenpflegepersonals in die Gesamtorganisation des Heil- und Gesundheitswesens. Gemeinwirtschaftlicher Betrieb der Apotheken und aller Stätten der Herstellung, des Handels und des Vertriebes von Heilmitteln und Sanitätswaren. Durchgreifende Gewerbehygiene und Unfallverhütung unter Erweiterung der ärztlichen Mitarbeit. Regelung der Irren- und Minderwertigenfürsorge. Sorgfältiger Gesundheitsdienst in Stadt und Land durch von den Selbstverwaltungskörpern gewählte Amtsärzte. Gipfelung des gesamten Gesundheitsdienstes in einer Reichszentralbehörde für Volksgesundheit, soziale Versicherung und Bevölkerungspolitik.
In den Parteivorstand werden bei 324 gültigen Stimmen gewählt: H. Müller (322), O. Wels (312) als Vorsitzende; F. Bartels (322) und O. Heinrich (312) als Kassierer; als Sekretäre: A. Braun (259), Marie Juchacz (318), F. Krüger (309), H. Molkenbuhr (324), W. Pfannkuch (324); als Beisitzer: R. Fischer (312), O. Frank (318), K. Hildenbrand
(316), A. Ritter (313), Elfriede Ryneck (308), H. Schulz (316). In die Kontrollkommission werden bei 290 gültigen Stimmen gewählt: A. Brey (233), F. Brühne (216), P. Löbe (221), C. Hengsbach (209), A. Schönfelder (163), H. Müller /Lichtenberg (158), F. Fischer (134).



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