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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausg.: 21]
Bei einem Rückblick auf die vergangenen 10 Jahre wird sehr rasch deutlich, daß sich in der Altenpflege viel geändert hat: Bei der Vergütung hieß es Abschied nehmen vom Selbstkostendeckungsprinzip der Sozialhilfe. Die Pflegewissenschaft hat gemeinsam mit der Pflegeversicherung die Diskussion um Pflegeaufwand und Qualität in der Pflege vorangetrieben. Mit der Pflegeversicherung trat Transparenz bei den Strukturen der zu Pflegenden ein. Die Pflegeversicherung hat zudem ein gesichertes beitragsfinanziertes Einnahmevolumen geschaffen. 1998 investierten allein die Pflegekassen für vollstationäre Pflege insgesamt 13,4 Mrd. DM. Die zusätzlichen Mittel der Selbstzahler und der Sozialhilfeträger dürften das Gesamtvolumen auf mindestens das Doppelte steigern. Diese Finanzmasse teilen sich knapp 8.500 Anbieter. Im Zeitraum von 1993 bis 1996 hat sich die Zahl der Anbieter etwa verdoppelt. Aus der Menge der Leistungsanbieter entsteht Wettbewerb. Die Zahl der Kunden bleibt nämlich mit ca. 540.000 im stationären Bereich ziemlich konstant. Der Gesetzgeber hat den Wettbewerb gewollt. Er hat Rahmenbedingungen geschaffen, die es nahezu jedem ermöglichen, im Pflegemarkt tätig zu werden. Er hat andererseits in Kauf genommen, daß nicht jeder Anbieter in diesem Markt auch dauerhaft seine Existenz sichern kann. Zudem hat der Gesetzgeber mit einem restriktiven Zugangsverfahren zu den Leistungen - die Feststellung der Pflegebedürftigkeit durch den Medizinischen Dienst - , mit der Verpflichtung zur Einhaltung von Qualitätsnormen und mit strengen Vorschriften für die Preisbildung den Markt reglementiert. Schon diese Rahmenbedingungen zeigen, daß Pflegeheime - ob gewollt oder nicht - als Unternehmer in diesem Markt agieren müssen. Dies erfordert neben der vorhandenen pflegerischen Kompetenz auch intensives betriebswirtschaftliches Know-how. Dazu gehört auch, Planungsinstrumentarien für die Arbeitsorganisation und den Personalbedarf einzusetzen. Das KDA wird Mitte September solche Instrumente präsentieren. Mit Unterstützung des BMFSFJ soll ein Instrument modellhaft erprobt werden. Der AOK- [Seite der Druckausg.: 22] BV unterstützt diese Aktivitäten. Neben der Verbesserung der Organisationsabläufe wird so auch Transparenz geschaffen. Pflegebedürftige und deren Angehörige fordern zunehmend solche Transparenz, um die Angebote der Pflegeheime miteinander zu vergleichen. Der Anteil der Sozialhilfeempfänger in den Heimen ist zurückgegangen auf etwa 30%. Selbstzahler sind preissensibel. Ihre Bereitschaft wächst, die Preise auch bezüglich ihrer Leistungsgerechtigkeit kritisch zu hinterfragen. Wir stützen die Bereitschaft zum Angebotsvergleich durch Preisvergleichslisten. Leider wird die so erreichbare Klarheit für den Versicherten dadurch erschwert, daß einige Pflegeverbände uns das Recht absprechen, auch Beschreibungen der angebotenen Leistungen und deren Qualität zu veröffentlichen. Erst dann wäre ein direkter Vergleich der einzelnen Einrichtung mit der Konkurrenz möglich. Wir erwarten, daß der Gesetzgeber uns an dieser Stelle bessere Instrumente zur Verfügung stellt. Die Überlegungen der Politik zur Sicherung des Verbraucherschutzes sind dabei hilfreich. Darüber hinaus müssen aber auch eindeutige Aussagen über die von den Heimen angebotenen Leistungen getroffen werden. Zwar ist in den Rahmenverträgen und den Versorgungsverträgen der Leistungsauftrag des Heimes beschrieben. Güte und Qualität dieser Leistungen entziehen sich jedoch nahezu vollständig der Beurteilung, da - anders als in einer Reihe von Nachbarländern - Pflegestandards nur ansatzweise vorhanden sind. Ihre Entwicklung wird eine wichtige Aufgabe für die Zukunft sein. Zu bedenken ist allerdings, daß dieses Instrumentarium das vorrangige Ziel der individuellen, bedürfnisorientierten Pflege nicht aushebeln darf. Solche Pflegestandards sind wichtige Basis für die interne Qualitätssicherung, die leider nach wie vor zu wenig geplant und mehr zufällig stattfindet. Interne Qualitätssicherung bedarf für ihren Einsatz offensichtlich einer eindeutigen Verpflichtung. Ich habe den Eindruck, daß die Vertragspartner sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene mit der Vereinbarung interner Qualitätssicherungsmaßnahmen derzeit überfordert sind. Hier sollte der Gesetzgeber klare Bedingungen setzen. Interne Qualitätssicherung kann allerdings externe Maßnahmen nicht ersetzen. Hier stehen mit den - für alle Beteiligten verbindlichen - Qualitätsvereinbarungen nach § 80 SGB XI gute Ansätze zur Verfügung, die Qualität abzusichern und die Legitimation, diese zu überprüfen. Der Medizinische [Seite der Druckausg.: 23] Dienst der Krankenversicherung leistet mit diesen Aufgaben einen weiteren wichtigen Beitrag zur Qualitätssicherung im Pflegemarkt. Wir kennen alle die Diskussionen über die Mängel in der Pflege zu genüge. Die Frage ist, ob solche Mängel nicht im Interesse aller schneller und wirkungsvoller aufgespürt und beseitigt werden können. Auch dazu sind die Instrumentarien aus Sicht der Pflegekassen noch unzulänglich. Wegen der unterschiedlichen Interessenlagen scheint es auch kaum möglich, daß die Vertragspartner sich auf solche Instrumente verständigen. Der Gesetzgeber wird hier Konkretisierungen vornehmen müssen. Hierzu ist anzumerken, daß auch die Pflegeheime von einer Überprüfung profitieren können, wenn sich daraus im Sinne einer partnerschaftlichen Beratung Hinweise ergeben, wo Verbesserungen möglich sind. Die Intransparenz der verschiedenen Zuständigkeiten - und zwar nicht nur hinsichtlich der Leistungsträger - und die Wechselwirkungen des Marktgeschehens stellen nicht nur an die Heimmitarbeiter und die Mitarbeiter der Kassen und Sozialhilfeträger große Anforderungen. Gerade ältere Menschen stehen der Fülle der Leistungsangebote und der Leistungsanbieter oft ratlos gegenüber. Wir wollen daher unsere Versicherten bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützen. Auskunft über seine Rechte erhält der Versicherte im stationären Bereich in erster Linie durch den Heimvertrag. Er muß transparente Regelungen enthalten und vor Beginn des Vertragsverhältnisses abgeschlossen sein. Die diesbezüglichen politischen Bestrebungen finden ausdrücklich unsere Unterstützung. Sie stellen einen wichtigen innovativen Ansatz in den bislang erkennbaren Überlegungen des BMFSFJ zur Novellierung des Heimgesetzes dar. Diese Novelle ist aus unserer Sicht überfällig. Sie muß gewährleisten, daß die Kompetenzen der Heimaufsicht als Ordnungsbehörde einerseits und der gemeinsamen Selbstverwaltung der Vertragspartner in der Pflege andererseits besser als bislang aufeinander abgestimmt werden. Was die Selbstverwaltung regeln kann, muß ihrer Regelungskompetenz zugeordnet bleiben. Die Heimaufsicht muß in die Lage versetzt werden, ordnungspolitisch dort einzuschreiten, wo aus dem Handeln des Einrichtungsträgers oder aus den vertraglichen Grundlagen Gefahren für den Heimbewohner entstehen. Besondere Bedeutung erlangt in diesem Zusammenhang eine gesetzliche [Seite der Druckausg.: 24] Verpflichtung, intelligente, wirksame Personalbemessungssysteme einzusetzen. Zudem sind aufsichtsrechtliche Regelungen für den ambulanten Bereich überfällig. Die Harmonisierung der Regelungen des Heimgesetzes, des Pflegeversicherungsrechts und des Sozialhilferechts kann nach meiner Einschätzung nur überzeugend gelingen, wenn alle drei Gesetze gleichzeitig - sinnvollerweise in einem Gesetzentwurf - überarbeitet werden. Gelingt dies - aus welchen Gründen auch immer - nicht, besteht die große Wahrscheinlichkeit, daß nach wie vor die Wahrung von Pflegequalität nach unterschiedlichen Maßstäben stattfindet. Den Interessen der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen würde damit nicht Rechnung getragen. Meine Damen und Herren, ich bin mir durchaus bewußt, daß Qualitätssicherung in der Pflege nur eines der aktuellen Stichwörter ist. Ebenso aktuell ist die Forderung nach einer besseren Berücksichtigung der verantwortungsvollen und schwierigen Betreuung Dementer. Hier dürften wir alle darin übereinstimmen, daß diese Problematik einer Lösung bedarf. Allerdings scheint mir die Diskussion zu einseitig. Vor dem Hintergrund des im Pflegemarkt vorhandenen Geldes kann es nicht darum gehen, den Pflegeeinrichtungen neue Einnahmequellen zu erschließen. Es muß vielmehr darum gehen, die vorhandenen Ressourcen so zu steuern, daß vor allem die Pflegenden - Angehörige und Pflegekräfte - spürbare Entlastungen erfahren. Dazu sollten wir außerhalb dieser Veranstaltung gemeinsam nach intelligenten, der Politik präsentierbaren Lösungen suchen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000 |