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TEILDOKUMENT:
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1. Einleitung
Wenn die Sozialwissenschaften in Deutschland sich heute dem Thema Ethnizität" verstärkt widmen, so ist das weniger eine Mode", sondern resultiert auf nicht eingetroffenen Prognosen bezüglich der Integrationsentwicklung der Immigranten in die bundesdeutsche Gesellschaft. Ging der mainstream" der Ausländer- und Migrationsforschung in Deutschland bis weit in die achtziger Jahre davon aus, daß die Eingliederung von Immigranten in die Gesellschaft nur eine Frage der Zeit sei, so deuten empirische Fakten darauf hin, daß anstelle einer integrierenden Homogenisierung eine ethnische Segmentierung und Pluralisierung der Gesellschaftsstruktur festzustellen ist. Diese Divergenz von Theorie und Empirie nötigt die Sozialwissenschaften zu neuen Erklärungsansätzen, die auf die Klärung der Ursachen für das Nicht-Eintreten der Integrationsthese abzielen. Ohne hier auf feine Differenzierungen eingehen zu können, lassen sich diese Erklärungsversuche auf drei divergierende Argumentationsstränge reduzieren:
Alle drei Argumentationsmuster unterschätzen jedoch - um nicht zu sagen: ignorieren - den Umstand, daß heutzutage Migration nicht, wie beispielsweise die Amerika-Auswanderung im 19. Jahrhundert, den Abbruch aller Brücken" zur Heimat bedeutet, sondern daß bei - oder trotz - Migration intensive Beziehungen zwischen Heimat- und Emigrationsort" (im weiten soziokulturellen Sinne gemeint) aufrechterhalten werden können und tatsächlich gepflegt werden (Reisen, Post, Telefon, Geldtransfer, Zeitung, Heimatfernsehen via Satellit usw.). Jenseits aller konkreten [Seite der Druckausg.: 34 ] Brücken" zwischen Herkunfts- und Zuzugsland, die von modernen Migranten gebaut, gepflegt und begangen werden, sind es vor allem zwei Aspekte, die beide Lebensorte" - möglicherweise auf sehr lange Dauer - miteinander kurzschließen": die aufrechterhaltene Staatsbürgerschaft des Herkunftslandes (mit ihren z.T. weitreichenden Verpflichtungen, z.B. der Wehrpflicht) und, damit sicherlich auch verbunden, aber doch kategorial eigenständig, eine Art soziokultureller Treuepflicht zur Heimatgesellschaft. Aus dieser aufrechterhaltenen ständigen" Verbindung von Emigranten zu ihrer Herkunftsgesellschaft läßt sich die Hypothese ableiten, daß dort (aus welchen Gründen auch immer) erfolgende Ethnisierungen - insbesondere solche konfliktischer Natur - von den Emigranten aufgenommen, mitvollzogen und somit ins Zuzugsland transferiert werden können. Anders gesagt: Die Austragung ethnischer Konflikte im Zuzugsland findet ihre Ursache nicht in den sozialen Beziehungen im Zuzugsland selbst, sondern ist Resultat von sozialen Konstellationen im Herkunftsland.
2. Fragestellung
Im folgenden werden einige Einzelbefunde aus meiner Dissertation mit dem Thema Konfliktimport durch Immigration" vorgestellt, die der Frage nach den Auswirkungen ethnischer Konflikte im Herkunftsland auf die Integrations- und Identitätsentwicklung der Immigranten in der Bundesrepublik Deutschland nachgeht. Anhand der Beispiele der Bürgerkriegsländer Ex-Jugoslawien und Türkei wird in einer vergleichenden Analyse dargestellt, inwieweit sich die Identifikationen und Sozialbeziehungen serbischer und kroatischer, sowie türkischer und kurdischer Immigranten, die schon seit vielen Jahren in der Bundesrepublik leben oder gar hier geboren sind, aufgrund der Konflikte verändert haben. Die Bearbeitung dieses Themas setzt zunächst einen Perspektivenwechsel voraus: Anders als in der Ausländerforschung üblich, werden hier (Re-)Ethnisierungstendenzen nicht aus spezifischen Mehrheits-Minderheits-Verhältnissen abgeleitet, sondern die Mehrheitsethnie spielt zunächst überhaupt keine Rolle. (Re-)Ethnisierung wird vielmehr als gegenseitige Aus- und Abgrenzung ethnischer Minderheiten untereinander be- [Seite der Druckausg.: 35 ] trachtet. Erste Fragestellung ist daher zunächst die nach den Auswirkungen der Heimatkonflikte auf die inter-ethnischen Beziehungen der Immigranten der jeweiligen Konfliktethnien untereinander. Induziert der Konflikt im Herkunftsland Ethnisierungsprozesse im Zuzugsland, so soll dies als Konfliktimport gedeutet werden. Findet dagegen trotz Heimatkonflikt keine (Re-)Ethnisierung statt, so wirkt die vorgängige Migration als Konfliktbarriere. Trifft die These des Konfliktimports zu, so läßt sich weiterfragen, inwieweit sich auch die Beziehungen zwischen der einheimischen deutschen Mehrheit und den dann neugebildeten" ethnischen Minderheiten verändern. Dies ist aus zwei Aspekten zu vermuten. Einerseits ist die Bundesrepublik - mehr oder weniger - innergesellschaftlich tangiert, da sie das Territorium stellt, auf dem konflikt-induzierte Ethnisierungsprozesse stattfinden. Dieses mehr oder weniger" richtet sich nach dem Auswirkungsgrad der Ethnisierung. Indifferenz zwischen den am Konflikt beteiligten Ethnien, d.h. ein gegenseitiges Sich-verkrümeln", wird die ethnische Mehrheit kaum berühren. Die gewaltsame Vitalisierung des Konflikts im Zuzugsland dürfte hingegen auf die Mißbilligung der Mehrheitsethnie stoßen. Andererseits agiert das Zuzugsland im Feld zwischenstaatlicher Beziehungen und ist von daher außenpolitisch in den Konflikt involviert. Unter der Prämisse des Konfliktimports dürfte von daher eine Parteinahme der Außenpolitik und der Massenmedien des Zuzugsland für die eine und gegen die andere Konfliktethnie gravierende Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen der Mehrheit und den jeweiligen Minderheiten haben.
3. Theoretische Konzeption
Prozesse der Eingliederung lassen sich unterscheiden in Integrations- und Assimilationsverläufe. Unter Integration ist die Eingliederung in die Sozialstruktur, unter Assimilation die Übernahme der Kultur der Zuzugsgesellschaft zu verstehen (vgl. Hoffmann-Nowotny 1990, S. 15 f.). Integration läßt sich weiter differenzieren in Systemintegration und Sozialintegration. Erstere meint die Inklusion der Immigranten in die funktional differenzierten Subsysteme (Ökonomie, Politik, Recht etc.), letztere den Aufbau und die Pflege inter-ethnischer segmentärer Lebenswelten und Ge- [Seite der Druckausg.: 36 ] meinschaften" zwischen Einwanderern und Einheimischen (Freundschaften, Nachbarschaften, Verwandtschaften). Assimilation läßt sich unterscheiden in objektive Orientierungen an und subjektive Identifizierungen mit den grundlegenden Werten und Normen der Zuzugsgesellschaft.
Abbildung 1: Dimensionen der Eingliederung
Integration und Assimilation sind zwar analytisch zu trennen, sie bleiben aber aufeinander bezogen. Zum einen zwingt die Systeminklusion zur funktionalen Anpassung an systemspezifische Werte und Normen, zum anderen sind gemeinsame Wertorientierungen und -identifikationen geradezu Konstitutionsbedingungen für Gemeinschaftsbildungen. Gemeinschaften lassen nur einen geringen Grad von Abweichungen zu. Grundannahme der Eingliederungstheorie ist, daß sich die Immigranten mit zunehmender individueller, insbesondere aber übergenerationaler Aufenthaltsdauer zunehmend integrieren und assimilieren, bis sie - letztendlich - vollständig vom Zuzugsland aufgesogen" werden, indem sie sich selbst als Angehörige" der Zuzugsgesellschaft identifizieren und als solche von der Mehrheitsbevölkerung auch akzeptiert werden. [Seite der Druckausg.: 37 ] Im folgenden beschränkt sich die Analyse zunächst auf den Wandel der subjektiven, auf Volkszugehörigkeiten bezogenen Identifikationen. Unter dem Begriff Volk" wird hier die größtmögliche, durch Wir-Gefühle" integrierte gemeinschaftliche Einheit verstanden. Dabei lassen sich drei unterschiedliche Bedeutungen des Volksbegriffs feststellen: Volk im ethnischen Sinne bedeutet Abstammungsgemeinschaft, wobei es irrelevant ist, ob die Abstammung real oder fiktiv ist; wesentlich ist der Glaube an eine Gemeinschaft des Blutes", die in der Regel durch mindestens ein objektives" Kriterium erhärtet wird (z.B. gemeinsame Sprache, Religion, Rasse"). Unter Volk im nationalen Sinne ist eine Gemeinschaft von Menschen zu verstehen, die durch gemeinsame Staatsangehörigkeit verbunden sind und die somit gleichen Rechten und Pflichten unterliegen. Schließlich kann man Volk auch noch in einem territorialen Sinne als (Wohn-)Bevölkerung definieren. Die Identifikationen der Immigranten können sich sowohl auf nur eine, als auch auf eine Kombination mehrerer Volkszugehörigkeiten beziehen (vgl. Abb.2).
Abbildung 2: Dimensionen des Volksbegriffs und Möglichkeiten der Identifikation
[Seite der Druckausg.: 38 ] So kann sich z.B. ein Kurde nur als Kurde (ethnische Zugehörigkeit - Feld 3), nur als Türke (nationale Zugehörigkeit - Feld 1) oder nur - assimiliert - als Deutscher (territoriale Zugehörigkeit - Feld 2) identifizieren; er kann aber auch die ethnische, nationale und assimilierte (d.h. kurdische, türkische und deutsche) Identifikation miteinander kombinieren (Felder 4 bis 7). Insgesamt sind somit - jenseits der Kategorie sonstige Identifikation" - sieben Möglichkeiten der Identifikation denkbar. Indem sich die Untersuchung jeweils auf die immigrierten Angehörigen zweier ethnischer Gruppen einer (Staats-)Nation erstreckt, erhöhen sich die Identifikationsmöglichkeiten auf insgesamt elf (vgl. Abb. 3).
Abbildung 3: Identifikationsmöglichkeiten von Immigranten aus multi-ethnischen Gesellschaften
Drei dieser Kategorien sind von den Immigranten beider Ethnien wählbar: Sie können sich gleichermaßen assimiliert (als Deutsche - Feld 1) oder national (als Jugoslawen bzw. als Türken - Feld 3) identifizieren oder [Seite der Druckausg.: 39 ] diese beiden Dimensionen miteinander kombinieren (Identifikation als Deutscher und Jugoslawe bzw. als Deutscher und Türke - Feld 2). In diesen Fällen weisen die Immigranten beider Ethnien somit eine gemeinsame Identifikation auf; fühlen sich also - trotz Herkunftskonflikt - miteinander verbunden. Als Konfliktkonstellation läßt sich jedoch der Fall beschreiben, wenn die Immigranten mindestens einer ethnischen Gruppe sich weitgehend nur ethnisch identifizieren (Felder 4 und/oder 5) und somit eine sie mit der jeweils anderen ethnischen Gruppe verbindenden Identifikation aufkündigen.
4. Methodik der Untersuchung
Das Hauptinteresse der Untersuchung betrifft den Wandel der Identifikationen - differenziert für alle vier Immigrantenpopulationen -, wie er sich im zeitlichen Zusammenhang mit dem ethnischen Konflikt im jeweiligen Herkunftsland vollzogen hat. Gemessen wurde der Wandel anhand von zwei Zeitpunkten: Einmal vor Ausbruch des jeweils ethnisch bestimmten Konflikts, zum anderen nach einigen Jahren seines Verlaufs. Für den erstgenannten Zeitpunkt wurde eine von Esser/Friedrichs durchgeführte Untersuchung aus den Jahren 1984-86 sekundäranalytisch ausgewertet: Zu dieser Zeit war der jugoslawische Konflikt noch nicht in Sicht, und in der Türkei erfolgten gerade die ersten gewaltsamen Kurdenaufstände. [Fn 1: Dabei handelt es sich um die Studie „Ethnische und kulturelle Identität von Arbeitsmigranten im interkontextuellen und intergenerationalen Vergleich". Der Datensatz wurde vom Zentralarchiv für empirische Sozialforschung in Köln zur Verfügung gestellt (ZA-Studie 1580). Weder Esser/Friedrichs noch das Zentralarchiv tragen für die Interpretation der hier verwendeten Daten eine Verantwortung. Auf die methodischen Probleme des Vergleichs beider Studien kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden.] Auf den zweitgenannten Meßpunkt richteten sich die eigenen Untersuchungen aus dem Jahr 1992/93 (qualitative Interviews: n = 74) und 1994 (quantitative Interviews: n = 322, darunter 119 Deutsche). Für die Erklärung der festgestellten identifikatorischen Veränderungen über Zeit wurden zudem die Immigranten in der 1992/93er Untersuchung retrospektiv nach ihrer früheren Identifikation befragt und aufgefordert, ihre Motive für einen Identifikationswandel anzugeben. In methodischer [Seite der Druckausg.: 40 ] Hinsicht wurde die Zeit - des Konfliktausbruchs und -verlaufs - also in zweifacher Hinsicht überbrückt": einerseits rekurrieren die Untersuchungen auf vorher-nachher-Befragungsergebnisse von ethnischen Populationen, andererseits wurden die Interviewpartner nach biographischen Prozessen befragt. Weil in der Ausländerforschung üblicherweise - und auch plausibel - ein bestimmter Zusammenhang zwischen Eingliederung und der Abfolge sogenannter Migrationsgenerationen angenommen wird, wurde diese sozio-graphische Differenzierung der Untersuchungsgruppen berücksichtigt, um Generationseffekte auszuschließen. Von einem Konfliktimport soll nur dann die Rede sein, wenn sich zum einen zwischen beiden Meßzeitpunkten die Prozentanteile der Immigranten mit einer ausschließlich ethnischen Identifikation bei mindestens einer am Konflikt im Herkunftsland beteiligten Ethnie in einem relevanten Ausmaß erhöhen und wenn zum anderen die Immigranten selbst einen solchen Identifikationswandel mit dem Konflikt im Herkunftsland begründen.
5. Empirische Ergebnisse
Betrachtet man zunächst nur die reinen Identifikationstypen" - d.h. die Immigranten, die sich entweder nur ethnisch, nur (staats-) national oder nur assimiliert identifizieren -, so zeigen sich in der Untersuchung folgende zentrale Ergebnisse:
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Die ethnische (Re-)Identifikation der Immigranten hat eine ethnische (Re-)Orientierung zur Folge. Die Immigranten, die sich ethnisch identifizieren, produzieren in einem erheblichen stärkerem Ausmaß Feindbilder" gegenüber den Immigranten der Konfliktethnie als die Einwanderer, die sich nicht ethnisch identifizieren. Insbesondere die ethnisierten Kroaten bzw. Kurden begegnen den Serben bzw. den Türken mit größeren Aversionen als umgekehrt. Auf die Deutschen wirkt der Konflikt in Jugoslawien ebenfalls ein: Sie entwickeln gegenüber den Serben Abneigungen, während sie den Kroaten tendenziell ein positives Image zuspricht. Der Konflikt in der Türkei scheint dagegen die Deutschen weniger zu berühren: Nur in einem geringen Umfang und Ausmaß werden die Kurden negativer bewertet und mit weniger Sympathien bedacht als die Türken. Man kann vermuten, das die den Kurden im Anschluß an den Golfkrieg entgegengebrachte Sympathie seitens der deutschen Bevölkerung sich durch die Anschlagsserie der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zunehmend in eine negative Einstellung gegenüber den Kurden gewandelt hat, während die den Türken entgegengebrachte Einstellung unverändert geblieben ist. In politischer Hinsicht betrachten sowohl die sich ethnisch identifizierenden Kroaten als auch die ethnisierten Kurden die Politik ihrer Führungen" (kroatische Regierung einerseits, die PKK andererseits) weitgehend als richtig, während die Politik der Herkunftsregierungen von vielen Türken und Serben eher kritisch beurteilt werden. Hieraus läßt sich der Schluß ziehen, daß die kroatische Regierungspolitik und die Politik der PKK von den immigrierten Angehörigen unterstützt oder zumindest mit ihr sympathisiert wird, während die Loyalität der immigrierten Serben bzw. Türken ihren Regierungen gegenüber brüchig zu sein scheint.
Zwischen Serben und Kroaten ist eine deutliche ethnische Segmentierung der Sozialbeziehungen festzustellen. Weder die Kroaten noch die Serben halten freundschaftliche Kontakte zu Angehörigen der Konfliktethnie aufrecht. Dabei wird von vielen Immigranten der Abbruch der Sozialbezie- [Seite der Druckausg.: 49 ] hungen und somit die ethnische Segmentierung voneinander als Konfliktvermeidungsstrategie betrachtet. Der Konflikt im Herkunftsland zwingt dazu, sich seine Freundschaften vorwiegend im eigenen ethnischen Lager" zu suchen: Sämtliche freundschaftliche Beziehungen zu Kroaten sind aufgrund des Konflikts zerbrochen. Zwar schlägt man sich nicht den Schädel ein, aber man geht sich aus dem Weg. Wenn mir ein mir bekannter Kroate auf der Straße entgegenkommt, dann wechsele entweder ich oder er den Gehweg, damit man sich nicht in die Augen sieht. (...) Heute mußt du dich entscheiden, ob du Serbe, Kroate oder Moslem bist. Wenn du sagst, du bist Jugoslawe, wirst du von allen drei Seiten krumm angesehen. Wenn du dich für eine Seite entscheidest, kannst du wenigstens mit denen weiterleben. " (Serbe, 1. Generation, seit 22 Jahren in Deutschland) Die Sozialbeziehungen zwischen Türken und Kurden orientieren sich zwar auch häufig am Konflikt im Herkunftsland, doch ist hier weniger die ethnische Zugehörigkeit selbst entscheidend, sondern die politische Haltung zum Konflikt. Die Ablehnung der Ziele der kurdischen Nationalbewegung", zumindest aber die Entsolidarisierung von der PKK sind die Voraussetzung, unter denen gemäßigte" Türken an freundschaftlichen Beziehungen zu Kurden festhalten, während umgekehrt ein Großteil der Kurden ihre Freundschaften zu Türken von deren - zumindest verbalen -Solidarisierung mit dem kurdischen Freiheitskampf" abhängig macht. Der Bürgerkrieg in Jugoslawien hat auch negative Auswirkungen auf die Sozialbeziehungen zwischen den Deutschen und Serben, während Freundschaften zwischen Deutschen und Kroaten nicht gelitten haben. So wird von serbischen Immigranten angeführt, daß sich freundschaftliche Beziehungen zu Deutschen reduziert haben, sei es, weil die Deutschen die Freundschaft aufgekündigt haben, sei es, weil sie selbst in die innere Emigration" gegangen sind. Demgegenüber hat der Konflikt in der Türkei kaum Folgen für die - ohnehin recht spärlich gesäten - freundschaftliche Beziehungen zwischen Deutschen und Türken bzw. Deutschen und Kurden.
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Nicht nur die lebensweltlichen" Sozialbeziehungen, sondern auch die institutionellen Kontexte der Ausländerbetreuung" werden vom Konflikt im Herkunftsland tangiert. Allerdings werden hier deutliche Differenzen hinsichtlich der Auswirkungen des serbisch-kroatischen und türkisch-kurdischen Konflikts sichtbar: Aufgrund des serbisch-kroatischen Konflikts erfolgt in der Bundesrepublik eine ethnische Segmentierung ausländerbetreuender Institutionen. Dies betrifft sowohl den muttersprachlichen Unterricht, die Sozialberatung der Wohlfahrtsverbände als auch die Selbstorganisationen der Immigranten. Demgegenüber hat der türkisch-kurdische Konflikt lediglich Auswirkungen auf die Selbstorganisationen, nicht aber auf den muttersprachlichen Unterricht und die Sozialberatung. Obgleich der muttersprachliche Unterricht in den deutschen Bundesländern unterschiedlich institutionalisiert ist (z.B. sind in Baden-Württemberg die Konsulate, in Nordrhein-Westfalen die deutschen Kultus- und Schulbehörden zuständig), sind die Resultate die gleichen. Während der Unterricht für Serben und Kroaten (sowie für die bosnischen Moslems) heute weitgehend in ethnizitätshomogenen Klassen stattfindet, wird der muttersprachliche Unterricht für Türken und Kurden (in fast allen Bundesländern) nur in türkischer Sprache angeboten. Dies ist vor allem deshalb paradox, weil Serbisch und Kroatisch lediglich Dialekte" einer nahezu identischen Sprache sind, während Türkisch und Kurdisch miteinander nichts zu tun haben und zwei unterschiedlichen Sprachfamilien angehören. Auch die Sozialberatung der Wohlfahrtsverbände für Immigranten aus Ex-Jugoslawien erfolgt heute in einer gegenüber früher stärker segmentierenden Weise. Zwar nahm die Betreuung dieser Gruppe auch schon früher eine Sonderstellung" ein, da sowohl die Caritas als auch die Arbeiterwohlfahrt Beratungsstellen für Jugoslawen unterhielten (bei allen anderen Nationalitäten" ist nur jeweils ein Wohlfahrtsverband zuständig), doch werden die Beratungsangebote der Caritas heute von den Serben kaum noch wahrgenommen, ebensowenig wie die der Arbeiterwohlfahrt von den Kroaten und Slowenen. Demgegenüber wird die Sozialberatung für türkische Staatsbürger nur von der Arbeiterwohlfahrt durchgeführt, wobei - so [Seite der Druckausg.: 51 ] die Kritik kurdischer Selbstorganisationen - Angehörige der kurdischen Ethnie aufgrund mangelnder türkischsprachiger Kenntnisse von der Beratung häufig ausgeschlossen sind. Ähnlich in der Richtung, jedoch unterschiedlich im Ausmaß sind die Auswirkungen auf die Selbstorganisationen der Immigranten. Die früher ethnizitätsheterogenen Vereine der Jugoslawen haben sich heute nahezu vollständig in ihre ethnischen Bestandteile aufgelöst. Auch zwischen Türken und Kurden hat sich die ethnische Segmentierung der Vereinslandschaft - insbesondere innerhalb der Linken" - verstärkt, doch gibt es immer noch Vereine, die sich gleichermaßen aus Türken und Kurden rekrutieren.
6. Schlußfolgerungen
Kehrt man zur Ausgangsfrage zurück, so deuten die Ergebnisse der Untersuchung darauf hin, daß die ethnische Pluralisierung der deutschen Gesellschaft nicht nur Resultat verfehlter - weil ethnisierender - Ausländerpolitik ist, sondern auch Ergebnis von politischen Konstellationen im Herkunftsland, die zudem auch nicht durch Erhöhung interkultureller Toleranz zwischen Einheimischen und Einwanderern (pädagogisch) überbrückt" werden kann. Zu vermuten - und zumindest gegenüber serbischen Immigranten nachweisbar der Fall - ist jedoch eine kumulative Verstärkung diskriminierender Ausgrenzung seitens der deutschen Mehrheitsbevölkerung aufgrund der Konfliktsituation in den Herkunftsländern. Die massenmediale Aufbereitung des Konfliktgeschehens im Herkunftsland (Terror der Serben", Killer-Serben") und die Parteinahme deutscher Außenpolitik im Herkunftskonflikt wirken einer weitergehenden Sozialintegration dieser ethnischen Gruppe zumindest entgegen, bewirkt sogar u.U. eine zunehmende Des-Integration. Trifft die These herkunftskonfliktbedingter Ethnisierungen zu, so stellt sich die Frage des Umgangs mit einer Konstellation im Zuzugsland, die potentiell die Gefahr gewaltsamer Konfliktaustragung in sich birgt. Die Anschläge extremistischer Kurden auf Einrichtungen türkischer Institutionen und Geschäfte zeigen die Probleme deutlich an. Gefordert sind daher Vorschläge für ein Konfliktmanagement, die brauchbare Mittel [Seite der Druckausg.: 52 ] und Techniken zur Gewaltprävention und zur Eindämmung importierter Konflikte im Zuzugsland aufweisen. Anders als Konflikte, deren Gründe in der eigenen Nationalgesellschaft wurzeln und deren Austragung daher durch Ursachenbeseitigung" gelöst" werden kann, differenzieren importierte Konflikte zwischen Konfliktursachen im Herkunfts- und Konfliktaustragung im Zuzugsland. Das heißt, daß der Schlüssel" zur Konfliktlösung importierter Konflikte aus Sicht des Zuzugslandes im Ausland liegt und dem Zuzugsland kaum Handlungsspielräume bleiben, die Konflikte durch Beseitigung der Konfliktursachen zu lösen". Man kann nun die These vertreten, daß im Falle von Konfliktimport ethnische Auseinandersetzungen in den Herkunftsländern aufhören, nur noch deren innere Angelegenheiten zu sein, in die man sich dem Völkerrecht nach nicht einmischen dürfe. Hieraus wäre dann der Schluß zu ziehen, daß eine Innenpolitisierung der Außenpolitik erfolgen müßte, die die faktische Multikulturalität der deutschen Gesellschaft schon aus Gründen der inneren Sicherheit in das diplomatisches Kalkül ihrer Außenpolitik einzubeziehen hat. Gerade weil aber Staaten aufgrund der ihnen zugestandenen Souveränität relativ autonome Systeme sind, die ihre inneren Operationen weitgehend selbst bestimmen, erscheint es zweifelhaft, ob die von Sanktionsmaßnahmen ausgehenden Wirkungen tatsächlich diejenigen sind, die man sich erhofft. Zumindest zeigen viele Beispiele, daß äußerer Druck vielfach innere Kohäsion bewirkt, d.h. daß sich die Loyalität der Bevölkerung ihren politischen Führungen gegenüber eher noch vergrößert und damit zur Konflikteskalation im Herkunftsland beitragen kann. Unter der Prämisse, daß derartige Konflikte im Herkunftsland nicht gelöst werden und somit fortbestehen, stellt sich die Frage, wie im Zuzugsland innenpolitisch mit importierten Konflikten umgegangen werden kann. Geht man mit Galtung (1975, S. 60ff.) von der Unterscheidung dissoziativer (die Konfliktparteien trennenden) und assoziativer (die Konfliktparteien aneinanderbindenden) Friedenstechniken" aus, so müßte eine Strategie des Konfliktmanagements sich von der Formel so viel (ethnische) Segmention wie nötig, so viel Integration wie möglich" leiten lassen. Assoziative Friedenstechniken greifen Galtung zufolge dann nicht, wenn es sich um asymmetrische Konflikte handelt, in denen zwischen den beteiligten Akteuren ein Machtgefälle existiert: [Seite der Druckausg.: 53 ] Als Alternative, die sich für Konflikte zwischen einem topdog und einem underdog anbietet, wäre also ein Zwei-Phasen-Strategie: zunächst eine dissoziative Phase, die die Beteiligten bis zu einem gewissen Punkt Selbsterhaltung, Selbstachtung und Autarkie erwerben läßt, bis der Konflikt gleichgewichtig geworden ist; danach eine assoziative Phase. (...) Eine solche dissoziative Strategie kann zu reduzierten Kontakt führen und damit zur Verminderung oder zur völligen Vermeidung von Gewaltanwendung. (...) Dieser Vorgang sollte dann aber gleichzeitig die Grundlage für einen erneuten Kontakt bilden, diesmal auf egalitärer Basis" (Galtung 1975, S.67f). Betrachtet man die hier zur Debatte stehenden importierten Konflikte, so läßt sich der zwischen Serben und Kroaten aufgrund der erfolgten Segmentierung in der lebensweltlichen wie institutionalisierten Dimension als tendenziell symmetrisch beschreiben, während sich der kurdisch-türkische Konflikt aufgrund der institutionellen Diskriminierung der Kurden als eher asymmetrisch darstellt. Folgt man der Argumentation von Galtung, so wäre zunächst diese Asymmetrie aufzuheben. Konkret würde das bedeuten, die institutionelle Diskriminierung zu beseitigen, indem beispielsweise die Sozialberatung, der muttersprachliche Unterricht und Rundfunksendungen auch in kurdischer Sprache angeboten werden. Als positive Nebeneffekte wären zu erwarten, daß sich zum einen der Vorwurf der Zwangstürkisierung" der Kurden auf deutschem Boden entkräftigen ließe und zum anderen könnte mit der Befriedigung kultureller und sozialer Bedürfnisse der Kurden extremistischen Organisationen wie der PKK hinsichtlich ihrer Mobilisierungsfähigkeit das Wasser abgegraben" werden. Die vom Innenministerium ausgesprochenen Verbots Verfügung der PKK gegenüber dürfte, solange man den Kurden keine Alternative für ihre kulturellen und sozialen Anliegen bietet, wirkungslos verpuffen, wenn nicht gar zur Konfliktverschärfung beitragen. Die Zuständigkeiten und die Verantwortung für diese Angebote sollten dabei jedoch in den Händen von Institutionen der Bundesrepublik liegen, um sich die Möglichkeiten für den Einsatz assoziativ-integrativer Techniken nicht zu erschweren. Integration kann dabei aber nur die Integration in die Gesellschaft der Bundesrepublik meinen, nicht eine wie immer geartete Re-Integration" in die alte (herkunftsstaats-)nationale Gesellschaft, die darauf abzielen würde, aus Kroaten und Serben wieder [Seite der Druckausg.: 54 ] Jugoslawen zu machen" oder die Kurden weiterhin in die türkische Staatsnation zu zwingen". Geht man davon aus, daß Remigrationsabsichten der Immigranten sich zunehmend als Illusion erweisen, dann folgt daraus, daß die Bundesrepublik alles daran setzen müßte, die Eingliederung der Einwanderer zu forcieren und zu erleichtern. Dies gilt sowohl für die institutionellen Mechanismen der Systemintegration (politische, ökonomische, rechtliche etc. Inklusion) als auch für die lebensweltliche Sozialintegration. Besonders gefordert sind dabei die auf kommunaler Ebene eingerichteten und damit näher an den inter-ethnischen Lebenswelten" ausgerichteten Institutionen der Ausländerbeauftragten und -beiräte. Die konkreten Konflikte dürften in erster Linie in der lebensweltlichen Dimension stattfinden und daher auf der kommunalen Ebene Problemlösungsdruck erzeugen. Es ist anzunehmen, daß die Kompetenzen der kommunalen Ausländerbeauftragten und -beiräte in ihrer heutigen Gestalt zu gering bemessen sind, als daß sie diese Außenpolitisierung der Innenpolitik" konfliktadäquat bearbeiten könnten. Ihnen käme in diesem Zusammenhang die Funktion zu, als Moderatoren und Schlichter zwischen den Fronten" der ethnisch segmentierten Minderheiten, sowie zwischen ihnen und den deutschen Behörden zu vermitteln, um die Konfliktparteien in das kommunale Institutionengefüge der Ausländerpolitik und -arbeit einzubinden. Es wäre schon viel gewonnen, wenn es gelänge, die Austragungsformen importierter Konflikte auf nicht-gewaltförmige Modi zu beschränken.
Literatur
Bukow, W.-D./Llaryora, R.: Mitbürger aus der Fremde - Soziogenese ethnischer Minderheiten, Opladen 1988. Esser, H./Friedrichs, J.: Ethnische und kulturelle Identität bei Arbeitsmigranten im interkontextuellen und intergenerationalen Vergleich (unveröff. Forschungsbericht - GHS Essen), Essen/Hamburg 1986. Galtung, J.: Strukturelle Gewalt, Reinbek b. Hamburg 1975. Hoffmann-Nowotny, HJ.: Integration, Assimilation und plurale Gesellschaft". Konzeptuelle, theoretische und praktische Überlegungen, in: Höhn, C./D.B. Rein (Hrsg.): Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland, Boppard 1990, S. 15-32. Mall, R.A.: Zur multikulturellen Gesellschaft: Jenseits von Einheit und Differenz, in: Widersprüche - Münchener Zeitschrift für Philosophie, Nr. 21/1991, S. 25-36. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000 |