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Gabriele Andretta/Martin Baethge
Neue Formen der Erwerbsarbeit und zukünftige Anforderungen des Beschäftigungssystems an die berufliche Bildung


1. Zum Horizont der Definition von Anforderungen an die berufliche Bildung

Es gibt eine lange politische wie wissenschaftliche Diskussion darüber, welches die Bezugspunkte für die Definition von Anforderungen für Berufsbildungspolitik sein sollen. Gerade im Gegensatz zur Schule wurde lange Zeit argumentiert, daß die Berufsausbildung nicht zuletzt wegen ihrer betrieblichen Bindung auf die funktionalen Anforderungen der Arbeitsplätze bezogen sein müßte, für welche die Jugendlichen ausgebildet würden. Die Gegenposition zu dieser strikt funktionalistischen Begründung war, daß ein derartiges Konzept zu eng wäre und in einer Zeit, in der man nicht mehr von einem Lebensberuf und hoher Kontinuität des Arbeitsplatzes ausgehen könne, man einen breiteren Bezugsrahmen für die Definition beruflicher Qualifikationen brauche als den einzelnen Arbeitsplatz. De facto wird man sagen müssen, hat Berufsbildung immer im Verhältnis zu einzelnen Arbeitsplätzen Überschußqualifikationen in den Berufsbildern realisiert. Dieser mit jeder Berufsbildung verbundene Überschuß freilich reicht schon seit langem nicht mehr aus. Konsequenterweise setzte man in der Neuordnung etwa der industriellen Metall- und Elektroberufe an die Stelle der stark gegenstands- und funktionsgebundenen traditionellen Berufsbilder das Konzept beruflicher Handlungskompetenz. In ihm haben funktionsübergreifende Kompetenzen wie Organisations- und Planungsfähigkeit, erweiterte Kommunikations- und Lernfähigkeit, also die lange Zeit sogenannten Schlüsselqualifikationen, ein höheres Gewicht bekommen und das Berufsprinzip aus seiner Spezialisierungsverengung zu breiteren Kompetenzfeldern befreit, ohne es als Ausbildungsprinzip aufzugeben.

Deutete sich in diesem Reformwerk der mittleren achtziger Jahre bereits an, daß wir seit wenigstens einem Jahrzehnt noch weniger als zu irgend-

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einer früheren Zeit berechtigt sind, die beruflichen Anforderungen nur eng funktionalistisch aus der Perspektive einzelner betrieblicher Arbeitsplätze zu bestimmen. Heute haben wir es mit einer Wirtschaft, die sich zunehmend nur noch in Kategorien globaler Vernetzungen begreifen läßt, und einer Beschäftigungs- und Arbeitsmarktstruktur zu tun, die von einer immer weniger kalkulierbaren Veränderungsdynamik und Unsicherheit gekennzeichnet ist. Vor dem Hintergrund dieser verstärkten Dynamik lebt die Diskussion über die Gültigkeit selbst eines erweiterten und neu gefaßten Berufsprinzips wieder auf und stellt sich die Frage, ob es weiterhin geeignet ist, die Organisation einer beruflichen Kompetenzvermittlung zu strukturieren, die sowohl den Qualifikationsbedarf der Betriebe als auch die individuellen Bildungsbedürfnisse und -interessen befriedigt.

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2. Anforderungen von Arbeitsmarkt und Beschäftigungssystem

Die in den letzten beiden Jahrzehnten zu beobachtende Tendenz in der Beschäftigungsstruktur zu qualifizierten und hochqualifizierten Tätigkeiten wird sich in der Zukunft fortsetzen, infolge von „Global-sourcing"-Strategien wahrscheinlich sogar beschleunigen. Nach vorliegenden Prognosen (lAB/Prognos; KMK) wird der Anteil von Beschäftigten ohne Ausbildungsabschluß bis 2010 auf etwa 10% zurückgehen - zwischen 1976 und 1991 sank er bereits von 35 auf 20% - und werden annähernd die Hälfte eines Altersjahrgangs ein Hoch- oder Fachhochschulzugangszertifikat besitzen (1980 waren es knapp 22%).

Der hier skizzierte Trend zur Hochqualifizierten-Gesellschaft bedeutet auf der Ebene von Tätigkeitsprofilen und Aufgabenzuschnitt von Berufen die Zunahme solcher Tätigkeiten, die nach Inhalt und Aufgabenstellung komplex sind und zu ihrer Ausübung umfassende und hohe Qualifikationen wie gutes theoretisches Wissen, spezialisierte sensomotorische und/oder analytische Erfahrungskompetenzen, Fähigkeiten zur Selbstorganisation der Arbeit und kommunikative Sensibilität und Souveränität erfordern. Ihr Charakteristikum liegt unter anderem darin, daß sie mehr innere Beteiligung und dauerhaftes persönliches Interesse fordern, auch schwerer kontrollierbar sind - trotz aller elektronischer Medien - als einfache manuelle Tätigkeiten. In der Vergangenheit fanden wir derartige Tätigkeitsprofile und Aufgabenzuschnitte vor allem im Bereich geistiger Arbeit und in komplexen handwerklichen Gestaltungstätigkeiten.

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In der Langzeitentwicklung ist es dieser Tätigkeitstypus, der expandiert und bereits heute die Mehrheit der gesellschaftlichen Beschäftigungsverhältnisse insgesamt prägt. In gewisser Weise neu ist, daß dieser Tätigkeitstypus auch im Bereich der Industriearbeit, aus der er lange verbannt worden zu sein schien, eine Renaissance erfährt, die über seine verbliebenen Enklaven (etwa im Bereich der Instandhaltung) hinausreicht.

Die Konsequenz dieser rapiden Entwicklung zur Hochqualifizierten-Gesellschaft: Behaupten am Arbeitsmarkt und im Beschäftigtensystem wird sich zunehmend nur noch, wer eine gute Ausbildung hat und sich weiterqualifiziert. Nur über eine Verbesserung der Berufsbildung und eine Verbreitung und Intensivierung beruflicher Weiterbildung sind auch die Prozesse der Arbeitsumverteilung, die sich in Zukunft als Umverteilung qualifizierter und hochqualifizierter Tätigkeit abspielen werden und nicht mehr wie in der Vergangenheit als Umverteilung von un- oder gering qualifizierter Arbeit, zu bewerkstelligen.

Die Entwicklung zur Hochqualifizierten-Gesellschaft hat eine weitere Konsequenz. Die mit ihr verbundene Ausweitung von Bildung und Erhöhung des durchschnittlichen Bildungsniveaus steigert das Bildungsinteresse und erhöht auch die Ansprüche von Jugendlichen an die Berufsbildung im Sinne von beruflichen und bildungsmäßigen Entfaltungsmöglichkeiten. Eine Berufsbildung, die diesem Bedürfnis nicht Rechnung trägt, verliert an Attraktivität.

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3. Anforderungen einer posttayloristischen Arbeitsorganisation

Werfen wir nun einen Blick auf die Veränderung in der Arbeitsorganisation in den großen Feldern der Industrie- und Dienstleistungstätigkeiten: Was Kern/Schumann Mitte der achtziger Jahre bereits als Paradigmenwechsel in der industriellen Arbeitsorganisation mit der Abkehr vom Taylorismus vorsichtig als neue Entwicklungstendenz angedeutet haben, wird in unseren späteren Untersuchungen, vor allem im „Trendreport Rationalisierung" als sich durchsetzende Entwicklung zu komplexen Formen von Produktionsfacharbeit bestätigt (Schumann u.a. 1994). Die von ihnen in der Formel der „neuen Produktionskonzepte" zusammengefaßten Managementstrategien suchen Produktivitätssteigerung nicht mehr in der technischen Automatisierung des Produktionsprozesses und der restriktiven

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Gestaltung der Arbeitsorganisation. In den Vordergrund rückt vielmehr ein dezidiert veränderter Blick auf Arbeitskraft, sowohl in automatisierten als auch in nicht-technisierten Bereichen. Dieses Konzept erkennt Qualifikation und fachliche Souveränität auch der Arbeiter als entscheidende Produktivkraft an, die es zu fördern, zu nutzen und gezielt zu stärken gilt.

Was die Autoren des Trendreports in dem Begriff der Systemregulierung bzw. des „Systemregulierers" zusammenfassen, zielt auf jene Produktionsfacharbeitertätigkeiten, die im Zuge des Übergangs zu programmgesteuerten automatisierten Fertigungsprozessen und in der Folge der parallel hierzu stattfindenden Umorientierung im Arbeitseinsatz, entstanden sind. Ihre Funktion im weitesten Sinne besteht in der Gewährleistung des Produktionsprozesses, in der Überwachung, Aufrechterhaltung, Wiederherstellung und Optimierung der automatischen Abläufe. Um diese zu optimieren, kommt es zu einer arbeitsorganisatorischen Integration von indirekten Funktionen der Qualitätssicherung, Instandhaltung und Programmierung mit direkten Funktionen, wobei sich lediglich die Reichweite der Integration unterschiedlicher Arbeitskonzepte unterscheidet. Diesen Prozeß als Reprofessionalisierung oder Verberuflichung zu klassifizieren, erscheint deswegen als gerechtfertigt, weil seine Beherrschung Qualifikationen verlangt, die von stofflichen Merkmalen hin zu solchen der Handhabung komplexer, technisch vermittelter Produktionsprozesse führen, das heißt: erhöhte theoretische Kompetenz und Fähigkeit zu bereichsübergreifender Kooperation sowie das Vermögen, komplexe technische Systeme effektiv zu nutzen. Trotz unterschiedlicher Anbindung an neue Technologien, trotz abweichender fachlicher Anforderungsprofile und des weiterbestehenden Nebeneinanders von Angelernten- und Fachtätigkeiten läßt sich zwischen diesen eine zunehmende Gemeinsamkeit ausmachen: Alle Arbeitsprofile bewegen sich tendenziell aus dem Raum-, Zeit- und Funktionsbezug, der in der Vergangenheit die Vorstellung eines festen Arbeitsplatzes oder Funktionszuschnitts genährt hatte: Projektsitzung und Arbeitsgruppentreffen, Verhandlungen mit Gesprächspartnern aus anderen Bereichen sowie offen definierte Anforderungskataloge mit der Notwendigkeit zur Selbstorganisation gehören heute zunehmend für alle Beschäftigtengruppen auf allen Ebenen des Betriebes zum Arbeitsalltag.

Vor einer zu optimistischen Einschätzung freilich, daß der skizzierte Arbeitstyp des Systemregulierers der neue künftige „Durchschnittsarbeiter"

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in der Industrie sei, muß man warnen. Schumann u.a. führen ernüchternde Zahlen an, die sichtbar machen, daß die Mehrheit der Produktionsarbeiter in den großen Betrieben relativ einfache Handarbeiter bleiben und der neue Arbeitertypus quantitatives Gewicht vor allem in den High-Tech-Bereichen der Industrie hat. Die quantitative Begrenzung nimmt den neuen Arbeitsformen allerdings nicht ihre Bedeutung, da sie die für die Facharbeitsstruktur bestimmende Organisationsperspektive darstellen und die strategischen Belegschaftskerne im Herstellungsbereich betreffen.

Wir können zusammenfassen: Die Veränderungen, die sich im letzten Jahrzehnt in der betrieblichen Arbeit vollzogen haben, scheinen der Fachqualifikation eine neue Zukunft zu eröffnen. Neue, im Gefolge der „Lean-production"-Debatte entstandene Konzepte der Betriebsorganisation - Stichworte sind: Dezentralisierung von Verantwortung, funktionsintegrierte Arbeitsorganisation, Ausbau von Gruppenarbeit - haben nicht nur eine Erweiterung der Fachqualifikation hervorgetrieben. Insbesondere sind die Anforderungen an Selbstorganisation, Kommunikation und Teamfähigkeit überall gestiegen. Eine Bildungsorganisation in den Schulen (und für sie gilt das folgende in besonderem Maße) und eine Ausbildungspraxis in den Betrieben, die weiterhin nur auf den fachlich kompetenten „Einzelkämpfer" abstellt, verfehlt den Qualifikationsbedarf einer Arbeitsorganisation, die intensivere Kooperation und „Querfunktionalität" der Kommunikation, Innovationsfähigkeit und Produktivität steigern will.

Mit ein wenig anderen Akzenten läßt sich eine dem Produktionsbereich vergleichbare Anforderungsstruktur auch für die qualifizierten Dienstleistungstätigkeiten feststellen. Auch bei ihnen verbinden sich erweiterte fachliche Kenntnisse mit erhöhten analytischen Fähigkeiten und stark ausgeprägter sozial kommunikativer Sensibilität im Umgang mit Kunden.

Bei aller Unsicherheit über künftige Entwicklungen im Dienstleistungssektor, in dem gegenwärtig vieles im Fluß ist, zeichnen sich dennoch in einzelnen weitblickenden Unternehmen - besonders gilt das für den Finanzdienstleistungssektor und die qualifizierten unternehmensbezogenen Dienstleistungen - Ansätze ab, die weitreichende Folgen für die Qualifizierung im dualen System haben könnten und die sich wie folgt beschreiben lassen:

Fortgeschrittene Informationstechnologie, stark marktbezogene geschäftspolitische Strategien und ihnen entsprechende neue Konzepte der Arbeitsorganisation lassen komplexe Tätigkeitsprofile für die Angestellten in den

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genannten Dienstleistungsbereichen entstehen. Die wichtigsten Bedingungen und Ausdrucksformen dieses Wandels der Tätigkeitsprofile liegen in folgenden Merkmalen:

  • Abnahme geringqualifizierter Tätigkeiten in Folge der Automatisierung von Routinevorgängen.

  • Infolge der Computerisierung von Routineanteilen wird die Arbeit der qualifizierten Angestellten auf entscheidungs- und beratungsrelevante Tätigkeiten verdichtet, was die inhaltliche Komplexität der Arbeit steigen läßt bzw. eine Konzentration auf die fachlich anspruchsvollen Kerne bewirkt.

  • Die Computerisierung bewirkt zugleich eine Erhöhung des Tempos in der Bearbeitung komplexer Sachverhalte und im Treffen von Entscheidungen und führt zu einer Verdichtung systemvermittelter Kommunikation und Kooperation.

Die Globalisierung der Märkte, die Dezentralisierung und Spezialisierung von Unternehmenseinheiten verstärken diese Entwicklung und führen zu einer Explosion der Qualifikations- und Leistungsanforderungen, der die traditionellen Ausbildungsformen im dualen System offensichtlich immer weniger gewachsen sind. Diese Entwicklung löst die traditionellen Berufsprofile auf, kann in diesen Bereichen zur Erosion des dualen Systems führen und schafft neue Beschäftigungsstrukturen und Karrierewege.

Das damit angesprochene Qualifikationsbündel scheint sich zumindest in den gehobenen Dienstleistungssegmenten im Kreditgewerbe, Industrieverwaltung, Handel und unternehmensbezogenen Diensten immer weniger nur über betriebliche Ausbildungsgänge sicherstellen zu lassen. Sowohl eine veränderte Rekrutierungspraxis - Stichwort: Einstellung von mehr Hoch- und Fachhochschulabsolventen - als auch neue Ausbildungsformen, in denen betriebliche Anteile mit solchen von Fachhochschulen verbunden werden, deuten dieses an (vgl. Konegen-Grenier 1994). Sie könnten dazu führen, daß aus einer schleichenden unversehens eine galoppierende Aushöhlung dualer Berufsausbildung im herkömmlichen Sinne oder eine weitreichende Transformation des dualen Systems Platz greift, bei der zunehmend Teile der Berufsschule in Fachhochschulen „abwandern" und sich neue Formen der Aufgabenteilung zwischen Betrieb, Berufsschule und Fachhochschule einspielen, ohne daß heute bereits zu sagen wäre,

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welche Auswirkungen ein derartig neues Arrangement auf das Ausbildungssystem als Ganzes haben wird.

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4. Anforderungen aus dem Globalisierungsprozeß

Erst in jüngster Zeit tritt eine Entwicklung verstärkt ins öffentliche Bewußtsein, die sich seit längerem nicht zuletzt mit der voranschreitenden europäischen Integration ankündigt. Unter den Bedingungen zunehmender Europäisierung und Globalisierung treten die Unternehmen in eine weltweite Güter- bzw. Produktions- und fast alle Beschäftigten-Kategorien in eine weltweite Arbeitsmarktkonkurrenz. Zur beruflichen und sozialen Bewältigung dieser doppelten Globalisierung - einerseits globalisierter Arbeitsmarkt, andererseits transnationale Verflechtung von Wertschöpfungs- und Dienstleistungsketten als Raum der konkreten Tätigkeit - ist ein erhöhtes Maß an Qualifikationen erforderlich, die man als „Globalisierungsqualifikationen" bezeichnen könnte. Zu ihnen zählt nicht nur die Beherrschung von Fremdsprachen, sondern auch das Verständnis für andere Kulturen, andere soziale Verhaltensweisen und politische Systeme. Gerade auf diese Anforderungen scheint uns das Berufsbildungssystem wenig vorbereitet zu sein. Wir wissen nicht einmal, wie die Anforderungen der Globalisierung für unterschiedliche Beschäftigtengruppen aussehen, geschweige denn, wie sie zu vermitteln wären.

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5. Berufsprinzip und duale Ausbildung trotz neuer Anforderungen?

Wenn wir abschließend dennoch dafür plädieren, an der Beruflichkeit als Ausbildungsprinzip festzuhalten und nicht einer unbegrenzten Flexibilisierung und Modularisierung der beruflichen Erstausbildung das Wort reden, dann hat dies vor allem zwei Gründe:

  1. Gerade wenn es richtig ist, daß die Qualifikationsanforderungen umfassender und heterogener werden und auch stärker theoretische und abstrakte Sachverhalte beinhalten, ist es um so wichtiger, ein integratives praxisbezogenes Zentrum für Heterogenität und Theorie zu haben. Hierfür scheint uns die Beruflichkeit immer noch die beste Grundlage

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    abzugeben. Sie kann gerade den Jugendlichen, die theoretisch weniger begabt oder interessiert sind, Theorie besser anschaulich und Zusammenhänge zwischen konkreter Tätigkeit und umfassenden Entwicklungen besser einsichtig machen.

  1. Wir finden zwar überall eine Anhebung der Anforderungen an theoretische, allgemeinbildende und soziale Kompetenzen, ohne daß aber die berufspraktischen Qualifikation damit völlig abgelöst würden. Weil der Zusammenhang zwischen theoretischen und praktischen Qualifikationen eng bleibt, behält die duale Berufsausbildung ihre Stärken und Vorzüge. Der Grad dieser Vorzüge variiert nach Ausbildungs- und Arbeitsbereichen erheblich. Er ist im Handwerk und einem Teil der industriellen Tätigkeiten größer als in der Mehrheit der kaufmännischen Bereiche, in denen wegen der hohen Anteile an formalisiertem und standardisiertem Wissen die Vorzüge dualer Ausbildung schon seit langem weniger durchschlagend waren. Damit verstärkt sich die Tendenz zur Heterogenisierung der dualen Ausbildungsformen, und diese birgt nicht unerhebliche Gefahren für das Ausbildungssystem insgesamt.

Die Hauptgefahr besteht darin, daß sich die immer schon bestehende Kluft zwischen den qualitativ anspruchsvolleren und perspektivreicheren und den weniger perspektivreichen Ausbildungen in der Weise vertieft, daß die qualifizierten Berufe zu einem relativ kleinen Segment mit zunehmend besseren Übergangsmöglichkeiten zu Hoch- und Fachhochschulen werden und der große Rest der Ausbildungsplätze von weiteren Bildungsperspektiven abgekoppelt wird. Das duale System würde damit auf seine handwerklich-kleinbetriebliche Ausgangsbasis zurückfallen und an Attraktivität für Jugendliche verlieren. Nur wenn man die Qualität der dualen Ausbildung im Sinne der Verbesserung auch weiterführender Bildungschancen insgesamt anhebt, läßt sich diese Spaltung abmildern.

Literatur

Schumann, M., V. Baethge-Kinsky, M. Kuhlmann, C. Kurz, U. Neumann: Trendreport Rationalisierung. Automobilindustrie, Werkzeugmaschinenbau, Chemische Industrie, Berlin 1994.

Konegen-Grenier, Chr.: Hochschulen und Unternehmen im Ausbildungsverbund, Köln 1994.


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