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Florian Gerster
Zuwanderung und Arbeitsmarkt


1. Einleitung

Deutschland nimmt pro Jahr eine Zahl an Zuwanderern - Asylbewerber, Aussiedler, Kriegsflüchtlinge und Arbeitsmigranten - auf, die weit über das Ausmaß der Einwanderung in klassische Einwanderungsländer hinausgeht. Während herkömmliche Einwanderungsländer wie etwa Kanada und Australien Einwanderung in Höhe von etwa 0,7% ihrer Bevölkerung zulassen, hat Deutschland beispielsweise im Jahr 1994 800.000 Menschen, das entspricht 1% seiner Bevölkerung, aufgenommen. Ein solches Potential macht unser Land faktisch zu einem Einwanderungsland, das Einwanderung allerdings nicht bewußt steuert, sondern vielmehr hinnimmt oder gar „erleidet".

Zuwanderung ist aus Sicht vieler Deutscher gleichbedeutend mit steigender Arbeitslosigkeit und verbunden mit einer verbreiteten Angst vor Überfremdung. Durch diese Assoziation ist „Einwanderung" zu einem sensiblen Thema in der Öffentlichkeit geworden.

Um die stark unterschiedlichen Einschätzungen der Situation einzuordnen und bewerten zu können, sind eine Reihe von Fragen zu beantworten. Die wichtigsten davon sind: Verdrängen Zuwanderer deutsche Arbeitnehmer wirklich vom Arbeitsmarkt? Wieviele Einwanderer kann Deutschland aufnehmen beziehungsweise auch integrieren? Brauchen wir die Zuwanderung eventuell sogar für die Erhaltung der sozialen Sicherungssysteme? Welche Faktoren sind zu beachten, um Zuwanderung gesellschaftsverträglich zu gestalten? Insbesondere bei der letzten Fragestellung geht es um notwendige Integrationsmuster, die besonders für die Kommunen Lösungen anbieten sollen.

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2. Die Bundesrepublik als Einwanderungsland

Wie bereits gesagt: Die Bundesrepublik Deutschland ist seit langem ein Einwanderungsland, auch wenn dies gerne geleugnet wird. Denken wir an

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die ausländischen Arbeitnehmer, die wir aus ökonomischen Gründen ins Land geholt haben. Denken wir an die Flüchtlinge, denen wir aus humanitären Gründen Schutz gewähren müssen und gewähren wollen. Denken wir an die Spätaussiedler, denen wir aus historischen Gründen ein Recht einräumen, in Deutschland als ihrer - wie es heißt - angestammten Heimat zu leben. Letzteres bezieht sich auf das ius sanguinis, das Abstimmungsprinzip, nach dem Deutschstämmige aus Ostmittel-, Südost- und Osteuropa ein originäres Recht eingeräumt bekommen, in Deutschland zu leben. Daraus lassen sich entsprechende Ansprüche an den Staat ableiten wie etwa Bereitstellung eines Heimplatzes, bis endgültiger Wohnraum gefunden ist, umfassende Beratung und Betreuung und Sozialhilfeleistungen. Aussiedler genießen damit eindeutige Vorteile gegenüber anderen Zuwanderern.

In Rheinland-Pfalz lebten Ende 1994 rund 282.300 Ausländerinnen und Ausländer; das entspricht einem Anteil von 7,1% an der Wohnbevölkerung. Ende 1995 waren es bereits 292.500 Personen. Die stärkste Gruppe bilden nach wie vor die türkischen Staatsangehörigen, gefolgt von Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Italien, Polen, Frankreich und Griechenland. Der Anteil an Migranten aus den Staaten der Europäischen Union war rückläufig; er betrug 1980 noch 36,4%, 1994 nur noch 24,1%.

Eine Veränderung ergab sich auch durch die politische Entwicklung in Osteuropa. Wie wir alle wissen, ist seitdem die Zahl der Spätaussiedler, insbesondere aus Rußland und Polen, sprunghaft angestiegen. Auch sie sind Migranten und Zuwanderer, die auf den Arbeits- und Wohnungsmarkt drängen und deren Kinder Schul- und Ausbildungsplätze brauchen, auch wenn es sich rechtlich um Deutsche handelt, die daher in keiner Ausländerstatistik auftauchen. Hinzu kommt, daß die wenigsten von ihnen die deutsche Sprache in ausreichendem Maße beherrschen. Viele wurden im Gefolge des Zweiten Weltkrieges als deutsche Minderheit in ihren Heimatländern verfolgt und dazu gezwungen, Kultur und Sprache der russischen, polnischen oder rumänischen Mehrheit anzunehmen. Die Nachkriegsereignisse in Osteuropa haben also dafür gesorgt, daß Deutsche nach Deutschland kommen, denen die deutsche Staatsbürgerschaft garantiert ist, die aber häufig kein Wort Deutsch sprechen.

Seit Beginn der neunziger Jahre nimmt darüber hinaus die asylbedingte Zuwanderung aus Asien und Afrika zu. Rheinland-Pfalz ist nach dem Län-

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derverteilungsschlüssel verpflichtet, entsprechend seinem Anteil an der Gesamtbevölkerung 4,7% aller in der Bundesrepublik Asyl Suchenden aufzunehmen. Das bedeutete im Jahr 1993 eine Zahl von 13.500 Personen, die ein Jahr später aufgrund der Auswirkungen der Gesetzesänderung im Asylrecht auf 5.900 sank.

Im Zentrum des Asylkompromisses vom Dezember 1992 - um den sehr hart gerungen worden war - stand der Gedanke, aus „verfolgungsfreien" Herkunftsländern stammenden oder über sichere Drittländer einreisenden Flüchtlingen den Anspruch auf Asyl zu verwehren. Obwohl in vielen Teilen heftig kritisiert, hat der Asylkompromiß immerhin ein wichtiges Ziel erreicht: Er hat die Zahl der Asylsuchenden erheblich zurückgehen lassen und den Mißbrauch des Rechtes auf politisches Asyl weniger attraktiv für Armutsflüchtlinge gemacht.

Eine große Anzahl von Bürgerkriegsflüchtlingen hat ebenfalls in den vergangenen Jahren Aufnahme gefunden. Derzeit leben etwa 325.000 Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina in Deutschland; 18.000 Menschen haben allein in Rheinland-Pfalz Aufnahme gefunden. Dies geht weit über das Kontingent hinaus, das andere EU-Staaten aufgenommen haben. Die Flüchtlinge haben allein aufgrund der Tatsache, daß sie in Kriegsgebieten leben, ein Recht auf Aufenthalt in der Bundesrepublik. Diese sehr großzügige Form der Aufnahme einer ganzen Gruppe von Menschen geht weit über das Asylrecht hinaus. Deshalb muß auch klar sein, daß es sich bei Bürgerkriegsflüchtlingen um Gäste auf Zeit handeln muß, die, wenn die Krise in ihrem eigenen Land beendet ist, wieder nach Hause zurückkehren. Und die weitaus meisten von ihnen wollen dies auch, wie eine Umfrage des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) ergeben hat. Eine geordnete Rückführung nach humanitären Prinzipien ist darüber hinaus wichtig, um die Akzeptanz der deutschen Bevölkerung für die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen auch weiterhin zu erhalten.

Die Ungleichbehandlung der verschiedenen Ausländergruppen bei der Zuteilung staatlicher Leistungen ist in diesem Zusammenhang kaum vermittelbar. Während die Leistungen für Asylbegehrende mit dem Asylkompromiß reduziert und weitgehend auf Sachleistungen beschränkt wurden, erhielten Bürgerkriegsflüchtlinge jahrelang ungeschmälert Sozialhilfeleistungen. Aussiedler erhalten zu den üblichen staatlichen Leistungen noch zusätzliche Vergünstigungen wie etwa Eingliederungshilfen, Betreuungs-

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geld. Sprachförderung oder Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen. Diese Unterscheidung ist ohne jede Logik.

In Deutschland insgesamt ist in den letzten Jahren eine sinkende Einwohnerzahl und eine steigende Einwanderung ausländischer Staatsangehöriger zu beobachten. Diese Tendenz wird dadurch verstärkt, daß sich in der deutschen Bevölkerung ein demographischer Wandel vollzieht; es gibt wegen der sinkenden Geburtenzahlen immer mehr ältere und immer weniger jüngere Bürger.

Bedingt durch die derzeitige demographische Entwicklung erhält die Zuwanderung dadurch eine neue Bedeutung. Prognosen gehen davon aus, daß sich die Zahl der Deutschen in den kommenden 40 Jahren bei unveränderten Bedingungen auf 60 Millionen Menschen verringern wird. Die Anzahl der in Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländer dagegen wird auf 8,9 Millionen Menschen steigen. Die Alterung der deutschen Bevölkerung schreitet fort und die Zahl der über 60jährigen im Verhältnis zu den 20- bis 60jährigen wird voraussichtlich von heute 35 : 100 auf 70 : 100 im Jahr 2030 steigen. Die besondere Bedeutung dieser Entwicklung ist bereits heute sichtbar, wenn man nur eine von mehreren Folgen für das Sozialsystem betrachtet: in einem solchen Fall müßte ein Arbeitnehmer etwa einen Rentner finanzieren. Dies hätte auch unmittelbare Auswirkungen für den Arbeitsmarkt. Die Sozialabgaben und Steuern müßten stark ansteigen, so daß die Kaufkraft der Arbeitnehmerhaushalte sinken und die Arbeitskosten der Unternehmer steigen werden. Die Konsequenz: sinkende Beschäftigung und steigende Arbeitslosigkeit.

Wollen wir unsere sozialen Sicherungssysteme trotz der Überalterung unserer eigenen Bevölkerung weiterhin aufrechterhalten, brauchen wir den Zuzug ausländischer Arbeitnehmer. Daraus folgt konsequenterweise aber eine Einbürgerungspolitik, die der Tatsache, daß viele Ausländer schon seit Generationen in Deutschland leben und arbeiten, gerecht wird und die so gesteuert wird, daß sie die problematische deutsche Entwicklung nicht noch zusätzlich verschärft.

Ich rede hier auf keinen Fall einer unbegrenzten Einwanderung das Wort. Notwendig ist vielmehr eine gezielte Zuwanderungspolitik, die die Realität erkennt und ihr die richtige Richtung gibt. Derzeit erarbeiten wir in Rheinland-Pfalz eine Bundesratsinitiative für ein Zuwanderungssteuerungs- und Integrationsgesetz, das genau diesem Ziel entspricht. Wichtigste Eckpunk-

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te sind die Beschränkung der Zuwanderung auf eine bestimmte Personenzahl pro Jahr und die Festlegung von Voraussetzungen für die Erteilung eines Zuwanderungsbescheides. Dazu gehört beispielsweise der Nachweis, daß der Lebensunterhalt selbständig bestritten werden kann. Sofern eine Aufenthaltserlaubnis, befristet auf fünf Jahre, erteilt worden ist, hat der Ausländer innerhalb dieses Zeitraums an integrationsfördernden Maßnahmen teilzunehmen; danach bestimmt sich der weitere Aufenthalt. Ich halte dies für den richtigen Weg, um die Akzeptanz für die Zuwanderung zu erhalten oder sogar zu erhöhen. Auch die Kapazitäten des Sozialstaats sind begrenzt. Bei der Zuwanderung sind daher immer auch die Interessen des Aufnahmestaates zu berücksichtigen, für den es nicht darum gehen kann, sich zusätzliche soziale Lasten aufzubürden.

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3. Sozialsysteme und Zuwanderung

Neben Faktoren wie politische Verfolgung und ökologische Katastrophen im Heimatland bieten auch unterschiedlich ausgestaltete wohlfahrtsstaatliche Systeme ökonomische Anreize zu Wanderungsbewegungen. Wird die Migrationsentscheidung wesentlich durch die Suche nach einem besseren oder gar dem besten Sozialstaat beeinflußt, kann dies auf Dauer die Systeme der Aufnahmeländer gefährden. Steigt der Anteil sozialstaatlicher Transfers, die von Beitragszahlern ohne direkte Gegenleistung zu zahlen sind, übermäßig an, so verliert der Staat auf Dauer an Wachstumsfähigkeit und die Sozialsysteme werden überfordert. Um den Sozialstaat hier nicht an die Grenzen seiner Belastbarkeit zu führen, sind Vorkehrungen gegen diese Form von „Sozialtourismus" erforderlich.

Von den Ende 1994 in Rheinland-Pfalz insgesamt 103.180 Empfängern von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt - also der klassischen Sozialhilfe - waren 2.050 EU-Migranten, 2.370 Asylberechtigte, die keine Ansprüche nach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben, 1.934 Bürgerkriegsflüchtlinge und 8.420 sonstige Ausländer. Diese Zahlen belasten ohne Zweifel die Sozialhaushalte des Landes und der Kommunen.

Soziale Gerechtigkeit ist immer auch Gerechtigkeit innerhalb der Milieus, also horizontale Gerechtigkeit. Am Sockel der Einkommenspyramide, dort wo sich die kleinen Einkommen der abhängig Beschäftigten mit dem Ni-

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veau der Sozial- oder Lohnersatzleistungen messen lassen, ist der Verdrängungswettbewerb durch Zuwanderung kein abstraktes Bürgerrechtsthema, sondern Ausdruck realer Konkurrenz. In diesem Kontext belastet es die Akzeptanz des Sozialstaates in hohem Maße, wenn etwa Aussiedler, die nie in die deutsche Rentenkasse eingezahlt haben, einen Anspruch auf Rentenleistungen haben, der in etwa vergleichbar dem eines Rentners mit lebenslangen Beitragsleistungen ist.

Nach dem explosionsartigen Anstieg der Anträge auf politisches Asyl in den Jahren 1985 bis 1992 wurde im Jahr 1993 das Asylrecht geändert. Mit Inkrafttreten des neuen Rechts sanken die Antragszahlen von über 438.100 Anträgen im Jahr 1992 auf etwa die Hälfte ab. Das neue Asylrecht hat damit zumindest zahlenmäßig seine Wirkung nicht verfehlt. Die Entwicklung der Anerkennungsquoten seit dem Jahr 1985 zeigt, daß Asylanträge in den letzten Jahren zunehmend von Armutsflüchtlingen gestellt wurden. Grund dafür war häufig die Möglichkeit, während des langwierigen Verfahrens „relativen Wohlstand" in Deutschland zu erlangen. Die Quote der Asylbewerber, die schließlich als politisch verfolgt anerkannt wurde, sank von 29,2% im Jahr 1985 auf 3,2% im Jahr 1993.

Auch wenn die Notwendigkeit, Menschen aus humanitären Gründen Asyl in der Bundesrepublik zu gewähren, in keinem Fall bestritten wird, so muß doch auch eingestanden werden, daß es in der Vergangenheit häufig Fälle von Mißbrauch des Asylverfahrens und unserer sozialen Sicherungssysteme - wie etwa mehrfachen Bezug von Sozialhilfe - gab. Rheinland-Pfalz hat daher schon im Jahr 1991 als erstes Bundesland eine polizeiliche Arbeitsgruppe zur Bekämpfung des Asylbetrugs eingesetzt. Auch das ist ein Beitrag gegen steigende Ausländerfeindlichkeit und steigende Kriminalität gegen Ausländer.

In den Jahren 1991 bis 1995 wurden dem Land Rheinland-Pfalz offiziell pro Jahr über 10.000 Spätaussiedler zugewiesen. Darüber hinaus kamen jedes Jahr quasi „durch die Hintertür" viele Aussiedlerinnen und Aussiedler nach Rheinland-Pfalz, die eigentlich anderen Bundesländern zugewiesen worden waren, sich dann aber auf den Weg zu ihren Verwandten und Bekannten gemacht haben, die bereits hier waren. Einige Landkreise, wie beispielsweise der Rhein-Hunsrück-Kreis, in denen durch die Konversion besonders viel Wohnraum zur Verfügung steht, haben damit besonders leidvolle Erfahrungen machen müssen - mit allen entsprechenden Auswir-

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kungen auf den regionalen Arbeitsmarkt. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger und Arbeitslosen hat sich in diesem Zeitraum nicht zuletzt durch diese Art der Zuwanderung gravierend erhöht.

Ich gehe davon aus, daß diese Entwicklung durch das am 1. März 1996 in Kraft getretene Wohnortzuweisungsgesetz eingedämmt werden konnte. Nach dieser Regelung müssen die Spätaussiedler, solange sie von öffentlichen Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz oder dem Bundessozialhilfegesetz abhängig sind, mindestens zwei Jahre in dem Bundesland bleiben, dem sie zugewiesen wurden.

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4. Die Beschäftigungssituation ausländischer Arbeitnehmer

Seit die Bundesrepublik besteht, hat sie Zuwanderung in großem Umfang erlebt, zunächst kriegsfolgenbedingt, ab Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre durch Arbeitsmigration. Als die Bundesrepublik im Jahr 1955 die erste Anwerbevereinbarung abschloß, wurde nur einer von zwei möglichen Wegen beschritten, und noch heute kann man darüber streiten, ob dieser Weg der richtige war. Horst Afheldt beschreibt dies in seinem Buch „Wohlstand für niemand" (München 1994) sehr zutreffend.

Zum damaligen Zeitpunkt bestand die Wahl zwischen dem Anwerben ausländischer Arbeitskräfte, wodurch ein Überangebot an Arbeitswilligen zustande kam. Es wäre ebensogut möglich gewesen, unattraktive Arbeit höher zu bezahlen, und zwar einhergehend mit einer Rationalisierung und Mechanisierung zur Erleichterung und Effizienzsteigerung. Dieser Weg hätte nicht zu einem unbegrenzten Überfluß an Arbeitskräften geführt; das Verhältnis Arbeit - Kapital hätte eine ganz andere Entwicklung genommen. Die Entscheidung für Einwanderung und gegen die Modernisierung der Wirtschaft könnte ein erster gravierender Managementfehler in der Bundesrepublik Deutschland gewesen sein.

Vor allem arbeitsmarktpolitische Gründe haben also seit 1955 dazu geführt, daß die Zahl der Ausländer in Deutschland gestiegen ist. Sie kamen in der ersten Generation hierher, um zu arbeiten und genug Geld zu verdienen, um sich in ihren Heimatländern eine Existenz aufbauen zu können. Daß daran alle lange Zeit glaubten, zeigt die Tatsache, daß noch bis vor wenigen Jahren meist von „Gastarbeitern" gesprochen wurde.

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Aber die Situation änderte sich. Familiennachzug und Entfremdung von den Heimatländern führten dazu, daß immer mehr Menschen in Deutschland blieben und hier alt wurden. Vor allem darauf ist die kommunale Infrastruktur noch kaum eingerichtet. Weder das öffentliche Gesundheitswesen noch die Seniorenpolitik hat sich bisher angemessen mit der Zielgruppe der älter werdenden ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt.

Im Juni 1995 waren in Rheinland-Pfalz rund 82.000 Ausländer sozialversicherungspflichtig beschäftigt, 1,9% mehr als im Vorjahr. Man muß sich bei diesen Zahlen vergegenwärtigen, welchen Beitrag diese Menschen zum Funktionieren unseres Steuer- und Sozialversicherungssystems leisten. Sie stellen eine unverzichtbare Arbeits-, Wirtschafts- und Kaufkraft dar. Hinzu kommen die vielen ausländischen Selbständigen, die als Ärzte, Kaufleute, Schneider oder Gastronomen Arbeitsplätze für Landsleute, aber auch für deutsche Arbeitnehmer schaffen.

Häufig treten die Zuwanderer jedoch auch in Konkurrenz zu den niedrigqualifizierten Einheimischen auf dem Arbeitsmarkt sowie in Wettbewerb um knappe, kostengünstige Wohnungen. Dies kann zu Veränderungen der Beschäftigungschancen insbesondere für gering qualifizierte deutsche Arbeitnehmer in den unteren Lohngruppen führen. Verstärkt wird dieser Prozeß dadurch, daß Zuwanderer in bezug auf Arbeitsbedingungen und Lohn weniger anspruchsvoll sind. Für viele Deutsche entsteht dadurch der Eindruck, daß sie durch die ausländische Konkurrenz vom Arbeitsmarkt verdrängt werden.

Ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind mit einer Arbeitslosenquote von über 18% fast doppelt so stark von Arbeitslosigkeit betroffen wie ihre deutschen Kollegen. Beobachtungen zeigen, daß Migranten vergleichsweise schneller als deutsche Staatsangehörige aus dem regulären Arbeitsmarkt hinausgedrängt werden.

Erfreulich ist in diesem Zusammenhang, daß im Jahre 1995 2.000 Ausländer mit einer beruflichen Weiterbildungsmaßnahme einschließlich betrieblicher Einarbeitungsmaßnahmen begannen. Dennoch sind sie auch hier unterrepräsentiert, denn sie stellen nur 5,7% aller Teilnehmer an diesen Maßnahmen.

Unterrepräsentiert sind Ausländer auch in Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, die aus Landesmitteln und aus Mitteln des Europäischen

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Sozialfonds kofinanziert werden. Ich begrüße es daher ausdrücklich, daß im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative EMPLOYMENT, die einen Teil des Europäischen Sozialfonds darstellt, ein neuer Schwerpunkt INTEGRA entwickelt wurde. Zwar konnten auch bislang schon unter dem Schwerpunkt HORIZON nicht nur Behinderte, sondern auch Benachteiligte qualifiziert werden. Die Erfahrung hat aber gezeigt, daß dies nur in unzureichender Weise geschehen ist. Die neue Schwerpunktsetzung wird hoffentlich dazu führen, daß die Träger entsprechende Maßnahmen konzipieren werden.

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5. Erste Ansätze zur Integration durch gesteuerte Einwanderung

Immer lauter werdende Rufe nach dem Motto „Das Boot ist voll" können und dürfen nicht ignoriert werden, im Laufe der letzten 26 Jahre sind über 20 Millionen Menschen in die Bundesrepublik gekommen. Neben der gezielten Steuerung der Einwanderung im Sinne einer gesetzlichen Regelung gewinnt die soziale, berufliche und kulturelle Integration der neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger in diesem Zusammenhang eine große Bedeutung.

Wie kann eine Einwanderungspolitik aussehen, die die gesellschaftlichen Integrationschancen der Zuwanderer steigert und der Angst vor Überfremdung in der deutschen Bevölkerung gerecht wird? Hier könnten Lehren aus der Politik anderer Länder gezogen werden, wie ein kurzer Vergleich der Einwanderungsregelungen traditioneller Einwanderungsländer ergibt. So gibt es etwa in den USA Einwanderungskontingente, die für jedes Jahr festgelegt und nach Quoten auf die Bewerbergruppen verteilt werden. Der größte Teil, etwa 75%, dient der Familienzusammenführung; ein kleinerer Teil, etwa 10%, ist für Einwanderer mit besonderen beruflichen Qualifikationen oder Investoren vorgesehen. Der verbleibende Anteil verteilt sich auf Flüchtlinge; eine bestimmte Anzahl von Einwanderungszulassungen wird zusätzlich jährlich verlost.

Kanada hingegen regelt seine Einwanderungen über ein Punkte-System, in dem Punkte nach Personenmerkmalen vergeben werden. Kriterien sind berufliche Qualifikation und Erfahrung, Chancen auf dem Arbeitsmarkt,

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Alter und persönliche Eignung. Für den Nachzug von Familienangehörigen, die nicht die erforderliche Punktzahl erreichen, wird erwartet, daß die jeweilige Familie die Unterhaltsleistungen der Einwanderer für die ersten 10 Jahre garantiert. Dieses System wirkt auf den ersten Blick rigoros, bietet aber genauer betrachtet den Vorteil, daß die Zuwanderung auf eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz stößt.

Die Zuwanderung nach Deutschland ist nur in sehr geringem Maße gesteuert. Nur ein kleiner Teil der Zuwanderer kommt mit einem Arbeitsvertrag ins Land oder hat die Chance, schnell einen zu erhalten. Häufig sind es - wie bereits angemerkt - auch Niedrigqualifizierte, die nach Deutschland kommen und die sich einreihen in die ohnehin lange Schlange der arbeitslosen, schlecht qualifizierten Deutschen. Asylbewerber erhalten darüber hinaus nur in Ausnahmefällen eine Arbeitserlaubnis. Aussiedler sind in diesem Falle bisher eine Ausnahme, denn sie überbrücken momentane Engpässe insbesondere im handwerklichen Sektor.

Erforderlich ist eine aktive Zuwanderungspolitik, die ausdrücklich zwischen dem Recht auf Asyl und arbeitsmarktbedingter Zuwanderung trennt und eine Verknüpfung beider Strategien zu einem einzigen Verfahren ausschließt. Arbeitsmarkt- und sozialstaatskonforme Zuwanderung würde im Falle der Bundesrepublik bedeuten, daß niedrigqualifizierte Arbeitskräfte nur in dem Maß einwandern dürfen, wie sie Arbeitsmarktlücken schließen. In der Bundesrepublik werden auf dem Arbeitsmarkt qualifizierte Arbeitnehmer in unterschiedlichen Branchen sowie Unternehmer und Investoren benötigt. Ebenso wie in anderen Einwanderungsstaaten müßten in Deutschland politische Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit Einwanderung auch für diese Personengruppen attraktiv wird.

Aus der Öffnung der europäischen Grenzen im Zuge der Schaffung des Binnenmarktes entstand die Notwendigkeit auch einer europäischen Lösung der Asyl- und Zuwanderungsfrage. Im Juni 1990 wurde hierzu das „Dubliner Abkommen" von den Mitgliedstaaten der Europäischen Union unterzeichnet. Es beinhaltet die Regeln, die bestimmen, welcher Staat für das Asylverfahren der einzelnen Bewerber zuständig ist. Ebenso wie das „Dubliner Abkommen" trägt das „Schengener Abkommen", das im März 1995 in Kraft trat, zu einer Regelung des Asyl- und Zuwanderungsrechtes bei.

Die europäische Integration kann wichtige Hilfestellung leisten, wenn es darum geht, die Migration in die richtigen Bahnen zu lenken. Ich denke,

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daß sich in Zeiten durchlässiger europäischer Grenzen Quittierungen, aber auch Integrationsmuster länderübergreifende entwickeln lassen sollten.

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6. Ansätze zur Integration auf lokaler Ebene

Wir vergessen in der politischen Diskussion oft, daß es auf kommunaler Ebene bereits viele Ansätze zur Integration ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger gibt. Dies geschieht meist zwangsläufig, der Handlungsdruck ergibt sich aus der Praxis. Auf der kommunalen Ebene scheint aber auch die Bereitschaft größer zu sein, sich der Zugewanderten anzunehmen. Das liegt in der Natur der Sache: In kleineren Gemeinschaften wiegt es viel schwerer, wenn es bestimmte Gruppen gibt, die isoliert sind oder sich selbst isolieren.

Seit Anfang der siebziger Jahre gibt es auch in der Bundesrepublik eine umfangreiche Migrationsforschung. Ursachen und Folgen der internationalen Wanderungen werden meist mit arbeitsmarktpolitischem oder demographischem Hintergrund untersucht. Noch etwas vernachlässigt ist dagegen die Frage, in welcher Weise auf lokaler Ebene, durch die kommunale Politik, die kommunalen Institutionen und die Träger der freien Wohlfahrtspflege auf die Zuwanderung reagiert wird. Welche Probleme tauchen auf, welche werden bearbeitet und welche Lösungsansätze wurden bislang gefunden? Welche Integrationsmuster haben sich vor Ort herausgebildet, welche Defizite bestehen bei der Wahrnehmung und bei der Fähigkeit zur Problemlösung?

Ausländerinnen und Ausländer werden im kommunalen Raum gerne als Bereicherung des kulturellen Angebots und des Dienstleistungssektors gesehen. Welche sozialen und politischen Folgewirkungen aber hat die Zuwanderung im kommunalen Kontext? Für Rheinland-Pfalz als Flächenstaat, der nicht über Großstädte wie Frankfurt, Köln oder München verfügt, sind diese Fragestellungen bislang noch nicht ausreichend bearbeitet worden.

In den Schulen wird die mangelnde Deutschkenntnis der zugewanderten Kinder meist als Defizit erlebt, das es möglichst schnell auszugleichen gilt. Der Erhalt der Muttersprache wird zwar respektiert, aber kaum aktiv gefördert. Dabei wird gerne übersehen, daß auf dem Arbeitsmarkt des

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europäischen Binnenmarktes die Zweisprachigkeit in vielen Berufen fast ein unerläßlicher Bestandteil ist und dies in Zukunft noch viel mehr sein wird. Dabei werden es angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung nicht mehr nur Englisch und Französisch als klassische Fremdsprachen sein, die in unseren Schulen gelehrt werden. Wer eine zweite Sprache wie polnisch, russisch, türkisch oder italienisch perfekt beherrscht, weil er zweisprachig aufgewachsen ist, bringt für das Berufsleben sogar eine ergänzende Qualifikation mit.

In Rheinland-Pfalz verfügen besonders die Städte Mainz und Ludwigshafen über Erfahrungen bei der Integration von Ausländern. Große Firmen in diesen Städten haben dafür gesorgt, daß der Zuzug ausländischer Arbeitskräfte hier sehr hoch ist. Sie haben aber auch, wenn ich an das Beispiel der BASF in Ludwigshafen denke, sehr viel für die betriebliche und soziale Integration ihrer Mitarbeiter getan. In Zusammenarbeit mit der Landesregierung und dem Europäischen Sozialfonds wurden unter anderem Maßnahmen speziell für ausländische Jugendliche entwickelt, die den „Start in den Beruf erleichtern sollen. Hier gilt es in erster Linie, Sprachschwierigkeiten und Bildungsdefizite auszugleichen.

Integration findet auf der kommunalen Ebene auch in den Kindertagesstätten statt. Kindergartengruppen mit Kindern verschiedener Nationalitäten sind heute auch in den ländlichen Gebieten keine Ausnahmen mehr. In den Städten Ludwigshafen und Mainz sind es bestimmte Stadtteile, in denen der Anteil der ausländischen Kinder oder der Kinder von Spätaussiedlern aus Polen und Rußland über dem der Deutschen liegt. Zum Teil sind mehr als die Hälfte der 3- bis 6jährigen in den entsprechenden Kindertagesstätten ausländischer Herkunft.

Im rheinland-pfälzischen Kindertagesstättengesetz ist verankert, daß in Kindergärten mit einem ausreichend hohen Anteil ausländischer Kinder eine muttersprachliche Kraft eingestellt werden kann. Im Jahr 1994 waren in Rheinland-Pfalz 68 ausländische, meist türkische Mitarbeiterinnen in den Kindergärten tätig.

Eine solche Praxis ist noch lange nicht in allen Feldern des gesellschaftlichen und politischen Lebens eine Selbstverständlichkeit. Wir wissen es selbst, daß in den Verwaltungen von Bund, Land und Kommunen die Beschäftigung von Ausländern eher selten ist. Aber auch die multikulturelle Ausbildung von Lehrern und anderen Berufsgruppen, die in ihrer

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Arbeit viel mit Ausländern zu tun haben, ist noch nicht selbstverständlich. Die Ausbildungsgänge an den Universitäten und Fachhochschulen sind nicht entsprechend angelegt; meist wird dieser Themenbereich nur in Form von Weiterbildungen angeboten.

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7. Ausländerbeiräte als Möglichkeit zur Beteiligung

Ein wesentlicher Faktor zur Integration ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger auf kommunaler Ebene ist das Wahlrecht als politisches Mitentscheidungsrecht. Die Kommune ist der Ort, an dem sich der einzelne an der politischen Gestaltung seiner Lebenswelt beteiligen kann. Das Wahlrecht ist den Ausländerinnen und Ausländern derzeit aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben verwehrt. Eine Ausnahme bildet das Kommunalwahlrecht für EU-Bürgerinnen und Bürger, das auf rheinland-pfälzischer Ebene im vergangenen Jahr mit dem Zweiten Landesgesetz zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften umgesetzt wurde. Die jüngsten Erfahrungen bei der Kommunalwahl in Niedersachsen, wo EU-Ausländer erstmals an Wahlen teilnehmen konnten, werden sorgfältig ausgewertet werden müssen.

Um auch für die übrigen ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger eine Möglichkeit zu schaffen, sich politisch zu beteiligen, hat das Land darüber hinaus die gesetzliche Grundlage für die Einrichtung kommunaler Ausländerbeiräte geschaffen. Das Kommunalwahlrecht hat festgelegt, daß in Gemeinden und Städten mit mehr als 1.000 und in Landkreisen mit mehr als 5.000 ausländischen Einwohnern Ausländerbeiräte gewählt werden. Dies soll nach den Grundsätzen des Kommunalwahlrechts geschehen. Die im Jahre 1994 landesweit in Rheinland-Pfalz erstmals durchgeführten Ausländerbeiratswahlen waren nach anfänglichen Schwierigkeiten erfolgreich; die ersten Schritte zur Einbindung der Ausländerinnen und Ausländer in politische Entscheidungsprozesse sind damit getan. Zu den wesentlichen Aufgaben der Ausländerbeiräte gehört es, Benachteiligungen und Diskriminierungen deutlich zu machen, diese abbauen zu helfen und an der Gestaltung des Zusammenlebens aller Bevölkerungsgruppen mitzuwirken. Es geht dabei nicht nur um die Vertretung der Interessen einzelner ethnischer und religiöser Gruppen, sondern auch um die Einbindung dieser Einzelinteressen in ein gemeinsames politisches Ziel.

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Die vielleicht auf den ersten Blick niedrig wirkende Wahlbeteiligung bei diesen ersten Ausländerbeiratswahlen von rund 23% muß differenziert betrachtet werden, wenn man bedenkt, daß dies für viele der ausländischen Wählerinnen und Wähler die ersten Wahlen überhaupt waren.

Ob ein Ausländerbeirat erfolgreich arbeiten kann, hängt vor allem von den konkreten Arbeitsbedingungen ab. Deshalb ist es wichtig, daß die Verwaltungen und die kommunalen Entscheidungsträger bereit sind, den Beiräten aufgeschlossen und verständnisvoll zu begegnen. Ich bin zuversichtlich, daß dies gelingen wird und daß auf diesem Wege ein besseres Zusammenleben erreicht wird.

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8. Schlußbemerkung

Deutschland hat aus heutiger Sicht keine Wahl mehr, ob es ein Einwanderungsland sein will oder nicht. Um die Angst vor der Zuwanderung Fremder in einer für Deutschland schwierigen Zeit zu reduzieren, müssen deshalb klare Regelungen getroffen werden. Wir brauchen ein Zuwanderungsgesetz und nicht nur ein Gesetz, das die Zuwanderungsfolgen regelt. Es muß deutlich werden, daß die Politik die Befürchtungen der Bevölkerung wahrnimmt und versucht, Einwanderung so zu steuern, daß sie mehr Vor- als Nachteile bringt. Eine fortgesetzte passive Hinnahme der Einwanderung bedeutet, die Bedürfnisse und Probleme der einheimischen Bevölkerung zu ignorieren und die Akzeptanz des Sozialstaats zu gefährden, ohne den Auswanderungsländern entscheidend zu helfen. Steuerung heißt in diesem Zusammenhang nicht, die Zahl der Einwanderer pro Jahr zu steigern, sondern ausschließlich deren Zusammensetzung sinnvoll zu kontrollieren.

Die gesellschaftlichen Integrationschancen der Einwanderer sind in erster Linie abhängig von ihren Möglichkeiten am Arbeitsmarkt. Deshalb sollte sich eine Einwanderungsregelung auch hauptsächlich daran orientieren. Die soziale und kulturelle Integration in den Kommunen ist dabei bereits weiter fortgeschritten, als es sich viele Menschen bewußt machen. Vorsichtig sollten wir jedoch sein bei dem Versuch, die ausländischen Mitbürger assimilieren zu wollen. Sieht man einmal davon ab, daß eine Vielfalt der Kulturen durchaus wünschenswert sein kann, so fehlt den Zuge-

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wanderten doch ein wichtiges Stück „deutscher Identität", wie es etwa die sehr spezielle deutsche Geschichte vermittelt. Können wir ernsthaft den Zugewanderten das Einstehen für die Konsequenzen des Zweiten Weltkrieges einschließlich der moralischen Bürden und materiellen Verpflichtungen aus den nationalsozialistischen Verbrechen zumuten? Diese Frage stellt sich, wenn von Assimilation die Rede ist, und sie ist sicher nicht einfach zu beantworten.

Ein gelungenes Nebeneinander, wie es in den ethnisch homogenen Vierteln amerikanischer Großstädte vielfach praktiziert wird, erscheint mir für Staat und Gesellschaft erstrebenswerter als ein mißlungenes Miteinander. Ich halte Integration unter Wahrung der eigenen kulturellen Identität für den sinnvollen Mittelweg zwischen völliger Assimilation und der absoluten Ausgrenzung aus der Gesellschaft mit der Folge der Ethnisierung und Ghettoisierung. Dem stehen häufig allerdings - wie ich einräumen muß - kulturelle Hemmnisse entgegen. Zur Bewahrung der kulturellen Identität trägt das Land Rheinland-Pfalz wie auch andere Bundesländer durch Förderung und Unterstützung der Kulturarbeit ausländischer Vereine, Verbände und Institutionen bei. Ich bin zuversichtlich, daß dieser begonnene Dialog im Sinne von mehr Offenheit und Toleranz fortgesetzt werden kann.

Deutschland stellt sich auch im Jahr 1996 als ein zuwanderungsfreundliches Land dar, das nach wie vor aufnahmebereiter ist als die meisten vergleichbaren Staaten und damit dokumentiert, daß es seine geschichtliche Lektion gelernt hat. Nur durch eine gezielte und intelligente Einwanderungspolitik können wir diese Aufnahmebereitschaft und -fähigkeit auch in Zukunft erhalten.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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