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Günther Schultze
Zusammenfassung


Die Bevölkerungswissenschaftler sind sich einig: Im nächsten Jahrhundert wird die Bevölkerungszahl in Deutschland gravierend sinken und der Anteil der Älteren zu- und der der Jüngeren abnehmen. Dies hat erhebliche Konsequenzen für unsere sozialen Sicherungssysteme. Diese Entwicklung kann durch eine gezielte und gesteuerte Einwanderungspolitik zwar nicht gestoppt, aber zumindest abgemildert werden. Hans-Ulrich Klose fordert deshalb eine Einwanderungsgesetzgebung, die die Steuerung weiterer Zuwanderungsprozesse verknüpft mit einer konsequenten Integrationspolitik. Dies sei die Voraussetzung, die Akzeptanz der einheimischen Bevölkerung für weitere Zuwanderungen zu gewährleisten.

Für eine gezielte Einwanderungspolitik plädiert auch Florian Gerster. Nur so könne es gelingen, die berechtigten Ängste der einheimischen Bevölkerung zu reduzieren. Auf dem Arbeitsmarkt und bei der Wohnungssuche werde vor allem von den Sozial-Schwachen, Arbeitslosen und anderen unterprivilegierten Bevölkerungsgruppen die weitere Zuwanderung als Konkurrenzsituation erlebt. Eine Steuerung der Zuwanderung sei erforderlich, da die Gefahr der Überforderung der sozialen Systeme bestehe. Vor allem die Länder und die Kommunen tragen die Hauptlast der Integrationskosten. Entscheidend für die Integration von Zuwanderern in unsere Gesellschaft ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Die Vergangenheit zeige, daß eine Assimilation der Migranten nicht erstrebenswert sei. Ein gelungenes Nebeneinander sei oftmals besser als ein mißlungenes Miteinander.

Der Ort, an dem sich die multikulturelle Gesellschaft konkretisiert, ist die Kommune und letztlich der einzelne Stadtteil. Zu einer multikulturellen Gesellschaft mit der Zielperspektive Gleichheit von Rechten und Pflichten, Partizipation und Selbstorganisation sowie der Aufhebung von Benachteiligungen gibt es keine Alternative, weil sich ansonsten langfristig ethnisch-kulturelle Konflikte mit wirtschaftlichen und religiösen Spannungen dauerhaft verbinden. Roderich Kulbach betont, daß eine moderne Stadtentwicklungspolitik darauf ausgerichtet sein müsse, weitere räumli-

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che Segregationen zu verhindern. Vor allem jene marginalisierten Stadtteile, in denen sich die Probleme von Alten, kinderreichen Familien, Alleinerziehenden, Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern und von Migranten kumulierten, bedürften spezieller Förderprogramme. Hierbei gelte es, die örtlichen Ressourcen zu nutzen, Eigenaktivitäten ausländischer Vereine und Gruppierungen zu unterstützen sowie die sozialen Regeleinrichtungen für die Bedürfnisse und Belange von Migranten sensibler zu machen.

Kommunale Ausländerpolitik muß als eine „Querschnittsaufgabe" angesehen werden. Ulrike Kretzschmar weist darauf hin, daß deshalb in Bonn ein „Referat für Multikulturelles" eingerichtet wurde. Dieses Referat hat die Aufgabe, die Aktivitäten zu koordinieren, einen Erfahrungsaustausch der beteiligten Organisationen sicherzustellen, die verschiedenen Bereiche der Stadtverwaltung für die Problematik von Migranten zu sensibilisieren und Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Dabei sei zu berücksichtigen, daß Integration ein langwieriger Prozeß sei und oftmals nicht „große Konzepte" sondern „kleine Schritte" erfolgversprechender sind. Es bestehe jedoch die Gefahr, daß angesichts der Sparzwänge der Kommunen positive Ansätze der Integrationsarbeit nicht fortgeführt werden können.

Der Bereich, in dem der Staat selbst aktiv werden kann, um die Benachteiligungen von Ausländern abzubauen, ist der öffentliche Dienst. In den Angestelltenberufen mit höherwertigen Tätigkeiten sind sie stark unterrepräsentiert. Nur in jenen Arbeitsfeldern die „zuständig für deutsche Sauberkeit" sind, wie z.B. der Putz- und Reinigungsbereich und die Müllabfuhr, sind sie stark vertreten (Dagmar Lill). Deshalb ist es dringend erforderlich:

  • die rechtlichen und administrativen Zugangsbarrieren zum öffentlichen Dienst durch Änderungen des Beamtenrechts abzubauen;

  • daß Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen des öffentlichen Dienstes gezielt um Nichtdeutsche werben und sie aufnehmen;

  • interkulturelle Kompetenzen bei der Auswahl und Einstellung von Bewerbern zu berücksichtigen;

  • bei allen Strategien zur Erleichterung des Zugangs in den öffentlichen Dienst Migrantinnen besonders zu beachten.

Kontrovers diskutiert wurde, ob über eine Quotenfestsetzung eine positive Diskriminierung von Ausländern angestrebt werden soll. Dies könne auch

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dazu führen, daß die bereits vorhandenen ethnischen Konflikte in den Betrieben verstärkt würden, und Ausgrenzungsprozesse sich verschärften. Diese zu minimieren, sei dringend erforderlich, denn oftmals komme es zu einer „ethnischen Verzauberung gängiger betrieblicher Konflikte", wie z.B. bei Urlaubsregelungen und Dienstplänen (Ulrich Billerbeck). Umfassende und intensive pädagogische Anstrengungen sind oftmals nötig, um Einfluß auf die komplizierten Interaktionsverläufe zu nehmen und Verhaltens- und Bewußtseinsveränderungen herbeizuführen.

Die Möglichkeiten von Zuwanderern, die nicht EU-Bürger sind, sich an kommunalen Entscheidungsprozessen zu beteiligen, sind begrenzt (José Otero). Ihnen wird das kommunale Wahlrecht nach wie vor verweigert. Ausländerbeiräte sind kein Ersatz für das Kommunalwahlrecht, jedoch als ein Übergangsgremium sinnvoll, um den Interessen und Problemen von Migranten im kommunalen Kontext Gehör zu verschaffen. Die Ausländerbeiräte ihrerseits müssen wiederum engen Kontakt zu den Selbstorganisationen der Migranten pflegen. Von seiten der Stadtverwaltung ist eine stärkere Unterstützung der Ausländerbeiräte wünschenswert.

Die muslimische Minderheit stellt in der Bundesrepublik Deutschland inzwischen die drittgrößte Religionsgemeinschaft dar. Ihre Integration in die Gesellschaft ist vor allem auch eine Aufgabe der Kommunen. Moscheen müssen aus den Hinterhöfen herausgeholt und in das Stadtbild integriert werden. Die Moschee in Mannheim wurde als ein Modell vorgestellt, das sich darum bemüht, den Dialog in der Kommune mit der muslimischen Minderheit zu organisieren. Nur so kann es gelingen, den Einfluß von fundamentalistischen Gruppierungen zurückzudrängen (Helmut Schmitt).

Ein zentraler Bereich zur Förderung der Integration von Migranten ist der Wohnungs- und Städtebau. Besonders jene Quartiere, die sich durch eine schlechte Bausubstanz auszeichnen und in denen sich marginalisierte Bevölkerungsgruppen konzentrieren, müssen das Ziel der kommunalen Stadtentwicklungspolitik sein. Dabei sind folgende Ziele anzustreben:

  • Beeinflussung der räumlichen Verteilung, z.B. durch Ausweisung von Bauland für Bevölkerungsgruppen mit besonderem Bedarf, Festlegung von Quoten für sozialen Wohnungsbau, sozialer Wohnungsbau in Stadtteilen mit geringem Zuwandereranteil;

  • Schaffung von ausreichendem und preiswertem Wohnraum;

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  • Erhöhung der Identifikation mit dem Stadtteil durch ergänzende soziale Dienstleistungen und

  • Verbesserung der Versorgungssituation mit sozialer, gewerblicher und kultureller Infrastruktur (Karin Veith).

Bei derartigen Projekten ist vor allem darauf zu achten, daß die Belange von Deutschen und Zuwanderern gleichwertig berücksichtigt werden und die Behebung von sozialen Problemen im Mittelpunkt der Aktivitäten steht (Friedhelm Fix).

Es gilt aber auch, neue Wege in der Wohnungsbauförderung einzuschlagen. „Multikulturelle Wohnprojekte", wie sie z.B. in Köln Volkhoven-Weiler in die Tat umgesetzt wurden, sind interessante Ansatzpunkte. Für 100 deutsche und ausländische Familien wurden Eigentumswohnungen zu einem unter dem Durchschnitt liegenden Preis erstellt. In der architektonischen Gestaltung wird versucht, auf die kulturellen Bedürfnisse der Bewohner Rücksicht zu nehmen. Entscheidend ist aber auch hier, daß Möglichkeiten der Begegnung und des Dialogs geschaffen werden. Dieses Modell zeigt, daß neue Wege beschritten werden können, um das Zusammenleben von Deutschen und Zuwanderern zu verbessern (Wolfgang Pach).


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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