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Ruth Brandherm
Zusammenfassung


Klein- und Mittelbetriebe spielen für die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland - entgegen weitverbreiteten Vorstellungen - eine entscheidende Rolle. In zahlreichen Betrieben dieser Größe existiert gegenwärtig keine gewählte und legitimierte Vertretung der Beschäftigten. Insofern ist eine zentrale Herausforderung für die Mitbestimmung, die Interessenvertretung der Beschäftigten in Klein- und Mittelbetrieben herzustellen. Dabei ist zu fragen, ob es ausreicht, den Geltungsbereich gesetzlicher Regelungen und Praktiken auf Klein- und Mittelbetriebe auszuweiten, oder ob für Betriebe dieser Größenordnung spezifische Vereinbarungen gefunden werden müssen, die den besonderen Bedingungen und Anforderungen Rechnung tragen.

Die Dezentralisierung von Großbetrieben, die Neugründung von Betrieben, Betriebsschließungen und Insolvenzen sowie die Betriebsübergabe aus Altersgründen bewirken erhebliche wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Strukturveränderungen, die sich auf die materielle, soziale und rechtliche Stellung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Klein- und Mittelbetrieben massiv auswirken. Daraus leitet Sigrid Skarpelis-Sperk einen erheblichen Handlungsbedarf für die betriebliche und gesellschaftliche Ebene ab. In politischen Debatten und im öffentlichen Bewußtsein spielen Fragen einer demokratischen Reorganisation von Wirtschaft und Gesellschaft durch Mitbestimmung und Beteiligung z. Zt. keine wesentliche Rolle. Damit wird übersehen, daß gerade in Zeiten von Krisen und gesellschaftlichen Umbrüchen konsensuale sozialpartnerschaftliche Regulierungen entscheidend sind.

Lange Zeit wurden Kleinbetriebe als ein Relikt des 19. Jahrhunderts betrachtet. Diese Einschätzung ist nicht nur historisch falsch, sondern muß - nach Auffassung von Wolfgang Rudolph - aus Sicht der heutigen Entwicklung erheblich revidiert werden. Kleinbetriebe haben nicht nur durch den „Schrumpfungsprozeß von Großbetrieben" an Bedeutung gewonnen, sondern Formen von Auslagerungen, Ausgliederungen, Firmenaufspaltungen und Fremdvergabe haben die Anzahl der Betriebe, insbesondere auch

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der Kleinstbetriebe, deutlich ansteigen lassen. Mit dem Betriebsverfassungsgesetz wurde ein Regelungsmechanismus installiert, der formalisierte und institutionelle Vorgehensweisen und Verfahren favorisiert, die vor allem unter großbetrieblichen Bedingungen angewendet werden können. Auch in der gewerkschaftlichen Tarif- und Betriebspolitik wurde Kleinbetrieben in der Vergangenheit nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt. Hier setzt jedoch allmählich ein Umdenkungsprozeß ein. Rudolph geht davon aus, daß es aufgrund der besonderen Strukturen in Kleinbetrieben nicht möglich sein wird, mit dem Instrument des Betriebsverfassungsgesetzes eine ähnliche flächendeckende gesetzliche Interessenvertretungswirkung zu erreichen wie in den Großbetrieben. Ein erfolgversprechenderer Ansatz ist aus seiner Sicht, daß Klein- und Mittelbetriebe „netzwerkfähig" werden. Rudolph nennt konkrete Ansatzpunkte und Modellvorhaben der Einzelgewerkschaften, die mit neuen Praktiken und Instrumenten darauf zielen, die gewerkschaftliche Präsenz in Klein- und Mittelbetrieben zu erhöhen.

Besondere Herausforderungen an die Interessenvertretung stellen sich in Großunternehmen, in denen Kleinbetriebe die Regel sind. Renate Schöntag stellt dies für den Gesamtbetriebsrat der Firma EUREST Deutschland dar. Das Unternehmen betreibt etwa 650 Betriebsrestaurants in Deutschland und beschäftigt dabei ca. 8.000 vorwiegend weibliche Beschäftigte. Im Durchschnitt arbeiten in den Betrieben 12,5 Mitarbeiter. 1982 wurde in einem Betrieb mit etwa 100 Beschäftigten die erste Betriebsratswahl bei EUREST durchgeführt. Nach heftigen, z.T. öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzungen wurde ein Tarifvertrag zwischen der NGG und EUREST abgeschlossen, der die Betriebsratswahl und die Arbeit des Gesamtbetriebsrats regelt. Hierbei ist besonders hervorzuheben, daß der Gesamtbetriebsrat ein Initiativrecht für die Bildung neuer Betriebsräte und ein Zugangsrecht zu betriebsratslosen Betrieben hat und das Wahlverfahren erheblich vereinfacht und verkürzt werden konnte. Seit 1987 liegt die Zahl der Beschäftigten bei EUREST bei über 2.000 Mitarbeitern. Dementsprechend wurden Wahlen zur Bildung eines Aufsichtsrats nach dem Mitbestimmungsgesetz eingeleitet. Aufgrund der geringen Anzahl von Betrieben mit einem Betriebsrat wurde ein abgewandeltes Wahlverfahren angewandt.

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Das Handwerk ist für die Beschäftigung in der Bundesrepublik ein zentraler Bereich. Die Mitbestimmung spielt im Handwerk bisher auf der betrieblichen Ebene kaum eine Rolle. Für das Dachdeckerhandwerk erläutert Josef Peters die betrieblichen Strukturen und die Verbreitung der Interessenvertretung in dem Bereich. Bundesweit liegt die Zahl der Betriebe, bei denen ein Betriebsrat existiert, hier unter 10%. Allerdings variiert dies sehr stark in Abhängigkeit von der Betriebsgröße. Peters sieht in der geringen Betriebsratsdichte im Dachdeckerhandwerk vor allem einen Indikator für ein durchweg gutes Betriebsklima in den Betrieben und einen funktionierenden Informationsfluß zwischen dem Betriebsinhaber und den Mitarbeitern sowie eine personelle Verbundenheit zwischen dem Betriebsinhaber, der häufig als Meister auch im Betrieb mitarbeitet, und seinen Mitarbeitern.

Über ein neues Konzept für die Betreuung von Kleinstbetrieben in einer Region berichtet Friedhelm Ahrens aus dem Bereich der Gewerkschaft Holz und Kunststoff. Ausgangspunkt für die Entwicklung des neuen Betreuungsmodells ist die Heterogenität der in dem Bereich vertretenen Branchen und Berufe und die Tatsache, daß die meisten Beschäftigten in Klein- und Mittelbetrieben arbeiten. Im Rahmen von Ideenkonferenzen wurden Konzepte entwickelt, die eine betriebs- und wohnortnahe Betreuung der Beschäftigten in Kleinstbetrieben gewährleisten, ohne die Zahl hauptamtlicher Gewerkschaftsmitarbeiter zu erhöhen. Durch sogenannte AnsprechpartnerInnen, die ehrenamtlich nach Feierabend den Beschäftigten als Kontaktperson dienen, konnte eine größere Präsenz und eine bessere Mitgliederbetreuung, aber auch die Werbung von neuen Mitgliedern erfolgen. Die AnsprechpartnerInnen wurden geschult und erhielten die technischen Voraussetzungen, um ihre Arbeit nach Feierabend durchführen zu können. Auf der Grundlage der positiven Erfahrungen ist eine Übertragung auf weitere Geschäftsstellen geplant. Darüber hinaus versucht die Gewerkschaft Holz und Kunststoff mit anderen DGB-Gewerkschaften ein gewerkschaftsübergreifendes Konzept die Betreuung von Kleinstbetrieben zu entwickeln.

Die Verbesserung der Interessenvertretung in Kleinbetrieben kann nach Ansicht von Burchard Bösche nicht durch die Übernahme der Erfahrung aus den Großbetrieben geschehen. Er unterbreitet eine Reihe konkreter Vorschläge zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes und schlägt

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u.a. mehr Spielraum für die tarifliche Ausformung von Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechten vor. Auf der Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes sollen Tarifverträge über die Einrichtung sogenannter „anderer Vertretungen" abgeschlossen werden, die den Aufbau von Vertretungsstrukturen auch dort ermöglichen, wo er aufgrund rechtlicher Regelungen ansonsten kaum zu realisieren wäre. Gerade für Kleinbetriebe ist eine nähere Bestimmung des Betriebsbegriffes durch tarifliche Regelungen wünschenswert, da dieser und andere unbestimmte Rechtsbegriffe zu Unsicherheiten führen, die zu Lasten der Arbeitnehmerseite gehen. Angesichts der Tatsache, daß das Wahlverfahren und insbesondere der Zeitfaktor bei Betriebsratswahlen eine entscheidende Rolle spielt, wäre es wünschenswert, das Wahlverfahren stark zu verkürzen und eine besondere Wahlordnung für Kleinbetriebe bis zu 50 Beschäftigten zu erlassen. In weit verzweigten, filialisierten Unternehmen ist die Kompetenz des Gesamt- bzw. Konzernbetriebsrats für die Einleitung von Betriebsratswahlen von zentraler Bedeutung. In Anbetracht einer zunehmenden Verflechtung von Unternehmen wird eine unternehmensübergreifende Vertretung von Arbeitnehmerinteressen immer dringlicher. Bösche schlägt vor, einen Konzernbetriebsrat für alle Unternehmensgruppen vorzuschreiben, bei denen Unternehmen als herrschende und abhängende Unternehmen miteinander verbunden sind, oder aber sich in wechselseitiger Abhängigkeit befinden. Bei Aufsichtsratswahlen in Großunternehmen mit Kleinbetrieben schlägt er eine Anpassung der Wahlordnung an kleinbetriebliche Erfordernisse vor. Zu ergänzen wäre das jetzige rechtliche Instrumentarium durch ein Gesetz über die betriebliche Gewerkschaftsvertretung, das die betrieblichen Rechte der Gewerkschaften präzisiert. Mit Hinweis auf Regelungen in europäischen Nachbarländern schlägt er vor, eine gleichberechtigte Beteiligung der Arbeitnehmerseite in den Kammern zu fordern, um die Möglichkeiten bereits heute bestehender überbetrieblicher Strukturen stärker zu nutzen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2000

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