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TEILDOKUMENT:
Hans Nisble [Seite der Druckausg.: 133 ]
Welche Möglichkeiten bieten integrative Politikansätze und wie können Kooperation und Vernetzung gefördert werden?
Als Innenstadtbezirk sieht sich der Bezirk Wedding dem Entstehen von benachteiligten Stadtgebieten mit komplexer Problemstruktur gegenüber. Durch selektive Wanderungsbewegungen in den zurückliegenden Jahren zeigen sich derzeit massive Veränderungen in der sozialstrukturellen Zusammensetzung der Bevölkerung. Der Strukturwandel in der Berliner Ökonomie hat zu steigender Arbeitslosigkeit und Ungleichheit geführt. Mit der Polarisierung verbunden ist eine Zuspitzung der sozialen Konflikte, die in einigen Stadtquartieren auftreten. Da der Bezirk Wedding über einen ausnehmend hohen Arbeiteranteil sowie einen weit über dem Durchschnitt liegenden Anteil an Personen ohne Schulabschluß bzw. mit Hauptschulabschluß verfügt, ist dieser Bezirk nachvollziehbar von dem Arbeitsplatzabbau der vergangenen Jahre in besonderem Maße betroffen. Eine dramatische Zunahme des Anteils der Sozialhilfeempfänger/innen ist die Folge. Der in hohem Maße zu beobachtende Wegzug von Familien und Erwerbstätigen sowie hiermit einhergehend der Verlust an Kaufkraft für weite Bereiche des Bezirks führt darüber hinaus in einem erhöhten Maße zum Leerstand von Gewerbeimmobilien. Die fehlende Ansiedlung von lokalem Gewerbe wiederum läßt einzelne Stadtteile für ihre Bewohner und Bewohnerinnen wenig attraktiv erscheinen und bedeutet eine Reduzierung der Arbeits- bzw. Ausbildungsmöglichkeiten sowie der Berufsqualifizierung. Der hohe Anteil von Bewohnern nichtdeutscher Herkunft stellt daneben eine zusätzliche Herausforderung an die Kommune dar, die zur Vermeidung sozialer Konflikte benötigte Infrastruktur in den Stadtteilen vorzuhalten. Dies sei nur ein kurz skizzierter Abriß der gegenwärtigen Problemstruktur, der mit neuen Formen der Zusammenarbeit im Stadtteil zu begegnen ist. [Seite der Druckausg.: 134 ] Neue integrierte und gebietsbezogene Handlungskonzepte für die Verbesserung der Lebensqualität in benachteiligten Stadtteilen sind erforderlich:
Welche Wege wurden im Bezirk Wedding konkret beschritten? a) Im November 1997 erfolgte die Gründung der Lokalen Partnerschaft Wedding als ein Bündnis für Beschäftigung, Lebensqualität und sozialen Zusammenhalt im Bezirk unter Beteiligung von Institutionen aus Politik und Verwaltung, dem gemeinnützigen Sektor, der Wissenschaft und der Wirtschaft. Ziel dieser Partnerschaft ist es, insbesondere in Gebieten mit hoher sozialer und ökonomischer Problembelastung gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, die Lebensbedingungen der Bewohnerinnen und Bewohner zu verbessern und Möglichkeiten für lokale Beschäftigung zu schaffen. Die Lokale Partnerschaft soll Beteiligung, Eigeninitiative und Selbsthilfe fördern. Mit den anderen Kooperationspartnern soll gemeinsam versucht werden, dauerhafte Beschäftigungsmöglichkeiten für sozial benachteiligte Menschen zu schaffen. Hier sind insbesondere die Bereiche Wohnumfeld, Freizeit und Umwelt innerhalb des Dienstleistungssektors hervorzuheben. Zur Umsetzung dieser Vorhaben bildet die Einwerbung sogenannter Drittmittel, u.a. Mittel aus den Förderprogrammen der Europäischen Union, einen Schwerpunkt. Mitglieder dieses Aktionsbündnisses sind u.a. die Arbeiterwohlfahrt, die Technische Fachhochschule, das Bezirksamt Wedding, das Kommunale Forum Wedding, die Gewerkschaften ÖTV und GEW, der Evangelische Kirchenkreis, [Seite der Druckausg.: 135 ] die Wohnbaugesellschaften DEGEWO und GeSoBau und das Arbeitsamt. Einige Beispiele für bisherige Aktivitäten sind:
b) Im Sommer 1997 beschloß das Bezirksamt und die Bezirksverordnetenversammlung Wedding die Gründung des bezirklichen Sicherheitsbeirates, dessen Aufgabe vorwiegend die vorbeugende Kriminalitätsbekämpfung ist sowie die Sensibilisierung für Veränderungen in Stadtteilen des Bezirkes durch stetige Kommunikation zwischen bezirklicher Verwaltung, Polizei und anderen kompetenten und sachverständigen Ansprechpartnern. Die Geschäftsstelle dieses Beirates ist innerhalb des Bezirksamtes angesiedelt. Ziel dieses Sicherheitsbeirates ist es, den Gemeinsinn zu stärken, damit Bürgerinnen und Bürger wieder bereit sind, mehr Verantwortung zu übernehmen und nach dem Motto Nicht wegsehen, sondern sich einmischen" agieren. Alle Maßnahmen sollen dazu beitragen, die Sicherheitslage der Bevölkerung im Bezirk spürbar und sichtbar zu verbessern und das Sicherheitsgefühl insbesondere bei älteren Menschen, Frauen, Kindern und Jugendlichen deutlich zu steigern. Dies funktioniert nur, wenn es gelingt, die wichtigsten Gruppen in den jeweiligen Sozialräumen zur Mitarbeit zu gewinnen. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern ein großes Maß [Seite der Druckausg.: 136 ] an (Überzeugungs-)Arbeit bedarf und in ihren Folgen auch für die Kommunalpolitik nicht in jeder Hinsicht kalkulierbar ist. Sie ist darüber hinaus nicht kostenneutral zu erhalten. Um die Motivation und das Interesse zur Mitarbeit bei den Bewohnern zu wecken bzw. zu steigern, ist es jedoch von besonderer Bedeutung, konkrete Verbesserungsvorschläge auch umzusetzen. Aus dem Sicherheitsbeirat heraus erfolgte die Gründung von Kiez-Arbeitsgruppen in einzelnen Stadtteilen des Bezirkes unter Beteiligung u.a. der Verwaltung, der Parteien, Wohnungsbaugesellschaften, Kirchen, Nachbarschaftsinitiativen, Bewohnerinnen und Bewohnern. Die Moderation dieser Arbeitsgruppen erfolgt durch die Bewohnerschaft bzw. die Verwaltung. Die bisherigen Schwerpunkte der Arbeit liegen in der engen Kooperation und dem Informationsaustausch der Gruppenmitglieder, der Einbringung des lokalen Gewerbes und der Einbindung der Vermieter, einer Problembeschreibung des Wohnumfeldes durch die Bewohner und hieraus resultierend das Verabreden und Umsetzen von Maßnahmen (u.a. Reinigungsaktionen, Informationsabende für Senioren zum Thema Sicherheit, Kooperationen von Jugendhilfeträgern im Kiez). c) Den Startschuß für Agenda-Aktivitäten im Bezirk hatte der Weddingerinitiativkreis Lokale Agenda 21 Anfang 1996 gegeben. Ziel ist die gemeinsame Gestaltung unserer Zukunft durch den Dialog über Ziele und Maßnahmen zwischen allen gesellschaftlichen Akteuren. In diesem Initiativkreis sind Umweltorganisationen, Kirchen, Parteien und engagierte Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen vertreten. Er begreift sich als Motor und hat sich zum Ziel gesetzt, zu demonstrieren, daß der Agenda-Prozeß tatsächlich von der Basis ausgehen kann. Die im Juni 1997 eingerichtete Koordinierungsstelle Lokale Agenda 21 des Bezirksamtes Wedding ist Schnittstelle zwischen Initiativkreis und Verwaltung; sie fungiert damit generell als Drehscheibe für Aktivitäten von Behörden und allen sonstigen Akteuren. Den Auftakt zu einem umfassenden Diskurs zu der o.g. Thematik bildete eine Veranstaltung unter dem Motto Welche Zukunft hat der Wedding?", an die sich eine Forumsreihe anschloß (u.a. Wedding 2001 - Wege aus dem Verkehrschaos", Was hat der Wedding mit der Dritten Welt zu tun?"). Begleitend hierzu finden Fortbildungsveranstaltungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung zu diesem Themenkreis statt. Die Durchführung [Seite der Druckausg.: 137 ] einer Tauschbörse mit dem Ziel der Weiter- und Wiederverwendung gebrauchsfähiger Haushalts- und Einrichtungsgegenstände und damit der Leistung eines Beitrages zur Eindämmung wilder" Entsorgung sowie die Auslobung eines Schülerumweltwettbewerbs und die Durchführung der Zukunftskonferenz Müllerstraße sind nur einige der zu diesem Themenkreis stattfindenden Aktivitäten. Die geschilderten Wege im Sinne einer Förderung der Kooperation und Vernetzung innerhalb des Bezirks bis hinein in den Stadtteil vermitteln einen ersten Eindruck in die Richtung, in die Kommunalpolitik sich gegenwärtig bewegt. Die Anforderungen an die Politik und an die kommunalen Verwaltungen unterliegen einem Wandel, der den Begriff Bürgerbeteiligung" weniger als formales, die bürgerliche Mittelschicht der Bevölkerung erreichendes Instrument begreift, sondern vielmehr den ständigen Austausch zwischen allen Beteiligten befördert. Verantwortung ist von denen in einem stärkeren Maße zu übernehmen, die im Stadtteil leben, ihr Wohnumfeld kennen und entscheiden können, welcher Maßnahmen es bedarf, um ein Sich-Wohlfühlen-im-Stadtteil" zu erreichen. Die Kommunalpolitik und Verwaltung ist hier gefordert, den Boden in diesem Sinne zu bereiten, Unterstützung anzubieten, die nötigen Kooperationen herzustellen, zu vermitteln, zu koordinieren bis hin zur Moderation der jeweiligen Prozesse. Dies ist ein spannender Lernprozeß für alle Beteiligten und die Herausforderung der Kommunen für die Zukunft. [Seite der Druckausg.: 138 = Leerseite ] © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2000 |