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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 81 ]


Jürgen Weißbach
Rahmenbedingungen und Umsetzungsmöglichkeiten für eine integrative Arbeitsmarktpolitik -Statement


Für die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg, die dort beschäftigten Kolleginnen und Kollegen wiederholt sich allmonatlich ein bedrückendes Ritual:

Sie vermelden die Arbeitslosenzahlen, und mit 4,6 Mio. Erwerbslosen hat die offiziell ausgewiesene Arbeitslosigkeit in der BRD zum Jahresbeginn einen neuen Nachkriegsrekord erreicht.

Leider erfolgt in den letzten Monaten stets die gleiche Feststellung: Noch nie gab es so viele Arbeitslose! Und da finde ich es nicht sehr fair, mit Schuldzuweisungen in Richtung der Nürnberger Arbeitsverwaltung zu agieren, denn die Kolleginnen und Kollegen dort sind nicht dafür verantwortlich, müssen aber sehr wohl Monat für Monat eine wachsende Zahl ratsuchender, arbeitsuchender, z.T. bereits resignierter oder sogar wütender und frustrierter Menschen aushalten, ihnen Mut und Hoffnung geben, etwas, wofür die Politik ihnen praktisch kaum Instrumente an die Hand gibt. Und auch das AFRG, man mag den Begriff Reform dafür gar nicht verwenden, konterkariert diese Bemühungen eher.

Jedoch wird mit der amtlichen Arbeitslosenstatistik das ganze Ausmaß der Beschäftigungskrise nicht deutlich:

Tatsächlich muß davon ausgegangen werden, daß weit mehr als 7 Mio. Menschen auf der Suche nach einem Arbeitsplatz sind. Alarmierend ist aber nicht allein das Ausmaß der Arbeitslosigkeit, auch ihre veränderte Struktur nimmt immer bedrohlichere Züge an. Das Risiko, arbeitslos zu werden, existiert für alle sozialen Schichten, Berufs- und Altersgruppen. Darüber hinaus hat sich der Anteil der Langzeitarbeitslosen, d.h. derjenigen, die ein Jahr und länger vergeblich Arbeit suchen, seit Beginn der achtziger Jahre fast verdreifacht.

Ausmaß, Struktur und Folgen der Massenarbeitslosigkeit sind zu dem gesellschaftlichen Kernproblem in der Bundesrepublik Deutschland geworden, einem Problem, dem sich die politischen Verantwortlichen, aber auch alle

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am Arbeitsmarkt beteiligten Akteure endlich stellen müssen. Schuldzuweisungen helfen wenig, genausowenig wie alte überkommene „Rezepte".

Wir brauchen neue, innovative Ansätze zur Bewältigung der Arbeitslosigkeit, und wir haben gerade hier in Ostdeutschland bereits gute Lösungsansätze. Wir dürfen nur nicht zulassen, daß sie uns durch die Politik kaputtgemacht werden.

Die neuen Bundesländer, in denen die Beschäftigung unter den Bedingungen der Marktwirtschaft breitflächig zusammenbrach, wurden zu einem Experimentierfeld für die nicht erst heute, sondern schon seit langem geforderte innovative Arbeitsmarktpolitik. Der Aufbau zahlreicher Beschäftigungs-, Qualifizierungs- und Strukturentwicklungsgesellschaften - im übrigen nur auf Druck und infolge des Engagements der Gewerkschaften entstanden -, die professionell arbeitsmarktpolitische Maßnahmen durchführen, steht für einen neuen Ansatz in der Arbeitsmarktpolitik.

Diese ABS-Gesellschaften dürfen nicht immer wieder in Frage gestellt, sondern müssen entsprechend den Erfordernissen des Arbeitsmarktes systematisch weiterentwickelt werden. Sie bieten die Möglichkeit, die offensichtlichen Unzulänglichkeiten einer isolierten Arbeitsmarktpolitik zu überwinden, sie sind Instrumente, um tatsächlich, wie so oft gefordert. Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik miteinander zu verknüpfen bzw. um künftig mit integrativen Politikansätzen zu arbeiten.

Es ist unstrittig, daß durch eine bessere Verkoppelung von Teilpolitiken höhere Wirkungen erzielt werden. Allerdings, und auch das ist uns bekannt, handelt es sich hierbei um ein vielschichtiges Problem, das sowohl die Konzeption, die Durchführung, die Trägerstruktur wie den Adressatenkreis solcher Maßnahmen betrifft.

Für die Umsetzung eines solchen erweiterten Politikansatzes sind funktionierende Netzwerke in den Regionen erforderlich bzw. völlig neue Formen der Kooperation, um Ziele der Beschäftigungsausweitung/ -sicherung, der Qualifikationsentwicklung, auch des Erhalts des Potentials der Arbeitnehmer in regionale Entscheidungsprozesse einzubringen. Hier bietet es sich förmlich an, das Know-how der ABS-Gesellschaften zu nutzen und eine Entwicklung dieser hin zu regionalen Entwicklungsagenturen und Servicezentren für andere Akteure am Arbeitsmarkt zu unterstützen.

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Eine Verbesserung der Durchlässigkeit zwischen öffentlich gefördertem und erstem Arbeitsmarkt ist durch die gezielte Weiterentwicklung von Vergabe - Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sowie der Lohnkostenzuschüsse nach 249h AFG, nach Wettbewerbskriterien zu erreichen. Hierbei spielen die ABS-Gesellschaften bereits eine wichtige Rolle, sei es durch Beteiligung an Ausschreibungen, Anbindung an die Kommunen oder die vielfältigsten Formen von Kooperationsverträgen mit Handwerk, klein- und mittelständischen Betrieben.

Einen neuen Impuls werden sicherlich die - bei aller Kritik am AFRG - wenigen positiven Ansätze, wie die neuen Einsatzmöglichkeiten von Lohnkostenzuschüssen für Unternehmen oder zusätzliche Infrastrukturmaßnahmen geben.

Eine weitere Möglichkeit, den Wettbewerb um Beschäftigungsmaßnahmen zu forcieren, um die Paßfähigkeit der Schnittstelle Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik zu verbessern, wäre die Gleichstellung der Beschäftigungsgesellschaften mit privatwirtschaftlichen Unternehmen. Dazu gehört zum einen, daß Stamm- und Fachkräfte, die bislang von den Ländern subventioniert werden, sich selbst über die Tätigkeit der Organisationen finanzieren. Derzeit sind ABS-Gesellschaften zwar Wirtschaftsunternehmen nicht gleichgestellt, aber bereits prinzipiell förderfähig nach der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", einem klassischen Wirtschaftsförderinstrument. Jedoch wird dies in der Praxis bisher nur in Ausnahmefällen genutzt.

Eine weitere Möglichkeit wäre es, ABS-Gesellschaften nicht nur als Auffanggesellschaften im Konkursfall zu nutzen, sondern auch zur Begleitung und Weiterführung noch wettbewerbsfähiger Unternehmensteile aus der Gesamtvollstreckung. Somit könnte der Begriff Sanierung nicht nur mit der ökologischen Wiederherstellung von Industriebrachen und Verbesserung der Standorte verbunden werden, sondern mit tatsächlicher Strukturentwicklung und -anpassung, Revitalisierung der ostdeutschen Wirtschaft.

Auch die Tatsache, daß durch Aus- bzw. Existenzgründungen neue Arbeitsplätze geschaffen worden sind und werden, sollte hier nicht vergessen werden; es gibt angesichts des z.Zt. geringen Ausgründungsgeschehens sicherlich noch Reserven und Potentiale, wenn die dafür geeigneten Instrumente seitens der Politik geschaffen werden.

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Fazit

Die Sondersituation in Ostdeutschland führte auf der Trägerebene der Arbeitsmarktpolitik mit der Etablierung von Beschäftigungsgesellschaften zu einer Innovation, die möglicherweise für die weitere Arbeitsmarktpolitik in Gesamtdeutschland wegweisend sein könnte. Dazu bedarf es jedoch der Akzeptanz des Anspruchs auf eine Koordination von Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik durch die auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene politisch Verantwortlichen.

Es bedarf einer Weiterentwicklung des dazu erforderlichen Instrumentarismus und eines - angesichts der Gesamtsituation des Arbeitsmarktes (4,6 Mio. Arbeitslose) - Bekenntnisses zur Notwendigkeit öffentlich geförderter Beschäftigung.

Für die weitere Zukunft dieser Träger als strukturpolitisch relevante Einrichtungen dürfte ausschlaggebend sein, ob es ihnen gelingt, neben der Koordinierung mit der Arbeitsverwaltung und den Ländern auch neue Koordinierungsstrukturen, insbesondere in Richtung der Strukturpolitik, zu entwickeln.

Die vielfach geforderte Regionalisierung der Arbeitsmarktpolitik reicht dazu nicht aus. Vielmehr wäre es auch erforderlich, daß die Lücke, die mit Wegfall der Treuhand entstanden ist, durch neue Anschlußstellen an die strukturpolitischen Programme geschlossen wird, wie z.B. der stärkeren Einbeziehung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur". Eine Kombination von Kapitalsubvention und Lohnkostenzuschüssen wäre darüber hinaus denkbar.

Außerdem könnte auch über die diesbezüglich stärkere Nutzung der europäischen Strukturfonds, d.h. EFRE integrativ mit ESF nachgedacht werden, um neue Anknüpfungspunkte für eine Koordination von Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik zu eröffnen.

Nach neuem AFRG-Recht ist zumindest die Arbeitsmarktpolitik in Richtung der Wirtschaftsförderung bewegt worden (siehe neue Lohnkostenzuschuß-Regelung), jedoch darf sich die Wirtschaftspolitik aus überholten ordnungspolitischen Gründen nicht länger verweigern.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000

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