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[Seite der Druckausgabe: 14 / Fortsetzung]

4. Die systematische Abwertung von Qualifikationen in dem Frauen zugewiesenen Teil des Ausbildungs- und Erwerbsarbeitssystems

Die Frauenforschung hat darauf verwiesen, daß die im privat organisierten Arbeitsbereich eingesetzten Fähigkeiten bislang kaum gesellschaftlichen Bewertungsprozessen unterliegen, daß sie gar nicht "zählen" und aus dem verteilungspolitischen Prozeß ausgeblendet sind. Sie konnte auch belegen, daß es sich dabei nur um die eine Seite eines systematisch die Frauen verachtenden, in der Grundstruktur des gesellschaftlichen Systems vorhandenen Phänomens handelt: Die Analyse der Qualifikationsbewertungen von Frauen im Ausbildungs- und Erwerbsarbeitsbereich zeigen dieselbe Minderbewertung. Werden von Frauen eingesetzte Fähigkeiten im privat organisierten Bereich gar nicht, so werden sie im marktförmig organisierten Bereich relativ schlechter bewertet. Dies soll im folgenden durch Ergebnisse der Frauenforschung belegt werden.

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4.1 Die diskriminierende Zweitrangigkeit der Qualifizierungsprozesse von Frauen im Ausbildungssystem

Die Frage nach den Qualifikationen von Frauen kann nicht durch individuelle Prüfverfahren, Tests o.ä. hinreichend beantwortet werden, vielmehr müssen dazu die gesell-

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schaftlichen Zugangswege, die Angebote zur Qualifizierung, die es für Frauen gibt, mit in Betracht gezogen werden. Für Männer ist es i.d.R. eine Frage des individuellen Interesses und Könnens, für Frauen auch eine der Zugangschancen, welche Qualifizierungswege sie jeweils einschlagen.

Geschlechtsspezifische Differenzierungsprozesse beginnen bereits im Schulbereich und setzen sich im Bereich der Weiterbildung fort (Maier 1992). Charakteristisch ist es, daß es überall spezifische Angebote für Frauen gibt und daß diese im gesellschaftlichen Bewertungssystem zweitrangig sind. Ganz deutlich läßt sich dieses an der minderen materiellen Gratifizierung der Ausbildungsanstrengungen junger Frauen zeigen:

  • Überwiegend Frauen sind es, die keine Ausbildung im dualen System absolvieren, sondern sich auf Fachschulen in den Fachrichtungen Hauswirtschaft, Kaufmännisches, Gesundheit und Soziales qualifizieren (Anteil der Frauen: 64% ohne Gesundheitsberufe) (Berufsbildungsbericht 1992, S. 76). Die Ausbildungsan-strengungen in Vollzeitschulen werden nicht etwa vergütet, sondern erfordern in vielen Fällen noch Schulgeld. Teilweise sind die von Frauen angestrebten Berufe nur über eine solche Fachschulausbildung zu erreichen, teilweise erhoffen sich die Frauen aber auch durch sog. Warteschleifen im schulischen System verbesserte Chancen, einen betrieblichen Ausbildungsplatz zu bekommen.

    In schulischer Ausbildung erworbenen Abschlüsse haben aber häufig einen geringeren Marktwert. Wenn sie als Vorstufe für eine weitere Berufsausbildung dienen, verlängern sie die ungratifizierte Zeit der Ausbildung. Gerade im kaufmännischen Bereich müssen Frauen weitaus mehr Bildungsanstrengungen, die nicht bezahlt werden, investieren als Männer, um einen vergleichbaren Ausbildungsplatz zu bekommen. Zum Teil bedingt durch die Mindestaltervorgaben, die es ausschließlich für traditionelle Frauenberufe gibt, erwerben sie in Fachschulen eine hohe Allgemeinbildung. Dieser hohen Allgemeinbildung kommt jedoch kein Marktwert zu, die Fähigkeiten, die die Frauen hier erwerben, werden später als natürliche Ressource mitgenutzt, ohne nach Kriterien des Erwerbsarbeitssystems bewertet zu werden (Krüger 1991).

  • - Verstärkte Bildungserfolge geraten Frauen sogar zum Nachteil: So führte die breite Verbesserung der schulischen Abschlüsse für Frauen zur Anhebung der Zugangs-voraussetzungen in traditionellen Frauenberufen (Realschulabschluß für Helferinnenberufe) und verlängerte damit die ungratifizierte Ausbildungszeit.

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  • In vielen Sozialberufen verlängert sich die Ausbildungszeit erheblich durch minder bezahlte Praktika oder Anerkennungsjahre.

  • Im dualen System liegen die Ausbildungsvergütungen in den vornehmlich mit jungen Frauen besetzten Ausbildungsberufen erheblich unter dem Niveau der vornehmlich mit jungen Männern besetzten Ausbildungsberufen.

  • Der Anteil der jungen Frauen im traditionellen Männerausbildungsbereich hat sich in den letzten Jahren wesentlich nur in den relativ minderbezahlten Ausbildungsberufen erhöht (Gärtner/in, Koch/Köchin, Konditor/in).


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4.2 Die diskriminierende Zweitrangigkeit der Qualifikationen von Frauen im Erwerbsarbeitssystem

An Erwerbsarbeitsplätzen, an denen überwiegend Frauen eingesetzt werden, gelten viele Fähigkeiten, die die Frauen dort einsetzen, nicht als Qualifikationen: Sie werden weder vergütet, noch als Kriterium für Karriere oder Aufstieg herangezogen.

In typischen Frauenberufen, wie z.B. im Verkaufsberuf, gelten die eingesetzten Fähigkeiten, wie Freundlichkeit und Sensibilität, als natürliche Anlagen der Frauen, deren Entwicklung eher einem Reifungs- als einem Lernprozeß entsprechen soll (Goldmann 1986). In den sozialpädagogischen Berufen wie Erzieherinnen, Kinderpflegerinnen und Krankenschwestern werden Sensibilität und Einfühlungsvermögen nicht tarifiert, sondern gratis mitgenutzt. Selbst im Industriebereich zeigt es sich, daß z.B. in der Elektroindustrie an typischen Frauenarbeitsplätzen ein hohes Verständnis für technische Zusammenhänge gefordert wird, obschon der Arbeitsplatz als "angelernt" bezeichnet und bezahlt wird. Daß die Frauen an diesen Arbeitsplätzen die Tätigkeiten überhaupt erfüllen können, liegt daran, daß sie ein sehr hohes allgemeines Bildungsniveau besitzen (i.d.R. Abitur) und dadurch in der Lage sind, in relativ kurzen Anlernzeiten die spezifischen Aufgaben zu erfüllen (Bednarz-Braun 1983). Für die Betriebe verbilligt sich dadurch die weibliche Arbeitskraft, da nicht als Qualifikation gewertete allgemeine Kompetenzen gratis mitgenutzt werden.

Das formale Qualifikationsniveau, das Frauen durch Bildungs- und Berufsabschlüsse erreicht haben, wird abgewertet: Es verhilft ihnen seltener zu einem entsprechenden Erwerbsarbeitsplatz. Der unterqualifizierte Einsatz von Frauen ist ein durchgängiges Phänomen im Erwerbsarbeitsbereich und belegt, daß formale Berechtigungen aufgrund von schulischen und beruflichen Abschlüssen durch die betrieblichen Personalpolitiken

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mit ihren Zuweisungsprozessen, die geschlechtsdiskriminierend sind, unterlaufen werden.

So haben Erhebungen ergeben, daß Frauen bei gleichem Berufsabschluß überwiegend in niedrigerer Stellung zu finden sind als Männer. Der unterqualifizierte Einsatz erfolgt bei Frauen unabhängig von ihrem Abschlußniveau. Auch Hochschulabgängerinnen finden sich in weitaus häufigerem Umfang in mittleren Positionen als Hochschulabgänger. Junge Frauen, die einen beruflichen Abschluß in einem typischen Männerberuf geschafft haben, erreichen oft nicht die erstrebenswerten Facharbeiterplätze, sie werden unter dem Vorwand Arbeitsschutzbestimmungen einhalten zu müssen, an Arbeitsplätze verwiesen, die für die männlichen Facharbeiter als nicht attraktiv gelten, weil dort weniger Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen zu erwarten sind. Durch betriebliche Einsatzstrategien werden Facharbeiterabschlüsse, also formale Qualifikationen, abgewertet (Engelbrech; Kraft 1992).

Ein weiterer Beleg für die Diskriminierung formaler Qualifikationsabschlüsse liegt in der Tatsache, daß ein branchenfremder Berufsabschluß für Frauen immer bedeutet, daß sie auf an- und ungelernten Positionen eingestellt werden und auch dort bleiben. Ein branchenfremder Berufsabschluß bei Männern bietet zumindest in vielen Bereichen weitaus bessere Chancen, dennoch in die Facharbeiterstufe aufzusteigen. So werden dem als Bäcker ausgebildeten Mann in der Chemieindustrie durchaus "polivalente" Qualifikationen unterstellt, die ihn auch befähigen, Facharbeiterplätze einzunehmen. Diese "polivalenten" Qualifikationen werden der Verkäuferin jedoch abgesprochen. Für sie ist das Erreichen der Facharbeitergruppe in der Industrie fast unmöglich. Im Industriebereich sind Frauen mehr als die Hälfte derer, die in den untersten Lohngruppen eingestuft sind, wobei ihr Gesamtanteil an allen Industriearbeitern nur 17,9% beträgt. Es ist davon auszugehen, daß sich die Polarisierung von Frauen und Männern dort noch verschärfen wird, und die Chancen der (fehl-)qualifizierten Frauen mit zunehmender Technisierung weiter sinken (Helfert 1992).

Die Erziehungs- und Pflegearbeit sowie die Hausarbeit, die Frauen zusätzlich leisten, ist ein weiterer Grund für die Abwertung ihrer formalen Qualifikationen. Insbesondere Frauen in Teilzeitbeschäftigungen sind doppelt so häufig nicht in ihrem erlernten Beruf beschäftigt wie Männer. Auch Frauen, die eine Erwerbsarbeitspause gemacht haben, sind überwiegend auf Arbeitsplätzen eingesetzt, die nicht ihrem formalen Qualifikationsniveau entsprechen. Sie werden von diesen Frauen oft zunächst als Einstiegspositionen im Erwerbsarbeitsbereich subjektiv in Kauf genommen, vor dem Hintergrund unbezahlter Hausarbeit oder ehrenamtlicher Tätigkeit manchmal sogar als relativer Gewinn empfunden. Dennoch ist aber eine solche Diskrepanz zwischen formaler Qualifi-

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kation und Arbeitsplatzanforderung ein Beleg für die Diskriminierung und Zweitrangigkeit, die der weiblichen Arbeitskraft zugemessen wird.

Die als Qualifikationen anerkannten Fähigkeiten in Berufen und an Erwerbsarbeitsplätzen, die überwiegend mit Frauen besetzt werden, sind im Vergleich zu den Qualifikationen, die in Berufen und an Erwerbsarbeitsplätzen, die überwiegend mit Männern besetzt werden, geringer gratifiziert. Vergleicht man die Löhne, die sich tariflich für Erzieherinnen ergeben mit den Entlohnungen von Technikern, so zeigen sich erhebliche Unterschiede. Die Sensibilität im Umgang mit Menschen wird im Gegensatz zur Sensibilität im Umgang mit der Technik gesellschaftlich weitaus geringer bewertet und tariflich geringer bezahlt. Ebenso werden Putzarbeiten, die Frauen verrichten, geringer bezahlt als z.B. Putzarbeiten, die Männer verrichten (Raumpflegerin versus Fensterputzer).

Die Frauen unterstellte und teilweise vorhandene, geringere reale Verfügbarkeit wird als Qualifikationsmangel interpretiert. Analytisch gelten als zentrale Charakteristika der Arbeitskraft nach der Qualifikation auch die Verfügbarkeit und die Belastbarkeit. Der Aspekt der Verfügbarkeit, d.h. der Einsatzfähigkeit von Qualifikationen, ist für die weibliche Arbeitskraft ein Moment weiterer Diskriminierung, weil sie mit Verweis auf die gesellschaftliche Arbeitszuweisung nicht als gleich verfügbar gilt wie männliche Arbeitskraft. Die zur Norm gemachte Verfügbarkeit der männlichen Arbeitskraft im Hinblick auf Zeit, Mobilität und Intensität basiert aber gerade darauf, daß dem Mann die gesamte privat organisierte Arbeit für die eigene Person und erst recht für seine Kinder abgenommen wird. Dies bedeutet für die Frau, daß sie, weil sie die privat organisierte Arbeit zugewiesen bekommt, der männlichen Arbeitskraft die Verfügbarkeit garantiert und damit die Verfügbarkeitsnorm weiter verfestigt. Diese Norm schlägt aber auf sie doppelt diskriminierend zurück: Frauen haben i.d.R. niemanden, der sie selber von der privat organisierten Arbeit entlastet, wodurch ihre eigene Verfügbarkeit zunächst einmal eingeschränkt ist. Sie gelten darüber hinaus als zuständig für die Erfüllung der privat organisierten Arbeit für Männer und sind damit in ihrer eigenen Verfügbarkeit noch einmal eingeschränkt. Dieser doppelte Mangel an Verfügbarkeit von Frauen im Erwerbsarbeitsbereich wird leicht als mindere Qualifikation selber betrachtet. Statt die Begrenzung des Qualifikationseinsatzes im Vergleich zum Mann zu konstatieren, wird ein defizitärer Charakter der Qualifikationen unterstellt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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