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4. Wächst die Fremdenfeindlichkeit in Deutschland?

Zur Entwicklung fremdenfeindlicher Tendenzen in der Bundesrepublik Deutschland gibt es bekanntlich sehr unterschiedliche, teilweise auch klar widersprüchliche Einschätzungen. Während einige Beobachter eine drastische Zunahme der Fremdenfeindlichkeit feststellen, verweisen andere auf Indizien einer langfristigen Verringerung der Ablehnung und Distanz gegenüber „Ausländern". Ähnliche Unterschiede zeigen sich hinsichtlich der Einschätzung der Entwicklungstendenzen in den alten und neuen Bundesländern: Ist Fremdenfeindlichkeit vor allem eine ostdeutsche Besonderheit oder handelt es sich um ein Phänomen, das in den westdeutschen Bundesländern gleichermaßen zu beobachten ist? Kontrovers ist weiterhin die Frage, inwiefern sich das Ausmaß und die Entwicklung fremdenfeindlicher Erscheinungen in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern unterscheidet: Handelt es sich, zugespitzt formuliert, um eine „typisch deutsche" Sonderentwicklung oder um einen „europäischen Normalfall"?

Eine erschöpfende Klärung dieser häufig aufgeworfenen Fragen kann hier nicht in Aussicht gestellt werden. Auf der Grundlage verfügbarer Daten können jedoch einige wichtige Informationen und Anhaltspunkte gewonnen werden, deren Berücksichtigung zumindest zu einer gewissen Versachlichung der oft sehr hitzig geführten Diskussion beitragen könnte. Im Zentrum der folgenden Analyse stehen vor allem Daten über die Entwicklung fremdenfeindlicher Gewalttaten einerseits und fremdenfeindlicher Einstellungen andererseits, die auf den bereits angeführten Indikatoren und Datenquellen beruhen. Darüber hinaus wird kurz auf die häufig vernachlässigten, allerdings auch sehr seltenen Angaben über die Einschätzung fremdenfeindlicher Tendenzen seitens der „Ausländer" selbst eingegangen.

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4.1. Zur Entwicklung fremdenfeindlicher Gewalttaten

Bereits aus den regelmäßigen Meldungen und Berichten über Angriffe auf „Ausländer" in Tageszeitungen und Nachrichtenmagazinen ist hinlänglich bekannt, daß fremdenfeindliche Gewalttaten in Deutschland fast schon alltäglich geworden sind. Eine genauere Einschätzung des Ausmaßes und der Entwicklungstrends der Gewalt- und anderen Straftaten ist indes auf der Grundlage solcher Meldungen über einzelne Fälle und Hintergrundberichten kaum möglich. Dazu muß vor allem auf Angaben der Polizeibehörden zurückgegriffen werden, die im Rahmen eines Sondermeldedienstes „Fremdenfeindliche Straftaten" vom Bundeskriminalamt (BKA) und vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) zusammengestellt werden. Obwohl diese Angaben aus den bereits genannten Gründen nie die Gesamtheit aller fremdenfeindlichen Handlungen erfassen können, stellen sie doch die wohl beste Informationsquelle für das gesamte Bundesgebiet dar.

Die folgende Grafik vermittelt eine Übersicht über die Entwicklung aller Straftaten mit nachgewiesenem oder mutmaßlich fremdenfeindlichem Hintergrund zwischen 1991 und 1996, die zum einen manifeste Gewalttaten und zum anderen sonstige Straftaten - insbesondere Nötigungen, Bedrohungen, die Verbreitung fremdenfeindlicher Propaganda, die „Störung des öffentlichen Friedens" sowie die Aufforderung zu fremdenfeindlicher Gewalt und Rassenhaß - umfassen. Zusätzlich sind die verfügbaren Angaben über die Entwicklung der Gewalttaten, der sonstigen Straftaten und der Gesamtzahl aller Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund mit aufgeführt.

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Abbildung 1:
Entwicklung fremdenfeindlicher und rechtsextremer Straf- und Gewalttaten, 1991-1996

An der Grafik läßt sich deutlich ablesen, daß die polizeilich erfaßte Zahl der fremdenfeindlich motivierten Straftaten vor allem zwischen 1991 und 1993 enorm zunahm. Vor 1991 waren - allerdings ohne flächendeckende und systematische Erfassung - jährlich im Durchschnitt etwa 250 fremdenfeindliche Straftaten gemeldet worden (Willems et al. 1993: 99). Deren Zahl verzehnfachte sich 1991 auf 2598, erhöhte sich zwischen 1991 und 1992 erneut um fast 100% auf 5008 und 1993 auf 6721 Straftaten. In diesen Zeitraum fallen auch die brutalen Attacken gegen Asylsuchende in Hoyerswerda (im September 1991), die Angriffe auf die zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber in Rostock-Lichtenhagen (im August 1992) und die tödlichen Brandanschläge auf die Wohnungen türkischer Familien in Mölln (im November 1992) und Solingen (im Mai 1993). Erst für 1994 zeigt sich ein starker Rückgang der Gewalt- und sonstigen fremdenfeindlichen Straftaten, der sich in den folgenden beiden Jahren fortgesetzt zu haben scheint. Auch die (in der Grafik nicht aufgeführte) Anzahl der berichteten Straftaten mit antisemitischem Hintergrund hat nach 1991 deutlich zugenommen. Sie erhöhte sich um fast das Vierfache von 367 Straftaten im Jahr 1991 auf 1336 im Jahr 1994 und verringerte sich danach erst auf 1128 im Jahr 1995 und 817 im Jahr 1996. Die Gesamtzahl der rechtsextremen Straftaten stieg, wie die Grafik zeigt, von 3.884 im Jahr 1991 auf 10.561 im Jahr 1993, verringerte sich dann auf 7896 Fälle im Jahr 1995, ehe sie im folgenden Jahr erneut anstieg. Lediglich die Zahl der berichteten Gewalttaten ging zwischen 1993 und 1996 deutlich zurück und auch der Anteil der Gewalttaten an allen rechtsextremen Straftaten zeigt eine kontinuierliche rückläufige Tendenz; er reduzierte sich von 38% im Jahr 1991 über 21% im Jahr 1993 auf 9% im Jahr 1996.

Für das Jahr 1997 lassen sich die entsprechenden Angaben aus den Antworten der Bundesregierung auf die regelmäßige Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Jelpke (PDS) errechnen. Die Angaben, die auf Informationen des Bundeskriminalamts (BKA) beruhen, beinhalten eine relativ genaue Aufschlüsselung der einzelnen Straftaten, die innerhalb eines Monats in den einzelnen Bundesländern begangen worden sind. Sie sind für die Jahre 1996 und 1997 in einer im Anhang abgedruckten Tabelle aufgeführt (Anhang 1).

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Wie der Vergleich der Angaben des BKA für das Jahr 1996 mit den entsprechenden Angaben des Verfassungsschutzes in der vorangegangenen Grafik zeigt, weisen die Zahlen sehr unterschiedliche Größenordnungen auf. Das liegt vor allem daran, daß die Kriterien für die Einstufung einer Straf- und Gewalttat als fremdenfeindlich nicht eindeutig festgelegt sind. Das BKA legt im Vergleich zum BfV sehr restriktive Kriterien zugrunde und faßt unter fremdenfeindlichen Straftaten nur Handlungen mit nachgewiesenem fremdenfeindlichem Hintergrund; Sachbeschädigungen und Eigentumsdelikte gegenüber „Ausländern" werden zum Beispiel ausgeklammert (vgl. dazu auch Willems et al. 1993; Ohlemacher 1994). [ Nach einer Vereinbarung der Polizeibehörden der Länder und des Bundeskriminalamts sollen unter fremdenfeindlichen Straftaten Delikte verstanden werden, „die in der Zielrichtung gegen Personen begangen werden, denen die Täter (aus intoleranter Haltung heraus) aufgrund ihrer Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äuße ren Erscheinungsbildes oder aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Herkunft ein Bleibe- oder Aufenthaltsrecht in ihrer Wohnumgebung oder in der gesamten BRD bestreiten" (zit. in Willems et al. 1993: 107).] Die Zahlenangaben der beiden Tabellen sind deshalb nicht direkt vergleichbar. Dennoch läßt sich aus den BKA-Daten für 1996 und 1997 deutlich eine erneute Zunahme fremdenfeindlicher Straftaten erkennen. Demnach erhöhte sich deren Zahl um mehr als 20% von 1631 auf 1973 Straftaten im gesamten Bundesgebiet, von denen mehr als ein Viertel (27%) in den neuen Bundesländern (ohne Berlin) begangen wurden. Auch die Anzahl antisemitisch motivierter Straftaten hat nach BKA-Angaben um fast 15% von 719 (1996) auf 825 Straftaten im Jahr 1997 zugenommen (Woche im Bundestag vom 17.2.1998; vgl. Deutscher Bundestag: Drucksache 13/9737).

Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht nach den bislang veröffentlichten Daten für 1997 gleichfalls von einer starken Zunahme fremdenfeindlich motivierter Straf- und Gewalttaten aus. [ Die Angaben mußten aus mehreren Berichten über die in einer Pressekonferenz vorgestellten Aus züge des (zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Studie noch nicht veröffentlichten) Verfassungsschutzberichts für 1997 zusammengetragen werden. Ein Mitarbeiter des Bundesamts stellte auf Anfrage Passagen aus der (gekürzten) Pressefassung des Berichts zur Verfügung. Aus diesen Auszügen wird zumindest erklärlich, weshalb die neuesten Anga ben des BfV von älteren zum Teil drastisch abweichen. Neben einigen Nacherfassungen sind dafür offenbar Umdefinitionen bestimmter Straftaten verantwortlich. So werden Sachbeschädigungen mit Gewaltanwendung seit 1997 - ohne nähere Begründung - nicht mehr den Gewalttaten zugerechnet.] Diesen Angaben zufolge erhöhte sich die Anzahl fremdenfeindlich motivierter Gewalttaten gegenüber dem Vorjahr um rund 24% auf 462 (1996: 372) und die Gesamtzahl fremdenfeindlich motivierter Straftaten um mehr als 30% auf 2953 (1996: 2232). Bei den antisemitisch motivierten Straftaten wird eine Zunahme von rund 15% (von 846 auf 976) berichtet. Insgesamt wird die Zahl der Straftaten mit erwiesenem oder zu vermutendem rechtsextremistischem Hintergrund mit 11.719 beziffert, was einer Zunahme von 34% entspricht (1996: 8730). Davon entfallen 790 Fälle auf Gewalttaten (darunter dreizehn „versuchte Tötungsdelikte", 677 Körperverletzungen und 37 Brandstiftungen). Ferner weist das BfV in einem aktuellen „Lagebericht" auf einen allgemeinen Anstieg der rechtsextremistischen Mitglieder- und Aktivistenzahl sowie der gewaltbereiten Rechtsextremisten hin (Bundesamt für Verfassungsschutz 1998).

Während die monatlichen Angaben des BKA für die Jahre 1996 und 1997 ein relativ kontinuierliches, sich im Jahresdurchschnitt aber erhöhendes Niveau fremdenfeindlicher Straftaten erkennen lassen, konnten vor allem für die Jahre 1991 bis 1993 deutliche Unterschiede in der monatlichen Verteilung dieser Straftaten festgestellt werden (Ohlemacher 1994; Willems et al. 1993). Die starke Zunahme fremdenfeindlicher Ereignisse verlief offenbar nicht kontinuierlich, sondern in markanten Sprüngen. Nach BKA-Angaben erreichte die Welle der Gewalt einen ersten Kumulationspunkt unmittelbar nach den Angriffen auf die Wohnheime in Hoyerswerda Ende September 1991 und

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einen zweiten nach den Krawallen in Rostock-Lichtenhagen Ende August 1992. Hingegen ging die Zahl fremdenfeindlicher Gewalt- und Straftaten nach dem Brandanschlag von Mölln und den anschließenden „Lichterketten"-Demonstrationen im November 1992 deutlich zurück, während sie nach dem ebenfalls tödlichen Brandanschlag in Solingen im Mai 1993 sogar erneut eskalierten.

Diese Eskalations- und Mobilisierungswellen können als ein Hinweis darauf verstanden werden, daß es sich bei den Taten häufig um Nachahmungsaktionen gehandelt haben dürfte, die an den „erfolgreichen Vorbildern" orientiert waren und eventuell durch das große Medieninteresse sowie die wohl unerwartet verständnisvolle oder zurückhaltende Reaktion seitens weiter Bevölkerungskreise und mancher Politiker begünstigt wurde (vgl. Ohlemacher 1994; Willems et al. 1993: Kap. 5). Lediglich nach dem Anschlag von Mölln zeigt sich ein umgekehrter Trend, der möglicherweise auf veränderte Erfolgs- und Risikoeinschätzungen aufgrund verschärfter polizeilicher Maßnahmen und verstärkten öffentlichen Widerstands zurückgeführt werden kann. Nach dem Anschlag von Solingen war ein solcher gegenläufiger Effekt hingegen schon nicht mehr festzustellen. Vielmehr erreichte die Zahl fremdenfeindlicher Gewalttaten in jenem Jahr den bisherigen Höhepunkt. Erst zwischen 1994 und 1996 schien sich ein allmähliches Abebben jener Eskalations- und Mobilisierungswellen abzuzeichnen. Wer jedoch darauf gehofft hat, dieser Trend werde sich weiterhin fortsetzen, wird die Erwartungen nach den jüngsten Erkenntnissen über eine erneute Zunahme der fremdenfeindlichen Taten im Jahr 1997 wohl revidieren müssen.

Wie die Angaben des Bundeskriminalamts und des Bundesamts für Verfassungschutz zeigen, weisen die Entwicklungstrends der Gewalt- und sonstigen Straftaten mit fremdenfeindlichem, antisemitischem und mit allgemein rechtsextremistischen Hintergründen klare Parallelen auf. Dies entspricht zumindest auf den ersten Blick der verbreiteten Annahme eines engen Zusammenhangs zwischen Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rechtsextremismus. Bei genauerer Analyse erweist sich dieser Zusammenhang jedoch als durchaus kompliziert. Es ist zwar unstrittig, daß die Abwertung, Ablehnung und Abwehr von „Fremden" und Juden zentrale Bestandteile rechtsextremer Ideologien und Orientierungen sind, die von den entsprechenden Parteien und Organisationen auch mehr oder weniger offen proklamiert werden. Aber nicht alle fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten werden von organisierten Mitgliedern rechtsextremer Gruppierungen bzw. von Personen mit einer klaren, ideologisch unterfütterten rechtsextremen Orientierung begangen. Insbesondere in Bezug auf die einzelnen Formen von Straftaten zeigen sich bedeutende Unterschiede.

Die Herstellung und Verbreitung von Propagandamaterial, öffentliche Aufforderungen zur - auch gewaltsamen - „Verteidigung des deutschen Volkes" und ähnliche Straftaten konzentrieren sich weitaus eher auf rechtsextremistische oder neonazistische Parteien und organisierte Gruppierungen, als die tatsächlich begangenen Gewalttaten. Im ersten Fall spielen vor allem längerfristige politische Strategien von teilweise untereinander vernetzten, teilweise aber auch konkurrierenden rechtsextremistischen und neonazistischen Organisationen sowie private wirtschaftliche Interessen einzelner „Führer" eine zentrale Rolle. Hingegen hat sich bei den Gewalttaten immer wieder gezeigt, daß diese häufig von Personen begangen werden, bei denen keine oder nur sehr lose Verbindungen zu rechtsextremistischen oder neonazistischen Organisationen und oft nur sehr diffuse ideologische Orientierungen festgestellt werden konnten. Teilweise gehören die Täter der Skinhead-Szene an, die - trotz verstärkter Bemühungen etwa seitens der „Nationalen Liste" (NL), der „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) oder der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) um eine straffere Organisation - nach wie vor als uneinheitlich und unorganisiert eingestuft wird (BfV 1998: Kap. 3).

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Teilweise handelt es sich, so jedenfalls die Einschätzung der Kriminalämter und Verfassungsschutzbehörden, aber auch um Einzeltäter ohne ideologisch gefestigte Orientierungen.

In diesem Zusammenhang ergeben sich vor allem aus einer von Helmut Willems und seinen Mitarbeitern erstellten Untersuchung interessante Aufschlüsse über fremdenfeindliche Gewalttäter und typische Entstehungsbedingungen der Gewalttaten. Diese Untersuchung ist nicht zuletzt deshalb besonders hervorzuheben, weil sie sich - im Unterschied zu einigen anderen Analysen - nicht auf die Auswertung einer kleinen Zahl von Einzelfällen oder auf narrative Interviews mit ausgewählten Jugendlichen stützt, sondern auf eine Auswertung von Daten aus insgesamt 1398 polizeilichen Ermittlungsakten und 53 anonymisierten Urteilsschriften von Gerichtsverfahren gegen Tatverdächtige (Willems et al. 1993; Eckert/Willems/Würtz 1996). Auf der Grundlage dieser relativ breiten Datenbasis ergeben sich eine Reihe wichtiger Befunde:

  • Bei der überwiegenden Mehrzahl fremdenfeindlicher Straf- und Gewalttäter handelt es sich um junge Männer unter 20 Jahren. Nur ein geringer Teil der Täter ist älter als 25 Jahre.
  • Der Anteil der Mädchen und Frauen an allen Straftaten liegt generell unter 10% und ist hinsichtlich der Gewalttaten verschwindend gering; allerdings ist wenig darüber bekannt, inwiefern sie womöglich als Unterstützerinnen bei Straf- und Gewalttaten beteiligt sind.
  • Im Vergleich zur gesamten Arbeitslosenquote unter Jugendlichen ist der Anteil der Arbeitslosen an den fremdenfeindlichen Straf- und Gewalttätern überproportional hoch. Die meisten fremdenfeindlichen Straf- und Gewalttaten werden jedoch von Jugendlichen begangen, die noch zur Schule gehen oder eine Lehre bzw. Ausbildung absolvieren. Lediglich in der Kategorie der über 20jährigen liegt der Anteil der Arbeits- und Erwerbslosen vermutlich bei rund einem Drittel, von denen wiederum ein Großteil bereits mehrfach Straftaten begangen hat.
  • Die Mehrzahl der Täter weist ein relativ niedriges schulisches Bildungsniveau auf. Allerdings handelt es sich nicht in erster Linie um Schulabbrecher oder Personen ohne jeden formalen Bildungsabschluß, sondern um Haupt- und Realschüler bzw. um Personen mit entsprechenden Schulabschlüssen. Die Anteile der Abiturienten und Hochschulabsolventen an den fremdenfeindlichen Straft- und Gewalttaten sind minimal.
  • Wenngleich die familiären Hintergründe nicht immer eindeutig zu bestimmen sind, gibt es keine stichhaltigen Hinweise darauf, daß die Täter vor allem aus „zerrütteten Familien" oder „asozialen Randgruppen" stammen. Sie kommen offenbar aus allen sozialen Schichten, mehrheitlich aber aus Familien, die Arbeiter- und kleinbürgerlichen Milieus zugeordnet werden.
  • Die meisten fremdenfeindlichen Straf- und Gewalttaten werden von Angehörigen informeller Cliquen (selten) allein oder (größtenteils) in kleineren Gruppen begangen. Dabei lassen sich für das Gros der Täter Zugehörigkeiten oder zumindest eine deutliche Nähe zur Skinheadszene und anderen eher lose organisierten fremdenfeindlichen Gruppierungen feststellen. Der Anteil der Angehörigen organisierter rechtsextremer oder neonazistischer Gruppen beschränkt sich schätzungsweise auf ein Viertel der Täter.
  • Die überwiegende Zahl der fremdenfeindlichen Straf- und Gewalttaten beruht auf eher spontanen Entschlüssen und situativen Eskalationsprozessen, denen häufig starker Alkoholkonsum und gruppeninterne Dynamisierungsprozesse vorausgehen. Langfristig geplante oder auch durch rechtsextremistische Organisationen gesteuerte Ak-

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    tionen sind selten. Die Täter stammen zum allergrößten Teil aus der Nähe des Tatorts. Die Begegnungen mit den Opfern sind meistens zufällig.

Auf eine genaue Angabe der von Willems und seinen Mitarbeitern angeführten Zahlen wird hier aus zwei Gründen verzichtet. Erstens beschränken sie sich auf Daten für die Jahre 1991 und 1992, die nicht direkt auf die folgenden Jahre übertragen werden können; und zweitens beinhalten die Daten, wie die Autoren selbst deutlich machen, zwangsläufig eine Reihe von Verzerrungen, welche es nahe legen, die angegebenen Zahlen nicht als exakte Quantifizierungen, sondern eher als Orientierungswerte zu verstehen. Im Sinne von Orientierungswerten können die Angaben allerdings mit ziemlich großer Sicherheit auch für die folgenden Jahre verallgemeinert werden. Darauf deuten zum Beispiel neuere Analysen des Bundesamts für Verfassungsschutz hin, die sich in zentralen Punkten mit den angeführten Befunden decken (vgl. Verfassungsschutzbericht 1996). Die daraus zu ziehenden Erkenntnisse über die soziodemographischen und sozialstrukturellen Merkmale der Täter sowie über Entstehungsprozesse fremdenfeindlicher Handlungen stellen wesentliche Anknüpfungspunkte der Ursachenforschung dar.

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4.2. Ergebnisse aus neueren Bevölkerungsumfragen

Gerade vor dem Hintergrund der Erkenntnisse über die Entwicklung fremdenfeindlicher Gewalt- und Straftaten erhält die Frage nach eventuell ähnlich gerichteten fremdenfeindlichen Tendenzen innerhalb der gesamten deutschen Bevölkerung ein besonderes Gewicht. Schließlich sehen sich nicht nur Teile der fremdenfeindlichen Straf- und Gewalttäter als tatkräftige Vollstrecker eines vermeintlichen „Volkswillens". Auch in der sozialwissenschaftlichen Diskussion wird von einigen Autoren die These vertreten, es bestehe ein enger Zusammenhang, wenn nicht sogar eine ursächliche Beziehung zwischen „der öffentlichen Meinung" und fremdenfeindlichen Übergriffen (z.B. Ohlemacher 1994). Doch auch unabhängig von diesen Vermutungen lohnt sich ein genauer Blick auf die Ergebnisse aus diversen Bevölkerungsumfragen, weil diese - aus den bereits genannten Gründen - nach wie vor die beste Informationsquelle in Bezug auf die eher subtilen und alltäglichen Formen der Fremdenfeindlichkeit und Distanzierung gegenüber „Ausländern" sind.

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4.2.1. Längerfristige Entwicklungstrends

Werden zur Analyse längerfristiger Entwicklungstrends die zumeist in Tageszeitungen und Nachrichtenmagazinen berichteten Bevölkerungsumfragen herangezogen, ergibt sich ein insgesamt recht uneinheitliches, durch starke Schwankungen gekennzeichnetes Bild. Besonders deutlich zeigt sich dies in Auswertungen der Ergebnisse aus Umfragen, die Erhebungsinstitute wie EMNID, infas oder das Institut für Demoskopie (IfD) im Auftrag von Zeitungen, Fernsehsendern, Ministerien und anderen Auftraggebern in den vergangenen Jahrzehnten durchgeführt habe (zum Folgenden: Heßler 1993). Demnach läßt sich seit den ersten Erhebungen zum Themenfeld „Gastarbeiter" in den 50er und 60er Jahren bis heute eine durchgängig hohe Unbeständigkeit der Meinungen und Einstellungen gegenüber „Ausländern" bzw. „Fremden" feststellen. Nach einer zunächst überwiegend ambivalenten Haltung gegenüber der Anwerbung von „Gastarbeitern", zeichneten sich bereits in den folgenden Jahren ein weitgehend positives Meinungs- und Einstellungsbild ab, das - mit Ausnahme der Rezessionsjahre 1966/67 - bis Anfang der 70er Jahre anhielt. Für die folgenden Jahre ergeben die Umfrageergebnisse dann nahezu ausnahmslos ein sehr einfaches Muster: Sobald sich die wirtschaftliche Konjunk-

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tur verschlechterte und/oder irgendwelche „Ausländerprobleme" - oft zu Wahlkampfzwecken - ganz oben auf die politische Agenda gesetzt wurden, stieg der Anteil ablehnender Meinungsäußerungen in Bezug auf die diversen Gruppen von „Ausländern". Bei günstiger wirtschaftlicher Konjunkturlage, nach spektakulären fremdenfeindlichen Übergriffen und nach breitenwirksamen Appellen von Wirtschaftsverbänden, Politikern, Kirchenvertretern und anderen bekannten Persönlichkeiten hingegen verbesserten sich die registrierten Sympathiewerte. Es ergibt sich insgesamt der Eindruck, die Bereitschaft zur Akzeptanz und Integration von „Ausländern" sei im wesentlichen eine „Schönwettereinstellung" (Heßler 1993: 161).

Aus den bereits angeführten Gründen sind diese Befunde jedoch mit einigen Vorbehalten zu betrachten. Sowohl die methodischen Unklarheiten in Bezug auf die Einzelheiten der Erhebungen als auch die oft zu beobachtende Ausrichtung der Befragungen an gerade aktuellen politischen Debatten begründen diese skeptische Einschätzung jener Daten, die gerade in der öffentlichen Diskussion auf die größte Resonanz stoßen (vgl. Abschnitt 3). Außerdem sei daran erinnert, daß diese Befragungsergebnisse kaum zur Einschätzung längerfristiger Entwicklungstrends geeignet sind, weil die jeweiligen Fragenprogramme - und damit das Meßinstrument - oft nur zu einem Zeitpunkt verwendet wurden. Für eine genauere Beurteilung des Ausmaßes und der längerfristigen Veränderungen fremdenfeindlicher Meinungen und Einstellungen empfiehlt sich deshalb der Rückgriff auf Daten aus den Umfragen im Rahmen der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS), des Eurobarometers und der Befragungen des Instituts für praxisorientierte Sozialforschung (IPOS), die auch in erhebungstechnischer Hinsicht deutliche Vorzüge aufweisen. Die Erkenntnisse, die sich aus diesen Erhebungen ziehen lassen, stehen in zentralen Punkten in einem markanten Kontrast zu den zuvor beschriebenen Befunden. Im Unterschied zu jenen Ergebnissen zeigen die Auswertungen dieser drei Datensätze nämlich - erstens - eine relativ kontinuierliche, jedenfalls ohne starke Schwankungen verlaufende Entwicklung der Meinungen und Einstellungen gegenüber „Ausländern". Vor allem aber lassen sie - zweitens - zumindest für den Zeitraum zwischen 1980 und 1991 eine deutliche Abnahme fremdenfeindlicher Haltungen erkennen. Dieser Entwicklungstrend zeigt sich in den IPOS-Daten an der Haltung der Befragten zur Aufnahme politisch Verfolgter wie auch in den Eurobarometer-Daten hinsichtlich der Einstellung zu den Rechten von Nicht-EG-Ausländern (vgl. Hill 1993; Wiegand 1992); Umfrageergebnisse von EMNID aus den 80er Jahren deuten im übrigen in eine ähnliche Richtung (vgl. Heßler 1993: 147f). Besonders aufschlußreich sind indes die Angaben aus dem ALLBUS, die bis 1980 zurück reichen und ein relativ differenziertes Bild der wichtigsten Trends ermöglichen.

In den folgenden Übersichten sind zunächst für alle Erhebungszeitpunkte seit 1980 die Antworten auf die bereits erwähnten „Gastarbeiterfragen" im Rahmen des ALLBUS zusammengefaßt (vgl. Abschnitt 3.1.1). Diese Fragen, die zusammen mit einer siebenstufigen Antwortskala (1= stimme überhaupt nicht zu; 7= stimme voll und ganz zu) vorgelegt werden, bezogen sich bis 1990 ausdrücklich auf „Gastarbeiter". In den nachfolgenden Umfragen wurde dieser Begriff ersetzt durch „die in Deutschland lebenden Ausländer", weil zum ersten die Begriffskomponenten „Gast" und „Arbeiter" eine problematische Eingrenzung auf bestimmte Statuspositionen und Personen mit nur vorübergehender Aufenthaltsdauer beinhaltete, zum zweiten der Begriff selbst als diskriminierend aufgefaßt wurde und zum dritten auch in der Alltagssprache seltener von „Gastarbeitern" die Rede war. Ansonsten blieben die Fragen bzw. Statements unverändert (Blank/ Schwarzer 1994).[ Die bereits erwähnten Formulierungen lauten: 1. Gastarbeiter/In Deutschland lebende Ausländer sollen ihren Lebensstil ein bißchen besser an den der Deutschen anpassen; 2. Wenn Arbeitsplätze knapp sind, sollte man die Gastarbeiter/die in Deutschland lebenden Ausländer wieder in ihre Heimat schicken; 3. Man sollte Gastarbeitern/den in Deutschland lebenden Ausländern jede politische Betäti gung in Deutschland untersagen; 4. Gastarbeiter/In Deutschland lebende Ausländer sollten sich ihre Ehepartner unter ihren eigenen Landsleuten auswählen.]
Um die Darstellung übersichtlicher zu gestalten, sind je-

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weils die Angaben, die auf die beiden niedrigsten, die beiden höchsten und die drei mittleren Skalenwerte entfallen, zusammengefaßt worden.

Abbildung 2:
Zustimmung zur Forderung nach mehr Lebensstilanpassung (1980-1996)

Abbildung 3:
Zustimmung zur Forderung, „Ausländer" auszuweisen, wenn Arbeitsplätze knapp werden (1980-1996)

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Abbildung 4:
Zustimmung zur Forderung, „Ausländern" jede politische Betätigung zu untersagen (1980-1996)



Abbildung 5:
Zustimmung zur Forderung, „Ausländer" sollten unter sich heiraten (1980-1996)

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Aus allen vier Abbildungen wird deutlich, daß im Zeitraum zwischen 1980 und 1994 die Zustimmung zu negativen bzw. diskriminierenden Haltungen gegenüber „Ausländern" unter den (West-)Deutschen erheblich zurückgegangen ist: [ In den neuen Bundesländern wurden die Antworten auf die vier „Ausländerfragen" erstmals im Rah men der ALLBUS-Erhebung von 1994 erhoben.] Der Anteil derjenigen, die eine stärkere Anpassung des Lebensstils von „Ausländern", deren Rückkehr oder Ausweisung bei Arbeitsplatzknappheit, ein Verbot politischer Betätigung und eine ethnisch endogame Auswahl der Ehepartner befürworteten, verringerte sich, während gleichzeitig der Anteil derjenigen, die solche Forderungen klar ablehnen, sich deutlich erhöhte. Dies schlägt sich auch in den arithmetischen Mittelwerten nieder, die sich bis 1994 kontinuierlich verringerten, was ebenfalls darauf hindeutet, daß die befragten Deutschen im Durchschnitt eine zunehmend geringere Diskriminierungstendenz bekunden. Dahinter verbirgt sich allerdings eine beträchtliche Polarisierung der Einstellungen. Sie läßt sich in den Ausgangsdaten daran erkennen, daß gerade die Extrempositionen (die Skalenwerte 1 bzw. 7) im Vergleich zu denjenigen, die eher eine neutrale oder unentschiedene Position einnehmen (der Skalenwert 4), sehr stark besetzt sind.

Nicht weniger auffällig ist indes, daß der seit 1980 anhaltende Trend hin zu eher positiven Einstellungen gegenüber Ausländern nach 1994 offenbar abgebrochen ist. Bei allen vier Statements zeigen die Angaben für 1996 zum einen eine deutliche Zunahme der Zustimmung zu diskriminierenden Aussagen und Forderungen und zum anderen einen wesentlich geringeren Anteil derjenigen, die diese vollständig zurückweisen. Immerhin fast 18% der Befragten in Westdeutschland stimmen nun eher oder gar vollständig der Aussage zu, „Ausländer" sollten bei schlechter Arbeitsmarktsituation Deutschland verlassen; in Ostdeutschland sind es sogar mehr als 31%. Der Anteil derjenigen, die befürworten, daß Ausländern jede politische Betätigung untersagt werden sollte, liegt im Westen bei rund 28%, im Osten bei fast 30%. Die Forderung nach einer größeren Lebensstilanpassung wird ebenfalls noch stärker als in den Vorjahren unterstützt. Lediglich in Bezug auf die Frage, ob Ausländer unter sich heiraten sollten, sind die Veränderungen vergleichsweise gering.

Ähnlich Entwicklungstendenzen lassen sich hinsichtlich der Frage nach Zustimmung oder Ablehnung von Zuzugsbeschränkungen erkennen, die seit 1990 ebenfalls im Rahmen des ALLBUS erhoben wird. Die darauf bezogenen Angaben sind nicht zuletzt deshalb von besonderem Interesse, weil in diesem Fall ausdrücklich bestimmte Gruppen von Immigranten unterschieden werden, während bei den soeben angeführten Angaben nur sehr allgemein nach „Gastarbeitern" bzw. nach „in Deutschland lebenden Ausländern" gefragt wird. Konkret wird danach gefragt, ob die Zuwanderung von deutschstämmigen Aussiedlern, Asylsuchenden, Arbeitnehmern aus der Europäischen Union und Arbeitnehmern aus Nicht-EU-Staaten (wobei die Türkei ausdrücklich als Beispiel genannt wird) jeweils (a) uneingeschränkt möglich sein soll, (b) begrenzt oder (c) völlig unterbunden werden soll.

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Tabelle 1:
Einstellungen zum Zuzug verschiedener Immigrantengruppen (1990-1996)

Wie sich den einzelnen Teiltabellen entnehmen läßt, hat sich der Anteil derjenigen, die eine Begrenzung oder gar eine völlige Unterbindung des Zuzugs von Immigrantinnen und Immigranten befürworten, zwischen 1992 und 1996 erhöht. Umgekehrt ist der Anteil der Befürworter uneingeschränkter Zuwanderungsmöglichkeiten im Vergleich zu 1992 und besonders im Vergleich zu 1990 zurückgegangen. Es zeigen sich allerdings in den Ausgangsdaten für das gesamte Bundesgebiet deutliche Unterschiede in Bezug auf die genannten Gruppen möglicher Zuwanderer. Gegenüber der Zuwanderung von Arbeitnehmern aus Ländern der Europäischen Union läßt sich insgesamt eine relativ freizügige Haltung erkennen. Rund ein Viertel der Befragten befürwortet uneingeschränkte Zuwanderungsmöglichkeiten für EU-Bürger; 1990, also sechs Jahre zuvor, war es allerdings noch ein Drittel (33,8%). Gegenüber deutschstämmigen Aussiedlern aus Osteuropa und Asylsuchenden, insbesondere aber gegenüber Arbeitnehmern aus Nicht-EU-Staaten werden deutlich restriktivere Regelungen bevorzugt. Mehr als ein Drittel der Befragten (38,3%) stimmt der Forderung zu, der Zuzug von Arbeitnehmern aus Nicht-EU-Staaten solle vollständig unterbunden werden; lediglich 7% optieren für einen Verzicht auf Zuwanderungsbeschränkungen für diese Gruppe. Hinsichtlich des Zuzugs von Asylsuchenden befürworten immerhin mehr als 12% der Befragten eine uneingeschränkte Zuwanderung, während mehr als 21% die entgegengesetzte Forderung nach einer vollständigen Verhinderung unterstützen.

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Ein Blick auf die differenzierten Angaben für die Befragten in West- und Ostdeutschland läßt indes bei der Beurteilung der Zuzugsmöglichkeiten einige auffällige Unterschiede zwischen den alten und den neuen Bundesländern erkennen. Insbesondere bei der Frage nach dem Zuzug von Arbeitnehmern aus EU-Ländern zeigen sich drastische Unterschiede: Während fast 33% der Befragten in Westdeutschland die Forderung nach uneingeschränkten Zuwanderungsmöglichkeiten bejahen, sind es in Ostdeutschland nur 11%. Fast 38% der Befragten in Ostdeutschland, aber nur 12% der Westdeutschen, befürworten eine völlige Verhinderung des Zuzugs von Arbeitnehmern aus der EU. Diese Unterschiede lassen sich bereits für 1991 und 1992 beobachten, haben sich aber offenbar 1996 weiter verschärft. Vergleichbare Unterschiede ergeben sich in Bezug auf die Zuwanderung von Arbeitnehmern aus Nicht-EU-Ländern. Hier zeigt sich im Osten ebenfalls eine im Durchschnitt deutlich höhere Tendenz zur Befürwortung der Forderung nach einer vollständigen Unterbindung der Zuwanderung. Fast die Hälfte der Befragten in Ostdeutschland bejaht diese Forderung (49,4%); im Westen liegt der Anteil bei fast 33%. Eher gering sind im Vergleich dazu die Unterschiede hinsichtlich der Einstellungen zum Zuzug von Aussiedlern und Asylsuchenden, wobei die Befragten in Ostdeutschland immerhin in den Jahren 1991 und 1992 eine etwas tolerantere Haltung gegenüber Asylsuchenden offenbarten als die westdeutschen Befragten.

Alles in allem ergeben die Befunde für 1996 klare Hinweise auf eine Zunahme diskriminierender Einstellungen gegenüber „Ausländern" und eine Verschärfung restriktiver Haltungen gegenüber dem Zuzug von Immigranten nach Deutschland, vor allem im Vergleich zu den Angaben für 1992 und 1994. Zusammen genommen kann dies als ein Indiz für eine allgemeine Zunahme fremdenfeindlicher Tendenzen aufgefaßt werden. Vor allem die Antworten auf die sogenannten „Gastarbeiter-" bzw. „Ausländerfragen" sind in diesem Zusammenhang aufschlußreich. Immerhin zielen diese Fragen explizit auf einige Forderungen, deren diskriminierender Inhalt offensichtlich ist. Die Forderung nach „etwas mehr Lebensstilanpassung" ist dabei noch vergleichsweise milde. Doch die drei anderen beinhalten klare Diskriminierungen - in Bezug auf die Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten, die politische Beteiligung und öffentliche Meinungsäußerung sowie auf die Gestaltung der Privatsphäre -, die von zahlreichen Befragten offenbar allein durch den Ausländerstatus der betreffenden Personengruppen als gerechtfertigt angesehen werden. Das ist letztlich nichts anderes als eine Diskriminierung aufgrund einer ethnischen Grenzziehung (vgl. Abschnitt 2).

Zwar kann jede der vier Aussagen für sich genommen als ein Indikator fremdenfeindlicher Haltungen verstanden werden. Wesentlich zuverlässiger und aussagekräftiger ist indes ein Index, in dem für alle Befragten die jeweiligen Angaben zusammengefaßt werden. [ Der Index wurde durch eine ungewichtete Addition der Werte auf den vier Gastarbeiter- bzw. Aus länderitems gebildet und stellt für jeden Befragten die summierten Skalenwerte über die vier items dar. Eine zuvor durchgeführte Analyse ergab für die vier Items gute Reliabilitätswerte (Cronbachs Alpha: 0.7260; mittlere Interitem-Kovarianz: 1.7614), was auf eine ausreichend hohe Zuverlässigkeit des Meßinstruments hinweist. Die Ergebnisse faktorenanalytischer Untersuchungen ließen zudem erken nen, daß die Items ohne „Ausreißer" auf einen Faktor laden. Dies ist zumindest ein klarer Hinweis darauf, daß die vier Items tatsächlich die gleiche Einstellungsdimension erfassen. Andere Unter suchungen über die Reliabilität und Validität der „Gastarbeiter- bzw. Ausländerfragen" gelangten im wesentlichen zum gleichen Ergebnis (vgl. Blank/Schwarzer 1994 , Blank/Wasmer 1996 ; Hill 1993 ).] Dabei erhalten zum Beispiel alle Personen, die sämtliche diskriminierenden Aussagen ganz und gar ablehnen, den niedrigsten Skalenwert (4) zugewiesen; der höchste Skalenwert (28) ist dagegen für jene Befragten vorgesehen, die allen Aussagen voll und ganz zustimmen. Auf diese Weise können alle befragten Personen auf der Grundlage ihrer Angaben unterschiedlichen Kategorien zugeordnet werden, die jeweils

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für unterschiedlich starke fremdenfeindliche Orientierungen stehen. Für das Jahr 1996 ergeben sich dabei die folgenden Häufigkeiten:

Tabelle 2:
Ausprägungen der Fremdenfeindlichkeit (1996)



Die in der Tabelle aufgeführten Zahlen können sicherlich nicht zum Nennwert genommen werden. Aber sie ermöglichen zumindest eine grobe Einschätzung des Ausmaßes negativer bzw. fremdenfeindlicher Einstellungen unter der deutschen Bevölkerung. Demnach könnte vermutet werden, daß der Anteil der Personen mit stark negativen bzw. fremdenfeindlichen Haltungen insgesamt bei rund 20%, im Osten sogar bei mehr als 25%, liegen dürfte. Aber das ist, um es noch einmal zu wiederholen, nur eine sehr vage Schätzung, die wegen der relativ geringen Anzahl der berücksichtigten Items, möglichen Antwortverzerrungen, Antwortverweigerungen und zahlreichen anderen Unwägbarkeiten mit großen Vorbehalten zu interpretieren ist. Andere Autoren kommen zu anderen - ebenfalls nur sehr groben - Schätzungen. So vermuten zum Beispiel Silbermann und Hüsers auf der Grundlage einer eigenen repräsentativen Befragung von rund 1.400 Personen (im Jahr 1993) einen Anteil von 15,5% mit hoher Fremdenfeindlichkeit (Silbermann/Hüsers 1995). Hingegen beziffert Küchler den Anteil, gestützt auf Eurobarometer-Daten von 1994, auf knapp über 30% in Westdeutschland (Küchler 1996). Welche dieser Schätzungen den tatsächlichen Gegebenheiten am nächsten kommt, läßt sich leider nicht klären.

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4.2.2. Eine aktuelle Momentaufnahme

Auf der Basis der ALLBUS-Daten für 1996 können die bereits umrissenen Einstellungsmuster gegenüber „Ausländern" noch genauer gefaßt werden. Da der Themenbereich „Einstellungen zu ethnischen Minderheiten in Deutschland" thematischer Schwerpunkt der Umfrage war, sind darin zahlreiche weitere Fragen enthalten, die in den vorangegangenen Erhebungen nicht gestellt worden waren. Die Auswertung dieser Daten eröffnet einige Aufschlüsse über die Meinungen und Einstellungen der Befragten gegenüber „Ausländern", die als weitgehend repräsentativ für die deutsche Gesamtbevölke-

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rung angesehen werden können. Interessant sind dabei vor allem die folgenden Befunde: [ Zur Vereinfachung der Darstellung beziehen sich die angegebenen Prozentzahlen jeweils auf die drei Skalenbereiche oberhalb bzw. unterhalb der Skalenmitte (Skalenwert 4) und fassen damit Gruppen von Personen zusammen, von denen einige eine Aussage „voll und ganz" bejahen, während andere eine schwächere Zustimmung bekunden. Diese Vereinfachung ist vertretbar, weil ein neutraler Mittelwert der Skala (der Wert 4) ausgewiesen ist und jeder davon abweichende Wert somit eine Tendenz zur Zustimmung oder Ablehnung einer Aussage anzeigt.]

  • Fast 30% der Befragten geben an, sie würden sich „durch die vielen Ausländer in Deutschland" als „Fremde im eigenen Land" fühlen; mehr als 56% teilen diese Behauptung nicht.
  • Fast die Hälfte aller Befragten bejaht die Auffassung, daß Ausländer die unangenehmen Arbeiten verrichten, die die Deutschen nicht erledigen wollen; fast 30% widersprechen dem.
  • Rund 44% aller Befragten und mehr als die Hälfte der Befragten in Ostdeutschland sind der Meinung, „Ausländer" würden das soziale Netz belasten; nur knapp 36% geben an, diese Meinung nicht zu teilen.
  • Hinsichtlich der Frage, ob Ausländer zur Sicherung der Renten beitragen würden, signalisieren fast 40% der Befragten eine eher positive Antwort; rund 36% halten dies für nicht zutreffend.
  • Rund 45% der befragten Männer und Frauen meinen, die Anwesenheit von Ausländern führe zu Problemen auf dem Wohnungsmarkt; mehr als 35% sehen das nicht so.
  • Mehr als 40% der Befragten insgesamt - in Ostdeutschland sogar jeder zweite - sind der Meinung, Ausländer würden häufiger Straftaten begehen als Deutsche; insgesamt 36% und nur 27% im Osten stimmen dieser Meinung nicht zu.
  • Fast 40% aller befragten Personen, aber mehr als die Hälfte der Befragten in den neuen Bundesländern, stimmt der Behauptung zu, Ausländer würden den Deutschen Arbeitsplätze wegnehmen; insgesamt nur 40%, in den östlichen Bundesländern nur rund 29%, bejahen sie nicht.

Diese Angaben stellen freilich nur eine Momentaufnahme dar. Inwieweit sie einigermaßen stabile Meinungs- und Einstellungsmuster widerspiegeln, kann nicht eindeutig geklärt werden, weil sie nur für das Jahr 1996 vorliegen. Es kann aber zumindest vermutet werden, daß in den Angaben weitverbreitete Vorurteile und Vorbehalte gegenüber „Ausländern" zum Ausdruck kommen. Daß diese Vorbehalte und Vorurteile mit allgemeinen fremdenfeindlichen Haltungen der Befragten verknüpft sind, ist anzunehmen und wird durch - hier nicht aufgeführte - statistische Analysen der Assoziationen zwischen den einzelnen Angaben und dem Fremdenfeindlichkeitsindex wenigstens in der Grundtendenz bestätigt.

Ein grundsätzliches Problem dieser Angaben liegt jedoch darin, daß die ihnen zugrunde liegenden Aussagen und Behauptungen sich nur sehr allgemein auf alle „in Deutschland lebenden Ausländer" beziehen. Aus den bereits angeführten Einstellungen zur Regelung der Zuzugsmöglichkeiten geht jedoch deutlich hervor, daß zwischen verschiedenen Gruppen von „Ausländern" erhebliche Unterschiede gemacht werden. Dieser Befund läßt sich auf der Grundlage der ALLBUS-Daten für 1996 präzisieren. In der Erhebung war nämlich unter anderem auch danach gefragt worden, wie die Befragten hinsichtlich verschiedener Gruppen (a) Unterschiede im Lebensstil, (b) nachbarschaftliche

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Beziehungen, (c) Einheirat in die eigene Familie und (d) rechtliche Gleichstellungsoptionen beurteilen. Die Fragen bzw. Aussagen bezogen sich ausdrücklich auf Italiener, deutschstämmige Aussiedler aus Osteuropa, Asylbewerber, Türken und darüber hinaus auch auf „in Deutschland lebende Juden".

Die Auswertung der Angaben in Bezug auf die wahrgenommenen Unterschiede im Lebensstil zwischen Deutschen und den verschiedenen Immigrantengruppen zeigt bereits bemerkenswerte Kontraste: Im Hinblick auf Italiener und deutschstämmige Aussiedler aus Osteuropa werden relativ geringe Lebensstilunterschiede festgestellt, während hinsichtlich der Asylbewerber, aber auch hinsichtlich der Türken zum Teil sehr starke Divergenzen wahrgenommen werden. „Sehr starke Lebensstilunterschiede" vermuten bei Asylbewerbern mehr als 36% der Befragten und bei Türken mehr als 20%, bei Italienern aber nur rund 4% und bei Aussiedlern knapp 9%. Dem korrespondieren die Antworten auf die Frage, als wie angenehm Angehörige der diversen Gruppen als Nachbarn oder als eingeheiratete Familienangehörige eingeschätzt werden würden. Erneut läßt sich den Angaben entnehmen, daß gegenüber Aussiedlern und insbesondere gegenüber Italienern als Nachbarn insgesamt nur geringe Vorbehalte bestehen. Hingegen geben insgesamt mehr als 36% der Befragten, in den östlichen Bundesländern fast 43%, an, Türken seien ihnen als Nachbarn unangenehm. In Bezug auf Asylbewerber liegt dieser Anteil sogar bei fast 50%.

Am stärksten sind die Vorbehalte indes gegenüber einer eventuellen Heirat eines Familienangehörigen mit einem „Ausländer" oder einer „Ausländerin". Selbst die Einheirat eines Italieners in die eigene Familie wäre rund 22%, die eines Aussiedlers fast 28% der Befragten unangenehm. Als weitaus negativer werden jedoch Türken und Asylbewerber beurteilt. Die Einheirat eines Türken in die eigene Familie wäre jedem zweiten (56%), die eines Asylbewerbers mehr als 60% der Befragten unangenehm, wobei die Einschätzung von Asylbewerbern seitens der Ostdeutschen im Vergleich zu den Westdeutschen etwas günstiger, die von Türken dagegen negativer ausfällt. Ansonsten kann nahezu durchgängig festgestellt werden, daß die Beurteilungen gegenüber „Ausländern" in den neuen Bundesländern oft geringfügig, teilweise aber auch deutlich - vor allem in Bezug auf Italiener und Türken - negativere Tendenzen ausweist.

Bei der Frage danach, ob die diversen Zuwanderergruppen in allen Bereichen die gleichen Rechte erhalten sollten wie die Deutschen, schlägt sich diese Differenzierung ebenfalls nieder. Am deutlichsten wird hier allerdings von einer Mehrheit der Befragten (rund 55%) der Forderung nach einer rechtlichen Gleichstellung von Aussiedlern zumindest tendenziell zugestimmt; die Zustimmung zur Forderung nach Gleichberechtigung der Italiener liegt leicht darunter. Eine rechtliche Gleichstellung von Türken wird dagegen von einem großen Teil der Befragten (45%) eher oder gar völlig abgelehnt. In Bezug auf die Gleichberechtigung von Asylbewerbern liegt der Anteil der tendenziell ablehnenden Antworten sogar bei fast 65%. Überhaupt erweist sich die Haltung der Befragten zur Gewährung politischer und sozialer Rechte für Ausländer in der Mehrheit als restriktiv. Fast jeder zweite Befragte offenbart eine eher ablehnende Haltung zur Ermöglichung einer doppelten Staatsbürgerschaft und zur Einführung eines kommunalen Wahlrechts; der Anteil derer, die solche Vorschläge sogar vollständig ablehnen liegt im ersten Fall bei mehr als 38%, im zweiten bei rund 32%. Etwa ein Viertel der Befragten vertritt darüber hinaus die Meinung, Ausländer sollten nicht die gleichen Ansprüche auf Sozialleistungen haben wie Deutsche.

Auch in diesen Angaben kommt also eine offenbar weitverbreitete Tendenz zu diskriminierenden Meinungen und Einstellungen gegenüber „Ausländern" zum Vorschein, die sich an ethnischen Differenzierungen, nämlich an der Herkunft der betreffenden Personengruppen, orientieren. Die Tatsache, daß zum Beispiel eine Person in der Türkei gebo-

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ren wurde oder aber aus der Türkei stammende Eltern hat, wird von vielen anscheinend als ausreichender Grund gesehen, um ihr den Anspruch auf gleiche politische Rechte und Sozialleistungen oder gar die Aufenthaltsberechtigung streitig zu machen. Außerdem wird insbesondere an den Einstellungen zur Einheirat und zur Nachbarschaft von „Ausländern" deutlich erkennbar, daß sich diese ethnische Differenzierung vielfach auch in Bezug auf das alltägliche Verhältnis auf persönlicher Ebene in ausgeprägten Vorbehalten und sozialen Distanzen niederschlägt. Wie der Vergleich mit den bereits aufgeführten Antworten auf die „Gastarbeiter-" bzw. „Ausländerfragen" zeigt, scheinen solche relativ subtilen Formen der Abgrenzung, Distanzierung und Diskriminierung weit stärker verbreitet zu sein, als jene eher drastischen Artikulationen fremdenfeindlicher Haltungen.

Daß diese Haltungen oft auf Unkenntnis und/oder Ignoranz beruhen, läßt sich zumindest vermuten. Nur ein grober Indikator dafür ist der hohe Anteil krasser Fehleinschätzungen des Anteils der „Ausländer" an der Gesamtbevölkerung. Nur rund 43% der 1996 im Rahmen des ALLBUS befragten Personen scheint bekannt zu sein, daß dieser Anteil in den alten Bundesländern knapp über der Zehnprozentmarke lag (10,4% am 31.12.1996). Mehr als ein Viertel der Befragten schätzte ihn auf über 20%. Nur jeder dritte schätzte den Ausländeranteil in den neuen Bundesländern - zutreffend - auf unter 5% (1,8% am 31.12.1996); ein weiteres Drittel vermutete, er liege bei etwa 10%, und immerhin 12% der Befragten taxierten den Anteil auf mehr als 20%. Dies deutet auf erheblich Informationsdefizite hin, die vermutlich auch bei der Beurteilung der immer wieder angeführten „Ausländerprobleme" ihre Spuren hinterlassen.

Beachtlich ist aber insbesondere auch die Tatsache, daß nur knapp 60% aller Befragten angeben, überhaupt Kontakte zu „Ausländern" zu haben. Allerdings sind hier große Unterschiede zwischen den westlichen und den östlichen Bundesländern festzustellen, die zumindest teilweise die unterschiedlich hohen Anteile der Zuwanderer an der Wohnbevölkerung widerspiegeln. Bei den Befragten im Westen liegt der Anteil derjenigen mit Kontakten bei rund 75%, im Osten hingegen bei etwa 30%. Fast 40% aller Befragten (im Osten: rund 16%) haben solche Kontakte im eigenen Freundeskreis, 35% bei der Arbeit (im Osten: 13,5%), 27% in der Nachbarschaft (im Osten: 7%) und nur rund 15% in der eigenen Familie (im Osten: 6%). In den vorangegangenen Jahren waren sie in allen Bereichen noch wesentlich seltener (vgl. Schmidt/Weick 1998). Wie sich diese Kontakte - insbesondere die Kontakte im Freundeskreis oder in der Familie - auf die unterschiedlichen Zuwanderergruppen verteilen, läßt sich aufgrund der Angaben leider nicht klären. Die Vermutung liegt jedoch nahe, daß auch hier klare Unterschiede zwischen den diversen Gruppen gemacht werden, die um so stärker ausfallen dürften, je intimer die Kontakte sind und je weniger sie auf eher zufälligen Begegnungen - zum Beispiel am Arbeitsplatz - beruhen.

Mit diesen Informationen ist das Potential der ALLBUS-Erhebung von 1996 als Quelle zur Beschreibung der „Einstellungen zu ethnischen Minderheiten in Deutschland" keineswegs vollständig ausgeschöpft. Doch bereits die angeführten Angaben reichen aus, um eine aufschlußreiche Momentaufnahme der aktuellen Situation zu gewinnen. Auch wenn sie „nur" auf Umfragen beruhen, ergeben sie - ebenso wie die Daten zur längerfristigen Entwicklung - einen präziseren Eindruck von den Dimensionen und der Verbreitung fremdenfeindlicher Tendenzen als jene Einschätzungen, die sich auf rein subjektive Beurteilungen, kurzfristig angesetzte „aktuelle" Umfragen oder Untersuchungen bei besonderen Bevölkerungsgruppen stützen. Außerdem enthalten insbesondere die ALLBUS-Erhebungen umfangreiche Informationen über wichtige sozialstrukturelle und soziodemographische Merkmale der befragten Personen, die bei der Klärung der Frage

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nach den Entstehungsbedingungen und Ursachen von Fremdenfeindlichkeit (vgl. Abschnitt 5) noch eine wichtige Rolle spielen werden.

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4.3. Erfahrungen von „Ausländern" mit Fremdenfeindlichkeit

Die naheliegende Frage danach, inwieweit sich die beschriebenen fremdenfeindlichen und distanzierenden Einstellungen tatsächlich - jenseits der angeführten Straf- und Gewalttaten - im alltäglichen Verhalten von Deutschen gegenüber „Ausländern" niederschlagen, ist aus den bereits genannten Gründen (vgl. Abschnitt 2) nicht leicht zu beantworten. Dazu wäre die aufwendige Erhebung von Verhaltensdaten und/oder eine sorgfältige Analyse der Indizien direkter oder indirekter Diskriminierung auf der Grundlage von Strukturdaten erforderlich. Erste wichtige Hinweise über tatsächliche Diskriminierungen - jenseits der offen fremdenfeindlichen Gewalt- und Straftaten - lassen sich jedoch aus berichteten Erfahrungen von „Ausländern" mit Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung gewinnen.

Entsprechende Informationen können vor allem der Repräsentativuntersuchung „Situation der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen in der Bundesrepublik Deutschland" von 1995 entnommen werden. Im Rahmen dieser Untersuchung waren jeweils rund 1.000 Personen im Alter ab 15 Jahren mit türkischer, italienischer, griechischer und ehemals jugoslawischer Staatsangehörigkeit danach gefragt worden, ob sie im Verlauf des vorangegangenen Jahres konkrete Erfahrungen mit Fremdenfeindlichkeit im Alltaggemacht haben. Fast jeder vierte Türke und annähernd jeder fünfte Ex-Jugoslawe berichtete, beleidigt oder angepöbelt worden zu sein; bei Italienern und Griechen lagen die Anteile bei etwas mehr als 10%. Die meisten Befragten aus allen Gruppen gaben jedoch an, keine derartigen Erfahrungen gemacht zu haben (Türken: 67,5%, ehem. Jugoslawen: 74,2%, Italiener: 82,5%, Griechen: 84,6%). Allerdings gibt es dabei deutliche Unterschiede in Bezug auf Geschlecht und Alter. Männer berichteten häufiger von negativen Erfahrungen als Frauen und Personen unter 24 Jahren häufiger als ältere. Die meisten Klagen stammten von männlichen Befragten im Alter zwischen 15 und 24 Jahren mit türkischer und ehemals jugoslawischer Staatsangehörigkeit (vgl. Mehrländer et al. 1996: 320-324).

Des weiteren enthält die Repräsentativerhebung einige Angaben zu Diskriminierungserfahrungender Befragten in einzelnen Bereichen. Konkret wurde danach gefragt, ob ihnen in den vorangegangenen 12 Monaten der Einlaß in eine Gaststätte oder Diskothek, der Abschluß einer Versicherung, die Vermietung einer Wohnung, eine Anstellung bei einem Arbeitgeber oder eine Beförderungs- oder Fortbildungsmöglichkeit deshalb versagt worden sei, weil sie „Ausländer" sind. Rund drei Viertel aller Befragten verneinten dies (Mehrländer et al. 1996: 325-329). Die anderen erklärten vor allem, sie seien von Vermietern benachteiligt worden (Türken: 10,2%, ehem. Jugoslawen: 11,2%, Italiener: 6,6%, Griechen: 8,3%), man habe ihnen den Einlaß in eine Gaststätte oder Diskothek verweigert (Türken: 9,2%, ehem. Jugoslawen: 7,5%, Italiener: 6,2%, Griechen: 5,9%) oder sie seien von einem Arbeitgeber nicht eingestellt worden, weil sie „Ausländer" sind (Türken: 8,4%, ehem. Jugoslawen: 10,5%, Italiener: 4,1%, Griechen: 7,5%). [ Eine im Rahmen der Repräsentativuntersuchung ’95 organisierte Befragung von Vietnamesen in den neuen Bundesländern, die größtenteils als Vertragsarbeitsnehmer in die ehemalige DDR gekommen waren, deutet darauf hin, daß diese Gruppe besonders stark Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung ausgesetzt ist. Fast jeder zweite Befragte gab an, im vorangegangenen Jahr mit fremdenfeindlichen Reaktionen konfrontiert gewesen zu sein. Ebenso liegen die Angaben über spezifische Diskriminie rungserfahrungen (etwa bei der Suche nach Arbeit oder Wohnraum) deutlich über den Angaben der anderen Gruppen von Zuwanderern (vgl. Mehrländer et al. 1995: 570-573). Die Angaben der ebenfalls befragten Werkvertragsarbeitnehmer, Gastarbeitnehmer und Saisonarbeiter aus Polen ähneln hingegen eher jenen der Italiener und Griechen (vgl. Mehrländer et al. 1996 : 674-676).]

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Ob die Angaben in jedem Einzelfall stichhaltig sind, bleibt zwangsläufig ungeklärt. Dennoch kann vermutet werden, daß die genannten Zahlen eher auf eine Unter- als auf eine Überschätzung negativer Erfahrungen hinauslaufen. Schließlich beziehen sich die Fragen explizit nur auf einen Zeitraum von einem Jahr und nicht jeder Befragte wird sich in diesem Zeitraum etwa um eine neue Wohnung oder einen neuen Arbeitsplatz bemüht haben. Diejenigen, für die dies nicht zutrifft, können logischerweise in diesem Bereich für den angegebenen Zeitraum auch keine Benachteiligung berichten. [ Diese Vermutung wird unter anderem durch Informationen über die Wohnverhältnisse von Auslän dern im Rahmen der Repräsentativuntersuchung ’95 gestützt. Von denjenigen Befragten, die erklärten, sie hätten Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche gehabt, gab fast jeder Dritte an, die Vermieter wä ren nicht bereit gewesen, an „Ausländer" zu vermieten (vgl. Mehrländer et al. 1996 : 263-266).] Ebenso kann zum Beispiel jemand, der in einer Diskothek in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht hat, auf weitere Versuche verzichten; auch er erscheint dann nicht mehr in der entsprechenden Statistik, obwohl dem eventuell eine klare Diskriminierung voraus ging. Insofern können auch diese Zahlen nicht zum Nennwert genommen werden. Gleichwohl vermitteln sie zumindest einen groben Eindruck vom Ausmaß solcher Erfahrungen, die vermutlich für die Handlungsorientierungen von „Ausländern" nicht ohne Folgen sein werden.

Die Repräsentativuntersuchung ’95 enthält indes auch Hinweise auf gegenläufige Tendenzen. Auf die Frage nach Freizeitkontakten mit Deutschen erklärten mehr als die Hälfte aller Befragten, sie würden sich mindestens einmal wöchentlich in ihrer Freizeit mit Deutschen treffen; die entsprechenden Angaben in den vorausgegangenen Untersuchungen von 1980 und 1985 lagen deutlich niedriger. Vergleichsweise am geringsten ist der Anteil bei Türken (rund 57%) und Türkinnen (49,4%), am höchsten bei Italienern (69,5%) und Italienerinnen (68%). Befragte unter 25 Jahren geben im Durchschnitt sogar noch höhere Kontakthäufigkeiten an; die Altersgruppen über 45 Jahren liegen dagegen unter dem Durchschnitt. Die Bewertung dieser Kontakte fällt insgesamt klar positiv aus. Mehr als die Hälfte aller Befragten beurteilt sie als „gut" (Türken: 54%, ehem. Jugoslawen: 55%, Italiener: 68%, Griechen: 62%), die Mehrzahl der anderen als „befriedigend". Zehn Jahre zuvor war die Beurteilung noch wesentlich negativer (Mehrländer et al. 1996: 307-311).

Im Einklang damit steht im übrigen die Entwicklung der Heiraten zwischen Angehörigen dieser Gruppen und Deutschen. Nach den Angaben aus der Repräsentativuntersuchung ’95 hat sich der Anteil gemischt-nationaler Ehen im Vergleich zu 1985 fast verdoppelt (Mehrländer et al. 1996: 201-204). Während er 1985 noch bei rund 5% lag, betrug er 1995 fast 9%. Am höchsten ist der Anteil der Italiener, die eine Deutsche geheiratet haben (20%); bei Zuwanderern aus dem ehemaligen Jugoslawien (10%), Griechenland (8,5%) und vor allem aus der Türkei (6,3%) liegt er deutlich niedriger. Bei den Frauen hingegen zeigt sich ein etwas anderes Bild: Hier ist der Anteil gemischt-nationaler Ehen am höchsten bei Frauen aus dem ehemaligen Jugoslawien. Aber auch der Anteil der Türkinnen, die mit einem Deutschen verheiratet sind, hat sich im Vergleich zu 1985 deutlich von rund 2% auf fast 9% erhöht.

Die Zunahme der Ehen zwischen Zuwanderern und ihren Nachkommen einerseits und Deutschen andererseits sind vor allem deshalb bemerkenswert, weil es sich dabei um besonders enge soziale Kontakte handelt, die in der Regel ganze Familien mit einbeziehen und ein hohes Ausmaß an Verbindlichkeit aufweisen (vgl. Schmidt/Weick 1998). Insofern gilt die Entwicklung gemischt-nationaler Heiraten zu Recht als ein aufschlußrei-

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cher Indikator der sozialen Integration. Zusammen mit den angeführten Angaben über die Häufigkeit der Kontakte und deren Beurteilung durch die „Ausländer" verweist sie auf eher integrative Entwicklungen, die bei der Betrachtung fremdenfeindlicher Tendenzen nicht ausgeklammert werden sollten. Dadurch erweitert sich der bereits ziemlich uneinheitliche Eindruck von den Dimensionen und Ausmaßen der Fremdenfeindlichkeit um zusätzliche Nuancen. Indessen wird aber auch aus den hier exemplarisch angeführten Erfahrungsberichten und Einschätzungen seitens der in der Repräsentativuntersuchung ’95 befragten „Ausländer" deutlich, daß distanzierende und fremdenfeindliche Haltungen seitens der deutschen Bevölkerung von vielen als eine erhebliche Belastung des Zusammenlebens wahrgenommen werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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