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Zaven S. Khachaturian
Natur und Dimension der Alzheimerschen Krankheit:
Möglichkeiten und Perspektiven für die Zukunft


Das Phänomen des "alternden Amerikas" rückte in den letzten Jahren die Komplexität der Alzheimerschen Krankheit immer deutlicher ins Licht der Öffentlichkeit. Die Alzheimersche Krankheit wirft eine Reihe sehr unterschiedlicher Probleme auf, die das Dilemma im Gesundheitswesen in den Vereinigten Staaten noch verschärfen. Je nach Standpunkt handelt es sich dabei um ein wissenschaftliches Puzzle (Wissenschaftler), ein finanzielles Desaster (Finanzfachleute des Gesundheitswesens), ein ethisches, juristisches und politisches Dilemma (Politiker) und nicht zuletzt um einen Alptraum für die stationären Langzeit-Pflegeeinrichtungen. Um die Bedeutung und Betonung der jeweiligen Standpunkte wurde heftig debattiert; sie werden auch weiterhin Gegenstand von Auseinandersetzungen sein. Die Probleme im Zusammenhang mit der Alzheimerschen Krankheit sind aufgrund der verschiedenen Perspektiven zwar unterschiedlicher Natur, hängen aber alle eng miteinander zusammen. Hier ist eine umfassende Lösung anzustreben, bei der das Problem mit all seinen Facetten als Gesamteinheit behandelt wird. Ein umfassender Ansatz für eine strategische Lösung des Problems Morbus Alzheimer würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Wir beschränken die Diskussion daher auf drei Bereiche: 1) wirtschaftliche, 2) psycho-soziale und 3) biomedizinische Probleme. Für die Auswahl dieser drei Bereiche waren zwei Faktoren maßgeblich: das legislative Mandat des National Institute of Aging (NIA) und die historisch bedingte Interpretation seiner Aufgabenstellung bei der Programmentwicklung.

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1. Wirtschaftliche Faktoren

Aufgrund der in den letzten Jahren stark angestiegenen Kosten für die langfristige Pflege kommt dem wirtschaftlichen Aspekt der Gesundheitsversorgung zentrale Stellung unter den Problemen im Gesundheitswesen zu. Wahrscheinlich ist die Alzheimersche Krankheit mit ihrem langen klinischen Verlauf die wichtigste Erkrankung, die verschiedene Formen der Langzeitpflege von der häuslichen Versorgung bis hin zu speziellen Pflegeeinrichtungen erfordert. Schätzungen zufolge beläuft sich die Gesamtsumme der direkten und indirekten Pflegekosten im Zusammenhang mit der Alzheimerschen Krankheit in den Vereinigten Staaten auf knapp 90 Mrd. $. Familien, die Angehörige mit dieser Krankheit haben, leiden nicht nur unter psychischem Stress und physischen Problemen, sondern haben auch hohe finanzielle Belastungen zu tragen. Die Kosten im Zusammenhang mit Morbus Alzheimer betreffen zwar am direktesten die Familienangehörigen, haben aber auch einen merklichen Einfluß auf die Gesellschaft als Ganzes, weil dadurch die potentielle Produktivität verringert wird. In einer Gesellschaft, die sich ihrer ethischen Standards rühmt und bei der das menschliche Leben an erster Stelle steht, sollten Schmerz, Leid, psychischer Stress und soziale Schwierigkeiten eigentlich die treibenden Kräfte der öffentlichen Gesundheitspolitik sein. Leider führen diese Variablen in der realen Welt zwar häufig zu öffentlichen Auseinandersetzungen und wirbeln eine Menge politischen Staub auf, jedoch nicht genug, um das zugrundeliegende Problem zu lösen. Dieses Phänomen hat mehrere Gründe:

• - Schmerz, Leid, psychischer Stress und soziale Schwierigkeiten sind zwar Erfahrungen des realen Lebens, sie sind gleichwohl wesentlich schwieriger zu quantifizieren als die physische Krankheit. Dennoch ist es möglich, diesen psychosozialen Faktoren Kosten zuzuordnen, denn sie haben einen direkten, quantifizierbaren Ein fluß auf das Bruttosozialprodukt, indem sie die Produktivität senken.

• - Die Komplexität und die Dimension dieses Problems verstärken die Unsicherheit, ob es überhaupt machbare Lösungen gibt.

• - Mögliche Lösungsansätze sind extrem kostspielig und haben möglicherweise nicht die gleiche fundierte Glaubwürdigkeit wie es in anderen Bereichen des Gesundheitswesens der Fall ist.

Aufgrund seines legislativen Mandats, seiner organisatorischen Struktur für Forschungen im Bereich Alzheimersche Krankheit und seiner in den letzten zehn Jahren aufgebauten Forschungsinfrastruktur ist das NIA wahrscheinlich die einzige staatliche Institution, die in der Lage ist, bei der Entwicklung umfassender Programme zur Lösung des facettenreichen Problems der Alzheimerschen Krankheit eine leitende Funktion zu übernehmen. Wir haben bereits eine Reihe fundierter Errungenschaften in diesem Bereich zu verzeichnen und stehen nun vor der Aufgabe der systematischen Programmerweiterung, wobei wir uns die geschaffenen Forschungsressourcen und -infrastruktur zunutze machen können.

Das NIA verfügt über die verwaltungstechnische Struktur, um die wirtschaftlichen, psychosozialen und biomedizinischen Aspekte der Alzheimerschen Krankheit anzugehen. Zwar liegt der Schwerpunkt unserer Programme im biomedizinischen und psychosozialen Bereich, in diesem Fall jedoch werden auch die wirtschaftlichen Aspekte des Problems betont, weil sie ein gemeinsames strategisches Ziel für beide Programme, das biomedizinische und das psychosoziale, darstellen. Mit dem vorrangigen Ziel, die Kosten und somit auch die Belastung im Zusammenhang mit der Alzheimerschen Krankheit zu reduzieren, wird es dem NIA möglich sein, sowohl die psychosoziale als auch die biomedizinische Programmentwicklung zu fördern, da beiden Faktoren eine gemeinsame Grundlage und treibende Kraft zugrundeliegt. Im übrigen könnten die gleichen Argumente und Zielsetzungen auch für andere Initiativen des NIA gelten.

Als strategisch wichtiger Schwerpunkt ist das "nationale Problem der Alzheimerschen Krankheit (Alzheimer's Discase)" (PAD) das Produkt dreier Variablen, von denen sich jede als Vektor darstellen läßt; somit kann das Verhältnis dieser drei Vektoren zueinander und zu PAD dargestellt werden als:

PAD = N x C x D, wobei

N = Gesamtzahl der von Alzheimer betroffenen Personen

C = Gesamtbetrag der direkten und indirekten Kosten pro Jahr

D = Dauer des klinischen Verlaufs sind.

Die konzeptionelle Beziehung zwischen diesen drei Vektoren (Patientenzahl, Krankheitskosten und Erkrankungsdauer) und ihrem Produkt - (PAD) macht deutlich, daß eine Strategie, die auf die Reduzierung eines beliebigen Vektors (N, C oder D) abzielt, die Dimension des Gesamtproblems PAD verringern wird.

Die umfassende Forschungsinfrastruktur des NIA und die von ihm entwickelten Programme stellen auf die Reduzierung der Größen aller drei Vektoren ab und liefern somit einen systematischen Ansatz zur Reduzierung der Größe von PAD.

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1.1 Strategien zur Reduzierung der Krankheitsdauer

Die Reduzierung der Krankheitsdauer kann durch mehrere bereits konzipierte Programme des NIA sowie durch neue Initiativen angestrebt werden. Derzeit zeigen einige Behandlungsformen mit Medikamenten der ersten Generation, daß sich die Progredienz der Krankheit um 6 bis 9 Monate hinausschieben läßt. Wir gehen davon aus, daß einige der Wirkstoffe der zweiten Generation in frühen Teststadien die manifeste Erkrankung noch länger hinauszögern werden. Ein klar formuliertes Ziel des NIA ist somit die Förderung der Entwicklung neuer Medikamente sowie Programme zur klinischen Erprobung von Medikamenten mit der Zielsetzung, in den kommenden fünf Jahren die Unterbringung der Patienten in Pflegeeinrichtungen um fünf Jahre (und im Laufe der kommenden Dekade um zehn Jahre) hinauszuschieben. Die Behandlungsinitiative muß pharmakologische, verhaltenstherapeutische und soziale Ansätze einbeziehen, um die Krankheitsdauer zu reduzieren und die Dauer der selbständigen Existenz der Patienten zu verlängern.

Ein schwierigeres und somit längerfristiges Ziel des NIA ist die Entwicklung eines Programms zur Verzögerung der Erkrankungsmanifestation bzw. Strategien zur Verhinderung des Krankheitsausbruchs. All diese Ziele werden durch die von uns vorgeschlagene Initiative zur Behandlung von und zum Umgang mit der Alzheimerschen Krankheit verfolgt.

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1.2. Strategien zur Reduzierung der Pflegekosten

Da die Pflegekosten einen Teil der psychosozialen Faktoren im Zusammenhang mit der Krankheit darstellen, soll das NIA-Programm, das auf die Faktoren psychologischer Stress und soziale Probleme abzielt, einen bedeutenden Wissensfundus zur Kostenreduzierung liefern. Durch die Entwicklung kostengünstiger Leistungsangebote für Alzheimer-Patienten werden Verbesserungen bei der Pflege und im Umgang mit den Patienten angestrebt.

Diese Strategien zur Entwicklung von Behandlungsstrategien mit dem Ziel, die Unterbringung in stationären Einrichtungen hinauszuschieben, sowie die langfristigen Pläne zur Hinauszögerung des Krankheitsbeginns bzw. zur Vermeidung der Krankheit müßten unterm Strich zu Kostensenkungen führen.

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1.3. Strategie zur Reduzierung der Patientenzahl

Die Verringerung der Anzahl von Personen, die von einer Behinderung durch Krankheit betroffen sind, war und ist erklärtes Ziel des Public Health Service (PHS). So konnten bereits mehrere Infektionskrankheiten und Epidemien gebannt werden, die große Segmente der Bevölkerung zu dezimieren drohten. Der PHS hat Gesundheitsmaßnahmen, Präventionsstrategien, Impfungen und symptomatische Behandlungsstrategien entwickelt. Aufgrund unserer Geschichtskenntnisse wissen wir um die Möglichkeit, Präventions- und Behandlungsstrategien zur Verringerung der Anzahl der von Morbus Alzheimer betroffenen Menschen zu entwickeln. Derzeit erscheint dieses Ziel als kaum zu bewältigende Herausforderung, da es uns in nächster Zukunft nicht möglich sein wird, diese Krankheit zu verhindern oder zu heilen. Das NIA muß langfristige Pläne entwickeln zur Bündelung der Kräfte auf das vorrangige Ziel: die drohende Finanzkrise des vom Scheitern bedrohten Gesundheitssystems der Vereinigten Staaten abzuwenden.

Schätzungen zufolge werden im Jahre 2040 zwischen 7 und 14 Millionen Menschen an der einen oder anderen Form der Demenz erkrankt sein und Pflege in entsprechenden Einrichtungen benötigen. Die Zielsetzung, die Anzahl der Alzheimer-Patienten zu reduzieren, wird durch die demographischen Trends in der Altersstruktur der US-amerikanischen Bevölkerung nicht eben erleichtert. Verschiedene Studien kommen zu dem Ergebnis, daß der Alterungsprozeß einer der wichtigsten und statistisch am besten gesicherten Risikofaktoren für diese Krankheit ist. Die Prävalenz der Alzheimerschen Krankheit steigt mit dem Alter nahezu exponentiell. Den Daten des Statistischen Amtes der Vereinigten Staaten zufolge wuchs die Altersgruppe der über 65jährigen in Zeitraum 1980-1990 deutlich schneller als alle anderen Altersgruppen. Strategien zur Entwicklung wirkungsvoller Behandlungs- und Pflegeprogramme, die allein darauf abzielen, das Auftreten der Symptome und die Unterbringung in Pflegeeinrichtungen hinauszuschieben, müssen notwendigerweise zu kurz greifen. Die demographische Entwicklung, die die Gesamtzahl der erkrankten Patienten in die Höhe treibt, darf nicht außer acht gelassen werden. Zur Lösung dieses Problems bedarf es eines planvollen systematischen Ausbaus von bereits existierenden Programmen und Initiativen wie z.B. epidemiologische Studien zur Identifizierung selektiver Risikofaktoren, die Suche nach der (den) Ursache(n), Behandlungsmethoden, die die Krankheit aufhalten oder bessern sowie psychosoziale Studien zur Entwicklung von kostengünstigen Pflegeprogrammen. Es mag zwar etwas verfrüht klingen, aber wir müssen auch Strategien zur Entwicklung von Präventionsmaßnahmen entwickeln. Die vorangegangene Diskussion der wirtschaftlichen Faktoren der Alzheimerschen Krankheit soll als Bezugsrahmen zur Entwicklung einer umfassenden Strategie zur Lösung des Problems Alzheimersche Krankheit dienen. Die vorgeschlagene Strategie sollte folgende Punkte beinhalten:

- Behandlungsstrategien
- Ursache(n)
- Risikofaktoren
- Diagnose
- Soziale Faktoren
- Prävention
- ethische/juristische Aspekte
- Infrastruktur - Forschungsressourcen

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2. Spezifische Zielsetzungen für Initiativen des NIA



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2.1. Behandlungsformen - Reduzierung der Belastung

Entwicklung sicherer und wirksamer Behandlungsformen unter Zuhilfenahme von pharmakologischen, verhaltensbezogenen und sozialen Ansätzen mit dem Ziel, die Unterbringung von Patienten in entsprechenden Einrichtungen um fünf bis zehn Jahre hinauszuschieben; Entwicklung effizienter Pflege- und Management-Programme zur Reduzierung der durch Pflege verursachten Belastung.

Bis vor kurzem standen die Chancen für die Entwicklung wirksamer Behandlungsformen für Morbus Alzheimer eher schlecht, da fundierte wissenschaftliche Kenntnisse über die Pathophysiologie der Krankheit nur in beschränktem Umfang vorhanden waren. Seit Ende der achtziger Jahre jedoch sind die Aussichten auf die Entwicklung effektiver Behandlungsformen realistischer geworden, und die Erwartungen sind gestiegen, daß in den nächsten fünf bis zehn Jahren neue Wirkstoffe entwickelt werden. Für diesen Optimismus gibt es verschiedene Gründe:

• In der Neurophysiologie wurden weitreichende Fortschritte erzielt bei der Erforschung der Details der molekularen Mechanismen der interzellulären Kommunikation und der komplexen Mechanismen der Signalübertragungswege von den Rezeptoren bis zur Genregulierung. Aufgrund dieser Erkenntnisse gibt es eine ganze Reihe von Ansatzpunkten auf molekularer Ebene, um bei der extrazellulären und intrazellulären Kommunikation korrigierend einzugreifen.

• Viele Forschungsgruppen in der Wissenschaft und in biotechnologischen und pharmazeutischen Unternehmen zeigen großes Interesse am Problem der Alzheimerschen Krankheit und arbeiten an der Entwicklung von Wirkstoffen, die ein Intervenieren in verschiedenen Stadien des Signalübertragungsprozesses ermöglichen.

• Die Infrastruktur des NIA fördert und unterstützt die Entwicklung neuer Arzneimittel in akademischen Einrichtungen und den Aufbau eines an mehreren Orten vertretenen Konsortiums, das die Sicherheit und Wirksamkeit von Arzneimitteln testet.

Der lange klinische Verlauf dieser Krankheit, ihre verheerenden Folgen für die Fähigkeit des Patienten, ein eigenständiges Leben zu führen, die psychische und soziale Belastung der Angehörigen und auch die schwere finanzielle Belastung im Zusammenhang mit der Pflege haben in der Öffentlichkeit zu einem wachsenden Problembewußtsein und zur Besorgnis darüber geführt, daß es keinerlei Mittel gibt dieses nationale Desaster in den Griff zu bekommen.

Die Entwicklung sicherer und wirksamer Behandlungsmethoden ist von zentraler Bedeutung für das Gesundheitswesen. Diese Arbeit gibt einen Überblick über die Bemühungen des NIA, die wissenschaftliche Infrastruktur für eine große, landesweite Initiative zur Entwicklung von Behandlungsformen bereitzustellen. Nun muß der NIA eine umfassende Strategie zur Entwicklung eines nationalen Behandlungsprogramms formulieren, das pharmakologische, verhaltensbezogene und soziale Aspekte einbezieht. Diese Strategie muß darauf abzielen, die Unterbringung in stationären Einrichtungen um fünf bis zehn Jahre hinauszuschieben bzw. innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre eine selbständige Lebensführung der Patienten zu ermöglichen. Ziel dieser Strategie ist die Verringerung der durch die Pflege hervorgerufenen Belastung über die Entwicklung effizienter Pflege- und Management-Programme.

2.1.1. Pharmakologischer Ansatz

Mit zunehmendem Wissen um die neurobiologischen Mechanismen der Alzheimerschen Krankheit wird dem relativ neuen Bereich des "rational drug design" große Bedeutung zugeschrieben und die Suche nach potentiell wirksamen Verbindungen verstärkt. Bei diesem Ansatz werden mittels molekularer Synthesetechniken spezifische Moleküle entwickelt, die eine bestimmte Zelldysfunktion korrigieren sollen, der eine klinisch signifikante Wirkung auf das Verhalten des Patienten zugeschrieben wird. Derzeit geht man davon aus, daß die grundlegenden biologischen Ursachen der Alzheimerschen Krankheit in einer graduellen Funktionsstörung von Neuronen liegen, die letztendlich zum Absterben der Zellen führt. Es wird schon eine geraume Zeit nach Wirkstoffen gesucht, die diese Zolldysfunktion modifizieren, verlangsamen oder zum Stillstand bringen können.

Die genaue Ursache und die Abfolge der Ereignisse, die der Zelldysfunktion und dem Zelltod vorausgehen, sind nicht bekannt. Es ist allerdings erwiesen, daß bei der Alzheimerschen Krankheit Synthese und Ausschüttung mehrerer Neurotransmitter, insbesondere des Acetylcholin, gestört sind. Ebenfalls erwiesen sind verschiedene strukturelle und funktionelle Veränderungen wie z.B. Verlust von Synapsen, Abnahme von Dendriten, Veränderungen der Membranbestandteile, Aufrechterhaltung intrazellulärer Ionen, Weiterbearbeitung von transmembranen Proteinen wie z.B. dem Amyloid-Vorläufer-Protein APP, die abnorme Veränderung verschiedener anderer Cytoskelett-Proteine und metabolische Veränderungen, die den zellulären Energiehaushalt beeinflussen. Zur Zeit ist noch nicht klar, welcher dieser vielen Prozesse Dysfunktion und Absterben der Zelle initiiert. Doch jeder dieser abnormen Prozesse stellt einen potentiellen Ansatzpunkt zur Korrektur der mit dem degenerativen Prozeß in Verbindung gebrachten molekularen Störungen dar und liefert somit eine potentielle Möglichkeit zur Verlangsamung des degenerativen Prozesses. Die Behandlungsinitiative sollte auf zwei spezifische Ziele abstellen:

1. die Suche nach Wirkstoffen, die das Überleben von Nervenzellen und die Verhinderung des vorzeitigen Zelltodes sicherstellen, und

2. die Suche nach Wirkstoffen, die die Funktionsfähigkeit der überlebenden Zellen wiederherstellen.

Bis vor kurzem lag der Schwerpunkt bei der Suche und Erprobung neuer Arzneimittel entweder auf der Verbesserung der Synthese bzw. Ausschüttung der Neurotransmitter oder auf der Verlangsamung des Abbaus der Signalstoffe nach Ausschüttung an den Synapsen. Jetzt ist es im Rahmen der NIA-Initiative von vorrangiger Bedeutung, die Suche nach neuen Medikamenten unter Einbeziehung der folgende Aspekte auszuweiten: Verhinderung der Veränderung der Zellmembran und Förderung der Membranstabilität, Unterstützung des Zellstoffwechsels, Regulierung und Stabilisierung der Homöostase der Kalziumionen, Regulierung des Phosphorylierungsreaktion, Wiederherstellung der normalen Verarbeitung der Cytoskelett-Proteine einschließlich des Amyloid-Vorläuferproteins APP durch Modulation der Aktivitäten der Proteasen sowie Modulation bzw. Wiederherstellung der Aktivitäten trophischer Faktoren.

2.1.2. Verhaltensbezogener Ansatz

Grundsätzliches Ziel beider Ansätze muß es sein, das Verhalten der Patienten dahingehend zu modifizieren, daß ihnen weiterhin eine unabhängige Lebensweise möglich ist. Die pharmakologischen Ansätze zur Entwicklung von Medikamenten konzentrieren sich dabei eher auf kausale Schritte zur Korrektur der Funktionsweise neuraler Mechanismen bzw. Systeme, die dem Verhalten zugrundeliegen. Bei der Entwicklung von Behandlungsformen zur Modifizierung von Verhaltensweisen wird jedoch oft ein pragmatischerer Ansatz verfolgt, ohne detaillierte Kenntnis der zugrundeliegenden neuralen Mechanismen bzw. der neuropharmakologischen Prozesse, die hier eine Rolle spielen. Obwohl einige der molekularen Prozesse bei der Pathophysiologie der Alzheimerschen Krankheit exakt erforscht sind, haben wir noch immer keine genauen Kenntnisse darüber, wie die Veränderungen in Struktur und Funktionsweise der Neuronen miteinander zusammenhängen und auf das Verhalten der Patienten einwirken. Wir müssen die exakten Verhaltenskorrelate der folgenden Erscheinungen bestimmen: Verlust von Synapsen und Neuronen und Akkumulation verschiedener abnormer Proteine.

Derzeit verfügen wir noch nicht über ein verhaltenswissenschaftliches Instrument, das sensibel genug ist, die Auswirkungen der biologischen Veränderungen im Gehirn auf das Verhalten zu messen. Es hat oft den Anschein, als hätten einige der schwerwiegenden Gehirnläsionen, die mit der Krankheit in Zusammenhang gebracht werden, keine ersichtlichen Auswirkungen auf das klinische Bild oder das Verhalten der Patienten. Beim derzeitigen Kenntnisstand um die klinisch-pathologischen Zusammenhänge bei der Alzheimerschen Krankheit müssen wir uns verstärkt um die Entwicklung verhaltensbezogener Ansätze zur Behandlung der Symptome der Krankheit bemühen.

Aus der Perspektive des Pflegenden ist die Symptombehandlung ein wichtiger und pragmatischer Aspekt. Eine bestimmte Behandlungsform mag zwar zu einer meßbaren Verbesserung des Patientenverhaltens führen, aber wenn diese Verbesserung nicht auf eine klinisch relevante Art und Weise manifest wird, so ist sie für den Pflegenden in der Praxis nur begrenzt nützlich. Wenn aber umgekehrt eine Behandlungsmethode die Verhaltensweisen des Patienten erfolgreich beeinflussen kann und ihm eine unabhängige Lebensführung ermöglicht, dürfte es den Pflegenden egal sein, ob die zugrundeliegenden biologischen Mechanismen nun bekannt sind oder nicht. In der Tat können sich therapeutische Behandlungen auch ohne jegliche Kenntnis der damit zusammenhängenden biologischen Prozesse oft positiv auf Verhalten und Stimmungen der Patienten auswirken. Es besteht ein dringender Bedarf an systematischer Forschung zur Bestimmung der verhaltensrelevanten Variablen, die für Pflegende belastende Verhaltensmuster wie Erregungszustände, Herumwandern, Schlaflosigkeit usw. positiv beeinflussen.

2.1.3. Soziale Ansätze

Solange der klinische Verlauf der Alzheimerschen Krankheit nicht durch eine signifikante Verlangsamung des Abfalls der funktionalen Fähigkeiten des Patienten verändert werden kann, müssen auch die Pflegenden als wichtige Faktoren bei der Intervention mit einbezogen werden. Die Familienangehörigen, die diese Pflegedienste leisten, stehen oftmals unter schwerwiegender psychischer und sozialer Belastung; sie sind die wahren Opfer dieser Krankheit. Die komplementäre Beziehung zwischen Patient und Pflegenden kann sich entscheidend darauf auswirken, daß die Verhaltensprobleme des Patienten bewältigt werden. Aus diesem Grunde müssen bei unserer Strategie zur Entwicklung neuer Behandlungsformen die Familie, die soziale Struktur und die Einbindung in Institutionen als wichtige Teile des therapeutischen Milieus miteinbezogen werden.

2.1.4. Weitere Ansätze

Es muß darauf hingewiesen werden, daß die Initiativen und wissenschaftlichen Ansätze in den Bereichen Behandlung, Ätiologie und Diagnose oft ineinander übergreifen und überschneidende Auswirkungen haben. So zum Beispiel stellt die Suche nach der biologischen und klinischen Grundlage der Heterogenität bei der Alzheimerschen Krankheit nicht nur für die Suche nach neuen Behandlungsformen eine Herausforderung dar, sondern auch für die Bereiche Ätiologie und Diagnose. Ebenso wird die Verbesserung der Techniken zur Verhaltensmessung auch Auswirkungen auf Behandlung und Diagnose haben. Daher ist festzuhalten, daß einige der für das NIA vorgeschlagenen Programminitiativen mehr als nur einen Bereich berühren. Zu den Initiativen, die die Bemühungen bei der Suche nach neuen Behandlungsformen unterstützen und auch für andere Zielsetzungen von Bedeutung sein könnten, gehören:

2.1.4.1. Ergebnismeßinstrumente zur Bestimmung der Effektivität

Ein wichtiger Bereich bei der Entwicklung effektiver Behandlungsmethoden für die Alzheimersche Krankheit betrifft die Auswahl von Ergebnismeßinstrumenten. Trotz umfassender Diskussionen und Bemühungen der verschiedensten Kreise ist das Problem, einige wenige standardisierte Ergebnismeßinstrumente auszuwählen, nach wie vor ungelöst. Auch die THA-Forschungsgruppe Klinische Studien hat sich intensiv mit diesem Problem auseinandergesetzt. Vor dem Hintergrund der neuen Erfahrungen mit unterschiedlichen Studien zu Behandlungsmethoden werden in Zukunft möglicherweise einige der Probleme im Bereich Ergebnismeßinstrumente gelöst werden können.

Das vom NIA geförderte Clinical Studies Consortium ist möglicherweise die am besten geeignete Gruppe, um sich systematisch mit diesem Problem zu befassen. Dieses Konsortium ist bereits mit der Grundlagenarbeit für ein umfassendes Projekt unter der Beteiligung mehrerer Gruppen beschäftigt.

2.1.4.2. Transkulturelle Ansätze und internationale Zusammenarbeit

Angesichts der Kostenexplosion bei Entwicklung und Erprobung neuer Behandlungsformen sowie der Tatsache, daß in vielen Ländern ähnliche gesetzliche Regelungen zur Sicherheit und Wirksamkeit von Behandlungsformen bestehen, wird der Bedarf an internationaler Kooperation immer dringender. Wir brauchen internationale Abkommen, die die Entwicklung, Durchführung und Bewertung der Sicherheit und Wirksamkeit von Behandlungsformen regeln. Erste Schritte in diese Richtung wurden bereits von Japan und den Vereinigten Staaten unternommen. Die Vorteile einer solchen internationalen Zusammenarbeit liegen auf der Hand: eine klinische Studie zur Wirksamkeit einer bestimmten Verbindung kann gleichzeitig in verschiedenen Ländern durchgeführt werden, unter Verwendung derselben Bewertungsinstrumente, Studienkonzeptionen, Ergebnismessungen, Datenverwaltungs- und Auswertungsverfahren.

2.1.4.3. Nationale Ressourcen für klinische Studien

In den letzten Jahren haben die Aktivitäten des NIA im Bereich Alzheimersche Krankheit zur Entwicklung einer ganzen Reihe nationaler Programme geführt, die alle die Förderung klinischer Studien zu Diagnose und Behandlung der Patienten zum Ziel haben. Zu diesen nationalen Institutionen gehören 28 Zentren für Patienten mit Alzheimerscher Krankheit, Satellitenkliniken, das Consortium to Establish a Registry for Alzheimers Discase (CERAD), Forschungsgruppen zur Entwicklung neuer Medikamente, ein Konsortium für klinische Studien, und nicht zuletzt ein internationales Netzwerk von Forschern und Wissenschaftlern, die bei Fragen der Standardisierung von Tests und Bewertungsinstrumenten zusammenarbeiten. Der Erfolg der NIA-Initiativen bei der Entwicklung sicherer und wirksamer Behandlungsformen hängt nicht nur von der Förderung der bereits existierenden Infrastruktur im Forschungsbereich ab, sondern auch vom Ausbau der Ressourcen und der Unterstützung der Verbindungselemente der einzelnen Standorte.

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2.2. Ursache(n)

Suche nach der (den) Ursache(n) der Alzheimerschen Krankheit nicht nur durch Erforschung der biologischen Grundlagen der Krankheit, sondern durch Untersuchung der wichtigsten verhaltensbezogenen und sozialen Faktoren beim klinischen Krankheitsverlauf.

Derzeit kann kein Wissenschaftler mit Bestimmtheit sagen, ob es sich bei der Alzheimerschen Krankheit um eine einzige Krankheit handelt oder um ein komplexes Syndrom mit vielen Subtypen und Variationen in der klinischen Manifestation, oder ob es viele unterschiedliche Krankheiten sind, die alle ähnliche Symptome aufweisen. Die Heterogenität dieser Krankheit wird in vielen Aspekten deutlich: Alter des Krankheitsbeginns, Dauer, klinischer Verlauf, Typen und Muster neurologischer und psychiatrischer Symptome, Reaktion auf Behandlung und neuropathologische Veränderungen.

Eine Vielzahl der wissenschaftlichen Probleme im Bereich der Alzheimer-Forschung hängen direkt mit der Heterogenität des Krankheitsbildes zusammen. Zwar wurden in den letzten 14 Jahren signifikante Fortschritte bei der Identifizierung und Beschreibung der unterschiedlichen Erscheinungsbilder der Krankheit erzielt, die zugrundeliegenden biologischen Mechanismen sind jedoch noch nicht erforscht. Das generelle Problem der Heterogenität bietet ein außerordentlich breites Spektrum für die Ausrichtung zukünftiger Forschungsbemühungen.

Die biologische Grundlage der Heterogenität liegt mit großer Wahrscheinlichkeit in der Interaktion zwischen genetischen und anderen Faktoren. Die Suche nach Genen, die mit verschiedenen Gehirnstoffwechselstörungen und abnormer Verarbeitung von Cytoskelett-Proteinen in Zusammenhang gebracht werden, ist eine der vielversprechendsten Richtungen bei der Ursachenforschung. Die jüngste bahnbrechende Entdeckung der Mutationen beim Amyloid-Vorläuferprotein-Gen, gab der Forschung einen neuen Schub, weiter nach anderen loci und anderen Mutationen zu suchen. Doch leider reicht die Identifizierung von Lokalisation und Beschaffenheit der Mutation nicht aus; es müssen darüber hinaus auch die funktionalen Folgen dieser genetischen Veränderungen und ihr Einfluß auf die Proteinsynthese und den Stoffwechsel bestimmt werden. Letztlich muß festgestellt werden, ob und wie diese Mutationen zur Zelldysfunktion bzw. zum Zelltod führen.

Derzeit ist noch nicht klar, ob Genmutationen eine notwendige und hinreichende Ursache für die Krankheit sind, ober ob ein oder mehrere zusätzliche biologische Schädigungen erforderlich sind, um den degenerativen Prozeß der Alzheimerschen Krankheit auszulösen. Möglicherweise besteht eine Beziehung zwischen genetischer Veranlagung für Alzheimer und Umweltfaktoren oder anderen systemischen Stoffwechselstörungen, aber die Mechanismen der Wechselwirkung zwischen Genen und solchen auslösenden Faktoren sind noch nicht ausreichend untersucht. Hier muß erforscht werden, inwieweit Veränderungen des Stoffwechsels, des Immunsystems und neuroendokriner Faktoren sowie Infektionserreger und toxische Einflüsse auf Krankheitsbild und -verlauf Einfluß nehmen. Die Suche nach selektiven Risikofaktoren durch transkulturelle epidemiologische Studien kann Erkenntnisse über potentielle Interaktionen zwischen genetischer Prädisposition und Umweltfaktoren oder systemischen Dysfunktionen liefern.

Die Suche nach der genetischen Grundlage der Krankheit muß deutlich ausgeweitet werden, da bei Alzheimer höchstwahrscheinlich mehr als ein Gen und mit großer Wahrscheinlichkeit verschiedene Mutationen jedes einzelnen Gens involviert sind. Offenbar betreffen mehrere Mutationen auf Chromosom 21 nur einen äußerst geringen Anteil der Alzheimer-Patienten, nämlich diejenigen, die von der früh in Erscheinung tretenden Form der Krankheit betroffen sind. Wir müssen den genetischen Faktor finden, der bei der Mehrheit der Alzheimer-Patienten zum Tragen kommt.

Darüber hinaus muß untersucht werden, ob eine Komorbidität zwischen Alzheimer und anderen neurodegenerativen Krankheiten und Systemerkrankungen existiert. Die Krankengeschichte der Patienten, ihre Ernährungsgewohnheiten, ihr Kontakt mit Toxinen sowie ihre Lebenserfahrungen wie z.B. der Bildungsgrad, müssen systematischer untersucht werden. Neuere epidemiologische Untersuchungen legen den Gedanken nahe, daß ein geringer Bildungsgrad ein Risikofaktor für Alzheimer sein könnte. Sollten sich diese Beobachtungen bestätigen, so könnten sie Hinweise auf mögliche Mechanismen der Heterogenität liefern, indem Risikofaktoren wie z.B. bestimmte Lebenserfahrungen mit Veränderungen im Gehirn (wie z.B. Dichte oder Reservekapazität von Synapsen) in Verbindung gebracht werden.

Eine der wesentlichen Herausforderungen bei der Suche nach der (den) Ätiologie(n) der Alzheimerschen Krankheit ist die eigentliche Ursache von Zelldysfunktion und -tod. In den letzten vierzehn Jahren haben sich eine Reihe von Ideen und Forschungsansätzen herauskristallisiert, wie z.B. endogene und exogene Toxine, infektiöse Wirkstoffe, abnorme Proteine, Defizite bei wachstumsfördernden Faktoren, Kortikosteroide, Membranveränderungen, Kalziumhomöostase und Regulationsstörung der Proteolyse. Obwohl jede dieser Schädigungen bzw. abnormen zellulären Prozesse das Funktionieren und Überleben der Zelle potentiell beeinflussen kann, ist es von Bedeutung, herauszufinden, welche davon eine wichtige. Ursache beim degenerativen Prozeß der Alzheimerschen Krankheit sind. Natürlich sind viele Mechanismen mit jeweils mehreren Stufen am Prozeß von Zelldysfunktion und -tod beteiligt. Zu den wichtigsten wissenschaftlichen Fragen, die einer Antwort harren, gehören:

• - Was löst den Prozeß der Zelldysfunktion aus und was sind dabei die wichtigsten Stufen, die zum Zelltod führen?

• - Was sind die wichtigsten Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Zellveränderungen, z.B. Veränderungen der Membranstruktur, die das Verhalten membrangebundener Proteine beeinflussen, oder die Interaktionen zwischen Zelloberfläche und abnorm gespaltenen Proteinfragmenten, die Aggregate bilden?

• - Welche Ursachen liegen der Spezifität der Zelldysfunktion zugrunde? Warum sind einige Zelltypen bzw. Zellen in einem anatomischen System betroffen und andere nicht?

Die Initiative des NIA zur Bestimmung der Ursache(n) der Alzheimerschen Krankheit darf sich nicht nur auf die biologischen Mechanismen neuraler Dysfunktionen beschränken, sondern muß auch die Ursache(n) der krankheitsbedingten Verhaltensänderungen erforschen. Einige der sekundären Symptome, die der Alzheimerschen Krankheit zugeschrieben werden, haben möglicherweise keine direkte Beziehung zu der/den primären Krankheitsursache(n). Die neurobiologische Grundlage der sekundären verhaltensbezogenen psychiatrischen Symptome müssen erforscht werden, damit effektive Behandlungsformen entwickelt werden können, die diese Symptome lindern.

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2.3. Risikofaktoren

Suche nach selektiven Risikofaktoren durch transkulturelle epidemiologische Studien als Vorstufe zur Entwicklung präventiver Strategien.

Die Initiative zu transkulturellen Studien zur Bestimmung selektiver Risikofaktoren ist im Grunde eine Erweiterung der Ursachenforschung. Obwohl frühere epidemiologische Studien Variablen wie toxische Einflüsse, Schädeltrauma und geringer Bildungsgrad als potentielle Risikofaktoren nahelegen, wird derzeit nur der Risikofaktor "Alter" allgemein anerkannt. Vorstudien geben wichtige Anhaltspunkte, die mit besseren Instrumenten und größeren Stichproben gründlicher erforscht werden müssen. In den letzten Jahren hat das NIA systematisch den Ausbau der Infrastruktur zur Durchführung solcher Studien betrieben. Im Rahmen des Programms "Dementias of Aging" wurden Untersuchungsinstrumente entwickelt, standardisiert und erprobt mit der Zielsetzung der Eliminierung jeglicher kultureller Voreingenommenheit. Zur Beschleunigung der Suche nach Risikofaktoren muß diese Initiative verstärkt werden. Die erforderlichen internationalen Verbindungen werden bereits durch interne und externe Programme gefördert.

Sehr wahrscheinlich wird die Alzheimersche Krankheit durch komplexe Wechselwirkungen zwischen biologischen Variablen wie z.B. genetischer Prädisposition und umweltbedingten, kulturellen oder bildungsbezogenen Faktoren hervorgerufen. Die vorgeschlagenen transkulturellen epidemiologischen Initiativen können in hohem Maße dazu beitragen, das komplexe Puzzle der Risikofaktoren zu lösen.

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2.4. Diagnose

Verbesserung von Genauigkeit und Sensibilität der Diagnose bei der Früherkennung der Alzheimerschen Krankheit durch Präzisierung der Diagnosekriterien, Standardisierung der diagnostischen Instrumente, Entwicklung von Untersuchungsinstrumenten für repräsentative Studien, Entwicklung von biologischen Markern sowie durch Verbesserung der verhaltensbezogenen neurologischen Erfassungsinstrumente.

Zu Beginn der Erforschung der Alzheimerschen Krankheit gab es keine allgemein anerkannten Diagnosekriterien oder standardisierten Erfassungsinstrumente. Seit Mitte der achtziger Jahre wurden dann Kriterien entwickelt, und verschiedene Multi-Center-Kooperationsstudien regten die Entwicklung, Validierung und Standardisierung diagnostischer Testmethoden an. Nun muß der Bereich der klinischen Forschung die Bemühungen dahingehend verstärken, die etablierten Kriterien zu verfeinern. Es ist an der Zeit, ein umfassendes diagnostisches Klassifikationsschema zu entwickeln, mit dem Patienten in homogenere Gruppen eingeteilt werden können, und zwar auf der Grundlage von klinisch relevanten Symptommustern.

Die Verbesserung der Methoden zur Bewertung des Verhaltens ist nicht nur für eine bessere Evaluierung und Klassifizierung der Patienten wichtig, sondern auch zur Bewertung der Wirksamkeit von Behandlungsmethoden. Die Effektivität eines jeden Behandlungsansatzes muß letztendlich danach bewertet werden, ob eine Verbesserung der funktionalen Fähigkeiten des Patienten gelingt. Derzeit verfügen wir über keine adäquaten Instrumente, mit denen die subtilen Details des Patientenverhaltens entweder in spezifischen Bereichen oder in der Gesamtheit ihrer Verhaltensänderungen unter dem Einfluß verschiedener Behandlungsstrategien erfaßt und bewertet werden können. Wir brauchen sozusagen das "Elektronenmikroskop" für die Verhaltensbestimmung. Mit besseren Methoden zur Bewertung des Patientenverhaltens und sensibleren Instrumenten wird es für uns sicher einfacher, die Effektivität verschiedener Behandlungsmethoden zu bestimmen, die anderenfalls möglicherweise als nicht sinnvoll eingestuft würden.

Die Beziehung zwischen verschiedenen Instrumenten zur Verhaltensmessung und diagnostischen Darstellungsmitteln und -techniken wie z.B. APECT, CT, PET und MRI muß weiterentwickelt und verfeinert werden. Mit der Verbesserung jedes diagnostischen Ansatzes in Hinblick auf Empfindlichkeit und Genauigkeit sollte auch die systematische Beziehung zwischen den unterschiedlichen Bewertungsansätzen weiter erforscht werden.

Der ultimative diagnostische Test für die Alzheimersche Krankheit wäre ein positiver biologischer Marker der Krankheit. Bis heute konnte solch ein zuverlässiger, spezifischer Marker jedoch noch nicht gefunden werden. Die Programminitiative des NIA muß die Suche nach diesem Marker weiter unterstützen.

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2.5. Soziale Faktoren

Bestimmung der Rolle(n), die die Familien, Institutionen, die Umwelt und ökonomische Faktoren (einzeln oder in Kombination) beim klinischen Verlauf der Krankheit spielen und ihre Bedeutung als Variablen im Zusammenhang mit der durch die Pflege hervorgerufenen Belastung.

Die wissenschaftlichen Fragestellungen hinsichtlich der psychosozialen Variablen im Zusammenhang mit der Pflegeproblematik stellen eine schwierige und gleichzeitig reizvolle Herausforderung dar. Dieser Problembereich ist insofern besonders kompliziert, als aufgrund der Heterogenität der Interaktionen zwischen Patient und Familie keine präzise Definition der "Belastung" durch Pflege möglich ist und weder Kriterien zur Messung noch standardisierte Meßinstrumente zur Verfügung stehen. Die Programminitiativen müssen auch diese Schwerpunkte berücksichtigen. Der Aufbau neuer Special Care Units könnte die für solche Initiativen erforderliche Infrastruktur liefern.

Weitere Initiativen sind erforderlich zur Definition der Merkmale der Faktoren Familie, Institutionen und Umwelt, die den Umfang und das Ausmaß der psychosozialen Belastung bestimmen, die zur Entwicklung der Alzheimerschen Krankheit beiträgt. Aufgrund der komplementären Beziehung zwischen Familien und Patienten muß untersucht werden, inwieweit die sozialen Faktoren den klinischen Verlauf der Krankheit hinsichtlich Dauer und Schwere der Symptommanifestation beeinflussen.

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2.6. Prävention

Entwicklung von Strategien, die eine Unterbringung in stationären Einrichtungen, die mit der Krankheit zusammenhängenden psychosozialen Belastungen und die klinische Manifestation der Krankheit verzögern und langfristig verhindern helfen können.

Obwohl zur Zeit keine unmittelbaren Erfolgsaussichten auf Prävention der Alzheimerschen Krankheit bestehen, zielen sämtliche hier vorgeschlagenen Initiativen langfristig darauf ab. Die Initiativen zu Ursache(n), Risikofaktoren, Behandlungsmethoden und sozialen Faktoren sollten die erforderlichen Mittel liefern, um Strategien zur Verzögerung und letztendlich zur Vermeidung der Unterbringung der Patienten in Langzeiteinrichtungen zu entwickeln. Je mehr wir über selektive Risikofaktoren erfahren und wirksame Behandlungsmethoden entwickeln, desto eher wird Prävention in ihrem eigentlichen Sinn ein realistisches und greifbares Ziel werden.

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2.7. Ethische und juristische Aspekte

Das NIA muß in Zusammenarbeit mit dem als Kernzelle dienenden OADR die Formulierung einer umfassenden politischen Strategie über entsprechende Kanäle unterstützen.

Über das OADR muß das NIA eine federführende Rolle spielen bei der Organisation öffentlicher Vortragsveranstaltungen und internationaler Konferenzen, um somit ein Forum für qualifizierte Diskussionen über verschiedene Standpunkte bezüglich ethischer und juristischer Aspekte bei Behandlung, Pflege und Umgang mit Alzheimer-Patienten zu bieten. Das NIA muß die Vorbereitung von Stellungnahmen unterstützen und Fachbeiträge besprechen.

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2.8. Infrastruktur und Ressourcen

Derzeit gibt es nur sehr wenige geeignete Einrichtungen für die Durchführung systematischer Längsschnittstudien zum klinischen Verlauf der Alzheimerschen Krankheit, zur Erprobung neuer Behandlungsformen, Entwicklung von Pflegeprogrammen und Bewertung der psychosozialen Faktoren bei der Belastung durch Pflege. Dieser Mangel an entsprechenden Einrichtungen für die klinische Forschung sowie der heimtückische Eintritt der Krankheit, ihr langsamer Verlauf und die hohen Forschungskosten erschweren natürlich die Durchführung dieser überaus wichtigen klinischen Längsschnittstudien zu Morbus Alzheimer. Zur systematischen Untersuchung der Heterogenität der Krankheit und der vielen anderen oben behandelten Aspekte sind die Ergebnisse solcher Längsschnittstudien mit einer großen Anzahl von Patienten mit möglichst unterschiedlichem Hintergrund unerläßlich.

Solche Studien sollten konzipiert werden als Gemeinschaftsunternehmen vieler Zentren in der ganzen Welt, die unter Zuhilfenahme valider und standardisierter Meßinstrumente, Tests oder Beobachtungstechniken detaillierte medizinische Krankengeschichten und engmaschig kontrollierte Verlaufsuntersuchungen über den klinischen Verlauf der Krankheit sammeln können. Diese Studien sollten dem klinischen Verlauf der Krankheit vom frühesten erkennbaren Stadium bis hin zur Autopsie folgen. Nur durch solche sorgfältig und methodisch durchgeführte Studien wird es möglich sein, die klinisch-pathologischen Korrelate dieser Krankheit festzustellen und Lösungsansätze für die Heterogeneität der Alzheimerschen Krankheit zu finden. Dazu besteht jedoch über die bereits existierenden klinischen und Versorgungszentren hinaus ein großer Bedarf für den Bau spezialisierter klinischer Forschungsstätten.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die vielen Forscher aus den unterschiedlichen Bereichen, die an der Entwicklung von Behandlungsmethoden für die Alzheimersche Krankheit Interesse fanden durchaus stolz sein können auf die Ergebnisse der letzten Jahre, darauf, daß ihnen bei der Suche nach sicheren und wirksamen Behandlungsformen für eine Krankheit, die bis vor einigen Jahren als unbehandelbar galt, ein großer Schritt nach vorn gelungen ist. Obwohl noch eine Reihe von Problemen ungelöst ist und weiterhin große Herausforderungen bestehen, ist ein optimistischer Blick in die Zukunft durchaus nicht unberechtigt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 1999

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