FES | ||
|
|
TEILDOKUMENT:
Christoph Honisch:
Druck-Ausgabe: Seite 65 Im folgenden werden Überlegungen und Konzepte der Stadt Hannover zur Lösung von Konflikten am Beispiel des Stadtteils Vahrenheide dargestellt. Zum Entstehungszusammenhang erscheint mir wichtig, Grundsätzliches voranzustellen:
Hierzu sind folgende Fakten von Bedeutung:
Die Lage von Jugendlichen in Vahrenheide muß, nach Ansicht von Fachkräften, nach Kriterien für soziale Brennpunkte beurteilt werden: Soziale Brennpunkte sind danach Wohngebiete, in denen Faktoren, die die Lebensbedingungen ihrer Bewohner und insbesondere die Entwicklungschancen von Kindern und Jugendlichen negativ bestimmen, gehäuft auftreten (Deutscher Städtetag). In Vahrenheide eskalierte die Situation dadurch, daß so etwas wie Sozialneid auszumachen war bzw. ist. Deutsche und türkische Jugendliche haben sich gegen Aussiedler zusammengetan. Teilweise sind 200 teils bewaffnete junge Menschen aufeinander losgegangen. Sozialneid, was ist das? Dazu Beispiele. Zur Integration von beispielsweise jungen Aussiedlern werden Programme aufgelegt und aus Landes- und Bundesmitteln gefördert. Träger finden sich und nehmen die Arbeit auf. Gut ausgestattete Räume, Fachkräfte, die helfen können und Freizeitangebote entwickeln, erreichen die Zielgruppen. Da kommt Neid auf bei denjenigen, die seit langem einen Treffpunkt fordern. Unter dem Titel "Es bleibt halt der Neid" erschien am 8.3.1995 ein Interview mit Jugendlichen über diesen Zusammenhang in der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung", der genau diesen Zusammenhang aufgreift (siehe Anhang). In dieser spannungsgeladenen Situation bedarf es nur eines kleinen Anlasses, und der Konflikt eskaliert. So war es auch in Vahrenheide: Ein Konflikt der sich in einem Supermarkt zwischen einem Aussiedler und deutschen Jugendlichen entlud, führte zur Mobilisierung der Gruppen, die sich dann in eine Massenschlägerei verwickelten: auf der einen Seite deutsche und türkische Jugendliche gegen Aussiedler auf der anderen Seite. Soviel zur Entstehung. Die Reaktion der Verwaltung war prompt, ein Sofortprogramm wurde aufgelegt:
Die Containertreffpunkte brannten ab. 1997 wird ein Jugendtreff eingerichtet. der im Bau befindlich ist. Zwei Streetworker (ABM) haben bereits ihre Arbeit aufgenommen! Soviel zur Sofortreaktion. Auf der Stadtentwicklungsebene erfolgte ebenfalls eine Reaktion diesen Stadtteil betreffend: Das sogenannte Hannover-Programm 2000 hat den Stadtteil Vahrenheide und Sahlkamp mit Priorität belegt. Dies hat zur Folge, daß in den nächsten Jahren die Infrastruktur in dem Stadtteil erweitert werden kann und über das Vorhaben energetischer Sanierung Beschäftigung und Qualifizierung im Stadtteil erfolgen wird. Hierzu sind verschiedene Projekte in Planung. Ein wichtiger Schritt ist auch, in diesem Zusammenhang die Wohnbelegung anders zu regeln. Zwischenzeitlich arbeiten drei Institute in Vahrenheide, die das Geschehen aufarbeiten und Förderprogramme und Unterstützung bei Präventionsprojekten anbieten. Aus dem bisher gesagten leitet sich ein allgemeines Konzept zur Lösung solcher Konflikte ab: Druck-Ausgabe: Seite 67
Anhang "Es bleibt halt der Neid" Die Kulisse ist kinoreif. Zwischen den tiefen Hochhausschluchten Vahrenheides bietet ein kleiner Planwagen Hassan und seinen Freunden Schutz. Des nachts ist der Holzwagen schon mehrfach angesteckt worden. An diesem regnerischen Nachmittag sitzt Hassan mit Abdullah, Mahmut, Ibrabim und Osman wie jeden Tag in dem sechs Quadratmeter großen Wagen zusammen. Die Freunde rauchen - allerdings nicht die Friedenspfeife. "Das mit den Massenschlägereien hat hier in Vahrenheide vor knapp drei Wochen angefangen", berichtet Hassan. Austragungsort sind das Klingenthal und die Plauener Straße, direkt vor einem Treff der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Dort seien sich an einem Montag abend ein deutscher Jugendlicher und ein Spätaussiedler, die sich nicht riechen konnten, begegnet, erzählt der 17jährige Türke. Der junge Deutsche habe den Aussiedler zuvor beim Klauen erwischt und beim Ladenbesitzer angezeigt. "Erst haben sich nur zwei Leute aus den beiden Cliquen geprügelt. Einige von uns Türken und Kurden, die mit der Sache nichts zu tun hatten, wollten sie trennen", ergänzt sein Freund Osman. Denn die Polizei sei nicht einmal aus ihren Streifenwagen Druck-Ausgabe: Seite 70 ausgestiegen. Dadurch sei ihre Clique aber dummerweise mit in die Angelegenheit hineingezogen worden, berichtet Osman. In dem Konflikt, der mittlerweile zu wüsten Prügelorgien ausgeufert ist, ständen sie nun auf seiten der "Eingeborenen", wenn auch das Verhältnis zu den deutschen Jugendlichen in ihrem Stadtteil eigentlich nicht das beste sei. Schließlich wären sie es vermutlich gewesen, die ihren Bauwagen in Brand setzten. Die Eindringlinge haben einen Namen. Sie heißen Spätaussiedler und ihr Territorium ist vorwiegend der Sahlkamp. Von dort besuchen sie den neuen Treff der AWO in Vahrenheide. Neben Sprachkursen nur Aussiedler und Beratung für Familien bietet der Wohlfahrtsverband in dem Treff in der Plauener Straße für einige Stunden Jugendarbeit an. Eine Tischtennisplatte und einen Billardtisch gibt es dort. "Die Sache mit der Klauerei des Aussiedlers in dem Laden war eigentlich nur der Auslöser, meint dann auch der 16jährige Jens freimütig, der den jungen Rußlanddeutschen ertappt hatte. Mit seinen Freunden steht Jens nur wenige hundert Meter vom Bauwagen der türkischen Clique entfernt unter einer Unterführung. So wie an jedem Tag. "Das ist kein toller Treffpunkt, aber hier ist es wenigstens trocken", meint Karsten. "Mit der Russen-Truppe haben wir uns im AWO-Treff schon vorher immer schräg angeguckt. Rangeleien gab's wegen des Billardtisches." Schließlich sei in dem Treff nicht genügend Platz für alle. "Hätten wir unseren eigenen Raum, hätte es wohl nie den Ärger mit den Russen gegeben", meint Karsten. Es bleibe halt der Neid auf den kleinen Bauwagen der jungen Türken und die Spätaussiedler im AWO-Treff. "Das Ganze ist doch nur ein großes Eifersuchtsdrama", meint Mahmut. Quelle: Hannoversche Zeitung vom 8.3.1995. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1999 |