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Christoph Honisch:
Konzepte der Stadt Hannover zur Lösung von Konflikten im Stadtteil: Das Beispiel Vahrenheide


Druck-Ausgabe: Seite 65

Im folgenden werden Überlegungen und Konzepte der Stadt Hannover zur Lösung von Konflikten am Beispiel des Stadtteils Vahrenheide dargestellt.

Zum Entstehungszusammenhang erscheint mir wichtig, Grundsätzliches voranzustellen:

  • a) Historisch gesehen hat es immer jugendspezifische Protestformen gegeben, die auch von einzelnen und Gruppen gewaltbereit ausgetragen wurden.
  • b) Allerdings deuten Befunde von Fachkräften der Kinder- und Jugendarbeit darauf hin. daß es bei einem Teil der Kinder und Jugendlichen eine Veränderung in der Schärfe von Gewalthandlungen gibt.
  • c) In dieser Verschärfung scheint sich ein gesellschaftlicher Trend zu spiegeln, der vor Kindern und Jugendlichen nicht Halt macht.

Hierzu sind folgende Fakten von Bedeutung:

  • Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die in Familien leben, die als arm gelten müssen, hat sich im Verlauf der letzten zehn Jahre in der Alt-Bundesrepublik mehr als verdoppelt. Tendenz steigend; in Hannover lebt jeder 6. Jugendliche unter 18 Jahren von der Sozialhilfe, bei den ausländischen Jugendlichen sogar jeder dritte.
  • Ebenso ist die Zahl der Kinder und Jugendlichen, bei denen beide Elternteile ganztägig aushäusig sind, deutlich angestiegen, ohne daß komplementäre Angebote wie Kindertagesstätten bisher ausreichen.
  • Die Zuwanderung von Menschen aus unterschiedlichsten Kulturkreisen hat sich nicht etwa gleichmäßig verteilt, sondern in Gebieten preiswerten Wohnraums konzentriert und dort mit ohnedies vorhandenen sozialen Problemlagen kumuliert.
  • Wegen fehlender Ausbildungs- und Arbeitsplätzen für ausländische und deutsche junge Menschen und junge Aussiedler und damit fehlen-

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    der Perspektiven verschärfen sich die Lebensbedingungen gerade in einer besonders sensiblen Lebenssituation.

Die Lage von Jugendlichen in Vahrenheide muß, nach Ansicht von Fachkräften, nach Kriterien für soziale Brennpunkte beurteilt werden: Soziale Brennpunkte sind danach Wohngebiete, in denen Faktoren, die die Lebensbedingungen ihrer Bewohner und insbesondere die Entwicklungschancen von Kindern und Jugendlichen negativ bestimmen, gehäuft auftreten (Deutscher Städtetag).

In Vahrenheide eskalierte die Situation dadurch, daß so etwas wie Sozialneid auszumachen war bzw. ist. Deutsche und türkische Jugendliche haben sich gegen Aussiedler zusammengetan. Teilweise sind 200 teils bewaffnete junge Menschen aufeinander losgegangen.

Sozialneid, was ist das? Dazu Beispiele. Zur Integration von beispielsweise jungen Aussiedlern werden Programme aufgelegt und aus Landes- und Bundesmitteln gefördert. Träger finden sich und nehmen die Arbeit auf. Gut ausgestattete Räume, Fachkräfte, die helfen können und Freizeitangebote entwickeln, erreichen die Zielgruppen. Da kommt Neid auf bei denjenigen, die seit langem einen Treffpunkt fordern. Unter dem Titel "Es bleibt halt der Neid" erschien am 8.3.1995 ein Interview mit Jugendlichen über diesen Zusammenhang in der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung", der genau diesen Zusammenhang aufgreift (siehe Anhang). In dieser spannungsgeladenen Situation bedarf es nur eines kleinen Anlasses, und der Konflikt eskaliert. So war es auch in Vahrenheide: Ein Konflikt der sich in einem Supermarkt zwischen einem Aussiedler und deutschen Jugendlichen entlud, führte zur Mobilisierung der Gruppen, die sich dann in eine Massenschlägerei verwickelten: auf der einen Seite deutsche und türkische Jugendliche gegen Aussiedler auf der anderen Seite. Soviel zur Entstehung.

Die Reaktion der Verwaltung war prompt, ein Sofortprogramm wurde aufgelegt:

  • 1. Einrichtung eines regelmäßigen Gesprächskreises aller vor Ort in der Jugendarbeit Tätigen unter Federführung des Jugendamtes und Einbezug der Kirchen und der freien Träger.
  • 2. Einrichtung eines Kooperationsverbands der Einrichtungen für Jugendliche im Stadtteil (Jugendzentrum Sahlkamp, Jugendzentrum Camp,

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    Jugendarbeit der AWO "In der Garage", Mobile AWO-Jugendarbeit, Spielpark Holzwiesen, Jugendschutz) zur gegenseitigen zielgruppenspezifischen Abstimmung der Angebote.

  • 3. Aufstellung zweier mobiler Container zur Einrichtung zusätzlicher Treffpunkte am Spielpark Holzwiesen, vordringlich für türkische und deutsche Jugendliche aus dem Bereich Sahlkamp. Die Finanzierung erfolgte aus Mitteln der Wohnumfeldverbesserung, die Aufstellung wurde mit Hilfe gemeinnütziger Arbeiten des Stützpunktes Hölderlinstraße durchgeführt.
  • 4. Bereitstellung eines pädagogischen Angebotes für Jugendarbeit in den/ um die Container herum. Die Arbeit wurde zunächst kurzfristig durch die Verlagerung städtischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und des AWO-Jugendwerkes sichergestellt. Mittelfristig wurde eine ABM-Lösung angestrebt.
  • 5. Einbezug der Jugendlichen bereits in der Aufstellungs- und Konzeptphase (Zitat eines Jugendlichen: "Ist doch klar. daß wir die Fundamente selbst graben"), um Identifikation zu schaffen.

Die Containertreffpunkte brannten ab.

1997 wird ein Jugendtreff eingerichtet. der im Bau befindlich ist. Zwei Streetworker (ABM) haben bereits ihre Arbeit aufgenommen! Soviel zur Sofortreaktion.

Auf der Stadtentwicklungsebene erfolgte ebenfalls eine Reaktion diesen Stadtteil betreffend: Das sogenannte Hannover-Programm 2000 hat den Stadtteil Vahrenheide und Sahlkamp mit Priorität belegt. Dies hat zur Folge, daß in den nächsten Jahren die Infrastruktur in dem Stadtteil erweitert werden kann und über das Vorhaben energetischer Sanierung Beschäftigung und Qualifizierung im Stadtteil erfolgen wird. Hierzu sind verschiedene Projekte in Planung. Ein wichtiger Schritt ist auch, in diesem Zusammenhang die Wohnbelegung anders zu regeln.

Zwischenzeitlich arbeiten drei Institute in Vahrenheide, die das Geschehen aufarbeiten und Förderprogramme und Unterstützung bei Präventionsprojekten anbieten.

Aus dem bisher gesagten leitet sich ein allgemeines Konzept zur Lösung solcher Konflikte ab:

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  1. Leitlinien

    Die aktiven Fachkräfte müssen als Experten vor Ort Leitlinien zum Umgang mit solchen Phänomenen entwickeln. Dazu kann gehören, auf die Lebenswelt Einfluß zu nehmen, nicht nur zu debattieren. Ziele müssen abgestimmt definiert werden. Einzelaktivitäten verschiedener Träger müssen gemeinsamen Interessen untergeordnet werden. Dabei ist es notwendig, problemorientiert präventiv zu wirken. Bewährte Ansätze müssen weiter gefördert werden, überholte Ansätze sind unbedingt zu verwerfen. In diesem Prozeß muß Leitlinie sein, sich gegenseitig zu helfen, zu unterstützen und zu ergänzen.

  2. Weg

    Die Situation im Stadtteil muß definiert werden durch Analyse, Bestandserhebung und Bewertung der Angebote (Bewährtes versus Überholtes). Hieran muß sich anschließen, einen Handlungsrahmen festzulegen

  3. Ressourcen

    Die beteiligten Personen müssen übereinkommen darin, wer etwas übernimmt, wer gegebenenfalls umschichtet, wo Koordination angesiedelt wird, welche Man-Power vorhanden ist.

    Ohne Finanzen geht es nicht. Es muß geprüft werden. wer etwas einbringt, woher zusätzlich Mittel zu akquirieren sind. was kann gegebenenfalls aufgegeben werden, um die vorhandenen Finanzen in neue Projekte umzuschichten.

  4. Koordination

    Vorhandene Interessen von Trägern, Einrichtungen und Diensten und Institutionen sowie Fachverwaltungen müssen in Einklang gebracht werden. Praktisch muß „zwischen den Ebenen" gewandelt werden. Zentralen sind aufgefordert, vor Ort Steuerungshilfen zu ermöglichen.

  5. Inhalt

    Handlungsansätze gegen Gewalt und für Prävention in Vahrenheide können nur aus dem Stadtteil selbst entwickelt Werden. Die Lebenssi-

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    tuation von Kindern, Jugendlichen und Familien muß von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unbedingt einbezogen werden. Ebenso müssen die Bedingungen, die Konflikte im Stadtteil produzieren bzw. verschärfen, analysiert und angegangen werden.

    Prävention muß rechtzeitig ansetzen. Dies erfordert die Einbeziehung von Kitas und Schulen in Vahrenheide zwingend.

    Projekte und Programme müssen darauf angelegt sein, Selbstverantwortung und Selbstbewußtsein zu stärken.

    Methodisch müssen Programme so angelegt werden, daß es Kindern und Jugendlichen möglich wird, andere Verhaltensweisen zur Konfliktbewältigung auszuprobieren. Hierbei sind geschlechtsspezifische Ansätze zu berücksichtigen.

    Programme müssen dazu geeignet sein, auf aktuelle Gewalterscheinungen zwischen Gruppen oder einzelnen direkt aus dem Stadtteil zu reagieren. Hierfür müssen Fachkräfte entsprechend weitergebildet werden. Auf die Bedeutung von Ausbildung und Arbeit braucht in diesem Kontext nicht näher eingegangen zu werden.



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Anhang

"Es bleibt halt der Neid"

Die Kulisse ist kinoreif. Zwischen den tiefen Hochhausschluchten Vahrenheides bietet ein kleiner Planwagen Hassan und seinen Freunden Schutz. Des nachts ist der Holzwagen schon mehrfach angesteckt worden. An diesem regnerischen Nachmittag sitzt Hassan mit Abdullah, Mahmut, Ibrabim und Osman wie jeden Tag in dem sechs Quadratmeter großen Wagen zusammen. Die Freunde rauchen - allerdings nicht die Friedenspfeife.

"Das mit den Massenschlägereien hat hier in Vahrenheide vor knapp drei Wochen angefangen", berichtet Hassan. Austragungsort sind das Klingenthal und die Plauener Straße, direkt vor einem Treff der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Dort seien sich an einem Montag abend ein deutscher Jugendlicher und ein Spätaussiedler, die sich nicht riechen konnten, begegnet, erzählt der 17jährige Türke. Der junge Deutsche habe den Aussiedler zuvor beim Klauen erwischt und beim Ladenbesitzer angezeigt.

"Erst haben sich nur zwei Leute aus den beiden Cliquen geprügelt. Einige von uns Türken und Kurden, die mit der Sache nichts zu tun hatten, wollten sie trennen", ergänzt sein Freund Osman. Denn die Polizei sei nicht einmal aus ihren Streifenwagen

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ausgestiegen. Dadurch sei ihre Clique aber dummerweise mit in die Angelegenheit hineingezogen worden, berichtet Osman. In dem Konflikt, der mittlerweile zu wüsten Prügelorgien ausgeufert ist, ständen sie nun auf seiten der "Eingeborenen", wenn auch das Verhältnis zu den deutschen Jugendlichen in ihrem Stadtteil eigentlich nicht das beste sei. Schließlich wären sie es vermutlich gewesen, die ihren Bauwagen in Brand setzten.

Die Eindringlinge haben einen Namen. Sie heißen Spätaussiedler und ihr Territorium ist vorwiegend der Sahlkamp. Von dort besuchen sie den neuen Treff der AWO in Vahrenheide. Neben Sprachkursen nur Aussiedler und Beratung für Familien bietet der Wohlfahrtsverband in dem Treff in der Plauener Straße für einige Stunden Jugendarbeit an. Eine Tischtennisplatte und einen Billardtisch gibt es dort.

"Die Sache mit der Klauerei des Aussiedlers in dem Laden war eigentlich nur der Auslöser, meint dann auch der 16jährige Jens freimütig, der den jungen Rußlanddeutschen ertappt hatte. Mit seinen Freunden steht Jens nur wenige hundert Meter vom Bauwagen der türkischen Clique entfernt unter einer Unterführung. So wie an jedem Tag. "Das ist kein toller Treffpunkt, aber hier ist es wenigstens trocken", meint Karsten.

"Mit der Russen-Truppe haben wir uns im AWO-Treff schon vorher immer schräg angeguckt. Rangeleien gab's wegen des Billardtisches." Schließlich sei in dem Treff nicht genügend Platz für alle. "Hätten wir unseren eigenen Raum, hätte es wohl nie den Ärger mit den Russen gegeben", meint Karsten. Es bleibe halt der Neid auf den kleinen Bauwagen der jungen Türken und die Spätaussiedler im AWO-Treff. "Das Ganze ist doch nur ein großes Eifersuchtsdrama", meint Mahmut.

Quelle: Hannoversche Zeitung vom 8.3.1995.


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