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Wilfried Kuckelkorn:
Hat die Mitbestimmung noch Zukunft in einem vereinten Europa?


Das Thema Arbeitnehmermitbestimmung scheint in ganz Europa schon seit einiger Zeit aus der Mode gekommen zu sein. Die wirtschafts- und sozialpolitische Diskussion dreht sich um Begriffe wie internationale Wettbewerbsfähigkeit, Globalisierung oder das neue Leitprinzip des "shareholder value". Viele mögen die Mitbestimmung inzwischen für einen verzichtbaren Luxus halten, den man sich schlicht nicht mehr leisten kann.

Ich möchte hier naturgemäß eine andere Position vertreten, welche eine weitreichende Mitwirkung der Beschäftigten an betrieblichen Entscheidungen nicht nur als elementares Gebot der Demokratie betrachtet, sondern ihr in Zukunft sogar größere Bedeutung beimißt. Um diese vielleicht überraschende These näher zu begründen, möchte ich zunächst eine Art Bestandsaufnahme der Mitbestimmung in Europa wagen.

Was wurde auf diesem Gebiet bereits erreicht?

Leider fällt es schwer, die sehr unterschiedlichen nationalen Mitbestimmungsstrukturen und -traditionen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen oder sie auch nur grob einzuteilen. Das liegt vor allen Dingen an einem z.T. undurchsichtigen Nebeneinander von gewerkschaftlichen und innerbetrieblichen Mitwirkungsmöglichkeiten, die häufig nicht einmal rechtsförmig festgelegt sind und in vielen Ländern von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich gehandhabt werden.

Klar ist jedoch, daß das deutsche Betriebsverfassungsgesetz den Betriebsräten, insofern einer besteht, im internationalen Vergleich weitreichende Zustimmungsrechte im Bereich Arbeitszeit, Personalfragen und Gesundheitsschutz einräumt. Zudem können deutsche Betriebsräte ihre Aufgaben sehr "professionell" wahrnehmen, da sie häufig von ihrer normalen Arbeit vollkommen freigestellt werden. Diese Regelungen liefern zusammen mit der (fast) paritätischen Vertretung im Aufsichtsrat von Großfirmen gute Voraussetzungen für die Vertretung der Arbeitnehmerinteressen.

Da ist es sicher zu verschmerzen, wenn die Rolle der Gewerkschaften in deutschen Unternehmen geringer als bei den europäischen Nachbarn ausfällt. Ihre Zuständigkeit für Tarifverhandlungen wird überall anerkannt, jedoch sind in manchen Ländern Gewerkschaftsvertreter die eigentlichen Ansprechpartner für die Unternehmensführung auf Arbeitnehmerseite.

In besonders starkem Maße ist dies in Großbritannien der Fall, obwohl die Politik von Margret Thatcher den Einfluß der "Trade Unions" stark zurückgedrängt hat. Da aber gesetzlich keinerlei betriebsratsähnliche Gremien in den Firmen vorgesehen sind, haben die britischen Gewerkschaften in der Praxis auch ohne "closed shops" weiterhin eine wichtige Funktion. Ich kann Ihnen aus persönlicher Erfahrung versichern, daß zumindest Ford in Großbritannien als einer der größten Arbeitgeber eng mit den in den Betrieben aktiven Gewerkschaften zusammenarbeitet, obwohl die Manager dazu in keiner Weise gezwungen wären. Sie tun dies aus Einsicht in die Notwendigkeit einer Einbeziehung von Arbeitnehmervertretern in die Entscheidungsprozesse, nicht nur um Streikaktionen zu vermeiden. Ein Problem ergibt sich höchstens daraus, daß für die Beschäftigten im britischen System zu häufig hauptamtliche Gewerkschaftsfunktionäre sprechen, die in aller Regel betriebsfremd sind. Es existiert dennoch zumindest in den meisten Großbetrieben de facto so etwas wie eine Beteiligung der Arbeitnehmer, obwohl gerade manch ausländischer Investor die schwache Rechtsposition der Gewerkschaften konsequent ausgenutzt hat. Man kann aber dennoch behaupten, daß in Europa sogar große britische Unternehmen informelle Formen der Mitbestimmung zulassen und z.B. die Richtlinie über die Errichtung Europäischer Betriebsräte freiwillig umgesetzt haben, ohne daß sie für das Vereinigte Königreich bis vor kurzem überhaupt verbindlich gewesen wäre.

Es gibt also in Europa zweifelsohne eine gemeinsame soziale Tradition der Mitbestimmung, ob institutionalisiert oder formlos, ob sie sich nun in Betriebsräten oder über Gewerkschaftsvertreter vollzieht. Anderes wäre auch kaum denkbar, denn man darf die Mitbestimmung eben nicht als ein großzügiges Zugeständnis von Arbeitgebern an die Beschäftigten betrachten. Es geht dabei vielmehr um die Frage, ob in einer modernen Gesellschaft ein wesentlicher Teil, nämlich die Arbeitswelt, nach Prinzipien funktionieren darf, die nicht den Geboten der Demokratie entsprechen.

Generell bedeutet dies, daß die von einer Entscheidung unmittelbar Betroffenen auf dieselbe Einfluß nehmen können müssen.

In den Unternehmen wären die Beschäftigten ohne Mitbestimmungsgremien allzu häufig jene, die unter Beschlüssen des Managements oder der Kapitaleigner zu leiden haben, ohne vorher informiert oder konsultiert worden zu sein, geschweige denn ein Vetorecht zu haben. Eine solch passive Rolle der Arbeitnehmer, die man ansonsten als mündige Bürger apostrophiert, kann am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts nicht ernsthaft gewünscht werden. Sie deckt sich auch nicht mit all den Managementphilosophien, die das "kreative Potential" in den Mitarbeitern wecken, sie zu aktivem, selbstverantwortlichem Engagement zugunsten des Unternehmens anregen möchten. Wenn diese Eigenschaften der Beschäftigten denn Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen und entsprechend zu fördern sind, kann man dieselben Personen bei anderer Gelegenheit nicht ernstlich wie bloße Befehlsempfänger behandeln.

Intelligente Wirtschaftsführer und Politiker haben diesen Grundwiderspruch längst erkannt und sehen die Mitbestimmung eher als Chance denn als Belastung im harten Wettbewerb auf den Märkten. Dies gilt übrigens nicht nur für Europa, auch viele renommierte amerikanische und japanische Unternehmen pflegen in ihrer Heimat eine Kultur der Mitwirkung von Arbeitnehmervertretern. Eine radikale "hire and fire"-Mentalität, die Mitarbeiter lediglich als Verfügungsmasse und Kostenfaktor behandelt, war in langfristig erfolgreichen Firmen noch nie sehr verbreitet, wobei ich nicht unerwähnt lassen möchte, daß Henry Ford zweifelsohne Vorreiter des verantwortungsvollen Umgangs mit den Beschäftigten war.

In Europa ist es der Arbeiterbewegung zumindest in den meisten Ländern gelungen, ihre wohlerworbenen Rechte z.T. auch konstitutionell festschreiben zu lassen, so daß diese nicht plötzlich zur Disposition stehen, wenn die wirtschaftlichen Zeiten schwieriger werden. Wäre dies nicht der Fall, hätten wohl manche kurzsichtige Wirtschaftslobbyisten unter dem Vorwand der "Globalisierungszwänge" inzwischen den Marsch zurück in den Frühkapitalismus angetreten und bei den in Deutschland herrschenden Mehrheitsverhältnissen ihre Forderungen auch durchgesetzt.

Fortschritte bei der Weiterentwicklung von Mitbestimmungsrechten auf nationaler Ebene sind, das muß man realistisch sehen, bei der allgemeinen politischen Stimmungslage z.Zt. aber nicht zu erwarten. Um so wichtiger ist das, was auf dem Gebiet der europäischen Sozialpolitik passiert.

Hier hat es mit der Verabschiedung der schon erwähnten Richtlinie 94/45 über Europäische Betriebsräte eine Neuerung gegeben, deren Bedeutung man in Deutschland vielleicht geringschätzen mag. Schließlich geht es in diesen Gremien, die in allen gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen bestimmter Größe einzurichten sind, nur um Verfahren der Unterrichtung und Anhörung von Arbeitnehmern. Von einem echten Mitbestimmungsorgan kann also keine Rede sein, nicht einmal der Begriff "Betriebsrat" muß in der offiziellen Bezeichnung auftauchen. Dennoch hat die Richtlinie 94/45 vom 22. September 1994 bereits vieles ermöglicht, was vor einigen Jahren schwer durchzusetzen erschien, zumindest in denjenigen Unternehmen, in denen man die Umsetzung in Form einer freiwilligen Vereinbarung vollzogen hat.

Ich darf an dieser Stelle daran erinnern, daß der zugrunde liegende Rechtstext drei Wege der Errichtung eines Europäischen Betriebsrates bzw. eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen vorsieht.

Zuerst konnten Geschäftsleitung und die Vertreter der Beschäftigten noch vor dem Stichtag 22. September 1996 weitgehend autonom eine freiwillige Vereinbarung aushandeln, in der die Modalitäten der Information und Konsultation zu regeln waren. Dies ist in mehreren hundert von etwa 1.500 betroffenen Unternehmen geschehen, wobei die Ergebnisse in bezug auf die Rechte des Europäischen Betriebsrates stark variieren. Bei einigen Verhandlungen hat sich die Arbeitnehmerseite wohl ein wenig über den Tisch ziehen lassen, bei anderen ist es ihr gelungen, deutlich mehr an Mitsprache zu erhalten als von der Richtlinie als Mindestniveau verlangt wird.

Wurde die große Chance, zu einer individuell auf die Verhältnisse im Unternehmen abgestimmten freiwilligen Vereinbarung zu gelangen, vertan, schreibt die Richtlinie als zweite Möglichkeit das Verfahren des sogenannten Besonderen Verhandlungsgremiums vor. In diesem Gremium kommen die Vertreter der Niederlassungen eines Unternehmens zusammen, um mit der zentralen Geschäftsleitung über die Einrichtung eines europäischen Betriebsrates zu verhandeln. Die wenig sachgerechten Vorgaben der Richtlinie für die Zusammensetzung der Verhandlungsdelegation lassen ein schnelles Resultat unrealistisch erscheinen, nicht umsonst sieht die Richtlinie bis zu drei Jahren als Zeitraum für die Diskussionen zwischen den Vertretern der Beschäftigten und der Geschäftsleitung vor.

Sollte es dann immer noch nicht zu einer Vereinbarung gekommen sein, greift automatisch und zwingend die gesetzliche Auffangregelung ein, so wie sie im nationalen Transpositionsgesetz desjenigen Landes festgelegt ist, in dem sich die zentrale Leitung des jeweiligen Unternehmens in Europa befindet.

Da das Verfahren des Besonderen Verhandlungsgremiums so überaus schwerfällig gestaltet wurde, wird der Europäische Betriebsrat qua Gesetz eher die Regel denn die Ausnahme sein.

Nun haben die zuständigen Ministerien bei der Ausarbeitung der Vorlagen für die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht zumeist die ihnen vertrauten Institutionen und Prozesse nachgebildet, die sich im jeweiligen Land entwickelt haben. Dies hat zur Folge, daß etwa ab dem Jahr 2000 sehr verschiedene Formen von Europäischen Betriebsräten existieren werden, die z.T. nicht einmal so heißen und bei denen durchaus auch ein Unternehmensvertreter den Vorsitz innehaben kann, so wie es z.B. der französischen Tradition der "Comités d´entreprise" entspricht.

Auch der Richtlinie 94/45 wird es also nicht gelingen, die Interessenvertretungsstrukturen im Bereich der Arbeitnehmerrechte europaweit wirklich zu vereinheitlichen. Darauf kommt es aber auch gar nicht so sehr an. Wichtiger ist vielmehr, daß die Arbeitnehmervertreter die Europäischen Betriebsräte dazu nutzen, ihre Positionen zu transnationalen Fragen im Unternehmen zu koordinieren.

Darin liegt die Chance, die sich den Beschäftigten in den verschiedenen Standorten solcher Firmen nun bietet, nämlich nicht mehr so einfach gegeneinander ausgespielt werden zu können. Durch ein informell abgestimmtes, wirklich solidarisches Verhalten auf Arbeitnehmerseite läßt sich mancher Unsinn verhindern, der in Großunternehmen immer wieder diskutiert wird:

Die häufig kurzsichtigen Rationalisierungs- und Verlagerungspläne, vielleicht auch der systematische Ausbau von Überkapazitäten, der die Betriebe letztlich erpreßbar macht, weil die Drohung der Werksschließung so glaubhaft wird. Wer die Realität in multinationalen Unternehmen kennt, der weiß, daß zur Durchsetzung solcher Vorhaben seitens des Managements mit allerlei Tricks hantiert wird, da stimmen weder die vorgelegten Kostenrechnungen noch Absatzprognosen und schon gar nicht die berühmten konzerninternen Verrechnungspreise.

Vor diesem Hintergrund ist die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen in der modernen Wirtschaft wahrlich ein hartes Geschäft, auch die mit guten Voraussetzungen arbeitenden deutschen Betriebsräte können häufig wenig ausrichten, wenn ihnen die Informationen über die internationalen Praktiken ihrer Geschäftsleitung fehlen.

Die intensive grenzübergreifende Zusammenarbeit der Betriebsräte ist schon jetzt dringend angezeigt und wird in Zukunft erst recht völlig unabdingbar sein. Damit hängt das Schicksal der Mitbestimmung wesentlich von der Frage ab, ob es den Arbeitnehmern gelingt, die Basis für eine solch enge Kooperation herzustellen, wie sie auf der Kapitalseite schon länger existiert.

Die institutionelle Grundlage dafür kann ein Europäischer Betriebsrat sein, selbst wenn er über keine originären Mitbestimmungsrechte verfügt. Diese Einrichtung dann "mit Leben zu erfüllen", sie zu gemeinsamem Engagement für die Beschäftigten zu nutzen, obliegt dann den in sie entsandten Arbeitnehmervertretern. Diese haben den Auftrag, die sprachlichen und kulturellen Hindernisse bei der internen Abstimmung durch persönlichen Einsatz zu überwinden, was sicher eine völlig neue Form der Betriebsratsarbeit darstellt. Nur wenn diese Anpassung der Betriebsratsarbeit an die neuen Erfordernisse in international agierenden Unternehmen gelingt, wird so etwas wie Mitbestimmung - ob de jure oder de facto - im 21. Jahrhundert fortbestehen können.

Ich möchte meine Ausführungen zu diesem Thema nicht abschließen ohne anzumerken, daß die Europäisierung der Betriebsräte im Zeitalter der Globalisierung natürlich nur ein erster Schritt sein kann. Die große Aufgabe, die noch vor uns liegt, lautet Organisation einer weltweiten Interessenvertretung innerhalb multinationaler Unternehmen, aber auch darüber hinaus für ganze Branchen, wie etwa den Automobilbau inkl. Zulieferindustrie. Dies scheint mir die einzige Lösung für das Problem des gnadenlosen, z.T. wahnwitzigen Wettbewerbs, der letztendlich immer zu Lasten der Beschäftigten geht.

Wenn jetzt etwa koreanische Automobilhersteller in große Schwierigkeiten geraten, nachdem sie jahrelang in gewaltige Überkapazitäten investiert haben, mag mancher in anderen Ländern zunächst Schadenfreude empfinden. Bei näherer Betrachtung der Situation kommt man aber zu dem Schluß, daß dieser Irrsinn leicht auch in Europa und USA zu Werksschließungen aufgrund verschärfter Kostenkonkurrenz hätte führen können. Und das gleiche Spiel wird - wenn auch weniger aggressiv und betriebswirtschaftlich unverantwortlich - von anderen Unternehmen der Branche gespielt, die meinen, auf allen sogenannten Zukunftsmärkten mit eigenen Fertigungsstätten vertreten sein zu müssen, auch wenn die Absatzmengen auf Jahrzehnte weit hinter den installierten Produktionskapazitäten zurückbleiben werden.

Diese irrationalen Auswüchse eines globalen Verdrängungswettbewerbs - um nicht zu sagen eines wieder wild gewordenen Kapitalismus - sind wahrscheinlich nur zu stoppen, wenn sich die Arbeitnehmer ein Mitspracherecht bei solchen Unternehmensentscheidungen erkämpfen. Dies mag utopisch klingen, muß aber die eigentliche Zukunftsperspektive der gewerkschaftlichen und betrieblichen Arbeitnehmervertretung sein, nämlich auf der Ebene und in den Bereichen mitzureden, wo die wesentlichen Beschlüsse gefaßt werden. Hier kann man wiederum von einer neuen Qualität der Verhältnisse sprechen, die wir in der wirtschaftlichen Realität antreffen und die wir infolgedessen auch in unserer Arbeit erreichen müssen.

Es geht darum, für Nichtkapitalbesitzer ein Stück des Einflusses zurückzugewinnen, der der demokratischen kontrollierten Politik in den westlichen Ländern zur Zeit offenbar verlorengeht. Die Macht der ominösen Märkte und die dahinterstehenden Interessen dürfen nicht alleine die sozioökonomische Entwicklung bestimmen. Wo, wenn nicht in den multinationalen Unternehmen selbst, den Hauptakteuren der Globalisierung, soll sich eine wirksame Gegenkraft formieren, welche die berechtigten Interessen der Menschen in den Vordergrund stellt und ungezügeltes Profitstreben durch abgestimmtes Verhalten bremst?

Vielen Regierungen scheint die Gemeinwohlorientierung doch mittlerweile völlig abhanden gekommen, der reale oder eingebildete Standortwettbewerb bildet längst die oberste Richtlinie der Politik. Man läßt sich bereitwillig Steuersätze diktieren, einen sozialen Abwertungswettlauf aufzwingen, statt koordiniert den staatlichen Handlungsspielraum für eine vernünftige und gerechte Gestaltung der gesellschaftlichen Realität zu erhalten.

Die Europäische Union bietet zwar Ansätze dazu, hat aber viel zu spät auf die Veränderungen im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert reagiert, etwa auf die illoyale und desaströse Steuerkonkurrenz oder die ständig steigende Belastung des immobilen Faktors Arbeit. Aber vielleicht sind die plötzlichen Bemühungen um den Erhalt des europäischen Sozialmodells als Gegenentwurf zum amerikanischen bereits vergebens, denn der eindimensionale Neoliberalismus feiert weiter Triumphe, und das Motto lautet generell: Ein Königreich für eine Direktinvestition.

In dieser Situation der Verlagerung gesellschaftlicher Macht von der Politik zur Wirtschaft gewinnt die Frage der Arbeitnehmermitbestimmung ungeahnte Bedeutung. Durch politische Rahmensetzung ist eine angemessene Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten am ökonomischen Fortschritt längst nicht mehr gesichert. Wer heute noch soziale Gerechtigkeit fordert, dem wird ja regelmäßig ein Neidkomplex wie eine Art Geisteskrankheit attestiert, obwohl doch die wachsende Ungleichheit eine enorme Gefahr für die Demokratie darstellt.

Wenn die Politik aber auf allen Ebenen versagt, werden die Arbeitnehmer direkt in den Betrieben ihre Rechte verstärkt einfordern müssen. Insofern sehe ich zur Mitbestimmung mit gesetzlich vorgeschriebenen Strukturen oder auch informell aufgrund erkämpfter Zugeständnisse der Arbeitgeber überhaupt keine Alternative. Sie ist - und wird es immer mehr - elementares Gerechtigkeitserfordernis in zivilisierten Gesellschaften. Wer diese Errungenschaft für überflüssig hält, die Mitarbeiter dafür mit ein paar Belegschaftsaktien vertrösten möchte, verkennt den unmittelbaren Zusammenhang der Mitbestimmung mit dem demokratischen Prinzip.

Um die Ausgangsfrage des Beitrages abschließend zu beantworten:

Ja, die Mitbestimmung hat noch Zukunft in Europa und der Welt, solange elementare Verfassungsgrundsätze sozialer Rechtsstaaten nicht einer neoliberalen Standortdogmatik geopfert werden. Und der Tag, an dem dies geschieht, ist trotz der Forderungen eines Herrn Henkel hoffentlich noch fern.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 1999

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