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Ursula Engelen-Kefer
25 Jahre Betriebsverfassungsgesetz und die Zukunft der betrieblichen Mitbestimmung


Das 25jährige Jubiläum des Betriebsverfassungsgesetzes ist nicht ohne Wermutstropfen zu begehen.

Nachdem fast alle anderen Vorschläge eines Abbaus des Arbeits- und Sozialrechts aus dem berühmt-berüchtigten Papier von Lambsdorff aus dem Jahr 1981 umgesetzt sind, ist auch das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) in die Schußlinie der Deregulierer geraten. Dabei ist schwer zu sagen, ob sich der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Lambsdorff im Jahre 1982 einen solch beschämenden Erfolg seiner Deregulierungs-lnitiative zum Sozialabbau versprochen hat. Lambsdorffs "Konzept einer Politik zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit" hat genau das Gegenteil bewirkt: einen Anstieg der Massenarbeitslosigkeit allein im Westen um 75%.

Die Unternehmensgewinne sind beträchtlich gestiegen; die Nettorealeinkommen stagnieren oder sind sogar rückläufig. Wir haben einen Rekord an Langzeitarbeitslosigkeit und Sozialhilfebedürftigkeit. Die sozialen Spannungen nehmen zu.

Die zunehmende soziale Spaltung unserer Gesellschaft ist mit Verdrossenheit der Bürger mit der Politik und vor allem den Politikern verbunden.

Es ist deswegen dringender als je zuvor, die Wende dieser "Wendepolitik" endlich einzuleiten. Höchste Priorität muß dabei die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Förderung der Beschäftigung haben.

Dabei kommt auch dem Arbeitsrecht - und hier insbesondere der betrieblichen Mitbestimmung - eine wichtige Bedeutung zu: Es ist wenig hilfreich, Informationsgesellschaft und Globalisierung als Deregulierungshammer gegen die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften einzusetzen. Wir brauchen vielmehr eine Anpassung auch des kollektiven Arbeitsrechtes an die Strukturveränderungen auf nationaler, europäischer und darüber hinausgehend auf internationaler Ebene. Dabei werden wir als Gewerkschaften im Interesse der Arbeitnehmer konstruktiv mitwirken.

Auch vor mehr als 25 Jahren bestand die Notwendigkeit, das damals existierende Betriebsverfassungsgesetz 1952 einer grundlegenden Erneuerung zu unterziehen.

So war das Betriebsverfassungsgesetz 1972 gegenüber seinem damals 20 Jahre alten Vorgänger doch ein bemerkenswerter Fortschritt - als Ausdruck der Reformpolitik der sozialliberalen Koalition -, wenn auch in den Grenzen, die der kleine Koalitionspartner der FDP den Sozialdemokraten zog. Alle damaligen Fraktionen des Bundestages, die CDU, die SPD und die FDP, hatten schon in Zeiten der Großen Koalition Gesetzentwürfe eingebracht, die aber nicht zu Ende gebracht wurden. Erst unter der Regierung des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt und der sozialliberalen Koalition wurde der Regelungsbedarf wieder aufgegriffen. In sage und schreibe 23 Sitzungen hat sich der Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung mit den verschiedenen Gesetzentwürfen befaßt. Es wurden vier öffentliche Informationssitzungen durchgeführt. 137 Sachverständige aus den verschiedensten Kreisen, auch der Kirchen, der Presse, der Wohlfahrt, Kunst und Wissenschaft wurden gehört: Aber natürlich auch Betriebsratsmitglieder, Arbeitgeber und Personalleiter.

Hierzu ein kurzer Vergleich mit der Gegenwart:

Zum Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz gab es lediglich eine einzige Anhörung mit insgesamt ca. sechs Sachverständigen. Dabei ging es nicht nur um eine Absenkung der Entgeltfortzahlung auf 80%, sondern auch um eine ganz deutliche Verschlechterung des Kündigungsschutzes. Die Änderung des §113 Betriebsverfassungsgesetz wurde ohne jegliche Anhörung und Diskussion vom Bundestag beschlossen, da es sich um kurzfristige Koalitionsänderungsanträge handelte.

Für mich kann ich aus diesem Vorgehen nur den Schluß ziehen: Es ging gar nicht um eine sachgerechte Lösung von möglichen tatsächlich bestehenden Problemen - vielmehr wurde einseitig das "Geschäft" für die Arbeitgeber betrieben - unter gravierender Beeinträchtigung wesentlicher demokratischer Verfahren.

Wir wissen: Der Kampf um die Betriebsverfassung war immer ein harter Kampf. Lassen Sie mich deshalb kurz auf die geschichtliche Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg eingehen:

Nach 1945 wurde eine zurückhaltende Wiederherstellung der Betriebsverfassung durch das Besatzungsrecht möglich. Ihr folgten in den Ländern Gesetze. Erst 1952, nachdem die Gewerkschaften im Jahre 1951 die Montanmitbestimmung mit Hilfe einer Streikdrohung gesichert hatten, wurde das Betriebsverfassungsgesetz verabschiedet.

Was waren die hauptsächlichen Probleme?

  • Das Gesetz beschränkte sich auf die gewerbliche Wirtschaft und klammerte den Bereich des öffentlichen Dienstes aus.
  • Das Gesetz trennte die Betriebsräte und die Gewerkschaften.
  • Letztere konnten noch nicht einmal einen eigenen Wahlvorschlag einreichen und ihr Zutrittsrecht zum Betrieb blieb zweifelhaft.
  • Außerdem wurde die ganze Betriebsratstätigkeit dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber unterstellt.
  • Die Mitbestimmung war praktisch auf die sozialen Angelegenheiten beschränkt.
  • Bei Kündigung bestand nur ein Anhörungsrecht, bei Betriebsänderungen bestenfalls eine Milderung der sozialen Auswirkungen durch Gewährung einer Abfindung an die Entlassenen.

Dagegen brachte das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 eine erweiterte Mitbestimmung im Betrieb durch § 87 BetrVG.

Dies bedeutet:

  • Mitbestimmung bei der Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage,
  • Mitbestimmung bei der vorübergehenden Verkürzung und Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit,
  • Mitbestimmung bei der Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze und des Urlaubsplans sowie die Festsetzung der zeitlichen Lage des Urlaubs für einzelne Arbeitnehmer,
  • Mitbestimmung bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die geeignet sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen,
  • Mitbestimmung bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz,
  • Mitbestimmung bei der Frage der betrieblichen Lohngestaltung und der Festsetzung der Akkord- und Prämiensätze sowie vergleichbare leistungsbezogener Entgelte, um nur einige Bereiche zu benennen.

Auch im Bereich der personellen Angelegenheiten wurde die Mitbestimmung ausgebaut durch die Unterrichtung im Planungsstadium, bei der Ausschreibung von Arbeitsplätzen und bei der Aufstellung von Personalfragebogen, Beurteilungsgrundsätzen und Auswahlrichtlinien. Auch bei beabsichtigten Kündigungen wurden die Rechte des Betriebsrats gestärkt und die Widerspruchsgründe erweitert sowie die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit unter der Voraussetzung des §102 Abs. 5 BetrVG vorgesehen. Der Wirtschaftsausschuß wurde als echter Ausschuß des Betriebsrates konzipiert, aber auch die Rechte der einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wurden ausgebaut im Hinblick auf Unterrichtung, Anhörung und Beschwerdemöglichkeiten. Die Stellung der Gewerkschaften im Betrieb wurde gestärkt, weil die Übernahme von tariflichen Regelungen durch Betriebsvereinbarungen ausgeschlossen wurde (§ 77 BetrVG). Außerdem erhielten die Gewerkschaften das Zutrittsrecht zum Betrieb zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben und Befugnisse nach dem Betriebsverfassungsgesetz und ihr Initiativrecht bei der Bildung von Betriebsräten wurde vorgesehen. Auch die Ahndungsmöglichkeiten durch die Gewerkschaften bei groben Verstößen durch den Arbeitgeber sowie ein eigenständiges Strafantragsrecht wurde geregelt.

In den 25 Jahren praktischen Umgangs mit dem Betriebsverfassungsgesetz 1972 läßt sich sicherlich sagen:

Die Stellung der Beschäftigten in den Betrieben und Verwaltungen wäre wesentlich schlechter, wenn es die Möglichkeiten des Betriebsverfassungsgesetzes nicht geben würde. Zugleich müssen wir aber auch auf Schritt und Tritt feststellen, daß die derzeit existierenden Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes bei weitem nicht ausreichen, um die täglichen Anforderungen interessengerecht angehen zu können.

Damit sind wir bei der zentralen Frage, welche grundlegenden Änderungen in der Arbeitswelt eingetreten sind, die eine Umgestaltung notwendig machen und in welcher Form und Richtung eine derartige Anpassung erfolgen soll.

Globalisierung und Informationsgesellschaft, aber auch die sich verändernden Interessen der Arbeitnehmer haben erhebliche Auswirkungen auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, z.B.:

  • die Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen,
  • Outsourcing von Tätigkeiten, Betrieben und Betriebsteilen,
  • die Zusammenarbeit mit anderen Firmen durch Gemeinschaftsunternehmen, mit Hilfe von Werkverträgen oder Dienstleistungsverträgen,
  • die Abhängigkeit von Zulieferern,
  • die Zusammenarbeit mit abhängigen Einpersonen-GmbHs,
  • die Zunahme von Heimarbeit und mobiler Telearbeit.

Die Folgen für die Arbeitnehmer reichen von Arbeitgeberwechseln bis zum Schrumpfen von Belegschaften, sei es durch Abspaltung von Unternehmensteilen oder sogenanntem reinen Personalabbau im Rahmen der Verschlankungskonzepte der Unternehmen. Andere Arbeitnehmer wiederum befinden sich in ihrem alten Tätigkeitsfeld, bekommen aber neue und mehr selbständige Aufgaben übertragen.

Das mag für manche Beschäftigte durchaus ein Anreiz und auch eine willkommene Veränderung sein. Wenn dies jedoch verbunden ist mit einem neuen gesellschaftsrechtlichen Status, z.B. einer Einpersonen-GmbH oder mit Vorgaben der zu erreichenden Umsätze, so ist die alte Form der Abhängigkeit lediglich durch eine neue ersetzt worden, d.h. die wirtschaftliche Abhängigkeit wird auf andere Weise und deutlicher spürbar. Belegschaften erleben eine Veränderung ihrer Zusammensetzung, indem vermehrt Fremdfirmenbeschäftigte oder auch Leiharbeitnehmer im Betrieb tätig sind - und zunehmend auf Heimarbeit und mobile Telearbeit zurückgegriffen wird.

Der Druck auf die Einkommens- und Arbeitsbedingungen nimmt zu. Vertrauen und Solidarität der Arbeitnehmer in den Unternehmen werden erschwert, werden durch Drohungen mit Verlagerungen oftmals weiter untergraben.

Parallel zu diesen mehr gesellschaftsrechtlichen und personalpolitischen Umstrukturierungsmaßnahmen verlaufen heute ganzheitliche Rationalisierungsstrategien wie lean-production und reengineering. Neue berufliche Qualifikationen werden für die Beschäftigten wichtiger denn je. Soziale Kompetenzen und Teamverantwortung bekommen in der Zusammenarbeit in Projekten oder Gruppen eine viel stärkere Bedeutung als je zuvor. Vielfach erfolgt die Zusammenarbeit mit Externen, teilweise auch zeitlich befristet und projektbezogen - wie z.B. bei den neuen Arbeitsformen in der Informationsgesellschaft. Die herkömmliche Bezahlung der Leistungen nach Stückzahl erübrigt sich mehr und mehr.

Innovationsfähigkeit und Eigeninitiative zur Fortentwicklung von Produkten und Dienstleistungen sowie Erschließung neuer Märkte mit neuen Angebotspaletten werden vermehrt gefordert. Die scheinbare Eigenständigkeit in der Bewältigung dieser Arbeit - allein oder in einer Gruppe - im Rahmen von engbemessenen Budgets und inhaltlichen Vorgaben bewirken eine stärkere Selbstverantwortung.

Die Kehrseite der Medaille besteht bei diesen Tätigkeiten in der Gefahr der Selbstausbeutung und des Gruppendrucks, erhöhtem Streß und mehr Konkurrenz. Insbesondere dann, wenn die Entlohnungsformen nicht modernisiert werden und den neuen Anforderungen auch für leistungsbezogene Vergütung angepaßt werden, droht eine deutliche Verschlechterung.

Aber noch ein weiterer Gesichtspunkt spielt bei der Frage der Änderungen der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen eine Rolle.

Wie schon zuvor ausgeführt, orientierte sich das Deregulierungskonzept von Lambsdorff an Vorstellungen, die von einer völligen Flexibilisierung der Arbeitsbeziehungen ausgehen. Ausdruck einer solchen flexiblen Arbeitsbeziehung ist der unmündige, in hierarchische Strukturen eingebundene und dem Willen des Unternehmens völlig ausgelieferte Arbeitnehmer. Diese Politik der "liberalen Flexibilität" führt dazu, daß der alte soziale Kompromiß in einem unterschiedlichen Ausmaß und auch in verschiedenen Formen aufgekündigt wurde und wird.

Sehr früh mußten jedoch gerade auch große deutsche Unternehmen feststellen, daß diese Wirtschaftspolitik in eine Sackgasse führt. Gerade aufgrund des stärkeren Konkurrenzkampfes auf den nationalen und internationalen Märkten erkannten zahlreiche Unternehmen, daß eine größere verantwortliche Autonomie der Arbeitnehmer zu einem überlegenen Organisationsprinzip und damit auch zu einem Wettbewerbsvorsprung führen kann. Dieses gilt vor allem dann, wenn die Einführung von neuen Technologien oder Managementmethoden die geistigen Fähigkeiten der Arbeitnehmer und deren bereitwillige Kooperation mit Management und Ingenieuren erfordert.

Anders ausgedrückt: Nur motivierte und qualifizierte Arbeitnehmer und betriebliche Interessenvertretungen sind ein Garant für eine hohe Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und damit u.a. auch für die Schaffung von Arbeitsplätzen.

Damit läßt sich zum Thema eindeutig feststellen, daß Mitbestimmung und Beteiligung als Innovationsressource anzusehen sind. Ja, es ist sogar noch weitergehend festzuhalten, daß die Mitbestimmung im weitesten Sinne eine Grundbedingung auch für die Weiterentwicklung unseres Sozialstaates ist. Um dieses jedoch sicherstellen zu können, bedarf es einer grundlegenden Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes.

Ein zentraler Punkt in der Reformdiskussion ist der Betriebsbegriff des Betriebsverfassungsgesetzes.

Wir müssen feststellen, daß sich durch die Dezentralisierung von Verantwortung und dem ständigen Umstrukturierungsprozeß im Unternehmensbereich der Betriebsbegriff des Betriebsverfassungsgesetzes als regelrechter Hemmschuh erweist. Dadurch werden die Strukturen des Betriebsrats geschwächt und zersplittert.

Das Betriebsverfassungsgesetz unterstellt, daß große Unternehmen auch Großbetriebe haben, in denen Betriebsräte u.a. durch Größe, Freistellungsanspruch usw. in der Lage sind, der professionellen Betriebsführung auch gleichgewichtig entgegenzutreten. Umgekehrt unterstellt es, daß Kleinbetriebe mittelständischen Unternehmen gehören und deshalb keine professionell arbeitenden Betriebsräte brauchen, weil die meisten Probleme auf persönlicher Ebene geregelt werden können.

Zusätzlich ist hier zu berücksichtigen, daß gesetzliche und tarifliche Rechte (Sozialplanpflicht, Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen, Wirtschaftsausschuß usw.) an das Überschreiten von Betriebsgrößen gebunden sind, weil Kleinbetrieben im Sinne der derzeitigen Logik des Betriebsverfassungsgesetzes dieses im Gegensatz zu Großunternehmen nicht zuzumuten sei. Mit der Realität hat dieses nichts mehr zu tun. Es wird deutlich, daß sich der Betriebsbegriff nicht mehr an der Organisationsform des Arbeitgebers orientieren kann. Entscheidend muß vielmehr die Zusammenarbeit der Beschäftigten im Betrieb sein, wobei es nicht darauf ankommt, in welcher vertraglichen Beziehung diese Beschäftigten zu dem Betrieb stehen.

Wie wir alle aus eigener Erfahrung wissen, wird jetzt auf der Basis des Betriebsverfassungsgesetzes danach entschieden, ob eine einheitliche Leitung eines Gemeinschaftsbetriebes vorliegt. Mit dieser Begriffsdefinition kann jedoch auf die veränderten Organisationsformen des Arbeitgebers von Seiten der gesetzlich vorgegebenen Betriebsratsstrukturen nicht oder nur sehr schwer reagiert werden.

Demgegenüber können Leiharbeitnehmer und Fremdfirmenbeschäftigte dann miteinbezogen werden, wenn bei der Frage des Betriebsbegriffs auf die Zusammenarbeit der Beschäftigten im Betrieb abgestellt wird. Ebenfalls können auch räumlich entfernt Tätige miteinbezogen werden, mit denen eine enge Zusammenarbeit stattfindet. Auf das räumliche Moment darf es letztendlich nicht mehr so entscheidend ankommen - wie die Kommunikationsmöglichkeiten im Rahmen des "lnternet" uns deutlich vor Augen führen.

Weiterhin wird von unserer Seite aus die Neufassung des § 3 BetrVG gefordert, um durch eine flexible Handhabung des Betriebsbegriffs eine erweiterte Zuordnung in Tarifverträgen und damit eine bessere Anpassung von Betriebsratsstrukturen zu gewährleisten. Wir müssen z.Zt. feststellen, daß wegen der engen Handhabung des Genehmigungsverfahrens durch das Bundesarbeitsministerium nur solche Tarifverträge genehmigt werden, bei denen nachgewiesen wird, daß eine einheitliche Leitung eines Gemeinschaftsbetriebes vorliegt. Dieses führt dazu, daß nicht wenige Tarifverträge, zum Teil sogar Betriebsvereinbarungen, existieren, die veränderte Betriebsratsstrukturen festschreiben - jedoch unter Ausschaltung des gesetzlich vorgeschriebenen Genehmigungsverfahrens. Wichtig ist eine erweiterte Zuordnungsmöglichkeit, auch von eigenständigen Betrieben, in Tarifverträgen über die bereits jetzt bestehenden Möglichkeiten hinaus. Dadurch könnte noch stärker als bisher die Tarifpolitik den Schutz der Arbeitnehmerinteressen bei Umstrukturierungen wahrnehmen und die Einrichtung von Betriebsräten erleichtern.

U.E. müßte dieses verbunden werden mit einer Vereinfachung des Wahlverfahrens, das sich nicht nur auf Kleinbetriebe bezieht. Von unserer Seite aus muß immer wieder festgestellt werden, daß das derzeitige komplizierte Wahlverfahren für Betriebsräte viele Arbeitnehmer abschreckt, in ihren Betrieben Betriebsräte zu wählen. Wenn von einer Verbürokratisierung gesprochen wird, so trifft dieses insbesondere auf das Wahlverfahren zu. Hier ist dringender Handlungsbedarf gegeben.

Ein weiterer zentraler Punkt im Rahmen einer Novellierungsdebatte ist der Arbeitnehmerbegriff des Betriebsverfassungsgesetzes. Angesichts dessen, daß eine zunehmende Beschäftigung im Rahmen von Dienstleistungs- und Werkverträgen zu verzeichnen ist, z.B. als Propagandistin, Verkaufsfahrer, Franchisenehmer sowie als freie Mitarbeiter, muß der Begriff des Arbeitnehmers in dem BetrVG erweitert und den tatsächlichen Entwicklungen Rechnung getragen werden. Bei zunehmender Eigenverantwortung für die eigene Tätigkeit mit der Möglichkeit, z.B. Arbeitsabläufe stärker als bisher selbst zu bestimmen, wird die Tätigkeit für andere weitgehend unabhängig von direkter Weisungsgebundenheit ausgeübt.

Dennoch bestehende wirtschaftliche Abhängigkeit muß auch bei der notwendigen Reform Berücksichtigung finden. Dabei ist u.E. nach die wirtschaftliche Abhängigkeit mit zu berücksichtigen, um sicherzustellen, daß auch arbeitnehmerähnlich Tätige und ökonomisch abhängige Selbständige dem Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes unterstehen.

Ein weiterer Bereich, der einer dringenden Novellierung unterzogen werden muß, ist der Zuständigkeitskatalog des Betriebsrates in Mitbestimmungsfragen. In Anbetracht der heutigen Anforderungen an die Betriebsratsarbeit sowie ihre Inhalte ist es dringend erforderlich, daß eine Allzuständigkeit des Betriebsrats in allen sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten gegeben ist, soweit nicht eine gesetzliche oder tarifliche Regelung besteht. Nur so ist es möglich, die Interessenlage der Beschäftigten optimal zu vertreten, wenn es u.a. um die Arbeitsbedingungen, Rationalisierungsmaßnahmen, Arbeitsverdichtung, Personalabbau und Kündigungen geht. Gerade im Hinblick auf die von Unternehmerseite aufgefahrenen ganzheitlichen Rationalisierungsstrategien, wie ich sie von den Auswirkungen her zuvor beschrieben habe, ist es des weiteren erforderlich; die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats, bezogen auf die Planung von Kommunikationsprozessen von Beschäftigten, zu erweitern. Angesichts der mittlerweile alltäglich anzutreffenden Gruppenarbeit und -prozesse ist es erforderlich, das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Ein- und Durchführung von Formen der Zusammenarbeit und sonstigen Zusammenkünften von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu verankern.

Die Ideen von unserer Seite aus gehen zum Teil so weit, daß auch die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei jederzeitiger Rückholbarkeit auf Gruppen delegiert werden können.

Ein weiterer zentraler Bereich ist die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Die Reformvorschläge sehen hier u.a. ein Initiativrecht des Betriebsrats zur Beschäftigungssicherung vor. Damit könnte der Betriebsrat im Rahmen von tarifvertraglichen Regelungen Vorschläge unterbreiten, z.B. zur Errichtung von Beschäftigungsgesellschaften, zur Qualifizierung bestimmter Beschäftigter, zur Änderung der Arbeitsorganisation oder zur Einführung von Bedingungen, mit denen z.B. ausgelagerte Tätigkeiten zurück in den Betrieb geholt werden.

Dieses wäre zu flankieren durch ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats im Bereich der Personalplanung, die mit einem Initiativrecht zu versehen wäre.

Die Konzepte der Arbeitgeber zur Verbesserung der sogenannten Unternehmenskultur beinhalten Beteiligungsangebote an die Beschäftigten selbst und greifen teilweise Bedürfnisse nach ganzheitlichen Arbeitsfeldern und persönlichen Weiterentwicklungsmöglichkeiten sowie den Wunsch nach Neuorientierung auf. Diese Chancen sind natürlich verlockend. Die Risiken bestehen darin, daß die Frage des eigenen Handlungsspielraumes und entsprechender Optionen meist nicht geklärt sind. Deshalb müssen die Vorschlags- und Beschwerderechte, das Recht auf freie Meinungsäußerung und zur Leistungsverweigerung für Beschäftigte ebenfalls ausgebaut werden.

Mit den vorliegenden Bereichen habe ich versucht, wesentliche Novellierungspunkte aus dem Bereich der betrieblichen Mitbestimmung aufzugreifen.

Wir Gewerkschaftler sind uns darüber im Klaren, daß das Arbeitsrecht und in diesem Bereich gerade auch das Betriebsverfassungsgesetz einer dringenden Veränderung im Rahmen einer aktiven Beschäftigungspolitik und einer Anpassung der individuellen und kollektiven Arbeitnehmerrechte bedarf.

Wir sind uns aber auch dessen bewußt, daß dieses nur dann gelingen kann, wenn es in Bonn zu einer Wende der "Wendepolitik" in dem Sinne kommt, daß Arbeitnehmer und ihre Interessenvertretungen wieder ernst genommen werden und ihre berechtigten Anliegen und Forderungen Einfluß auf die politische Gestaltung unserer Gesellschaft nehmen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 1999

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