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TEILDOKUMENT:
Cornelia Girndt
Modernisierung ist kein Begriff, den diese Betriebsräte kampflos McKinsey überlassen. Co-Management ist für sie kein Schimpfwort. Sie haben eigene Wettbewerbskonzepte entwickelt und alternative Modernisierungspfade gebahnt. Und sie haben "die andere Seite", das Management, in harter Überzeugungsarbeit für diese kooperativen Modernisierungsstrategien gewonnen. [ Fn1: Siehe dazu auch: Anwälte, Problemlöser, Modernisierer - Betriebsratsreportagen von Cornelia Girndt. Mit einer kommentierenden Einführung von Prof. Wolfgang Streeck, hrsg. von Norbert Kluge und Martin Spilker, 118 Seiten, 1997, Verlag Bertelsmann Stiftung.]
"Wer sich nicht bewegt ..."
Harald Schock, ein gelernter Papiermaschinengehilfe, Manfred Horn, ein schwäbischer Maschinenbauer oder Horst Knigge, der die Projektleitung für die Unternehmensreorganisation in die Hand nahm - sie alle stehen beispielhaft für nicht wenige Betriebsräte in dieser Republik, die in "ihren" Unternehmen zu Motoren nicht nur der Arbeits-, sondern der Unternehmensreorganisation geworden sind und dabei den Wandel zu einer Beteiligungskultur kräftig angeschoben haben. Im Zuge härteren Wettbewerbs in chaotischeren, sich globalisierenden Märkten, in denen angestammte und eingespielte Beziehungen instabil wurden oder gar verloren gingen, vertreten diese Betriebsräte offensiv die Interessen ihrer Belegschaften im Wettbewerb. Sie streiten mit erheblichem Ideenreichtum wider die Erosion von Arbeitsplätzen und versuchen dabei, die aktuellen Managementstrategien und Flexibilitätsanforderungen für eine Vorwärtsstrategie zu nutzen. Warum Komplettbearbeitung oder Human-Resource-Strategien nicht dahin wenden, daß Mitarbeiter/innen nicht nur produktiver arbeiten, sondern auch mehr von ihrem Arbeitsleben haben, als bloße ausführende Organe zu sein? Warum nicht selbstverantwortlicher und zeitflexibler produzieren im Austausch gegen eine bestmögliche Sicherung der Arbeitsplätze? Mit Emphase vertreten viele dieser Betriebsräte die Idee hin zu einer Beteiligungskultur; diese müssen sie glaubwürdig auch in ihrer Betriebsratsarbeit und gegenüber der Belegschaft praktizieren. Harald Schock ist Betriebsratsvorsitzender in einem der größten deutschen Familienunternehmen: die Felix Schoeller GmbH und Co. KG produziert 50% der weltweit kursierenden Fotospezialpapiere. Das Unternehmen hat 2.400 Mitarbeiter, macht rund eine Milliarde Umsatz, hat vier Werke in Deutschland plus Fabriken in USA und England. 1992 stand am Stammsitz in Osnabrück McKinsey ante portas und rechnete mal eben durch, daß 40% der Arbeitsplätze wegfallen können. Harald Schock: "Wir haben zusammen mit der IG Chemie die Literatur zur Schlanken Welle durchforstet, uns als Betriebsrat Berater geholt und Workshops veranstaltet." Ziel war es, wegzukommen von den puren Rationalisierungsprogrammen. Dabei wurden die Mitarbeiter als "Experten in eigener Sache" ganz obenan gestellt als wesentliches Moment der Kulturveränderung hin zu verantwortlicher, integrierter und kreativer Arbeit. McKinsey sollte gehen. Heftige Konflikte und turbulente Betriebsversammlungen machten dem Unternehmer deutlich, daß reine Rationalisierungskonzepte nicht der Königsweg sind, um das für den Wettbewerbserfolg unentbehrliche Wissen, Können und Wollen der Beschäftigten zu gewinnen. In der Folge schlossen Geschäftsführung und Betriebsrat einen "Vertrag des Vertrauens", der eine "einvernehmliche" Modernisierungsstrategie definiert. Personalentwicklung wird großgeschrieben, flache Hierarchien, Teamsysteme und das Expertenwissen der Beschäftigten werden als Mittel definiert, um das Ziel "Sicherung der Konkurrenzfähigkeit" zu erreichen. Der "Vertrag des Vertrauens" bildet nach wie vor den Rahmen, etwa für die Entwicklung eines neues Schichtsystems, das Humanisierungs- und Effizienzaspekte verbindet. Daneben hat das Arbeitszeitlaboratorium der Firma Schoeller immer wieder interessante Neuerungen zu bieten: Während mitbestimmt die Betriebsöffnungszeiten verlängert wurden, wurde die Kernarbeitszeit zwischen 9.30 und 14.30 Uhr eingeschränkt, wobei Mitarbeiter/innen nach Absprache auch später und früher kommen können - und all das läuft per Betriebsvereinbarung ein Jahr auf Probe. Die Osnabrücker Betriebsräte und ihre Berater haben den aus ihrer Sicht unverzichtbaren Aufwand betrieben, jeden Modernisierungs- und Veränderungsschritt mit einer Betriebsvereinbarung abzusichern und somit für die Arbeitnehmer/innen nachvollziehbar zu machen. Akzeptanz beim Management hat dem BR-Vorsitzenden vor allem sein unbedingter Einsatz für moderne Managementkonzepte und kontinuierliche Verbesserungsprozesse eingebracht, meinen Beobachter. Nur im Verein mit Kostencontrolling und Benchmarking sei es möglich, daß Konzepte, die Arbeitsplatz und Arbeitsumfeld menschlicher machen, auch in Krisenzeiten überleben. In diesem Sinn muß sich die neueingerichtete Personalbörse rechnen, ein firmeninterner Servicepool, der in instabileren Zeiten wenn nicht den Arbeitsplatz, so die Zugehörigkeit zum Unternehmen sichert.
Nachholende Modernisierung
Auch für den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Manfred Horn brachte das Jahr 1992 die Zäsur in seiner langjährigen Betriebsratsarbeit. Noch 1991 war das beste Jahr in der Firmengeschichte der traditionsreichen Müller-Weingarten AG gewesen, die hochkomplexe Großpressen für die Automobilindustrie herstellt. Dann der Absturz: keine Aufträge mehr. Es war wie abgeschnitten, die Preise fallen um 30%. Manfred Horn beläßt es nicht dabei, neue Wege zu ersinnen im Kampf um jeden Arbeitsplatz. Er macht den Mitarbeiter/innen und Kolleg/innen klar, wohin sie sich bewegen müssen - produktiver arbeiten, Komplettverantwortung, Schwanken mit der Auftragslage. Und er arbeitet von vornherein mit an den Weichenstellungen für eine Reorganisation und Internationalisierung des Unternehmens. Manfred Horn favorisiert statt Personalabbau nicht nur eine weitgehende Arbeitszeitverkürzung und trotzt dabei "meiner Organisation", der IG Metall, einen Zusatztarifvertrag ab. Gemeinsam mit dem Personalchef packt er - auf der Basis von gegenseitigem Vertrauen und Respekt - die lange vernachlässigte Qualifikation und Verbesserung der Arbeitsorganisation an. Der Betriebsratsvorsitzende Manfred Horn wirbt derart enthusiastisch für die Inselfertigung, daß er heute einräumt: "Vielleicht han I es sogar a bißl zu weit getrieben." Unterschätzt hat er, wie der Facharbeiter an seiner Maschine hängt, "denn da kann ihm keiner". Und nun wird das aufgebrochen: Komplettbearbeitung, Komplettverantwortung und alle diese modernen Zumutungen. Und die von oben anweisenden Arbeitsvorbereiter sollen auf einmal Dienstleister der Produktion sein. Da sind einige Aggressionen gegen ihn, den Betriebsrat, losgebrochen. "lch wähl' Dich nicht mehr", war noch die harmloseste.
Mitbestimmter Modernisierungsweg
Keinen rauschenden Applaus erhielt Horn für seine Strategie einer kooperativen Konfliktbewältigung, als er auf einer Belegschaftsversammlung erklärte: "Die Krise können wir nur miteinander, mit der Geschäftsführung und den Kapitaleignern lösen." Dem Management hatte Horn bereits bei seinem Amtsantritt klargemacht: "lhr habt die Wahl: Wir können einen Weg miteinander gehen, aber dann bin ich frühzeitig mit dabei in der Einflußnahme. Oder der Betriebsrat kommt erst an zweiter, dritter Stelle, dann fechten wir die Probleme im Betrieb oder vor dem Arbeitsgericht aus." Auch wenn diese Praxis um sich greift- bis heute entspricht es nicht dem Buchstaben des Betriebsverfassungsgesetzes, daß die gewählten Belegschaftsvertreter gleich von Anfang an mit von der Partie sind in den Strategiedebatten und Weichenstellungen. In ihrer neuen Rolle, in der sie einen originären - sozial motivierten und unterfütterten - Beitrag leisten zur Positionierung des Unternehmens im Wettbewerb, haben die Problemlöser-Betriebsräte den Gesetzestext längst fortgeschrieben. Dabei, das sieht Manfred Horn nüchtern, ist die Mitverantwortung für falsche Entscheidungen auch größer geworden und die Konfliktpotentiale mit Teilen der Belegschaft nicht kleiner. "Geht es uns wirklich so schlecht? Müssen wir uns diesen Streß aufhalsen?", fragen die Mitarbeiter. Eine aufrichtige Antwort geben und eine Mitentscheidung treffen, kann nur der Betriebsrat, der zuverlässig über alle Controlling- und Unternehmensdaten verfügt. Das ist eine absolut notwendige Voraussetzung für einen Belegschaftsvertreter, der sich auf das Parkett des Change- und Krisenmanagements begibt. Hier stellt sich ganz klar die Frage nach einer Erweiterung von Informationsrechten.
In globalen Wettbewerbsrunden
Der VW-Betriebsrat Klaus Schneck verfügt bereits im Zuge erweiterter Mitbestimmung über vielfältige und frühe Informationen. Dadurch kann er überhaupt erst agieren im Prozeß des Global and Forward Sourcing - einer weltweiten Teilebeschaffungsstrategie des Automobilkonzerns. Jeden Freitag, wenn die Einkäufer, die Controller und die Qualitätsprüfer aus aller Welt in Wolfsburg zusammenkommen, sind die VW-Betriebsräte mit von der Partie, wenn die Entscheidung fällt, welcher Standort oder welcher Zulieferer den Zuschlag für eine bestimmte Teilefertigung bekommt. Eine Extraportion an Mitbestimmung ermöglicht ihnen, in den ersten Angebotsrunden präsent zu sein und zunächst einmal Einspruch einzulegen gegen die Vergabe von Teilefertigungen an andere Anbieter. Dadurch haben VW-Betriebsräte wie Klaus Schneck die Chance, mit ihrer Hausmannschaft Optimierungsschleifen zu drehen zum Erreichen des Kostenziels. Der Betriebsrat ist zum Agenten der Belegschaft im Wettbewerb geworden. Er berät sie, wie sie ihre Arbeit effizienter organisieren und auf einem weltweiten Beschaffungsmarkt besser anbieten kann. Er macht sich zum Wettbewerbshüter der eigenen Belegschaft, damit die nicht übergangen wird und streicht gegenüber dem Management die Vorteile, zum Beispiel der ihm anvertrauten Komponentenfertigung, gegenüber dem Anbieter X heraus. Weil VW-Betriebsräte in den globalen Beschaffungsrunden präsent sind, hat sich ihre Perspektive auf die Werkshallen verändert: Wenn Klaus Schneck durch die Gelenkwellenfertigung geht, dann hat er nicht mehr nur den Arbeitnehmer, die Löhne, den Arbeitsschutz im Blick. Der Betriebsrat hat die Stückzahlen im Kopf, weiß um die Konkurrenzsituation, weiß, zu welchem Preis VW die Gelenkwelle angeboten hat, weiß, welche Anteile an Gelenkwellen Wolfsburg für den Konzern fertigt und was die Firma L. liefert, kennt die Marktanteile und Verabredungen, kennt die Vorteile und Nachteile der eigenen Gelenkwellenfertigung und die der zugelieferten und hat schließlich schon mal im Zuge von Benchmarking die Konkurrenzfirma - zusammen mit Vertretern des Managements - besichtigt. Der Gesamtbetriebsrat und die Betriebsräte der einzelnen Werke sind gemäß einer Betriebsvereinbarung soweit "in den Entscheidungsprozeß um Global and Forward Sourcing einbezogen, daß eine Einflußnahme durch eigene Vorschläge noch möglich ist". Damit müssen die Betriebsräte des Automobilbauers nicht erst dann - meist mit dem Rotkreuzkoffer - auf den Plan treten, wie es die 25 Jahre alte Betriebsverfassung vorsieht: wenn die neuen Maschinen geordert wurden und die Arbeitsplatzopfer bereits zu beklagen sind. Klaus Schneck kann nicht hoch genug preisen, daß "wir vom Projektanstoß an sehr frühzeitig im Vergabeprozeß sind und sehr früh wissen, mit welcher Konkurrenzsituation am Markt wir uns auseinanderzusetzen haben. Dann ist noch Zeit, zusammen mit der Personalabteilung und der Entwicklung, für den Kreis der Beschäftigten Alternativen anzubahnen". Das führt dazu, daß Betriebsräte heute mit den Beschäftigten diskutieren, wie deren Arbeitsplätze in drei Jahren technisch und arbeitsorganisatorisch aussehen müssen, damit diese Arbeitsplätze auch dann noch existieren. In der Tat ein Stück neuerer Mitbestimmungsrealität.
Delegation nach unten und strategische Weichenstellungen
"Alle, die sich nicht bewegen, werden wir bewegen" - diese Losung gab der Betriebsratsvorsitzende Harald Schock aus - Seite an Seite mit seinem örtlichen IG Chemie-Sekretär. Harald Schock hat an allen Ecken und Enden Mitarbeiterbeteiligung organisiert - für ihn ein zentraler Begriff des modernen Unternehmens. Das heißt, die riesige Papiermaschine selbst warten, Probleme selbst lösen, Arbeitszeiten selbstorganisiert in der Gruppe klären. Es bedeutet aber auch, daß die Betriebsräte von Abteilung zu Abteilung ziehen und neue Arbeitszeitmodelle intensiv mit der Belegschaft diskutieren und sie auch in mit Mitarbeitern "bestückten" Projektgruppen ausarbeiten. Mitarbeiterbeteiligung muß konsequenter- und glaubwürdigerweise auch für die Arbeit des Betriebsrates gelten. Und so, wie er mehr und mehr Aufgaben an kompetente Mitarbeiter delegiert und diese einbezieht in die Regelung von Belegschaftsfragen, so muß er gleichermaßen seine Arbeit an der strategischen Spitze verstärken. Dieser spiegelbildliche Trend zeigt sich in vielen Unternehmen. Zu regelrechten Strategiegesprächen kam Harald Schock mit seinen Beratern beim Unternehmer zusammen. Noch weitergehender hat zum Beispiel der Unternehmer der Firma Wilkhahn den BR-Vorsitzenden und Belegschaftsvertreter Horst Knigge gezielt in allen strategischen Unternehmensgremien verankert. Und trotz des Falls unter die 2000-Beschäftigten-Grenze ist Manfred Horn nach wie vor als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Müller-Weingarten AG: Die Kapitaleigner und -sachverwalter schätzen seinen Sachverstand wie auch seine ungeschminkte Kenntnis innerbetrieblicher Problemzonen.
Beratungsbedarf
Lebenslanges Lernen verlangen diese Betriebsräte jenen Arbeitnehmern ab, die sie gewählt haben. Sie selbst müssen dieses lebenslange Lernen vorleben und leisten. Wie sich Harald Schock mittlerweile per PC alle Unternehmensdaten holt und Projekt- und Teamarbeit gelernt hat, so geht der freigestellte Betriebsrat Manfred Horn einmal im Jahr sechs Wochen auf Montage, um das fachliche Know-how nicht zu verlieren und die Vor-Ort-Kenntnis aufzubessern. Erheblich gestiegen ist der Wissens- und Beratungsbedarf für einen Betriebsrat, der im Change- und Krisenmanagement Alternativkonzepte produziert, der Mitarbeiterbeteiligung moderiert und Projektmanagement macht, der nicht zuletzt dafür sorgt, daß Wirtschaften in individuelle Fürsorge und ein soziales Wir-Gefühl eingebettet wird und bleibt. Der Bedarf an Wissen reicht vom Controlling über detaillierte Kostengegenrechnungen bis zum Steuern von Teamprozessen. Und das geht weit darüber hinaus, was das Betriebsverfassungsgesetz als Standard vorsieht. Dabei ist für Arbeitgeber, die wissen, was sie an ihren betriebsrätlichen Co-Managern haben, die Finanzierung dieses Know-hows keine Frage. "Wir holen uns die Berater, die wir brauchen", erklärt Horst Knigge, BR-Vorsitzender von der Möbeldesignfirma Wilkhahn selbstbewußt. Harald Schock hat einen Fachberater für den Modernisierungsprozeß engagiert und daneben einen Berater, der auf zwei Workshops jährlich die Konflikte im Betriebsratsgremium glättet. Damit eine Mannschaft den einvernehmlich vereinbarten Modernisierungsprozeß begleitet, hatten die Schoeller-Betriebsräte Neuwahlen vorgezogen. Sonst hätte es nach einem Jahr heißen können: Und jetzt ist Schluß. Es ist ein Leichtes, die Stimmung der im Veränderungsstreß steckenden Belegschaft populistisch umzumünzen und Fraktionierungen von Modernisierern und Anti-Modernisierern zuzuspitzen. Ganz allgemein sind Betriebsratsgremien heute schwerer zu händeln - und der Vorsitzende, der einen bestimmten Kurs verfolgt, ist eben nicht der Vorgesetzte seiner Kollegen und Kolleginnen. Wenn Betriebsratsgremien sich aus Gründen effektiver, zeitgemäßer Betriebsratsarbeit in einen moderierten Teamentwicklungsprozeß begeben, sind über den Buchstaben des Gesetzes hinausgehende Sondervereinbarungen nötig.
Gesetzlicher Rahmen und Reformbedarf
Die Bündnisse "an der Produktivitätsfront" (Wolfgang Streeck) zwischen Management und den Vorwärtsverteidigern im Betriebsrat zeigen in turbulenten Zeiten eine entsprechende Instabilität. Hier ein Kapitaleigner- und Geschäftsführerwechsel und schon geht der Weg zurück von der Beteiligungs- zur Befehlskultur. Dort ein Absatzeinbruch im Ausland und schon stehen die Projekte der Mitarbeiterentwicklung und -beteiligung als zu teuer in Frage. Es ist charakteristisch für diese Modernisierungsbündnisse, daß sie - vor allem in kleineren und mittleren Unternehmen - abhängig sind von konkreten Personen und Vertrauenskonstellationen, die wiederum nicht unabhängig agieren vom politischen und dem Klima zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Von daher wäre es an der Zeit, die strategische Rolle des Co-Managements wie auch die der Aktivierung und Moderation von Mitarbeiterbeteiligung personenabhängiger zu stabilisieren, indem sie verankert wird - sei es in Tarifverträgen, sei es auf gesetzlichem Wege. Einerseits hat das bestehende Betriebsverfassungsgesetz die neuen Mitbestimmungswirklichkeiten nicht behindert, sondern ermöglicht. Das kann man - in diesen Zeiten - nicht hoch genug schätzen. Andererseits paßt das Kleid hinten und vorne nicht mehr, wobei vor allem Outsourcing und Unternehmensspaltungen Betriebsräte in enorme Zielkonflikte stürzen. Beispiel: Eigentlich kann der Personalrat der Stadtwerke Hannover der wirtschaftlichen Vernunft nicht gehorchen und für eine Umwandlung in Eigenbetriebe sein. Denn diese unternehmensrechtliche Veränderung macht gleichzeitig seine derzeitige Aktionsbasis zunichte. Entlang von Unternehmensspaltungen haben viele Betriebsräte kühne Konstruktionen gebastelt, mit Einverständnis des Arbeitgebers. Kaum einer will, aus verständlichen Gründen, darüber offen berichten, weil diese Konstrukteure oft am Rand der derzeitigen Legalität angesiedelt sind. Oder sie sind so phantasievoll entlang von fragmentierten Unternehmensgebilden gebastelt, daß sowohl Arbeitgeber wie Betriebsräte befürchten, die kühnen Konstruktionen könnten bei einer Prüfung durch die Arbeitsgerichte in sich zusammenfallen. Mit einem veralteten Betriebsbegriff ist daher nicht gut Agieren, zumal das Kreieren immer neuer Mitbestimmungs-Konstruktionen reichlich Energie und Kraft abzieht, die ein Betriebs- oder Personalrat in einer Hochleistungsökonomie eigentlich für wichtigere Dinge benötigt.
Der Faktor Zeit
Aber ist Mitarbeiterbeteiligung und -qualifikation nicht ein langwieriger, ja langatmiger Prozeß, der wettbewerbsgerechten, schnellen Wandel blockiert? Sind die mitbestimmten Beteiligungs- und Abstimmungsprozesse zwischen allen Akteuren nicht eine Blockade für rasche betriebliche Problemlösungen? Das ist ein weites Feld. Genauso wie Mitbestimmung in nicht wenigen Fällen durch Erfahrungswissen und in ihrer Funktion als Rede und Gegenrede unproduktive wie unsoziale Fehlentscheidungen verhindert hat, können Mitbestimmungsrechte erklärtermaßen auch wie Straßensperren eingesetzt werden und den raschen Unternehmerentscheid behindern. Jenseits ideologisch motivierter Angriffe und jenseits der Tatsache, daß Schnelligkeit ein entscheidender Wettbewerbsfaktor geworden ist, gibt es auf beiden Seiten Akteure, die die langatmigen, ritualisierten Verhandlungen und Gebärden satt haben und neue Wege hin zu sach- und problemorientierteren Verhandlungen ausprobieren. So Ralf Blauth, der Konzernbetriebsratsvorsitzende der Hüls AG, einem Chemiekonzern der VEBA mit Hauptsitz in Marl. Die Erfahrungen eines moderierten, betriebsrätlichen Teamentwicklungsprozesses im Hinterkopf und unter dem Zeitdruck, bis zu einer Aufsichtsratssitzung in acht Wochen ein Einsparpaket vorlegen zu müssen - ansonsten hätte massiver Personalabbau angestanden -, kam Ralf Blauth auf eine Idee: In fünf von Moderatoren begleiteten Arbeitsgruppen setzten sich arbeitgeber- und arbeitnehmerseits ausgewählte Fachleute zusammen. Sie entwickelten - diszipliniert von der Zeit und den Moderatoren - entlang von Rahmenvorgaben erst Vorschläge, dann Bausteine, dann Entwürfe von Betriebsvereinbarungen. Sie arbeiteten an der Sache orientiert und produzierten in erstaunlich kurzer Zeit brauchbare und für beide Seiten akzeptable Problemlösungen. Auf die langatmigen Rückkoppelungsschleifen zwischen Management und Betriebsratsgremien konnte verzichtet werden. Die Bausteine und Texte wurden jeweils mit einem Plenum aus Managementvertretern und Gesamtbetriebsrat rückgekoppelt. Auf diese Weise blieb das Aushandlungsverfahren für ein "Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit" steuerbar. Auch hier zeigte sich wieder das Problem: Wie können neue, produktive Verhandlungsformen, die auch Mitarbeiter und deren Sachverstand einbeziehen, den Anforderungen des Betriebsverfassungsgesetzes genügen? © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 1999 |