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TEILDOKUMENT:
Martin Baethge/Jürgen Kädtler:
1. Tempobeschleunigung und Systemcharakter als neue Merkmale von Innovationsprozessen Es gibt einige Begriffe, die man als Wissenschaftler sich zunehmend scheut, in den Mund zu nehmen, weil der politische Sprachgebrauch ihren Sinn bis zur Unkenntlichkeit verallgemeinert und in Nebel gehüllt hat. Zu diesen Begriffen zählt Innovation, der neben "Globalisierung" wohl meist benutzte Begriff politischer Alltagssprache. Um ihn aus der Undeutlichkeit politischer Meinungsmache herauszuheben, wollen wir ihn im folgenden entsprechend dem international anerkannten Frascati Manual der OECD (1993) benutzen: "Scientific and technological Innovation may be considered as the transformation of a new Idee Info a new product introduced on the market, into a new or improved operational process used in the industry and commerce, or into a new approach to a social service" (OECD 1993, S. 19). Diese Definition von Innovation zielt auf die Einführung neuer Produkte oder Dienste auf dem Markt und neuer Verfahren zu ihrer Herstellung, greift also die bereits klassische Differenzierung von Produkt- und Prozeßinnovationen auf und umfaßt alle Phasen von Forschung und Entwicklung bis zur Markteinführung, stellt nicht nur auf das neue Produkt ab. Produkt- und Prozeßinnovationen sind seit Beginn der Industrialisierung (vermutlich sogar auch in vorindustrieller Zeit) das Medium von Rationalisierung, Produktivität und Wachstum gewesen. Das Neue der gegenwärtigen Entwicklungsphase besteht in der immensen Beschleunigung der Innovationszyklen, die nicht zuletzt durch die globalisierte Konkurrenz und die schnelle Ausbreitung von Wissen auf Basis elektronischer Information und Kommunikation ermöglicht wird. Es kann auch keinen Zweifel darüber geben, daß sich die Akteure in modernen Volkswirtschaften wie der bundesrepublikanischen aus dem schärfer gewordenen Innovationswettbewerb der Nationen und Regionen nicht ausklinken können, ohne das erreichte Niveau von Beschäftigung und Wohlstand ernsthaft in Frage zu stellen. Insofern kann man von einem ökonomischen Sachzwang zur Innovation reden. Die Daten sprechen in bezug auf den Zusammenhang von Beschäftigung und Innovation eine klare, wenn auch nicht unbedingt eine eindeutig positive Sprache: Im Zeitraum zwischen Ende der siebziger und Anfang der neunziger Jahre konnten in Deutschland nur Branchen der Spitzentechnik und mit höherwertiger Technik Beschäftigungsgewinne verzeichnen, während die nicht FuE-intensiven Industrien Beschäftigte verloren haben. Aber selbst die hochtechnisierten Branchen haben seit der Rezession Beschäftigtenanteile verloren (vgl. BMBF 1997). Insofern sind die FuE-intensiven Industrien zwar die potentiellen Gewinner im Strukturwandel. Aber auch sie sind konjunkturellen Schwankungen ausgesetzt, und man wird ihre Entwicklung eher mit Erwartungen auf weniger negative als mit großen Hoffnungen auf sehr positive Beschäftigungseffekte zu betrachten haben. Mit der Anerkennung der Notwendigkeit von Innovation ist noch wenig über Art und Richtung von Innovationen gesagt und keine inhaltliche Vorgabe präjudiziert. Ob es z.B. richtig ist, den Rückstand der BRD in den Spitzentechnologien (Computer-, luK-, Biotechnik) um jeden Preis wettmachen zu wollen oder ob es nicht sinnvoller ist, die Stärken in den hochtechnologischen Bereichen, beispielsweise des Maschinen- und Fahrzeugbaus und der Chemischen Industrie, auszubauen und schnelle Kopplungen von ihnen mit Spitzentechnologien herzustellen, ist eine umstrittene und offene Frage. Keine Frage ist, daß sich die Innovationsdynamik insgesamt gewandelt hat, die Innovationszyklen sind kürzer geworden. Die Dynamik läßt sich durch eine doppelte Bewegung kennzeichnen: In den "alten", in der Bundesrepublik aber immer noch dominierenden Industrien (Automobilindustrie, Maschinenbau, Chemie u.a.) haben selbst die dort vorherrschenden inkrementellen Innovationen, die schrittweise Verbesserung von Produkten und/oder Prozessen, eine deutliche Beschleunigung erfahren. In Ergänzung zum Typus der inkrementellen Innovation hat der Typus der radikalen oder Basis-lnnovation für das Überleben von Volkswirtschaften eine zunehmende Bedeutung erlangt. Nach dem gegenwärtigen Stand der Innovationsforschung können die Unternehmen bei Basisinnovationen (Erschließung neuer Märkte für neue Produkte auf Basis neuer Technologie) weder auf eingespielte Marktlogiken (nach Kundenbedürfnissen strukturierte Märkte), auf fixierte Produktdesigns (marktgängige Anwendungen) noch auf eingespielte Produktionsverfahren zurückgreifen (vgl. Gerybadze u.a. 1996; Wittke 1996), d.h. sie müssen offener und risikofreudiger sein und sich auf unbekanntes Terrain begeben. Was die gesellschaftlichen und betrieblichen Bedingungen sind, um die neue Innovationsdynamik entfalten zu können, dafür gibt es offensichtlich keinen "one best way" oder allgemeingültige "Best-practice"-Anweisungen. Dazu ist das Wissen über die Bedingungen innovativer Prozesse zu vage. Das begrenzte Wissen über die Bedingungen von Innovation bedeutet nicht, daß es nicht im Betrieb wie im gesellschaftlichen Umfeld Strukturen gibt, die eher innovationsförderlich oder eher innovationshemmend wirken. Dies läßt sich an empirischen Befunden und konzeptionellen Überlegungen zur Reorganisation von Betriebs- und Arbeitsorganisation zeigen (vgl. Baethge/ Baethge-Kinsky 1998). Die deutschen Unternehmen - dies ist der Tenor in- wie ausländischer Expertisen - scheinen für die neue Innovationsdynamik, insbesondere für den Typus radikaler Innovation, aufgrund ihrer traditionell stark hierarchisierten Handlungs- und Kompetenzkoordination, ihrer starken internen Orientierung und ihrer traditionellen Unternehmenskultur und Geschäftsphilosophie (Stichwort: Risikoscheu) nicht besonders gut vorbereitet zu sein. Denn das zweite neue Moment der Innovationsdynamik neben der Tempobeschleunigung liegt darin, daß Innovation immer weniger allein eine Sache der FuE-Abteilungen ist, sondern die ganze Organisation einschließt. Hierüber besteht - was ja so häufig nicht vorkommt - in Ökonomie und Soziologie relative Einmütigkeit (vgl. Albach 1994). Wir sprechen in diesem Zusammenhang nicht zufällig von systemischen Prozessen der Innovation, die die Organisation und ihr gesellschaftliches Umfeld betreffen; und mit Blick auf den Aspekt der Entwicklung neuer und anderer Kompetenzen: von organisationalem Lernen bzw. von lernenden oder wissenproduzierenden Organisationen (vgl. Child/Heavens 1996; Nonaka/Takeuchi 1997).
2. Flexible Regulation statt Deregulierung: Perspektiven einer innovationsorientierten betrieblichen Sozialverfassung
Hier kommt nun über die betriebliche Sozialverfassung auch die Mitbestimmung oder - allgemeiner formuliert - die Frage der Mitarbeiterpartizipation ins Spiel, was sich auch in neuen Managementkonzepten niederschlägt. Man kann einen Großteil der betrieblichen Reorganisationsmaßnahmen in den neunziger Jahren als Reaktion des Managements auf die neuen Bedingungen für Innovationsprozesse begreifen. Zu den organisatorischen Ansätzen innovationszentrierter Produktion zählen vor allem:
Ein wesentliches gemeinsames Moment aller dieser Bestrebungen liegt darin, Produktions- und Geschäftsprozesse flexibler, variabler, übersichtlicher zu gestalten. Tradierte Strukturen und Regelungszusammenhänge werden aufgebrochen, bisherige Sicherheiten verlieren ihre Grundlagen. Dieses Moment freilich zum alleinigen und selbsttragenden Innovationsprinzip zu erheben und als Voraussetzung von Innovation die völlige Flexibilisierung betrieblicher und gesellschaftlicher Verhältnisse zu fordern, führt in die Irre. Übersehen wird dabei, daß Kompetenz und Innovationsfähigkeit von Betrieben und Unternehmen, übrigens auch von Regionen und Gesellschaften, eine ihrer Grundlagen in komplexen, gut integrierten Sozialbeziehungen haben und daß diese nur unter Bedingungen zugleich flexibler und verläßlicher Regulierung und eines Mindestmaßes an institutioneller Absicherung gewährleistet werden können. Unsere Gegenthese zum radikalen Deregulierungspostulat lautet: Soweit ökonomischer Erfolg dauerhaft von Innovationen und Innovationskraft abhängt, ist er in besonderer Weise von einer anspruchsvollen, intelligenten flexiblen Regulierung der Kooperationszusammenhänge abhängig. Wir werden diesen Zusammenhang im folgenden auf drei Ebenen verdeutlichen: der betrieblichen, derjenigen von Produktionszusammenhängen, die über den Rahmen des einzelnen Betriebes hinausreichen, und schließlich die der Gesellschaft allgemein. Daß die individuellen Kompetenzen von Mitarbeitern bzw. die kollektiven Potentiale unterschiedlicher Abteilungen, Berufs- und Qualifikationsgruppen effektiv kombiniert und zur Entfaltung gebracht werden können, verlangt Eigenengagement von den Beteiligten. Nicht umsonst gilt "Dienst nach Vorschrift" als besonders durchtriebene und zugleich besonders wirksame Form der Leistungszurückhaltung. Jeder Betrieb braucht ein Mindestmaß freiwilliger Kooperationsbereitschaft seiner Mitarbeiterinnen, an Bereitschaft also, mehr und anderes zu tun, als sie formal tun müßten. Nur wer davon ausgehen kann, daß es sein Schade nicht ist, wird sich auf dieses Geschäft einlassen. Vor diesem Hintergrund hat der französische Konventionentheoretiker Olivier Favereau (1994) die Frage verläßlicher Interessenarrangements als Angelpunkt kollektiven bzw. organisationalen Lernens identifiziert, das die kontinuierliche Grundlage jeder komplexen Zusammenarbeit bildet: "Ein einzelner Akteur wird das Spiel der Kooperation dann mitspielen und akzeptieren, daß seine [individuellen] Lösungen innerhalb der Organisation Allgemeingut werden, wenn er auf eine als angemessen empfundene Behandlung von deren Seite zählen kann. Diese Angemessenheit steigert die Effizienz der Organisation, schafft damit zugleich die Bedingung für die Einlösung jenes Anspruchsniveaus und ermöglicht so einen interessenbewußten Altruismus bzw. einen aufgeklärten Egoismus. Das Zusammenspiel von Effizienz und Angemessenheit bildet den Kern des Mechanismus kollektiven Lernens, weil die Effizienz letzten Endes auf das Lernen zurückgeht, während die Angemessenheit den kollektiven Charakter dieses Lernens begründet." (Favereau, S. 126, Übs. JK) Dieser Zusammenhang von Kompetenzentwicklung und Interessenarrangement wird dort besonders brisant, wo es nicht allein darum geht, gegebene Produktions- und Geschäftsabläufe zuverlässig in Gang zu halten, sondern um deren kontinuierliche oder beschleunigte Weiterentwicklung, um Innovation. Der springende Punkt bei Innovation ist, daß sich die Resultate und Konsequenzen allenfalls mehr oder weniger plausibel vermuten, nicht aber zuverlässig vorhersagen lassen. Je weitreichender und umfassender die Innovation, desto gewichtiger die Entwertung bisheriger Gewißheiten und Absicherungsstrategien, desto tiefgreifender der Verlust an Kontrolle über die eigenen Handlungsbedingungen. Innovationsfähigkeit zum Prinzip der Unternehmensentwicklung und zum zentralen Inhalt von Kooperationsbeziehungen zu machen, verlangt deshalb - pointiert ausgedrückt - von den Beteiligten besonders viel und besonders eigenständiges Engagement für die Arbeit an einer konstitutiv besonders unsicheren Aufgabe. Daß das so ohne weiteres gelingt, ist mehr als unwahrscheinlich. Die Vertrauensbeziehungen, die dazu notwendig sind, mögen gegenüber den konkreten Personen im unmittelbaren Kooperationsumfeld noch bestehen. Daß sie umstandslos komplexe, weitreichende Kooperationszusammenhänge im Unternehmensmaßstab oder gar darüber hinaus tragen könnten, bei denen nicht nur unterschiedliche, ja gegensätzliche Interessen und Rationalitätsvorstellungen integriert, sondern auch höchst unterschiedliche Machtpositionen in der Balance gehalten werden müssen, ist völlig unrealistisch. Diese Vorstellung liefe auf nicht weniger hinaus, als daß intelligente Menschen ihr wohlverstandenes Eigeninteresse völlig hintanstellten, und das nicht nur als Einzelfall und ausnahmsweise, sondern kollektiv und Tag für Tag. Viel wahrscheinlicher ist, daß unter solchen Bedingungen die Vertrauensbeziehungen im persönlichen Nahbereich als Rückzugsposition gegenüber weiterreichenden Zumutungen genutzt werden. Das innovative Unternehmensimperium läge im Dauerclinch mit einer Menge gallischer Dörfer, mit den aus der Literatur bekannten Erfolgsaussichten. Daß dieses Bild einen durchaus handfesten Bezug zur aktuellen Restrukturierungsrealität in Betrieben und Unternehmen hat, belegen die verbreiteten Klagen der Protagonisten der Umgestaltung, die mit bemerkenswerter Einheitlichkeit auf einen neuralgischen Punkt als Innovationsblockade verweisen: die Widerständigkeit, das Beharrungsvermögen oder die schlichte Borniertheit der Adressaten, seien es die Mitarbeiter bzw. bestimmte Mitarbeitergruppen, seien es Führungskräfte oder Managementfraktionen (vgl. Baethge/Denkinger/Kadritzke 1995). Als Kernproblem gilt durchweg, daß die Adressaten von Veränderungsprojekten sich nicht auf neue Anforderungen und Verhaltensspielräume einlassen, an angestammten Routinen festhalten, die Vermittlung neuer Kompetenzen nicht von dem für ihr Praktischwerden erforderlichen 'Delearning' begleitet ist. Anders, als in den betreffenden Klagen oft angenommen, stellt sich hier nicht in erster Linie eine kollektive Überzeugungs- oder Sozialisationsaufgabe. Das zentrale Problem besteht vielmehr in der Neufundierung und im Neuaustarieren der für Kooperation und organisationale Lernprozesse grundlegenden Interessenarrangements. Vertrauensbeziehungen über den individuell überschaubaren und kontrollierbaren Bereich hinaus sind nur in dem Maße eine realistische Perspektive, in dem es allgemeine und zugleich hinreichend handfeste Anhaltspunkte dafür gibt, daß auf die Gegenseite Verlaß ist. In dem Maße, in dem bestehende Konventionen, Traditionen und Kooperationsroutinen auf den Prüfstand kommen, als Erblasten identifiziert und als Innovationshemmnisse aufgegeben werden, stellt sich unmittelbar die Frage, worin diese Anhaltspunkte noch bestehen können und wie sich offene und zugleich stabile Kooperationszusammenhänge an diese anlagern können. Mit der Revision der informellen Regulierungspraktiken rükken dabei die formellen, institutionellen vorrangig in den Blick. Denn die Herausbildung vertrauensbasierter Beziehungen braucht vor allem eines: Zeit. Zeit, in der Erfahrungen in der Kooperation mit anderen gemacht und bewertet werden können und müssen. Wer eine gewachsene Organisation 'aufmischt', bringt das Repertoire bestehender Vertrauensbeziehungen durcheinander, während sich neue erst bilden bzw. die alten möglicherweise neu begründet oder befestigt werden müssen. Formelle, institutionelle Regelungen bieten hier eine Art Rückhaltelinie und zugleich mögliche Kristallisationspunkte für die Neubefestigung betrieblicher Kooperation. Horst Kern ist mit seiner Unterscheidung zwischen "blindem Vertrauen" und "Grundvertrauen" systematisch auf diesen Zusammenhang eingegangen (Kern 1996). Anders als der populäre Deregulierungsdiskurs unterstellt, nimmt deren Bedeutung mit der Ausrichtung an innovativen Produktionszusammenhängen deshalb eher zu, freilich um den Preis einschneidender Veränderung. Denn ihre Funktion besteht dann nicht in erster Linie darin, unmittelbar wirksame, konkrete Normen im Detail zu fixieren und alles, was nicht positiv normiert ist, unter Genehmigungsvorbehalt zu stellen. Sie liefern dann vielmehr das Netz, das die Risiken begrenzt, die betriebliche Akteure eingehen, indem sie sich auf Innovation als Leitlinie der Kooperation einlassen. Und sie bilden damit zugleich eine Voraussetzung für kollektives, organisationales Lernen im Sinne der Herausbildung neuer kollektiv verankerter und hinreichend belastbarer Verständigungsgrundlagen und Interessenarrangements der beteiligten Akteure. Vergleichsweise am klarsten lassen sich Bedingungen dafür dort umreißen, wo es um innovative Kompetenzentwicklungs- und Reorganisationsprojekte im Rahmen von Bereichen geht, für die mit den Betriebsräten eine leistungsfähige, den Bereich abdeckende Regulierungsinstitution zur Verfügung steht. Diese spielt - das zeigen laufende eigene Forschungen zu einschlägigen betrieblichen Umgestaltungsprojekten - durchweg eine zentrale Rolle bei deren stabiler betrieblicher Verankerung. Und sie spielt diese nicht - um Mißverständnissen vorzubeugen - im Sinne einer Interessenvertretung 'light', als Co-Management zu herabgesetzten Konditionen. Um das an einem Beispiel schlaglichtartig zu illustrieren: In einem stark exportorientierten Unternehmen der feinmechanisch-elektrotechnischen Industrie ist das ursprüngliche Vorhaben, den Elektronikanteil der Kernfertigung aus Kostengründen nach Asien auszulagern, aufgegeben worden zugunsten einer globalen Produktionsvernetzung, in deren Rahmen die Elektronik weltweit vom Hauptwerk geliefert wird. Entscheidend dafür war unter anderem, daß es über eine intelligente Reorganisation von Produktentwicklung und Produktion unter aktiver Beteiligung der Mitarbeiterinnen gelungen ist, auch bei den Kosten konkurrenzfähig zu werden. Das Schlüsselproblem, das auf diesem Wege bewältigt werden mußte, bestand darin - darüber sind sich alle Beteiligten einig -, die Beschäftigten dazu zu bringen, sich auf diese Reorganisations- und Globalisierungsstrategie einzulassen. Dagegen sprach allgemein, daß die betrieblichen Sozialbeziehungen hier Züge einer traditionsreichen, wohlbegründeten Mißtrauenskultur trugen. Aus der Sicht eines Betriebsratsmitglieds: "ln dieser Firma war noch nie eine Absprache eingehalten worden." Hinzu kam, daß das Totalverlagerungsprojekt zwar nicht offiziell verkündet worden, aber allgemein bekannt war. Aus der Sicht des Verfechters sowohl der ursprünglichen wie der modifizierten Strategie: "Wer glaubt dem denn, der nach Asien fliegt, um Verlagerungsmöglichkeiten zu sondieren, wenn er dann zurückkommt und sagt, wir machen was anderes, wir machen standortsichernde Globalisierung?" Daß die Klippe umschifft werden konnte, gilt als Verdienst eines Steuerungskreises aus betrieblichen Entscheidungsträgern und Betriebsrat, der die arbeitsorganisatorische Restrukturierung nach dem Konsensprinzip steuert und damit eine sehr breite betriebliche Bindewirkung erzielt. Wichtig dabei: Die Funktionsfähigkeit dieses Gremiums gilt als das Produkt heftigster Auseinandersetzungen über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr, in deren Zuge schließlich erste Erfahrungen mit verläßlich eingehaltenen Übereinkünften gemacht werden konnten; und das Konsensprinzip wirkt auch praktisch restriktiv, d.h. es gibt eine Reihe von Projekten, insbesondere bei Entlohnungsfragen, die mangels Übereinstimmung seit längerem effektiv blockiert sind. Das Beispiel steht für eine ganze Reihe ähnlich gelagerter Fälle. Der gemeinsame Nenner: Es handelt sich um den flexiblen Umgang mit einem auch starr zu handhabenden Gremium. Die heute erreichte Einigungsfähigkeit ist das Produkt harter gegenseitiger, nicht abgeschlossener Überzeugungsarbeit, der sich - und das ist der springende Punkt - keine der beiden Seiten unterzogen hätte, wenn sie die andere hätte übergehen können. Innovation verlangt flexible, situationsangemessene Aushandlungsmodi und Aushandlungsbeziehungen anstelle des Rückzugs auf ein uniformes, eng geschnürtes Regelungskorsett. Solche Aushandlungsstrukturen gibt es aber nur dort, wo die Einspruchs- und Mitgestaltungsposition auch der schwächeren Partei so gut verankert ist, daß sie von der stärkeren nicht einfach übergangen werden kann. Simple Deregulierung höbe diese Balance auf und damit in vielen Fällen die Voraussetzung dafür, daß sich leistungsfähige Aushandlungsverhältnisse überhaupt bilden können. Das gilt nicht nur für die klassischen Vertretungsbereiche von Betriebsräten in der Produktion und bei den Tarifangestellten. Es gilt - dafür liefert eine SOFI-Studie von Baethge/Denkinger/Kadritzke 1995 breite Empirie - in besonderem und wachsendem Maße auch für die hochqualifizierten Angestellten in Forschung und Entwicklung, Planung, Konstruktion, Marketing usw., die - wenn man will - strategische Innovationsreserve der Betriebe und Unternehmen: zumeist hochsensible Mitarbeiterinnen, die argwöhnisch auf ihre eigenen Kompetenzfelder achten, die ihre Interessen kennen und nach beruflicher Anerkennung und Karrieresicherheit streben und die zugleich hochkomplexe Kooperation zusammenbringen sollen. Wenn deren Tätigkeit heute verschärft betriebswirtschaftlichen Normen unterworfen wird, während sie Informations- und Entscheidungsprozesse des Unternehmens vorrangig als Objekte erleben, liegt individuelles Sicherheitsspiel näher als offensives Engagement in Innovationsprozessen. Über die Forderung eines Pharma-Forschungschefs, bei Spitzenproduktentwicklungen wollen wir nicht fünfmal siebeneinhalb Stunden in der Woche forschen, sondern siebenmal vierundzwanzig, ist gerade mit dieser Gruppe durchaus zu reden. Das setzt freilich voraus, daß sie auf Gegenseitigkeit in puncto Arbeitszeitarrangements, Karriere, Arbeitsplatz- und Qualifikationssicherheit verläßlich zählen können. Auch hier bedarf es stabiler Rahmenbedingungen für die Erschließung der grundsätzlich vorhandenen Kreativitäts- und Flexibilitätspotentiale. Und es bedarf einer Informations- und Beteiligungspolitik der Unternehmen, die auf die Beschäftigten als mitgestaltende Akteure, als Subjekte von Innovationsprozessen setzt.
3. Regulationsprobleme bei betriebsübergreifenden Netzwerken und Verbünden
Eine ganz neue Art von Regulierungsproblemen stellt sich dort, wo die Verminderung der Fertigungstiefe und die Verlagerung von Entwicklungskompetenz an Systemlieferanten dazu führen, daß nicht nur Produktions-, sondern auch Innovationsprozesse sich auf Unternehmensnetzwerke oder -kooperationen erstrecken, die die Grenzen des Einzelunternehmens transzendieren. Daß die erhofften Vorteile der Dezentralisierung am Ende auch tatsächlich eingefahren werden können, setzt bei komplexer konzept-, technologie- und wissensintensiver Produktion voraus, daß immer anspruchsvollere Koordinations- und Integrationsleistungen bewältigt werden, für die die modernen Informations-, Kommunikations- und Transporttechnologien lediglich die Hardware liefern. Standortbezogene Netzwerke, wie sie derzeit in der Automobilindustrie, aber in Ansätzen auch in der chemischen Industrie im Vormarsch sind, schaffen Produktionsabläufe, an denen Beschäftigte aus unterschiedlichen Betrieben und Branchen unmittelbar beteiligt sind, während die Verselbständigung von F&E, Ausbildung und anderen Serviceabteilungen reine Dienstleistungsunternehmen schafft. Im letzteren Fall mögen bestandssichernde Abkommen über die Tarifzuständigkeit brauchbare Übergangsregelungen sein. Als Modell auf Dauer taugen sie schon wegen ihres partiellen, bestimmte Besitzstände und Einflußbereiche exklusiv fixierenden Charakters nicht. Wo es mit der kostenorientierten Ausnutzung von Branchendifferenzen nicht getan ist, wo es vielmehr auch um die verläßliche Gewährleistung von Innovationskooperation quer zu Branchengrenzen geht, müssen übergreifende Arrangements gefunden, entsprechende Aushandlungs- und Regelungszusammenhänge geschaffen werden. Die Zeichen dafür stehen zur Zeit nicht eben gut. Denn aus Unternehmenssicht sind die Deregulierungsfolgen, die sich beim Übergang zu neuen, nach Branchenzuschnitt heterogenen Strukturen ergeben, in aller Regel durchaus gewollt. Und im gewerkschaftlichen Bereich sind kaum Ansätze zu erkennen, hier über einzelfallbezogene Abwehrbemühungen und Übergangsregelungen hinaus den neuen Anforderungen Rechnung zu tragen. Die gegenwärtigen Einzelgewerkschaftsfusionen laufen - wenn es auf Dauer dabei bleibt - darauf hinaus, den Bezug auf separate Branchencluster noch zu verstärken, wenn diese dann auch breiter und heterogener zusammengesetzt sind. Um bestehende Vertretungspositionen hinhaltend zu verteidigen, spricht sicher vieles dafür, den im Grunde nicht angetasteten Vertretungspartikularismus durch die Bildung leistungsfähigerer Einheiten vorläufig zu stabilisieren. Dem Problem, das diesen Positionen vom Zerfall kompakter, branchenmäßig eindeutig zugeordneter Produktionszusammenhänge langfristig droht, ist auf diesem Wege aber nicht zu begegnen. Hier käme es auf die Entwicklung von Kooperationsformen und -strategien über die Einzelgewerkschaftsgrenzen hinweg an, mit dem Ziel, den heterogenen, aber hoch integrierten Produktionsnetzwerken mit entsprechenden Vertretungsnetzwerken zu begegnen.
4. Überregulation? Zum Problem der politischen Normierung von Innovation
Die politische Debatte über das Spannungsverhältnis von Innovation und Regulation zielt bekanntlich nicht allein auf die betrieblichen Sozialbeziehungen. Es geht darüber hinaus um die Frage, ob und in welchem Ausmaß ökologische Überregulation die Innovationsfähigkeit der deutschen Industrie behindert, womöglich gar stranguliert. Ein volksparteienübergreifender Trend, die in den zurückliegenden Jahren vermeintlich zu Lasten der Wirtschaft verschobenen Gewichte wieder zurechtzurücken, ist unverkennbar. Während sich beispielsweise noch vor wenigen Jahren Automobilunternehmen veranlagt sahen, über regionale Mobilität als komplexe Produktperspektive nachzudenken, hat in Politik und Wirtschaft allenthalben die Stunde der Autoleute geschlagen. Es gibt gute Gründe, hier einen Kurzschluß am Werke zu sehen. Im Rahmen der Erhebungen zu der bereits angesprochenen Studie über die berufliche Situation und die berufspolitischen Probleme von Managern und industriellen Experten in der Metallindustrie und der Chemischen Industrie votierten über 50% der Befragten für eine Verstärkung staatlicher Auflagen und vor allem auch Kontrollen im Bereich des Umweltschutzes. Und es fand sich keiner, bei dem das Argument, die staatliche Regulierung hindere FuE und vorwärtstreibende Entwicklungen, eine Rolle gespielt hätte. Angesichts solcher Befunde verliert das Regulierungsproblem in der Ökologie- und der Biotechnologie-Politik an Dramatik und gewinnt das Argument an Gewicht, daß gerade die in der Bundesrepublik früh und intensiv geführte Ökologie-Debatte der Industrie einen Vorsprung in der Umwelt-Technologie und bei der Entwicklung exportfähiger Umweltschutzprodukte und -anlagen verschafft hat. Wenn man so will, hat die öffentliche Ökologiediskussion in diesem Land im Sinne einer Basisinnovation gewirkt und Anstrengungen zur Entwicklung von neuen Produkten freigesetzt. Und vielleicht wäre die deutsche Automobilindustrie unter längerfristiger Perspektive gut beraten gewesen, statt nur auf die Verbesserung ihrer bewährten Produkte zu setzen, auch die Sprunginnovationen des Dreiliter-Autos, alternativer Energieantriebe und Verkehrssysteme voranzutreiben. Ansätze dazu gab es, aber sie wurden, wie wir aus der zitierten Führungskräfte-Untersuchung wissen, halbherzig betrieben und hatten nur begrenzte Unterstützung der Konzernspitzen, und sie wurden auch bei der staatlichen Förderung auf kleiner Flamme gehalten.
5. Diesseits und jenseits der Ökonomie: der drohende Widerspruch zwischen Innovation und sozialer Kohäsion
Zum Schluß ein Perspektivenwechsel, um einem Mißverständnis vorzubeugen. Die bisherigen Argumente stellen darauf ab, gegenüber vordergründigen Deregulierungsforderungen deutlich zu machen, daß und wie ökonomisch relevante Innovation von politischen und sozialen Regulierungszusammenhängen abhängt. Das soll aber nicht heißen, daß politische Regulierung allein durch diesen ökonomischen Nutzen gerechtfertigt werden könnte. Das galt schon damals nicht, als die Aufwärtsspirale aus Produktivitätsentwicklung, Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung und steigenden Einkommen einen Wohlstandsmechanismus mit gesamtgesellschaftlicher Reichweite bereitstellte. Es gilt heute um so weniger, als Vollbeschäftigung auch in Ansätzen keine realistische Perspektive mehr ist und auch Beschäftigung nicht umstandslos mit gesellschaftlicher Teilhabe einhergeht. Auf der 50-JahrKonferenz von IWF und Weltbank ist unumwunden von einem "Modell des ökonomischen Wachstums, das auf sozialer Ausgrenzung basiert", gesprochen worden; Ausgrenzung innergesellschaftlich und weltweit. Ausgrenzung erschöpft sich dabei nicht in Arbeitslosigkeit, sondern betrifft auch jene Millionen von sehr "prekären und sehr verwundbaren Arbeitsplätzen" der working poor, die uns häufig als angelsächsisches Beschäftigungswunder angedient werden (vgl. Baethge u.a. 1995). Mit welcher Aussicht auf Akzeptanz will man eine Gesellschaft auf Innovationsorientierung einschwören, wenn man gleich dazu sagen muß, daß die Höherqualifizierung der einen von der zunehmenden Abkoppelung der anderen begleitet ist, denen nur mehr die Rolle der "Betroffenen" - in sozialpolitischer Perspektive "Klienten" - verbleibt? Die Notwendigkeit politischer Regulierung ergibt sich daher nicht nur aus ihrem Nutzen für die wirtschaftliche Entwicklung, sondern auch aus dem begrenzten gesellschaftlichen Nutzen, den diese von sich aus hervorbringt. Unter dieser Perspektive erscheint auch die hier bislang nicht problematisierte Innovationsorientierung in einem anderen Licht. Mit ihrer Ausrichtung an Wissenschaft und Qualifikation und ihrem Abstellen auf Verhaltensdispositionen wie Kreativität, Originalität, Risikofreude, Schnelligkeit, Durchsetzungsfähigkeit und Selbständigkeit verweist sie auf die Verstärkung jener Prozesse der Individualisierung und der Entstabilisierung sozialer Beziehungen, die den bisherigen Institutionen sozialer Integration ihre Bindekraft entziehen. Die ökonomische Ausgrenzung wird dann durch die Erosion nichtökonomischer sozialer Bindungen zugleich verdoppelt und sanktioniert. Hier - ohne verläßlichen Kompaß - gegenzusteuern, in der Debatte über die ökonomischen und technischen Bedingungen gesellschaftlicher Entwicklung den Gesichtspunkt humanen Zusammenlebens als wesentlichen Bezug im Spiel zu halten, ist sicherlich auch eine Aufgabe kritischer Sozialwissenschaft. Es ist vor allem aber auch eine Forderung an eine mit Gestaltungsanspruch auftretende Politik.
Literatur
Albach, H. (1994):
Baethge, M., V. Baethge-Kinsky (1998):
Baethge, M., J. Denkinger, U. Kadritzke (1995):
BMBF (1997):
Child, T., S. Heavens (1996):
Favereau, O. (1994):
Gerybadze, A., F. Bayer-Krahmer, G. Reger (1996):
Kern, H. (1996):
Kern, H. (1996a):
Kern, H., C.F. Sabel (1994):
Nonaka, I., H. Takeuchi (1997):
OECD (1993):
Oehlke, P. (1996):
Schumann, M., V. Baethge-Kinsky, M. Kuhlmann, C. Kurz, U. Neumann (1994):
Wittke, V. (1996):
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