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TEILDOKUMENT:




4. Sozialsysteme in der EU und ihre Dynamik

Trotz der Gemeinschaftscharta sozialer Grundrechte, des Sozialkapitels des EG-Vertrages, des Maastrichter Sozialabkommens der Vierzehn und der zahlreichen, im vorigen Abschnitt genannten Initiativen ist aber unübersehbar, daß Sozialpolitik in den Mitgliedstaaten gemacht wird - allerdings unter dem zunehmenden Druck der Systemkonkurrenz.

Unterschiedliche religiöse, ideengeschichtliche und politisch-administrative Hintergründe haben dazu geführt, daß sich die Solidarsysteme der einzelnen Industrieländer entlang unterschiedlicher "Attraktoren" entwickelten. Begg u.a. (1994: 26) unterscheiden in Anlehnung an Lind vier "Modelle": das katholische, das nordisch-dänische, das korporatistische und das liberale. Alle vier Realtypen sind in der EU durch bestimmte Länder oder Ländergruppen vertreten, so der nordische durch die skandinavischen Mitgliedstaaten, der korporatistische durch Deutschland, Frankreich und die Benelux-Staaten, der katholische durch die südlichen Mitgliedstaaten und der liberale durch Großbritannien (Begg u.a. 1994: 26). Herausragendes Unterscheidungsmerkmal ist dabei, daß im liberalen Modell der Markt, im katholischen ein nach dem Subsidiaritätsprinzip organisiertes, stark familienbezogenes Nebeneinander gesellschaftlicher Solidareinrichtungen die soziale Regulierungsaufgabe trägt, die im nordischen und im korporatistischen Modell Sache starker Tarifparteien und des Staates ist, wobei das skandinavische, stärker auf Gesetze als auf Tarifvereinbarungen bauende Modell noch mehr als das korporatistische auf umfassende staatliche Absicherung, Redistribution und individuelle Gleichbehandlung ausgerichtet ist. Allen nationalen Systemen gemeinsam ist aber, daß sie - und das bewirkt heute die durchgängigen Probleme - vor dem Hintergrund niedriger Erwerbsquoten, geringerer Arbeitslosigkeit und kürzerer Lebenserwartung entstanden sind (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 1995a: 5).

Dies macht Anpassungen nötig. Die Fähigkeit dazu ist nicht in allen Modellen gleich ausgeprägt. So wird etwa das korporatistische Modell von der neoliberalen Schule gern als
„Kartell" eingestuft, das für viele Systemrigiditäten verantwortlich sei. Es sollte aber auch darauf verwiesen werden, daß dieses Modell ein hohes Maß an Stetigkeit aufweist, da die Tarifparteien und - im Gegensatz zu ihrem Image - insbesondere die Gewerkschaften nicht nur Interessenpolitik betreiben, sondern sehr wohl zu gesamtwirtschaftlich-rationalem Verhalten in der Lage sind (Genosko 1996: 135). Im Unterschied dazu lieferte Großbritannien um die Wende zu den achtziger Jahren und Schweden in den neunziger Jahren den Beweis, daß sowohl das liberale Modell als auch das legalistische Sozialstaatsmodell scharfen Brüchen unterliegen kann, bei denen es zu erheblichen Friktionsverlusten kommt.

Übersicht 1 zeigt für sechs EU-Länder, die USA und Japan die charakteristischen Unterschiede des Sozialsystems in der hier gebotenen Informationsdichte. Sie wurde aus zahlreichen Einzelinformationen einer aktuellen niederländischen Untersuchung zusammengestellt. Die Autoren bedienten sich der Methode des "benchmarking". Dabei wurde jedes Land im Hinblick auf wesentliche Systemmerkmale, z.B. "Arbeitsmarktflexibilität" oder "Beschäftigungsintensität des Wachstums", in Relation zu seinen Konkurrenten als gut, schlecht oder durchschnittlich eingestuft. Die Einstufung für jedes Merkmal ist ihrerseits das zusammengewichtete Ergebnis vieler Einzelbewertungen. Gemeinsame Meßlatte war, inwieweit das jeweilige System geeignet ist, die internationale Wettbewerbsposition des Landes zu stärken und zugleich ein relativ hohes Beschäftigungsniveau zu halten. Diese Optik impliziert, daß etwa ein hoher gesetzlicher Arbeitsschutz, eine hohe Umverteilung oder eine geringe Lohnspreizung als negativ eingeschätzt werden, da im ersten

Falle die Belastung der Arbeit mit lohnfremden Nebenkosten, im zweiten Fall die Steuerquote und im dritten Falle die Lohnbelastung minderqualifizierter Arbeit als zwangsläufig hoch angenommen werden. Diese Optik gilt für den oberen Teil der Übersicht. Um hier Mißverständnisse zu vermeiden, wird in Zweifelsfällen per Fußnote auf die Bewertungsrichtung verwiesen. Die Übersicht enthält außer den systemischen Merkmalen auch - im abgesetzten unteren Teil - einige Erfolgsindikatoren, z.B. die Stundenproduktivität, die einerseits mit den systemischen Elementen, andererseits direkt mit der Beschäftigungsintensität des Wachstums zu tun haben. Auch sind dort einige systemische Merkmale aufgeführt, für die die Bewertungsrichtung gegenüber dem oberen Teil umgedreht ist, da sie einfach nicht unter kurzfristigen Kostenaspekten gesehen werden dürfen.

Übersicht 1:
Ordinale Indikatoren zur beschäftigungspolitischen Leistungskraft und zu den Sozialsystemen in acht Industriel&aUML;ndern

Anmerkung: + = gut; - = schlecht; o = durchschnittlich, jeweils im Vergleich zu den Konkurrenzländern.
Leeres Feld = keine Information. Die ordinale Einstufung wurde in den meisten Fällen mit Hilfe eines differenzierten "Benchmarking-Systems" in der u.g. Quelle selbst ausgewiesen. In einigen Fällen wurde sie anhand aus der gleichen Quelle verfügbarer kardinaler Indikatoren vom Verfasser vorgenommen.

1) Hoher Wert gleich negative Einstufung
2) 1990-1995
3) Einschließlich Investitionen in die Prävention
4) Hohe oder lange gezahlte Lohnersatzleistungen gleich niedrige Einstufung
5) Hoher Wert gleich positive Einstufung
6) Steuern und Sozialabgaben in % des BIP. Hohe Quote gleich negative Einstufung
7) Wie FN 1; die Umverteilung in den USA und im UK zielt lediglich auf das untere Segment.

Quelle: Ministry of Social Affairs and Employment of the Netherlands: The Dutch welfare state from an international and economic perspective, The Hague 1996.
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Die Übersicht weist Deutschland als ein Land mit hohem Arbeitsschutz, guter Berufsausbildung, relativ hoher Gleichverteilung des Primäreinkommens und infolge all dessen gutem Sozialklima aus. Diese Gesamteinstufung teilt es im Vergleich der acht Länder nur noch mit den Niederlanden und Japan. In den Niederlanden ist dieses Urteil sicher mitgeprägt durch eine wirksame Armutsbekämpfung und eine hohe soziale Durchlässigkeit des gesamten Beschäftigungssystems. Doch beschäftigungspolitisch haben die Niederlande offensichtlich einen weiteren, entscheidenden Vorteil: Im Wachstumsprozeß werden dort mehr Arbeitskräfte absorbiert. Daß dieser Erfolg nicht zu Lasten der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Landes geht, kommt darin zum Ausdruck, daß die Arbeitsproduktivität je Stunde gerechnet sogar besser als in Deutschland eingeschätzt wird. Den Ausschlag gibt vielmehr, daß die niederländische Erwerbsbeteiligung in Personen gerechnet höher ist als in Arbeitsjahren. Diese Zunahme der Erwerbsbeteiligung ist jüngeren Datums (je Kopf ist die Arbeitsproduktivität daher seit Mitte der achtziger Jahre im Vergleich zu Westdeutschland deutlich gesunken; Pohl/Volz 1997: 261). Die Differenz gilt zwar gleichermaßen für Deutschland, doch in Verbindung mit dem für die zwei Länder unterschiedlichen Testat für das Maß an Arbeitsmarktflexibilität drängt sich der Eindruck auf, daß die niederländische Priorität für das Teilzeitmodell beschäftigungspolitisch wirkungsvoller ist als die in Deutschland favorisierte allgemeine Arbeitszeitverkürzung. Diese macht knappes Angebot an qualifizierten Kräften noch knapper und verhindert u.U. auch die Einstellung komplementärer Kräfte mit geringerer Qualifikation (Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute 1997: 308). Hinzu kommt, daß das niederländische Tarifsystem offenbar eine kurzfristig flexiblere Reaktion der Löhne auf eine konjunkturelle Bedrohung der Arbeitsplatzsicherheit zuläßt. Wenn gleichwohl die gesamte Sozialgesetzgebung der Niederlande ebenso wie die in Deutschland als eher wettbewerbsfeindlich eingestuft wird, so zeigt dies nur, daß bei hinreichender Flankierung durch Maßnahmen der arbeitsmarktpolitischen Flexibilisierung und Differenzierung die Solidargemeinschaft nicht der Globalisierung geopfert werden muß. Die größten Probleme haben beide Länder offenbar mit der Eingliederung wenig qualifizierter Arbeitskräfte in den Arbeitsmarkt. Der Schlüssel dazu mag in dem Mangel an langfristiger Lohnflexibilität und in den vor allem in Holland mäßigen Anreizen zur Arbeitsaufnahme in Verbindung mit hoher Abgabenbelastung der Arbeit zu suchen sein. Die gute Berufsausbildung und das hohe Qualifikationsniveau der Bevölkerung haben es allerdings in Deutschland ermöglicht, das Eingliederungsproblem quantitativ in engeren Grenzen zu halten, als es die Konkurrenzländer vermochten.

Die Niederlande werden hier deshalb so ausführlich zum Vergleich mit Deutschland herangezogen, weil sie auf dem europäischen Kontinent seit Jahren das beste Gesamtergebnis im Hinblick auf Wachstum, Beschäftigung und soziale Stabilität vorweisen können. Dies liefert Ansatzpunkte für Lerneffekte. Dabei sollte freilich bedacht werden, daß ein wichtiger Teil des Erfolgsrezepts (reale Währungsabwertung als Folge zurückhaltender Lohnpolitik) nicht ohne weiteres von großen Ländern wie Deutschland nachgeahmt werden kann, ohne daß andere Große zu Gegenmaßnahmen greifen (Pohl/Volz 1997: 260).

Die übrigen Länder tun sich mindestens in der einen oder der anderen Hinsicht, zuweilen auch in jeder Hinsicht schwerer:

- In Dänemark läßt vor allem die berufliche Qualifizierung zu wünschen übrig, es mangelt sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer an beschäftigungsfördernden finanziellen Incentives, und die Beschäftigungsintensität des Wachstums ist gering.

- Den Schweden wird eine gute Qualifikation und ein hohes Maß an Lohn- und Arbeitsmarktflexibilität bescheinigt - angesichts der starken Zentralität der Tarifverhandlungen auch dort ein Hinweis auf gesamtwirtschaftlich rationales Verhalten der Gewerkschaften. Es ist Schweden auch besser als den Vergleichsländern gelungen, die wenig qualifizierten Arbeitskräfte einzugliedern, so daß auch das Problem der Dauerarbeitslosigkeit besser als andernorts auf dem Kontinent bewältigt wird. Die praktische Beschäftigungsgarantie und das hohe Maß an staatlicher Umverteilung sind jedoch mit hohen Abgaben, schwachen Anreizen und hohen Ausfallquoten verbunden, so daß die gesamte Sozialgesetzgebung als wenig wettbewerbsfördernd gilt.

- Belgien bekommt bei den meisten beschäftigungspolitischen Merkmalen schlechte bis höchstens durchschnittliche Noten, so daß es kein Wunder ist, wenn dort die Dauerarbeitslosigkeit besonders gravierende Züge trägt. Die positive Kehrseite ist eine hohe Stundenproduktivität, die offensichtlich die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Landes stützt.

- Besser sind die meisten beschäftigungspolitischen Indikatoren in Großbritannien, sowohl in bezug auf die Qualifikation als auch und vor allem bei den Incentives für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer. Als entsprechend wettbewerbsfreundlich gilt das Gesamtsystem. Wenn dennoch die Produktivität niedrig und die Lohnkosten je Produktionseinheit hoch sind, so wohl als Spätfolge jahrzehntelanger Versäumnisse. Die positive Entwicklung in jüngerer Zeit kommt in den Bewertungen freilich noch nicht zum Ausdruck. Die britische Gesellschaft bleibt dennoch sozial tief gespalten, es gibt wenig soziale Aufstiegschancen, die primären Lohndifferenzen sind groß, und sie werden zudem nur wenig über staatliche Umverteilung ausgeglichen.

- Diesen Zug hat die britische mit der amerikanischen Gesellschaft gemeinsam. Er ist dort sogar noch ausgeprägter, indem der Arbeitsschutz noch geringer, das Qualifikationsniveau der Beschäftigten trotz formaler Abschlüsse noch schlechter, die Einkommensverteilung schon vor Steuern und Abgaben noch ungleicher, die Zumutungen für die abhängig Beschäftigten in bezug auf die Bedingungen am Arbeitsplatz noch größer sind. Dennoch gelingt es den USA wie Großbritannien nicht, die wenig Qualifizierten hinreichend in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Insgesamt ist das soziale Klima in den USA und in Großbritannien so schlecht wie nirgends sonst in den Vergleichsländern. Unbestreitbar ist allerdings, daß die USA, und zwar ohne staatliche Beschäftigungsgarantie mit ihren negativen Folgen für die Staatsfinanzen und das Anreizsystem wie in Schweden, kaum Probleme mit der Dauerarbeitslosigkeit haben und zudem international hoch wettbewerbsfähig sind.

- Für Japan sind die Informationen nach dem benutzten Erhebungsraster relativ spärlich. Meist sind sie überdurchschnittlich gut. Das gilt vor allem für die Anreiz- wie die Erfolgsindikatoren mit Bezug auf Arbeitsmarkt und Beschäftigung. Flexibilität des Arbeitsmarktes ist in der konsensbasierten japanischen Gesellschaft offenbar kein wesentliches Ingredienz für geringe Dauerarbeitslosigkeit, hohe Lohndifferenzierung und Anpassung der Löhne an die kurz- und langfristigen Erfordernisse. Die konsensbegünstigenden Gesellschaftsstrukturen dürften es auch sein, die das gute Sozialklima insgesamt in Japan begründen. Dies geht zwar mit einem relativ geringen Niveau der Stundenproduktivität einher, doch muß man hier sehr genau zwischen Gesamtwirtschaft- auf die sich die Benchmarking-Studie bezieht- und dem Bereich der international handelbaren Güter und Dienste unterscheiden, wo Japan zu den produktivsten Ländern der Welt zählt.

Insgesamt zeigt der Vergleich zwischen den Industrieländern erhebliche Unterschiede in den Sozial- und Beschäftigungssystemen. Dies läßt darauf schließen, daß es auch unter den Bedingungen offener Märkte möglich ist, nationale Prioritäten entsprechend den gewachsenen Strukturen zu setzen. Das schließt die Beseitigung von Auswüchsen und den Versuch nicht aus, das jeweilige System effizienter und beschäftigungsfördernder zu gestalten. Die hier ausgewertete niederländische Studie läßt wichtige Vergleichsländer wie Frankreich außer Betracht. Dessen Einbeziehung hätte vermutlich u.a. Mängel in der französischen Berufsbildung und demzufolge bei der Eingliederung Jugendlicher, jedoch Vorteile bei der beschäftigungswirksamen Erschließung des Dienstleistungssektors und bei der gezielten Entlastung der Arbeitgeber von Lohnnebenkosten aufgedeckt, Merkmale, die schon bei anderen Ländern begegnet sind. Generell hätte sich also das Spektrum der Probleme und nachahmenswerten Regelungen nicht wesentlich erweitert, so daß die niederländische Studie als repräsentativ angesehen werden kann.

Das Benchmarking gibt allerdings nur eine Momentaufnahme für 1994/95. Sie zeigt nicht den kontinuierlichen oder bruchartigen Wandel, dem die Systeme unterworfen sind. Auf dessen Tempo, Ausmaß und Breite hat die Globalisierung als Auslöser des Systemwettbewerbs und der Strukturprobleme am Arbeitsmarkt durchaus einen Einfluß. Das gleiche gilt in Anbetracht der "wettbewerbsfreundlichen" Sozialgesetzgebung in Großbritannien auch für den Europäischen Binnenmarkt. Übersicht 2 zeigt die Fülle von Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten der EU in der ersten Hälfte der neunziger Jahre jeweils zur beschäftigungsfördernden Reform ihres Sozialsystems ergriffen oder vorbereitet haben. Die Gliederung der Maßnahmen folgt den Schwerpunkten, die die Staats- und Regierungschefs der EU auf ihrem Essener Gipfel von 1994 gesetzt hatten.

Übersicht 2:

Laufende oder geplante nationale Maßnahmen der Beschäftigungsförderung im Bereich der vom Europäischen Rat von Essen gesetzten Schwerpunkte (Stand 1995)

1) Berufliche Bildung

  • Regelmäßige Überprüfung von Berufsprofilen und Qualifikationsinhalten: D, NL, A, S, UK
  • Prognose von Qualifikationstrends durch Erhebungen oder Modelle: B, DK, NL, P, FS, D, H, E, A, IR, I
  • Entwicklung von Qualitätssicherungssystemen: B, DK, F, P, H (in D, A, NL existieren gesetzliche Standards; in UK Ergebnisprüfung)
  • Definition von Zielen der beruflichen Bildung nach Qualifikationsniveau für bestimmte Bevölkerungsgruppen (z.B. Jugendliche): UK, F, I, S, FS
  • Verbesserung des Angebots von und finanzieller Anreize für berufliche Weiterbildung: DK, F, A, FS, E, UK, D, H
  • Spezielle Maßnahmen des Zugangs zur beruflichen Weiterbildung für Frauen (zahlreiche Mitgliedstaaten) sowie für Beschäftigte von KMU: B, F, IR, E, P
  • Ausbildungsabgaben von Unternehmen in % der Lohnsumme, u.U. in Kombination mit Steuervorteilen für Mehrinvestitionen in Ausbildung: B, H, F, IR

2) Beschäftigungsintensität des Wachstums

  • Einführung einer Jahresarbeitszeit: F, B, E
  • Anreize zu befristeter Kurzarbeit: B, D, F, I
  • Andere Formen verstärkter Arbeitszeitflexibilisierung, meist in Kombination mit Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmerrechte und/oder Neueinstellungen: P, I, F, FS, NL, E, B, DK, D
  • Förderung der Teilzeitarbeit: alle Mitgliedstaaten außer DK bei teils hoher (z.B. UK), teils geringer Akzeptanz (z.B. S) der Betroffenen (meist Frauen)
  • Gesetzliche Auflage an Unternehmen zur Berücksichtigung von Familienpflichten bei tarifvertraglich auszuhandelnder Teilzeitarbeit: NL
  • Einfrieren der Reallöhne oder Beschränkung des Nominallohnanstiegs unterhalb der Produktivitätsfortschrittsrate: B, IR, NL, D, 1, L
  • Partielle Abschöpfung von Produktivitätsgewinnen zur Finanzierung von Beschäftigungsförderung, Berufsbildung und Kinderbetreuung: B
  • Dezentralisierung von Lohnverhandlungen mit dem Ziel engerer Verknüpfung von Leistung und Lohn: E, IR, DK, UK
  • Lohnabschläge für Problemgruppen: D, DK, E, NL
  • Einfrieren oder Anstiegsbegrenzung für Mindestlöhne: NL
  • Forcierung von örtlichen Beschäftigungsinitiativen: NL, D (Schwerpunkt häusliche Dienste); P (Schwerpunkt Nahbereich und Lebensqualität); F, NL, D, A (Schwerpunkt Eingliederung von Arbeitslosen); allgemein auch UK, IR, DK, S, SF
  • Dienstleistungsgutscheine: F, B, D, NL
  • Rechtliche, finanzielle, steuerliche und versicherungstechnische Erleichterung für private Haushalte zur Inanspruchnahme häuslicher Dienste: F, DK, D, A, P
  • Flankierende Ausbildungsprogramme mit Bezug auf häusliche Dienste: P, F, NL
  • Förderung der Gründung selbständiger Existenz: UK, P, SF
  • Verstärkte Förderung gemeinnütziger Vereinigungen und öffentlich-privater Partnerschaften: P, F, IR, SF

3) Lohnnebenkosten

  • Allgemeine Senkung von Sozialbeiträgen: E, L, NL, SF
  • Konditionierte und/oder befristete Senkung der Sozialbeiträge für Problemgruppen und/oder Niedriglohngruppen: B, F, DK, IR, NL, UK
  • Beitragssenkung für KMU bei gleichzeitiger Beitragserhöhung für Großunternehmen: FS
  • Kombination der Beitragssenkung mit Ausgleichsfinanzierung über Steuern auf Nutzung natürlicher Ressourcen ("doppelte Dividende"): UK, DK, L, E, NL
  • Ersetzung der Beitrags- durch Steuerfinanzierung der Berufsausbildung: D

4) Effiziente ( aktive") Arbeitsmarktpolitik

  • Leistungsfähigere Arbeitsvermittlung durch Aufhebung des öffentlichen Vermittlungsmonopols, Definition von Leistungskriterien, Umgestaltung der Arbeitsämter zu selbständigeren Service-Einrichtungen oder Koppelung von Zuschüssen an Vermittlungsleistungen: D, A, NL, I, E, UK
  • Zusammenarbeit der Vermittler mit Unternehmen (Bedarfsanalyse): F (Großunternehmen), D (Mittelstand), NL (bestimmte Sektoren)
  • Spezialvermittlung und Beratung für Langzeitarbeitslose und/oder Jugendliche: D (Zeitarbeitsplätze), B, F, UK, DK, S
  • Individuelle Aktionspläne für Arbeitslose mit Ziel Ausbildung oder Arbeitsplatz: DK
  • Förderung der beruflichen Mobilität durch bessere und zugleich "transferierbare" Ausbildung: vgl. Punkt 1, berufliche Bildung
  • Förderung der geographischen Mobilität durch Wohnungspolitik und Umzugs-/Fahrtbeihilfen: vor allem I
  • "Mehrzweckgutscheine" als Ausbildungs-, Unternehmenspründungs- oder Einstellungshilfe: H
  • Gezielte Einstellungsbeihilfen, meist bei Langzeitarbeitslosen und Jugendlichen: B, DK, FS, E, H, P, D, S, F
  • Strengere Konditionierung des Arbeitslosengeldes nach Zumutbarkeitskriterien oder Bereitschaft zu gemeinnützigen Arbeiten bzw. zur Ausbildung: DK, E, S, UK
  • Reduktion der "Einkommensersatzquote" (Lohnabstand der Ersatzleistung): NL, S, DK, FS, z.T. auch durch partielle Nichtanrechnung von eigenem Verdienst ("family-credit system" in UK)

Nachrichtlich:

  • "Arbeitslosigkeitsfalle" aufgrund zu geringer Differenz zwischen Lohnersatzeinkommen und potentiellem Erwerbseinkommen in Niedriglohngruppen: vor allem D, F, DK, IR, NL, SF. Das Entstehen einer solchen Falle ist zudem wahrscheinlich in Ländern mit langer Dauer von Lohnersatzzahlungen: zusätzlich B, S
  • Moral-hazard-Gefahr der kollusiven Nichtabführung von Beiträgen zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung wegen Existenz eines engmaschigen sozialen Auffangnetzes bei Einkommensverlusten: DK, S, SF

5) Problemgruppen

  • Senkung der Quote Jugendlicher mit nicht abgeschlossener Grundausbildung: DK, NL
  • Ausbildungs- oder Beschäftigungsgarantien (meist kommunal, aber auch per Absprache mit Unternehmen privat) als "Auffangmöglichkeit" für Schulabbrecher: DK, NL, B, E, P, UK, IR
  • Bevorzugte Ausrichtung der allgemeinen oder Durchführung spezieller Arbeitsmarktmaßnahmen auf Langzeitarbeitslose: vor allem F, UK, NL, S, FS; in F, NL und FS mit Zielvorgaben (aber: Gefahr der Marginalisierung dieser Gruppe! )
  • Spezielle Niedriglohn-Tarifverträge für Langzeitarbeitslose: I
  • Maßnahmen für Ältere ambivalent: I, A, NL: Verschärfte Bedingungen für Vorruhestand (wegen Fiskalkosten und demographischer Entwicklung); H: Förderung des Vorruhestandes in bestimmten Regionen (wegen hoher Arbeitslosigkeit)
  • Prävention gegen spätere Frauenarbeitslosigkeit: FS, DK, D, bei großen Stellenwertsunterschieden zwischen den Mitgliedstaaten

6) Horizontale Maßnahmen

  • Steuer-, bilanz- oder verwaltungsrechtliche Vereinfachungen und Entlastungen für KMU: I, FS, IR, F, A, UK, D, S, B, E, NL
  • Finanzielle oder steuerliche Stimulierung (per se beschäftigungsintensiver) Umwelttechnologien und Produkte: I, E, NL, S
  • Spezifische Umweltförderung im lokalen Kontext: E, NL, D (Berlin), F

Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Die Europäische Beschäftigungsstrategie: Jüngste Fortschritte und Perspektiven. Mitteilung der Kommission über Trends und Entwicklungen der Beschäftigungssysteme in der Europäischen Union. KOM (95) 465 endg., Brüssel, den 11.10.1995, Kapitel IV und V.
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Die besondere Bedeutung der beruflichen Bildung für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit haben mittlerweile alle EU-Länder erkannt. Die ergriffenen Maßnahmen sind jedoch mehr oder weniger "hart". Wichtig sind vor allem die systematische Anpassung der Ausbildung an die Bedarfsprofile, die Setzung entsprechender Abschlußstandards, die ökonomische Motivierung der Jugendlichen und Requalifikanten sowie die Garantie von Ausbildungsstellen. Diese Maßnahmen konzentrieren sich auf eine kleinere Gruppe von Ländern: Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Österreich, aber auch Griechenland. Dagegen lassen unter den entwickelteren Mitgliedstaaten hier Italien, Finnland und Schweden, unter den weniger entwickelten Spanien, Portugal und Irland noch Engagement vermissen.

Bei der Bewertung der nationalen Berufsbildungspolitiken ist jedoch Vorsicht geboten. Insbesondere bedarf es noch eines systematischen Vergleichs staatlicher (z.B. Frankreich), privater (z.B. UK) und dualer Ausbildungsstrukturen (z.B. Deutschland). So sind etwa Ausbildungsabgaben wie in Frankreich nur insoweit ein geeignetes Mittel zur Verbesserung der beruflichen Bildung, wie diese staatlich oder zumindest überbetrieblich, jedenfalls von einzelnen Betrieben nicht angeboten wird. Während staatliche Ausbildung die Sicherheit von Ausbildungsplätzen gewährleisten kann, wahrt die duale den engeren Bezug zum Bedarf der Unternehmen. Unter dem Einfluß der Globalisierung ändern sich aber offensichtlich die Bewertungsmaßstäbe. Kostendruck, Furcht vor hohen Abschreibungen auf Investitionen in Humankapital (Kündigung Ausgebildeter, Obsoleszenz des verwertbaren Fachwissens) sowie Verlagerung von Produktion mit "bloßem Facharbeiterbedarf" ins Ausland mögen in Deutschland den dramatischen Rückgang des Angebots an Lehrstellen erklären. Damit erweist sich zum Teil die Anpassung an die Bedarfsprofile als unzulänglich, zum Teil die abgabenfinanzierte überbetriebliche Ausbildung dem derzeitigen System als möglicherweise künftig überlegen.

Ausgesprochen verstärkt wurden vielfach die Bemühungen um ein beschäftigungsintensiveres Wachstum. Drei Gruppen von Maßnahmen lassen sich unterscheiden: Lohnkostensenkung, Arbeitsumverteilung und Erschließung von Dienstleistungen einschließlich Gründung selbständiger Existenz. Am durchgängigsten in allen drei Kategorien vertreten sind die Niederlande. Auch Deutschland versucht, das Problem recht breit anzugehen.

In der Lohnpolitik werden vereinzelt Stereotypen aufgebrochen. So begünstigt der Staat in Dänemark die Dämpfung und Differenzierung der Lohnentwicklung, während das "skandinavische Modell" in Schweden und Finnland auf diesem Feld noch ungebrochen zu gelten scheint. Unter den Nachholländern unternehmen Portugal und Griechenland "lehrbuchmäßig" offenbar wenig, um den Faktorpreisausgleich, sprich die Lohnangleichung, nicht zum Tragen kommen zu lassen, während die in gleicher Lage befindlichen Länder Irland und Spanien diesen Prozeß zu dämpfen scheinen. In Belgien und Italien sind die Maßnahmen fast ausschließlich arbeitszeitbezogen. Profil zeigt auf diesem Gebiete auch Frankreich, doch kommt dort eine Fülle von Ansätzen zur Entwicklung eines Marktes häuslicher, sozialer und kommunaler Dienste hinzu. Erstaunlich ist die generell weitgehende Zurückhaltung so reicher Länder wie Österreich und Schweden. In einem Land wie Schweden, in dem über Jahrzehnte der Staat redundante Beschäftigung absorbierte, braucht es seine Zeit, bis z.B. Teilzeitarbeit gesellschaftsfähig wird, während etwa in Großbritannien, wo der Markt alles regelt, Teilzeitarbeit hochwillkommen und darüber hinaus unsichere Selbständigkeit - sie wird bezeichnenderweise vom Staat großzügig gefördert - oft der einzige Ausweg ist. Allerdings gibt gerade für Schweden die Übersicht noch nicht in aller Schärfe die erst 1994/95 einsetzende Abkehr von einigen tradierten Prinzipien des Sozialstaatsmodells wieder. Außerdem sind dort die Ausgaben für kommunale und gemeinwirtschaftliche Beschäftigungsinitiativen ohnehin sehr hoch; das Gebot ist also eher der Abschied von diesem arbeitsmarktpolitischen Instrument, das ja, wie sich auch andernorts vielfach gezeigt hat, mit der Gefahr einer strukturellen Abkopplung vom ersten Arbeitsmarkt verbunden ist (Franzmeyer u.a. 1996: 128). Die geringe Maßnahmendichte in Luxemburg ist Reflex der unproblematischen Beschäftigungslage. Die "Tertiarisierung der Wirtschaftsstruktur" wird dort spontan durch den Markt gewährleistet und hat Nachhilfe nicht nötig. In Griechenland wiederum könnte die gleichermaßen geringe Maßnahmendichte eher mit Lücken der Berichterstattung zu tun haben.

Eigentlich zu den Bemühungen um Kostensenkung und damit um ein beschäftigungsintensiveres Wachstum zählt die Senkung der Lohnnebenkosten. Wenn der Essener Gipfel hier gleichwohl einen eigenständigen Schwerpunkt gesetzt hat, so weil die Einkommen der Unselbständigen, obwohl sie den Anknüpfungspunkt für das Tätigwerden des Staates bilden, von den Maßnahmen selber nicht berührt werden. Damit haben die Maßnahmen eine geringere gesellschaftspolitische Brisanz als Eingriffe in die Lohngestaltung und sind der Versuch, Kostensenkung sozialverträglich zu gestalten. Adressat sind ausschließlich die Unternehmen, denen im Standortwettbewerb günstigere Bedingungen für arbeitsintensivere Investitionen geboten werden sollen. Spitzenreiter sind auch hier die Niederlande. Für Italien, Österreich, Schweden und Griechenland werden dagegen noch keinerlei Aktivitäten gemeldet. Die meisten übrigen Länder setzen das Instrument allerdings nur gezielt für bestimmte Personengruppen (untere Lohngruppen) oder Unternehmenstypen (KMU in Finnland) ein und koppeln es zudem - wie die Niederlande auch - mit einer Gegenfinanzierung über Steuern auf den Energieverbrauch, so daß die Unternehmen netto nur insoweit entlastet werden, wie die Ökosteuern auch von privaten Haushalten getragen werden müssen. Immerhin wird hier unabhängig vom betriebswirtschaftlichen Kostenaspekt ein wichtiger Beitrag zur Strukturpolitik geleistet, weshalb die Kommission diese "horizontale" Maßnahme auch noch einmal besonders hervorhebt (vgl. Punkt 6 der Übersicht).

Einen hohen Stellenwert gewinnt nach den fiskalisch, gesellschaftlich und individualpsychologisch negativen Erfahrungen mit der "passiven" Verwaltung von Arbeitslosigkeit die "aktive" Arbeitsmarktpolitik. Drei Maßnahmenbündel sind zu unterscheiden: effektivere Arbeitsvermittlung, finanzielle Anreize zur Arbeitssuche und finanzielle Einstellungsanreize. Die erste Kategorie von Maßnahmen ist unumstritten; die Nachhaltigkeit ihres Erfolges hängt aber davon ab, inwieweit es gelingt, sie mit Ausbildung und Umschulung zu verzahnen und - wie es vor allem Italien versucht - auch die regionale Dimension mit einzubeziehen. Einen flexiblen und verwaltungstechnisch kostengünstigen Einsatz gewährleisten zweifellos die Mehrzweckvouchers nach griechischem Vorbild. Dagegen mögen in Dänemark die individuellen Aktionspläne zur Eingliederung Arbeitsloser in das Bildungs- oder Beschäftigungssystem zwar sehr effektiv sein, sie erfordern aber einen hohen Personaleinsatz und sind damit sehr teuer. Gleich auf beiden Seiten des Arbeitsmarktes soll in den skandinavischen Ländern die Motivation ökonomisch stimuliert werden - beim Arbeitsangebot durch "disincentives", bei der Nachfrage durch Einstellungsbeihilfen. Das Instrument der Einstellungsbeihilfe wird aber von sehr viel mehr Mitgliedstaaten genutzt, die damit dem Kostensenkungswettbewerb ein neues Element hinzufügen. Disincentives werden ausgerechnet im sozialpolitisch "knallharten" Großbritannien sehr viel weicher als andernorts eingesetzt. Zwar gelten auch dort verschärfte Zumutbarkeitsregeln, doch wird Arbeitslosen mit Familie zugleich gestattet, Verdienstmöglichkeiten wahrzunehmen, ohne daß diese voll auf die Lohnersatzleistung angerechnet werden. Dies ist ökonomisch zweifellos sinnvoll, weil eine demotivierend wirkende, hohe Grenzbelastung des Eigenverdienstes vermieden wird.

Zu den Maßnahmen für Problemgruppen wurden schon unter den anderen Schwerpunkten verschiedene Brücken geschlagen. Am dringendsten und deshalb wichtigsten sind die bildungsbezogenen Aktivitäten für Jugendliche, wie sie vor allem die Niederlande und Dänemark entfalten. Die immer noch weit verbreiteten reinen Beschäftigungsprogramme für Langzeitarbeitslose bergen dagegen die Gefahr weiterer Marginalisierung dieser Gruppe in sich. Ambivalent ist auch die Frühverrentung Älterer. Einerseits senkt sie die Arbeitslosigkeit, andererseits belastet sie das Rentenversicherungssystem enorm (und schiebt damit die Last lediglich von einem Versicherungsträger zum anderen). Letzteres war vor allem in den Niederlanden und Italien mit ihrer jeweils exzessiv hohen Zahl von "Invaliden" der Fall; die partielle Rücknahme dieses Instruments in beiden Ländern ist deshalb logisch.

Eine "Problemgruppe" unter den Arbeitgebern sind die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Ihnen wird daher in fast allen Mitgliedstaaten der EU in der einen oder anderen Form finanzielle oder steuerliche Hilfe angeboten, die ihnen u.a. die Einstellung von zusätzlichem Personal erleichtern soll. Zwar entbehrt auch dies nicht der Wettbewerbssensibilität im Europäischen Binnenmarkt, kann beschäftigungspolitisch aber hochwirksam sein, da in dieser Kategorie von Unternehmen das Gros der neuen Arbeitsplätze entsteht.

Auch diese hier kommentierte Übersicht der Kommission zur Umsetzung der beschäftigungspolitischen Gipfelbeschlüsse von Essen liefert nur eine Momentaufnahme und ist in großen Teilen schon wieder veraltet. Erinnert sei nur daran, daß in Deutschland die Zumutbarkeitsregeln für Arbeitslose verschärft, der Kündigungsschutz gelockert, die Beteiligung von Patienten an den Krankheitskosten erhöht, die Rentenanwartschaft gekürzt, der Anspruch auf Arbeitslosengeld und Sozialhilfe geschmälert wurden. Andererseits wurden die französische Idee des "Dienstleistungsgutscheins" und andere Anreizformen zur Beschäftigung von Anbietern häuslicher Dienste aufgegriffen. Auch Eingliederungshilfen für Langzeitarbeitslose werden gewährt. Manche Probleme gingen die EU-Länder aber auch unter dem wachsenden Druck von Arbeitslosigkeit und Maastricht–Kriterien noch nicht an. So steht in Italien die dringende große Rentenreform trotz einzelner Entlastungsschritte (Thelen 1997) letztlich noch aus. Anderes bleibt rechtlich umstritten. So bezweifelt der Bundesarbeitsminister, daß eine gezielte Entlastung der Unternehmen von Sozialabgaben für bestimmte Lohngruppen mit dem deutschen Versicherungsrecht vereinbar sei, während der Präsident des deutschen Arbeitgeberverbandes dieses Instrument ausdrücklich propagiert. Insgesamt, so das Ergebnis einer im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums erstellten Studie (Frankfurter Rundschau 1997), sind ohne Berücksichtigung der Sonderbelastungen aus der deutschen Einheit - die hierzulande das eigentliche Problem der Sozialversicherungsträger sind (Brücker 1996) - die Sozialausgaben in Relation zum Bruttoinlandsprodukt nirgendwo so stark zurückgegangen wie in Deutschland. Aber auch Frankreich, die Niederlande, Italien und Österreich haben qualitativ vergleichbare Kürzungen durchgesetzt.

Die Übersicht gibt jedenfalls die Richtung an, in die sich die Systeme entwickeln. Ein Charakteristikum dieser Entwicklung ist der zunehmende Systemwettbewerb. Er läßt in zahlreichen Punkten durchaus Konvergenzwirkung erkennen. Die Mitgliedstaaten legen es offensichtlich darauf an, ihren jeweiligen Standort auch mit sozialpolitischen Mitteln und im Verhältnis zueinander attraktiver zu machen. Dies besagt, daß die Mitgliedstaaten hier nicht ausschließlich das Wohl der Gemeinschaft insgesamt im Auge haben, wenn sie ihre beschäftigungswirksame Politik koordinieren. Nur soweit der Systemwettbewerb zu Effizienzgewinnen führt, kommt er allen beteiligten Ländern zugute. Doch er erstreckt sich auch auf Subventionen, Abgaben und soziale Errungenschaften. Zu wenig beachtet wird dabei, daß dies zwar einzelnen Ländern helfen könnte, ihre Probleme besser zu bewältigen. Von allen angewendet, neutralisiert es sich aber notwendigerweise. Es fragt sich also, ob es hier auf EU-Ebene der steuernden Hand bedürfte. Doch auch so werden die Ziele der EU-Kommission heute besser erreicht als noch vor drei Jahren. Die Kommission kann mittlerweile mit der Umsetzung ihres Konzepts von Transparenz, Informationsaustausch und Voneinanderlernen zufrieden sein. Bezweifelt werden muß aber, daß auch ihr Credo von der Balance zwischen Wettbewerbssicherung und sozialer Sicherung immer gewahrt bleibt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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