Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung |
Bei Ihrer Gründung im Jahre 1969 als Bibliothek des Archivs der sozialen Demokratie konnte die neue Bibliothek nur eine begrenzte Anzahl von Originalzeitungen und -zeitschriften aus der historischen deutschen Arbeiterbewegung vor 1933 vorweisen. Die alte SPD-Bibliothek in Berlin wurde während der Naziherrschaft von staatlichen Einrichtungen geplündert, die einzelnen Bestände nach 1945 zerstreut. Der erhaltengebliebene Kern der alten SPD-Bibliothek fiel 1945 als Beutegut in die Hände der sowjetischen Besatzungsmacht. Die in der sowjetischen Besatzungszone verbliebenen Reste dienten später als Grundstock zum Aufbau der Bibliothek des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED in Ost-Berlin. Westliche Forscher hatten zu den Beständen der SED-Bibliothek über Jahrzehnte hinweg praktisch keinen Zugang.
In den westlichen Zonen (und der späteren Bundesrepublik) gingen neue Inititativen von historisch engagierten Sozialdemokraten aus. In diesem Zusammenhang müssen vor allem die Bibliothekare und Archivare beim Parteivorstand der SPD, Rudolf Rothe und Paul Meyer, genannt werden. Beide sammelten bei zurückgekehrten Emigranten, bei alten Parteimitgliedern, die ihre Bibliotheken über die Nazi-Zeit gerettet hatten, und bei befreundeten Einrichtungen des westlichen Auslands wichtige Primärquellen aus der deutschen Arbeiterbewegung, darunter viele wertvolle Zeitschriften. Scheinbar verlorengegangene Jahrgänge tauchten in den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren wieder auf und konnten der historisch interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Dennoch lag es auf der Hand, dass die engagierte Sammeltätigkeit nicht in der Lage sein würde, eine systematische Lückenschließung bei den periodischen Veröffentlichungen der Arbeiterparteien, Gewerkschaften, Genossenschaften, der Arbeiterkultur- und Sportorganisationen und linker Splittergruppen zu ersetzen. Dabei waren der Lückenschließung durch Originale von vornherein enge Grenzen gesetzt. Viele Zeitschriftentitel, Zeitungsbände, Protokolle und Geschäftsberichte hatten den Krieg und die nationalsozialistische Barbarei nicht überstanden. Sie müssen als unwiederbringlich verloren gelten. Andere wertvolle Bestände hatten das Inferno nur in einem einzigen Exemplar überstanden. Diese Feststellung trifft vor allem auf Zeitungstitel der deutschen Sozialdemokratie zu. Das stolze sozialdemokratische Zeitungsimperium zählte vor 1933 über 100 laufende Tageszeitungen. Überraschend viele Zeitungstitel hatten in Stadtarchiven, Museen, wissenschaftlichen Stadtbibliotheken "überlebt", oft von verantwortungsbewussten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern rechtzeitig ausgelagert. Der Sicherung der Quellen nahm sich sofort nach Neugründung das Archiv der sozialen Demokratie in der Friedrich-Ebert-Stiftung an.
Dabei arbeitete die Bibliothek des Archivs eng mit dem Mikrofilmarchiv der deutschsprachigen Presse zusammen, einem 1965 gegründeten gemeinnützigen Verein, dem Bibliotheken, Archive und Forschungseinrichtungen angehören, die Zeitungen als Quelle oder Gegenstand ihrer Arbeit benutzen.
Die Friedrich-Ebert-Stiftung finanzierte einen großen Teil der Verfilmungen sozialdemokratischer Tageszeitungen in deutschen Bibliotheken und Archiven und stellte sie gemeinnützig dem "Mikrofilmarchiv" zur Verfügung. Von den Verfilmungsaktivitäten profitierten zahlreiche Bibliotheken und Forschungseinrichtungen des In- und Auslandes, die günstig in den Besitz von Lesekopien der wichtigsten SPD-Zeitungen kamen. Vor allem die "großen" SPD-Zeitungen mit langen Laufzeiten (in der Regel von 1890 bis 1933) wurden seit den sechziger Jahren verfilmt und gaben der Renaissance der Geschichtsschreibung der deutschen Arbeiterbewegung entscheidende Impulse, machten sie in vielen Fällen sogar erst möglich. Titel wie der "Vorwärts" (Berlin), "Bremer Bürgerzeitung" "Arbeiter-Zeitung" (Dortmund), "Volksstimme" (Frankfurt am Main), "Hamburger Echo", "Volkswille" (Hannover), "Kasseler Volksblatt", "Rheinische Zeitung" (Köln), "Volksstimme" (Lüdenscheid) stehen für die Verfilmungsperiode der späten sechziger und frühen siebziger Jahre. Die Stiftungsbibliothek profitierte ihrerseits von der Verfilmung der Exilpresse, die seit 1969 der Deutschen Bibliothek als gesetzlicher Sammelauftrag anvertraut wurde. Sozialdemokratische, linkssozialistische, kommunistische und Gewerkschaftsorgane aus der Zeit von 1933 bis 1945 wurden als Filme in den Bibliotheksbestand aufgenommen und ergänzten die Originale aus den großen Exilsammlungen des Archivs (SOPADE, Internationale Transportarbeiter-Föderation, Internationaler Sozialistischer Kampfbund).
Nicht im Rahmen des Mikrofilmarchivs, sondern eigenständig - dafür gab es gute politische Gründe - realisierte die damalige Bibliothek des Archivs der sozialen Demokratie in Polen verschiedene Verfilmungsprojekte. Seit 1975 bemüht sich die Bibliothek, die Arbeiterpresse der ehemaligen deutschen Ostgebiete durch Mikroverfilmungen zu sichern und der Forschung leichter zugänglich zu machen. In der Universitätsbibliothek Breslau wurden die sozialdemokratische "Volkswacht", die von 1890 bis 1933 in Breslau erschien, das in Waldenburg erschienene SPD-Organ "Schlesische Bergwacht" (1911-1933) und die kommunistische "Schlesische Arbeiterzeitung" verfilmt. Vor allem die Verfilmung der "Volkswacht" erregte schnell das Interesse bundesdeutscher Forscher an der Geschichte der Breslauer Parteiorganisation, von ihrem damaligen Vorsitzenden Klaus Eckstein scherzhaft "als der linke Flügel der europäischen Arbeiterbewegung außerhalb Russlands" bezeichnet. Wie keine andere Verfilmung vorher stieß die Verfilmung der "Volkswacht" neue Türen für die Forschung auf und regte zu einer Reihe bemerkenswerter historischer Arbeiten von hohem Rang an.
In der "Danziger Bibliothek" der Polnischen Akademie der Wissenschaften wurden die sozialdemokratische "Danziger Volksstimme" und die kommunistische "Danziger Arbeiter-Zeitung" verfilmt. Im vergangenen Jahr wurde in einem trilateralen Kooperationsprojekt mit der Woiwodschaftsbibliothek in Stettin der Stettiner "Volksbote" verfilmt, der während des Sozialistengesetzes vorübergehend in Stargard erschien. Abgerundet wurden die Verfilmungen in der "Schlesischen Bibliothek" in Kattowitz, wo die Verfilmung der "Gazeta Robotnicza" realisiert wurde, die von 1890 bis 1913 in Kattowitz als "Organ der deutschen Sozialdemokratie für die polnischen Sozialdemokraten in Deutschland" erschien. Bei den polnischen Verfilmungen, die in den letzten Jahren wegen der Veränderungen in Polen mit großen organisatorischen Schwierigkeiten verbunden waren, konnte die Bibliothek erfreulicherweise auf die stete Hilfsbereitschaft der FES-Vertretung in Warschau zurückgreifen.
Eine neue Qualität bekamen die Verfilmungsaktivitäten der Bibliothek, als sich 1980 eine enge Kooperation zwischen der Deutschen Bücherei Leipzig und der Stiftungsbibliothek anbahnte. 1980 wurden vonseiten der Bibliothek in Leipzig Absprachen getroffen, die für die folgenden Jahre eine enge Zusammenarbeit begründeten. Die Bibliothek (von 1987 bis 1991: Bibliothek der sozialen Demokratie/Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung) verpflichtete sich, die größte deutsche Bibliothek bei der Erwerbung Grauer Literatur zu unterstützen. Zu diesem Zweck wurde in Bonn versucht, für Leipzig ein zusätzliches Exemplar der Veröffentlichungen deutscher Parteien und Gewerkschaften zu erwerben. Die einzige Einrichtung in der damaligen DDR mit einem gesamtdeutschen Anspruch dokumentierte diese Literatur in ihren Katalogen und zeigte sie in der Deutschen Nationalbibliographie an. Diese westlichen Veröffentlichungen wurden dadurch bekannt und konnten - wenn auch extrem eingeschränkt - eingesehen werden. Die Beziehungen zwischen den beiden Institutionen in Leipzig und Bonn garantierten einen regelmäßigen Zufluss der Literatur bundesdeutscher Parteien und Gewerkschaften in die sächsische Metropole und können in ihrer Wirkung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Im Gegenzug lieferte das Leipziger "Gesamtarchiv des deutschsprachigen Schrifttums" Zeitschriften aus der deutschen Arbeiterbewegung nach Bonn, die verfilmt wurden. Anschließend gingen die Mikrofilme uneingeschränkt in den deutschen Leihverkehr der Bibliotheken. Die Deutsche Bücherei erhielt ihrerseits eine Sicherungskopie. Mit der Deutschen Bücherei war 1913 auf Initiative des deutschen Buchhandels eine Nationalbibliographie entstanden, die im Gegensatz zu staatlichen Bibliotheken sich nicht gegen den Erwerb von Mitgliederzeitschriften aus der Arbeiterbewegung sperrte, sondern die Veröffentlichungen von Genossenschaften, Gewerkschaften, Arbeiterfreizeitorganisationen, quasi-gewerkschaftlichen Standesorganisationen und politischen Parteien ausdrücklich in ihr Programm aufnahm. Entsprechend positiv waren die Resonanz und die Bereitschaft der Redakteure und Vertriebsleiter des bislang verfemten "4. Standes", ihre Literatur nach Leipzig zu geben. Leider wurde das Leipziger Sammelspektrum nicht auf Zeitungen ausgedehnt, so dass dafür in den achtziger Jahren keine Chance einer umfassenden Sicherung bestand.
Frucht der Kooperationsbeziehungen mit Leipzig war eine große Zahl von Titeln auf Mikrofilm, auf die die westdeutsche Forschung bis dahin verzichten musste. Eine große Zahl wissenschaftlicher Abschlussarbeiten basieren fast ausschließlich auf Mikroverfilmungen Leipziger Bestände. Hervorzuheben ist die im Auftrag der Historischen Kommission zu Berlin herausgegebene Reihe "Sozialistische Kultur- und Freizeitorganisationen in der Weimarer Republik" mit ihren vier Bänden (Sozialistische Akademiker- und Intellektuellenorganisationen in der Weimarer Republik, Sozialistische Gesundheits- und Lebensreformverbände, Sozialistische Gesangs- und Bühnenkultur, Freidenkerische und religiös-sozialistische Gruppierungen), deren Autoren intensiv mit den verfilmten Quellen in der Bibliothek der sozialen Demokratie/Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung arbeiteten.
In den achtziger Jahren kam es zwischen der Stiftungsbibliothek und nationalen oder internationalen Gewerkschaftsorganisationen zu Gesprächen über den Verbleib ihrer einmaligen Hausbibliotheken. Zwei deutsche Gewerkschaftsorganisationen entschlossen sich, ihre Bibliotheksbestände gänzlich in die Obhut der Friedrich-Ebert-Stiftung zu geben. Die Friedrich-Ebert-Stiftung verpflichtete sich ihrerseits, die Bestände in gesonderten Bestandsverzeichnissen zu dokumentieren, die wissenschaftliche Aufarbeitung der eigenen Gewerkschaftsgeschichte zu unterstützen und die Bestände durch systematische Verfilmungen planvoll zu ergänzen. Als Ergebnis dieser Zusagen konnte die Bibliothek zwei Bestandsverzeichnisse präsentieren, die wertvolle Originale und verfilmte Bestände vereinigten. (Quellen zur Gewerkschaftsgeschichte der Nahrungs-, Genussmittelarbeiter und Gastwirtsgehilfen. Ein Bestandsverzeichnis der Vorläuferorganisationen der Gewerkschaft NGG. Bonn 1984; Baugewerkschaften in der Bibliothek der sozialen Demokratie/Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung. 2. Aufl. Bonn 1986). Jüngste Aktivitäten im Bereich der Erwerbung und Verfilmung von Gewerkschaftsveröffentlichungen dokumentiert der Band Graphische Presse in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung. Ein Periodikaverzeichnis der Internationalen Graphischen Föderation. Bonn 1991.
Ein weiteres Kapitel bei der Verfilmung historischer Bestände in Deutschland wurde aufgeschlagen, als die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ein neues Förderprogramm auflegte, um Zeitungen als historische Quellen der Alltagsgeschichte zu sichern und nutzbar zu machen. Die Intentionen des Projekts der Deutschen Forschungsgemeinschaft deckten sich weitgehend mit den Interessen der Friedrich-Ebert-Stiftung und ihrer Bibliothek. Diese nutzten die Fördermittel, um mit der Verfilmung zweier wichtiger bayrischer SPD-Organe, der Nürnberger "Fränkischen Tagespost" (nebst Vorläufer) und der Augsburger "Schwäbischen Volkszeitung" (nebst Vorläufer) erste Akzente zu setzen und die vielbeklagte "bayrische Lücke" in der Bibliothek zu schließen. Mit der "Fränkischen Tagespost" wurde die einzige erhaltengebliebene SPD-Zeitung als Film in den Bestand aufgenommen, die das Sozialistengesetz ohne Schaden überstanden hatte. Mit Hilfe der Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft gelang es 1984, die erste Verfilmung in der damaligen DDR zu realisieren. Mit der Magdeburger "Volksstimme" konnte erstmals eine wichtige mitteldeutsche Regionalzeitung der deutschen Arbeiterbewegung aus der Zeit vor 1933 gesichert werden, die man in westdeutschen Bibliotheken bis dahin vergeblich suchte. Mit der Geschichte der Magdeburger Arbeiterbewegung sind die Namen führender Sozialdemokraten wie Wilhelm Pfannkuch, Erich Ollenhauer, Hermann Beims und Ernst Reuter untrennbar verknüpft. Für ihre Biographien ist die Magdeburger "Volksstimme" eine Quelle von zentraler Bedeutung. Die Verfilmung des Magdeburger Blatts erfolgte in den Räumen der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle. Als Anschlussprojekt gelang es, an gleicher Stelle mit Hilfe der DFG die Verfilmung des sozialdemokratischen hallischen "Volksblatts" anzuschließen. Die gewonnenen Erfahrungen bei der Verfilmung der Presse der historischen mitteldeutschen Arbeiterbewegung nutzte die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung (offizieller Bibliotheksname seit 1991) nach der Wiedervereinigung. Mit der Verfilmung der Chemnitzer "Volksstimme", der "Volkszeitung für das Vogtland", der Erfurter "Tribüne" und des "Gothaer Volksblatts" stellte die Friedrich-Ebert-Stiftung in den neuen Bundesländern den Benutzern "vor Ort" zentrale Quellen der deutschen Arbeiterbewegung zur Verfügung. Gleichzeitig werden sie in Bonn für eine überregionale Nutzung verwahrt. Die Verfilmungsaktivitäten in den neuen Bundesländern werden auch in Zukunft weitergehen. Die Verfilmungen der "Nordhäuser Volkszeitung", des "Halberstädter Tageblatts" und der "Mecklenburgischen Volkszeitung" stehen kurz vor ihrem Abschluss.
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