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Periodika der internationalen Arbeiterbewegung auf Mikrofilm / Rüdiger Zimmermann - [Electronic ed.] - 21 Kb, Text
In: Zeitungs-Mikrofilm-Nachrichten. - 3 (2001), 3, S. 6 - 8
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT




Dr. Rüdiger Zimmermann, Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn:

Periodika der internationalen Arbeiterbewegung auf Mikrofilm

Ein Kooperationsprojekt der International Association of Labour History Institutions (IALHI) und des Mikrofilmarchivs der deutschsprachigen Presse zum 50. Jahrestag der Wiedergründung der Sozialistischen Internationale (SI) (1951 – 2001)

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Der Projektgedanke

1996 unterbreitete Gerd Callesen vom dänischen Arbejderbevaegelsens Bibliothek og Arkiv den Mitgliedern der International Association of Labour History Institutions den Vorschlag, eine Bibliographie der Zweiten Internationale, der Sozialistischen Arbeiterinternationale und der Sozialistischen Internationale zu erstellen.

Diese internationalen Organisationen repräsentierten und repräsentieren den Zusammenschluss sozialdemokratischer und sozialistischer Parteien, die von 1889 an - unterbrochen durch zwei Weltkriege - den Gedanken der internationalen Solidarität und der Völkerverständigung verkörperten.

Die Idee eines weltweiten Zusammenschlusses war der Arbeiterbewegung von Anfang an immanent gewesen. Die bitteren Erfahrungen zweier Weltkriege, die erlebte Ohnmacht der Arbeiterparteien, weder Kriege noch übersteigerten Nationalismus verhindern zu können, ließen viele Illusionen über die politischen Möglichkeiten eines internationalen Zusammenschlusses schwinden. Dennoch: Nach zwei Weltkriegskatastrophen trafen sich innerhalb kürzester Zeit die Repräsentanten nationaler Organisationen, um erneut Formen des internationalen Dialoges zu finden.

Die internationale Zusammenarbeit linker, dem demokratischen Sozialismus verpflichteter Organisationen beschränkte sich nicht nur auf politische Parteien. Ende des 19. Jahrhunderts schlossen sich auch nationale Gewerkschaftsorganisationen zu losen "Internationalen Berufssekretariaten" zusammen. Das Aufblühen der Arbeiterkulturorganisationen in der Zwischenkriegszeit in den industrialisierten westeuropäischen Ländern führte ebenfalls zu einer Fülle internationaler Kooperationen und Zusammenschlüsse, die sich der politischen Arbeiterbewegung verbunden fühlten, ohne von ihnen bevormundet oder dirigiert zu werden.

Die Arbeiterbewegung und ihre internationalen Zusammenschlüsse sind Kinder der Aufklärung. Um "aufzuklären", gaben sie Zeitungen, Zeitschriften, Protokolle, Geschäftsberichte und Broschüren heraus. Oft erschienen sie in verschiedenen Sprachen und in der Abfolge in verschiedenen Ländern.

Um die Geschichte der internationalen Zusammenschlüsse ranken sich viele Mythen. In Wirklichkeit bestand die internationale Solidarität aus viel gutem Willen und ein wenig "Zeitüberschuss", die die nationale Arbeit den Verantwortlichen ließ. In gewissem Sinne steht auch die International Association of Labour History Institutions (IALHI) in der Tradition der internationalen Kulturorganisationen der Arbeiterbewegung.

1970 trafen sich in London im Hause der Labour Party Vertreterinnen und Vertreter bedeutender Archive und Bibliotheken der europäischen Arbeiterbewegung, um einen internationalen Dachverband aus der Taufe zu heben. [ S. Rüdiger Zimmermann, "Hoch die Internationale Solidarität". Die Mitarbeit der Friedrich-Ebert-Stiftung innerhalb der International Association of Labour History Institutions (IALHI), in: Das gedruckte Gedächtnis der Arbeiterbewegung. Festschrift zum 30-jährigen Bestehen der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn, 1999, S. 66-75.] Heute zählt die internationale Organisation 96 Mitglieder in 26 verschiedenen Ländern in allen Erdteilen. Nach wie vor stellen indes die europäischen Mitglieder das Gros der Organisation.

Unter den Mitgliedern befinden sich eine Reihe hoch angesehener Institutionen. Darunter das Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis (IISG Amsterdam), das Schweizerische Sozialarchiv in Zürich, das Istituto Giangiacomo Feltrinelli in Mailand und die School of Industrial and Labor Relations an der Cornell University in Ithaca <New York>. Das Rückgrat der IALHI bildeten von Anfang an skandinavische Einrichtungen, die auf die längsten ungebrochenen Traditionen zurückblicken können. 2001 feiert das schwedische Arbetarrörelsens Arkiv in Stockholm seinen 100. Geburtstag.

Die Zusammenarbeit der Einrichtungen ist "locker". Einmal im Jahr findet ein Kongress in wechselnden Länder statt. Ein Co-ordination Committee repräsentiert die Organisation zwischen den Kongressen. Zur Zeit liegt die Leitung beim Archief en Museum van de Socialistische Arbeidersbeweging in Gent. Traditionelle Bibliotheksarbeit, der Austausch von Dubletten, der Austausch von Erfahrungen und Informationen und das Erstellen konventioneller Bibliographien und Bestandsverzeichnisse prägte lange Jahre den Alltag praktischer und nützlicher internationaler Zusammenarbeit.

Im digitalen Zeitalter sieht sich die IALHI vor neue Herausforderungen gestellt. In der Zwischenzeit sind eine Reihe bemerkenswerter elektronischer Kooperationsprojekte realisiert worden. Traditionelle und digitale Zusammenarbeit verschränken sich. Zu diesen "Mischprojekten" muss auch das neue "SI-Projekt" gezählt werden, das auf dänische Anregung hin ins Leben gerufen wurde. Gerd Callesen schlug vor, die geplante gemeinsame Bibliographie erst ab Erscheinungszeitraum 1914 zu realisieren, da mit der bahnbrechenden Arbeit von Georges Haupt, La Deuxieme Internationale, 1889-1914 : Etude critique des sources ; Essai bibliographique, Paris, 1964 eine perfekte Dokumentation bis zum Kriegsausbruch des I. Weltkrieges vorlag.

Ferner regte Gerd Callesen an, dass die vier leistungsstärksten Einrichtungen den Kern eines Bestandsverzeichnisses erstellen sollten, welches anschließend von den übrigen Einrichtungen ergänzt werden sollte. Viele Standortnachweise sollten die internationale Zusammenarbeit dokumentieren und dem Forscher viele nützliche Anregungen und Hinweise geben. Als endgültiger Veröffentlichungstermin wurde das Jahr 2001 ins Auge gefasst. Somit sollte auch der 50. Geburtstag der Wiedergründung der Sozialistischen Internationale 1951 in Frankfurt am Main gewürdigt werden.

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Die Vorarbeiten zum Projekt

Die Vorarbeiten zu dem Projekt begannen 1997, wobei das IISG Amsterdam und die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung als größte westeuropäische Spezialbibliotheken den "Löwenanteil" des bibliographischen Materials zulieferten. Das IISG verwahrt die Aktenbestände der Sozialistischen Internationale, der Sozialistischen Fraueninternationale und anderer bedeutender internationaler Organisationen. [ Guide to the International Archives and Collections at the IISG, Amsterdam, 1999, S 328 ff.] Durch die Aktenübernahme war auch ein Strom wichtiger Publikationen in die Bibliothek des Instituts gelangt, die sich als Unikate ausschließlich in Amsterdam erhalten haben.

Auf der 29. IALHI-Konferenz im September 1998 in Mailand traf sich eine Arbeitsgruppe, um eine erste Bilanz der Arbeit zu ziehen. In der Zwischenzeit hatte sich herauskristallisiert, dass es wenig opportun war, sich ausschließlich auf die politischen Zusammenschlüsse der sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien zu konzentrieren. Die internationalen Kooperationen der Arbeitersportler, der Arbeitersänger, der Arbeiteresperantisten, der Naturfreunde, die Lehrer zählen "im Grunde genommen" ebenfalls zum Erbe der internationalen Arbeiterbewegung. Darüber hinaus "entdeckte" Gerd Callesen eine Reihe anderer Zusammenschlüsse der SI nahestehender Organisationen, die ebenfalls publiziert hatten. Es wurde in Mailand rasch Übereinkunft erzielt, diese internationalen Kulturorganisationen ebenfalls in die Dokumentation aufzunehmen.

Die weitestgehende Erweiterung des Projektes nahm die Arbeitsgruppe indes mit dem Beschluss vor, die Zusammenschlüsse sozialdemokratischer Parteien auf EU-Ebene einzubeziehen. Diese Entscheidung machte Sinn: Westeuropäische Parteien haben sich zur Sozialdemokratischen Partei Europas zusammengeschlossen. Im Europarat selbst besteht eine Fraktion der Sozialdemokratischen Parteien. Diese supranationalen Organisationen stehen im Geist und Tradition der "Internationalen".

In der Ende 1999 vorgelegten Arbeitsversion der Bibliographie werden 37 Organisationen genannt, die knapp 200 periodische Veröffentlichungen (ohne Jahrbücher und Kongressprotokolle) publiziert haben und noch publizieren. Die Zahl der nachgewiesenen Monographien liegt bei knapp 1.800 Titeln. Von manch ephemeren Zeitschriften lassen sich oft nur Einzelhefte nachweisen, manches Blatt ist nur mit einer einzigen Nummer erschienen. Manche Titel müssen restlos als verschollen gelten. Dies gilt besonders für die Zeit der späten dreißiger Jahre.

Keine große Einrichtung verfügt auch nur annähernd über einen vollständigen Bestand. Interessanterweise fallen die größten Lücken nicht bei den "alten" Veröffentlichungen ins Auge. Vielmehr sind es die Publikationen, im Rahmen der EU-Zusammenarbeit in Straßburg, Brüssel und Luxemburg erschienen, die von den nationalen Einrichtungen nur ungenügend oder überhaupt nicht gesammelt wurden. Obwohl in hoher Auflage (oft in acht EU-Sprachen publiziert) befinden sie sich knapp 15 Jahre nach Veröffentlichung weder in nationalen Archiven und Bibliotheken noch bei den europäischen "Literaturproduzenten" selbst. Die sozialdemokratischen Parteien unterscheiden sich bei dieser Dokumentationslücke weder von den liberalen, noch von den konservativen und den Umweltparteien. So sorgfältig das amtliche Schrifttum verwahrt und dokumentiert wurde, so unvollständig sind die deutschsprachigen "nongovernment publications" auf EU-Ebene gesammelt und erschlossen worden.

Bei den großen Lücken innerhalb der großen Bibliotheken lag deshalb der Gedanke nahe, die Materialien nicht nur gemeinsam bibliographisch zu verzeichnen, sondern in einem kooperativen Verfilmungsprojekt zusammenzutragen und für alle Mitgliedsorganisationen und anderen Nutzer zugänglich zu machen. Die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung stellte deshalb bei der Erich-Brost-Stiftung einen Antrag, Mittel für die Verfilmung der Periodika des "SI-Projektes" zu bekommen. Die Erich-Brost-Stiftung in der Friedrich-Ebert-Stiftung hat sich auf ihrer konstituierenden Sitzung zum Ziel gesetzt, Projekte zur Vertiefung der deutsch-polnischen Beziehungen zu fördern. Einen weiteren Schwerpunkt bilden Projekte, die die Heranführung Polens an die Europäische Union fördern. [ Jahresbericht der Friedrich-Ebert-Stiftung 1995, 1996, S. 28.] Auf der 30. IALHI-Konferenz 1999 in Amsterdam hatte die internationale Gemeinschaft die polnische Parlamentsbibliothek als neues Mitglied aufgenommen, da sie über reiche Schätze der nationalen und internationalen Arbeiterbewegung verfügt. Bibliotheksmaterialien aus dem Parteiarchiv der polnischen Kommunisten waren nach der Demokratisierung Polens in die Obhut der polnischen Parlamentsbibliothek gelangt.

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Erich-Brost-Stiftung stellt Mittel für die Periodika-Verfilmung zur Verfügung

Als "Begünstigte" des Projektes sollte das neue IALHI-Mitglied Mikrofilme aller erreichbaren periodischen Veröffentlichungen internationaler demokratischer Organisationen erhalten, die in der Tradition der sozialistischen und sozialdemokratischen Arbeiterbewegung standen und stehen. Der Beirat der Erich-Brost-Stiftung stimmte im Januar 2000 dem Projekt einer kooperativen Verfilmung zu und stellte erste Mittel zur Verfügung. Die Verfilmungen werden von der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung gesteuert. Als von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Einrichtung für die Veröffentlichungen von Parteien und Gewerkschaften Europas und Nordamerikas verfügt sie über besonders große Erfahrungen auf diesem Gebiet. Alle Mitgliedseinrichtungen, die Bestände in das kooperative Verfilmungsprojekt einbringen, erhalten eine Lesekopie des entsprechenden Titels.

Viele der Materialien sind in deutscher Sprache erschienen. Deutsch war die vorherrschende internationale Sprache der Arbeiterbewegung in der Zwischenkriegszeit. Viele der Periodika sind in Deutschland, Österreich und der Schweiz erschienen. In jüngster Zeit dominiert natürlich die englische Sprache. Bei der Frage, wie die Mikrofilme der internationalen Forschung zugänglich gemacht werden sollen, standen verschiedene Modelle zur Diskussion. Lange wurde eine Realisierung über ein kommerzielles Unternehmen diskutiert.

Auf der Sitzung des Co-ordination Committees in Paris im Februar 2000 wurde jedoch ein anderes Modell beschlossen. Die Verfilmungen werden international und dezentral erfolgen Die Mutterfilme werden in der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn verwahrt. Der Vertrieb der Filme soll über das Mikrofilmarchiv der deutschsprachigen Presse in Dortmund realisiert werden. Obgleich das MFA nur in Deutschland oder in deutscher Sprache erschienene Titel nachweist, wurde eine Absprache zwischen der FES und dem MFA erzielt, dass das MFA für das spezielle Projekt auch den Vertrieb der Titel vornimmt, die nicht unter die "Verzeichnisrichtlinien" fallen. Für das Co-ordination Committee der IALHI selbst war die gemeinnützige Struktur des MFA entscheidend, von einer kommerziellen Produktions- und Vertriebslösung abzusehen.

Seit Dezember 1989 liefert die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung ihre Periodikabestände online der Zeitschriftendatenbank zu. Als Privatbibliothek tut sie dies außerhalb der bibliothekarischen Verbundstrukturen. Sie nutzte dabei als erste der an der ZDB mitarbeitenden Bibliotheken die Möglichkeit, ihre Periodikabestände mittels einer selbst erstellten Systematik zu klassifizieren. Diese Vergabe von SSN-Notationen hat eine Fülle von hoch spezialisierten Bestandsverzeichnissen gesteuert, die im lokalen ALLEGRO-System anschließend zur "Publikationsreife" gediehen.

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Bibliographie auch als Datenbank geplant

Auch die Dokumentation der verfilmten Periodika-Titel wird auf diesem Wege erstellt werden. Eine erste provisorische Liste, die auf die enge Zusammenarbeit mit dem MFA hinweist, wird auf der kommenden Jahrestagung in Oslo präsentiert werden. Die endgültige gedruckte Version der Bibliographie, die periodische und monographische Titel umfasst, wird 2001 erscheinen. Gedruckte Verzeichnisse werden über Jahre ihren "Wert an sich" behalten. Gedruckte bibliographische Nachschlagewerke sind indes statisch. Veränderungen im Bestand und Korrekturen können nicht nachgebessert werden.

Die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung hat sich deshalb entschlossen, nach Abschluss des Projektes, die in Kopenhagen als Textverarbeitung entstandene Bibliographie unter Datenbankbedingungen weiterhin zu pflegen. Diese "Pflege" wird Monographien und Zeitschriftentitel gleichermaßen betreffen. Die Datenbank wird auf dem Bibliotheksserver der FES aufliegen, im WWW zugänglich sein und mit der Homepage der IALHI verlinkt sein. Gastrecht genießt die IALHI auf dem Server des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte in Amsterdam. Bestellungen auf den Titeln nach bekannten Aufsätze können über das WWW als E-Mail oder digitales Image versendet werden.

Das IALHI-Projekt, das in Kooperation mit dem MFA realisiert wird, vereinigt alle Vorzüge eines internationalen, arbeitsteiligen Projektes im modernen Medienzeitalter. Phantasie und lokale Initiativen können weiterhin "blühen". Lokale, nationale und internationale Arbeitsergebnisse werden planvoll zu einem Ganzen zusammengefügt. Bibliographisches Fachwissen, die Liebe zum eigenen Sammelgebiet, internationaler Wissenstransfer vereinigt sich mit den Vorzügen der Mikrofilmtechnik und der digitalen Datenpräsentation und den Möglichkeiten digitaler Lieferkomponenten.

Der 50. Jahrestag der Wiedergründung der Sozialistischen Internationale im Nachkriegsdeutschland ist dazu ein würdiger Anlass.


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